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Pulmonale Hypertonie: Neue Empfehlungen, neue Medikamente
Teamwork von Pneumologen und Kardiologen
Die Europäische Lungengesellschaft ERS und die Kardiologengesellschaft ESC haben gemeinsam eine neue Leitlinie zu Diagnostik und Therapie des Lungenhochdrucks erstellt (1). Die Unterschiede zur älteren Version des Dokuments aus dem Jahr 2009 sind beträchtlich.
Die zentrale Empfehlung zur Diagnostik des Lungenhochdrucks sieht auf den ersten Blick denkbar einfach aus. Pulmonale Hypertonie ist definiert durch einen mittleren Blutdruck in der Pulmonalarterie von mindestens 25 mmHg in Ruhe. Dies muss jedoch, so Prof. Adam Torbicki vom Institut für Tuberkulose und Lungenkrankheiten in Warschau, mittels Rechtsherzkatheter bestätigt werden. Hinter dieser scheinbar einfachen – wenn auch invasiven – Diagnostik verbergen sich die Falltüren: eine Unzahl von Krankheiten und Ursachen, die zum Lungenhochdruck führen können. Torbicki: «Das ist das Problem, vor dem wir täglich an unseren Abteilungen stehen.» Laut ERS und ESC wird die pulmonale Hypertonie (PH) in fünf Formen eingeteilt: • pulmonal-arterielle Hypertonie (PAH), pulmonale Hyperto-
nie infolge von Herzerkrankungen; • pulmonale Hypertonie infolge von Lungenerkrankungen; • thromboembolische pulmonale Hypertonie (CTEPH) sowie • pulmonale Hypertonie infolge anderer Ursachen. Besondere Probleme entstehen, so Torbicki, wenn Patienten Risikofaktoren für mehrere Formen der pulmonalen Hypertonie aufweisen. Gleichzeitig ist die genaue Diagnose jedoch von essenzieller Bedeutung, da es nur für die PAH und die CTEPH zugelassene Therapien gibt und diese nicht bei anderen Formen der PH zum Einsatz kommen sollen. Bei Lungenhochdruck infolge von Linksherz- oder Lungenerkrankungen sind sie weder indiziert noch zugelassen und in manchen Fällen sogar kontraproduktiv.
Keine Therapie ohne adäquate Diagnose im spezialisierten Zentrum Das hat Auswirkungen auf die optimale diagnostische Strategie. Eine Diagnose mittels Rechtsherzkatheter muss gestellt werden, bevor eine Therapie begonnen werden kann. Da man bei drei Formenkreisen des Lungenhochdrucks keine therapeutischen Optionen hat, wäre es theoretisch wünschenswert, diesen Patienten den Rechtsherzkatheter zu ersparen, zumal diese technisch anspruchsvolle Untersuchung nicht ungefährlich ist und aus Sicherheitsgründen in einem Zentrum durchgeführt werden muss, in dem ausreichend Erfahrung besteht. Die Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum (PAH Expert Center) ist, so Torbicki, auch aufgrund der Komplexität der Differenzialdiagnostik anzuraten. Grundsätzlich betonen ERS und ESC, dass die grundlegenden Untersuchungen an normalen kardiologischen Abteilungen durchgeführt werden können. Wenn sich der Verdacht auf PH erhärtet, sollen die Patienten zur weiterführenden Diagnostik (Rechtsherzka-
theter) und Behandlung an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen werden.
Echokardiografie zur Risikoabschätzung Von grosser Bedeutung im Rahmen der Diagnostik ist die Echokardiografie, die jedoch keine PH-Diagnose, sondern lediglich die Zuordnung der Patienten zu Risikoklassen erlaubt. Tobicki: «Anhand des Ultraschalls und einiger weiterer Untersuchungen können wir die Notwendigkeit weiterführender Tests und insbesondere einer Untersuchung mit dem Herzkatheter abschätzen.» Mit Hilfe der Echokardiografie soll nicht der Blutdruck im Lungenkreislauf geschätzt, sondern die Geschwindigkeit der Regurgitation durch die Trikuspidalklappe gemessen werden. Allerdings betonte Tobicki, dass anhand dieser Messung allein noch keine Wahrscheinlichkeit einer PH angegeben werden kann. Vielmehr muss dieser Befund mit einer Reihe weiterer, in der Leitlinie spezifizierter, echokardiografischer Zeichen in Verbindung gebracht werden. Auf dieser Basis wird entschieden, ob Entwarnung gegeben werden kann, weitere Beobachtung indiziert ist oder die sofortige weitere Abklärung erfolgen soll. Weitere Abklärung bedeutet, dass der Patient zunächst gründlichst kardiologisch und pulmologisch untersucht werden muss, um mögliche Ursachen einer PH infolge von Herz- oder Lungenerkrankungen zu identifizieren. Auf dem Weg hin zum Rechtsherzkatheter kann auch ein V/Q-Scan zur Diagnose einer CTEPH notwendig werden. Torbicki unterstreicht, dass auch diese Patienten zur weiteren Abklärung (inklusive pulmonaler Angiografie) an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen werden müssen. Deutlich erschwert werden die diagnostischen Entscheidungen durch Patienten aus der «Gruppe 5», also Patienten mit pulmonaler Hypertonie «anderer Ursachen». Diese extrem heterogene Gruppe stellt eine enorme diagnostische Herausforderung dar. Torbicki: «Bei vielen Patienten erfordert es lange Abwägung und ausführliche Diskussionen, bis wir die Indikation zum Rechtsherzkatheter stellen – oder eben nicht.» Auch wenn die Diagnose einer PAH einmal gestellt ist, sind die differenzialdiagnostischen Probleme damit keineswegs gelöst. So gilt es auch, zwischen den verschiedenen Formen der pulmonal-arteriellen Hypertonie (von denen die idiopathische die häufigste ist) zu differenzieren. Ungeachtet der Zurückhaltung, die beim Rechtsherzkatheter geübt wird, betont Torbicki jedoch die diagnostischen Vorteile, die diese Untersuchung auch dann bringt, wenn der Verdacht auf PAH nicht bestätigt werden kann. In diesem Fall können die Befunde äusserst hilfreich bei der weiteren diagnostischen Abklärung sein.
18 Pneumologie • Januar 2016
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Wichtige Änderungen in der medikamentösen Therapie Das Management von Patienten mit pulmonaler Hypertonie soll immer in Zusammenarbeit mit spezialisierten Zentren erfolgen. Ein wesentlicher Grund für das Update der Guidelines aus dem Jahr 2009 war die Zulassung neuer Medikamente für die PAH sowie nun auch einer medikamentösen Option in der Therapie der CTEPH, die sich für Patienten anbietet, welche für eine chirurgische Therapie nicht infrage kommen oder bei denen die chirurgische Therapie keinen langfristigen Erfolg bringt. Im Zentrum der neuen Guidelines steht nun ein neuer Behandlungsalgorithmus für die pulmonale arterielle Hypertension (PAH), der die Therapieempfehlungen im Hinblick auf das individuelle Risikoprofil des Patienten zusammenfasst. Nach Diagnose einer PAH soll in einem ersten Schritt, so Prof. Dr. Nazzareno Galiè von der Universität Bologna, im Rahmen der Rechtsherzkatheterisierung ein Vasoreaktivitätstest durchgeführt werden. Ist dieser positiv, eignet sich der Patient für eine Therapie mit hoch dosierten Kalziumkanalblockern. Leider ist dies jedoch bei der grossen Mehrzahl der Betroffenen nicht der Fall. Für die verbleibenden 90 bis 95 Prozent der Patienten empfiehlt die Leitlinie eine Stratifizierung nach individuellem Risiko, das anhand von klinischen Zeichen, Funktionstests, Hämodynamik, Biomarkern und Bildgebung bestimmt wird. Die Patienten müssen regelmässig kontrolliert werden. Dafür wird eine detaillierte Auflistung der empfohlenen Untersuchungen und ihrer Frequenz, jeweils in Abhängigkeit von der diagnostizierten Erkrankung, angegeben. Aus diesen Untersuchungen ergibt sich eine Einteilung in hohes, mittleres und niedriges Risiko, aus der sich dann konkrete Empfehlungen ableiten lassen. Galiè: «Wir haben diese Empfehlungen in Form von zehn Geboten formuliert.»
Gute Evidenz auf Basis zahlreicher klinischer Studien Diese sehen unter anderem bei therapienaiven Patienten mit niedrigem oder mittlerem Risiko initial eine orale Mono- oder Kombinationstherapie vor. Bei Hochrisikopatienten wird bereits initial eine Kombinationstherapie inklusive eines intravenösen Prostazyklins empfohlen. Bei der CTPEH ist die pulmonale Endarterektomie die Methode der Wahl, sofern der Patient für diese schwierige und belastende Operation geeignet ist. Die mittlerweile zahlreichen medikamentösen Optionen zur Behandlung der pulmonal-arteriellen Hypertonie werden detailliert mit Bewertung der Evidenz für den Einsatz in den verschiedenen Schweregraden der Erkrankung aufgelistet. Diese Einstufung der Evidenz stützt sich auf mittlerweile mehr als 30 randomisierte, kontrollierte Studien in der Indikation PAH (2). Sie lässt sich vereinfachend so zusammenfassen: In den WHO-Funktionsklassen II und III besteht in der Monotherapie gute Evidenz für die Endothelin-Rezeptorantagonisten Ambrisentan, Bosentan und Macitentan, die PDE5Inhibitoren Sildenafil und Tadalafil sowie den Guanylatcyclase-Stimulator Riociguat. Für die Prostazyklin-Analoga besteht Evidenz erst ab Funktionsklasse III. In der WHO-Klasse IV wird die Evidenz dünner, eine IA-Empfehlung für die Klassen III und IV besteht nur für intravenöses Epoprostenol. Die Evidenz für den im Zulassungsprozess befindlichen oralen IP-Prostazyklin-Rezeptor-Agonisten Selexipag wird in den Funktionsklassen II und III mit IB eingestuft. In der initialen Kombinationstherapie besteht IB-Evidenz nur für Ambrisentan und Tadalafil. Bei Nichtansprechen auf die initiale Therapie werden sequenzielle Kombinationstherapie beziehungsweise
Empfehlungen zur medikamentösen Monotherapie für PAH in Abhängigkeit von der Funktionsklasse
Medikament
Klasse II Klasse III Klasse IV
Kalziumkanalblocker Endothelin-Rezeptorantagonisten Ambrisentan (Volibris®) Bosentan (Tracleer®) Macitentan (Opsumit®) Phosphodiesterase-Typ-5-Hemmer Sildenafil (Revatio®) Tadalafil (Adcirca®) Vardenafil* Guanylatzyklase-Stimulatoren Riociguat (Adempas®) Prostazyklinanaloga Epoprostenol i.v. (Flolan®, Veletri®) Iloprost inhalativ (Ventavis®) Iloprost i.v. (Ilomedin®) Treprostinil (Remodulin®) s.c. Treprostinil (Remodulin®) Inhalativ Treprostinil (Remodulin®) i.v. Treprostinil (Remodulin®) oral Beraprost (in CH nicht registriert) IP-Rezeptoragonisten Selexipag (oral)
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I I I
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II I IIb IIa IIb I IIb I IIb IIa IIb IIb – IIb –
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* Vardenafil ist in der Schweiz nur für die Therapie der ED zugelassen. Tabelle adaptiert nach (1).
Dreifachkombinationen empfohlen. Bringen diese nicht den gewünschten Erfolg, bleibt noch die Lungentransplantation. Bei entsprechendem Patientenprofil kann bei PAH bereits früh an eine Lungentransplantation gedacht werden. Der Guanylatzyklase-Stimulator Riociguat ist als einzige medikamentöse Option auch empfohlen bei CTEPH-Patienten, die für eine chirurgische Therapie nicht infrage kommen oder auf die chirurgische Therapie nicht adäquat ansprechen.
Reno Barth
Referenzen: 1. 2015 ESC/ERS Guidelines for the diagnosis and treatment of pulmonary hypertension. Abrufbar auf erj.ersjournals.com/content/46/4/ 903#sec-26 oder eurheartj.oxfordjournals.org/content/early/2015/ 08/28/eurheartj.ehv317 Die Leitlinie online:
2. Galiè N et al.: Pulmonary arterial hypertension: from the kingdom of the near-dead to multiple clinical trial meta-analyses. Eur Heart J 2010; 31(17): 2080–2086.
Quelle: Symposium «Pulmonary hypertension» (Session 313) beim ERS-Jahreskongress, 28. September 2015 in Amsterdam.
Pneumologie • Januar 2016 19