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Mobile Viren bereiten Sorgen
Globalisierung begünstigt Verbreitung von Influenza und MERS
In einer globalisierten und vernetzten Welt besteht die Gefahr, dass sich Seuchen mit einer nie gekannten Geschwindigkeit verbreiten. Besonders Infektionen des Respirationstraktes haben das Potenzial zur schnellen Ausbreitung. Das Pandemic and Epidemic Disease Department der Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeitet an Gegenstrategien.
ir kennen gegenwärtig rund 1400 Pathogene, die Menschen infizieren können. Es werden ständig weitere entdeckt», sagt Dr. Nahoko Shindo, Genf, die Leiterin des WHO-Teams für Influenza und andere Infektionskrankheiten des Respirationstraktes. Ihre Abteilung ist zuständig für die weltweite Koordination der Influenzaforschung, das Erstellen von Aktionsplänen für den Fall einer Epidemie oder Pandemie, die Beobachtung von Indikatoren für das Auftreten solcher Ausbrüche sowie die Unterstützung der Staaten bei der Umsetzung dieser Pläne. Einige Viren und die Tierarten, die diesen Viren als Reservoire dienen, sind von besonderem Interesse für die Infektiologen. Das sind insbesondere Schweine als Influenzapool sowie Fledermäuse, von denen unter anderem Ausbrüche hämorrhagischer Fieber oder Coronavirusinfektionen ausgehen können. Von besonderem Interesse ist auch die Influenza wegen ihres Potenzials, innerhalb kürzester Zeit verheerende Pandemien zu verursachen. Zur Verbesserung der Prävention sind selbst scheinbar banale Fragen wissenschaftlich zu klären. Shindo: «Wie sinnvoll ist es, Mundschutzmasken einzulagern? Wie gross ist das Risiko einer Ausbreitung von Vogelgrippe? Neben solchen Fragen haben wir jedoch auch mit derzeit brennenden Problemen zu tun. Unter anderem arbeiten wir daran, die Forschung für einen besseren Schutz von Kindern vor Atemwegserkrankungen zu unterstützen.» Die WHO führt Informationen aus der ganzen Welt zusammen, die beispielsweise einen Überblick darüber ermöglichen, wo gerade welche Influenzaviren auftreten. So sollen rasche Reaktionen
Durch Wildvögel ist eine schnelle Ausbreitung von Vogelgrippeviren über weite Distanzen möglich.
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ermöglicht werden, wenn es zu einem verstärkten Auftreten von Erkrankungen kommt oder ein neues Pathogen registriert wird. Das Stichwort lautet «Early Source Control». Shindo: «Die International Health Regulations von 2005 bedeuten in diesem Sinn einen echten Paradigmenwechsel. Davor hat unser Ansatz auf die Beschränkung von Mobilität im Notfall fokussiert. Jetzt geht es darum, eine Epidemie möglichst früh und an ihrem Entstehungsort zu bekämpfen.» Daher zählt es zu den Aufgaben der WHO, im Ernstfall spezialisiertes Personal in Länder mit geringen eigenen Ressourcen zu entsenden.
Pathogene früh erkennen und eindämmen «Early Source Control» setzt auch eine sinnvolle Allokation der Ressourcen voraus. Impfungen, Medikamente und diagnostisches Equipment sollen dort verfügbar gemacht werden, wo sie benötigt werden. Was geschehen kann, wenn das nicht funktioniert, zeigen, so Shindo, die Influenzapandemien der Vergangenheit wie die Spanische Grippe mit 50 bis 100 Millionen Toten oder die Hongkong-Grippe des Jahres 1968 mit immerhin 1 Million Opfern. Shindo: «Die Pandemien der Zukunft werden weniger Opfer fordern.» So verlief der H1N1-Ausbruch 2009 mit rund 200 000 Opfern bereits relativ mild. Um noch besser reagieren zu können, hat die WHO ihren Aktionsplan für kommende Pandemien überarbeitet. Der Kommunikation, sowohl unter den involvierten Behörden als auch mit der Öffentlichkeit, kommt dabei entscheidende Bedeutung zu. Die Ausbreitung von Influenza H1N1 lieferte viele nützliche Lehren, wie im Fall eines gefährlicheren Virus reagiert werden soll und kann. Zwar gelang es, relativ schnell einen Impfstoff verfügbar zu machen, doch war dieser nur in Ländern mit hohem Einkommen erhältlich. Daher unterstützt die WHO nun Schwellenländer beim Aufbau eigener Produktionskapazitäten, die die verfügbaren Mengen erhöhen und den Preis der Impfstoffe senken sollen. Ungeachtet der Kritik hält die WHO am Einsatz antiviraler Substanzen bei Influenza fest und empfiehlt den Staaten, Neuraminidase-Inhibitoren vorrätig zu halten, obwohl diese in Metaanalysen, etwa jener der Cochrane Collaboration, nicht gut abgeschnitten haben. Shindo: «Der Unterschied ist, dass wir neben den klinischen Studien auch Beobachtungsstudien in unsere Überlegungen einbeziehen.» Beispielsweise zeigen epidemiologische Daten, dass die Verfügbarkeit von Neuraminidase-Inhibitoren während der Pandemie von 2009/10 in verschiedenen Ländern mit einer Reduktion von Mortalität und Beatmungspflicht assoziiert war (1).
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Sorgen bereiten der WHO gegenwärtig vor allem zwei neue Viren: Influenza A H7N9 und MERS-CoV. Das Vogelgrippevirus H7N9 ist einer von mehreren Influenzavirusstämmen, die seit Jahren an unterschiedlichen Orten von Vögeln auf den Menschen überspringen, zu mehreren Erkrankungen (in der Regel mit sehr hoher Mortalität) führen – und in den meisten Fällen wieder verschwinden. Die Angst, dass ein solcher Stamm das Potenzial zu einem Pandemievirus hat, ist gross und H7N9 ein möglicher Kandidat. Von 2013 bis 2015 wurden in China mehr als 600 Erkrankungen und mehr als 250 Todesopfer registriert. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch dürfte in Einzelfällen im Spiel gewesen sein.
Ein neues Coronavirus auf dem Weg in die menschliche Population Das zweite Sorgenkind der WHO ist ein mit dem SARS-Virus verwandtes Coronavirus, das das Middle Eastern Respiratory Syndrome (MERS) verursacht. Die Geschichte von MERS beginnt im September 2012 mit dem Tod eines 60-jährigen Mannes, der in Saudiarabien an akuter Pneumonie verstarb. In Zusammenarbeit mit dem niederländischen Erasmus Medical College wurde ein Coronavirus mit verwandtschaftlichen Beziehungen zu verschiedenen Fledermausviren sowie zum SARS-Virus des Jahres 2003 als Erreger identifiziert. Im selben Jahr kam es im Nahen Osten immer wieder zu Erkrankungen und schliesslich zu einem kleineren Ausbruch, bei dem auch 12 Angestellte eines Krankenhauses betroffen waren. Dazu Prof. Stanley Hui von der Chinese University of Hong Kong: «Mit Stand 24. September 2015 stehen wir bei 1570 bestätigten Erkrankungen mit 555 Todesfällen. MERS ist bis anhin in 26 Ländern aufgetreten. Zu den meisten Erkrankungen kam es im Nahen Osten, allerdings verzeichnete auch Korea einen grösseren Ausbruch mit 186 Erkrankungen, von denen 36 tödlich verliefen.» Man nimmt aufgrund seines Stammbaumes an, dass das MERS-CoV ein Fledermaus-Virus ist. Bisher sei es allerdings, so Hui, noch nicht gelungen, das komplette Virus tatsächlich in Fledermäusen nachzuweisen. Festgestellt wurden lediglich neutralisierende Antikörper gegen das Virus sowie ein Fragment von MERS-CoV in einer Fledermaus. Ebenfalls eine wichtige Rolle in den Übertragungswegen dürften Kamele spielen – und das nicht erst seit Kurzem. Untersuchungen zeigten in der Dromedarpopulation des Nahen Ostens und Afrikas zum Teil hohe Antikörpertiter gegen MERS. Seropositiv sind bis zu 100 Prozent der Dromedare, nicht jedoch zentralasiatische Kamele, Schafe, Ziegen oder Rinder. Über das Kamel dürfte auch der wichtigste Übertragungsweg zum Menschen führen. Als besonders infektiös gelten junge oder trächtige Dromedare. Auch Infektionen durch Konsum unpasteurisierter Kamelmilch werden vermutet. Allerdings können nur rund 25 Prozent der nachgewiesenen Infektionen beim Menschen auf Kontakt mit Kamelen zurückgeführt werden. Auch wenn man die Übertragung von Mensch zu Mensch in Betracht zieht, bleibt immer noch ein erheblicher Teil der MERS-Infektionen ungeklärt. Beim Menschen kommen asymptomatische oder minimal symptomatische Infektionen vor. In Saudiarabien sind insgesamt 0,2 Prozent der Bevölkerung seropositiv auf Antikörper gegen MERS-CoV. In besonderen Populationen wie bei Hirten oder Schlachthofarbeitern ist die Prävalenz jedoch um ein Vielfaches höher (3).
Bisher keine spezifischen Therapien verfügbar Hui: «Eine begrenzte Übertragung von Mensch zu Mensch ist möglich. Allerdings konnte sich das Virus bisher nicht in der
Take Home Messages
• Die International Health Regulations der WHO von 2005 fokussieren auf Bekämpfung von Epidemien an ihrem Entstehungsort (Early Source Control)
• Die WHO empfiehlt den Staaten weiterhin, für den Fall einer InfluenzaPandemie, Neuraminidase-Hemmer vorrätig zu halten
• Das Vogelgrippe-Virus H7N9 wird als potenzielles neues Pandemievirus eingestuft und entsprechend genau beobachtet.
• Das Middle Eastern Respiratory Syndrome (MERS) wird von einem Coronavirus verursacht, das sich vermutlich in Fledermäusen entwickelt hat.
• In vielen bekannten Erkrankungsfällen wurde MERS-CoV von Dromedaren auf Menschen übertragen.
• In arabischen Ländern sowie in Südkorea ereigneten sich mehrere nosokomiale Ausbrüche von MERS. Auf sorgfältiges Management von Patienten mit respiratorischen Symptomen und entsprechender Reiseanamnese ist daher zu achten.
humanen Population halten. Zu den grösseren nosokomialen Ausbrüchen kam es bisher infolge unzureichenden Managements in den Krankenhäusern.» Ausbrüche folgen einem charakteristischen Muster: Der Indexpatient erkrankt in der Regel am schwersten und verstirbt in den meisten Fällen. Kommt es in seiner Umgebung zu weiteren Erkrankungen, so verlaufen diese von Übertragungsschritt zu Übertragungsschritt milder. Im Vergleich zu SARS verlaufen MERS-Infektionen, so Hui, tendenziell schneller und aggressiver, mit höherer Mortalität. Dies könne jedoch auch daran liegen, dass bisher die MERS-Patienten älter waren und auch häufig unter Komorbiditäten wie Diabetes mellitus litten (4).
In der Dromedarpopulation des Nahen Ostens und Afrikas wurden zum Teil hohe Antikörpertiter gegen MERS nachgewiesen.
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Die Fähigkeit des Patienten, früh mit Interleukin-12 und Interferon-γ auf die Infektion zu reagieren, dürfte entscheidend für die Prognose sein (5). Dies könnte therapeutisch genutzt werden. Im Tiermodell ist die Kombination von Interferon-α2b mit Ribavirin wirksam gegen MERS (6). Beim Menschen liegen nur retrospektive Daten zu verschiedenen Interferonen in Kombination mit Ribavirin vor. Die Aussagekraft ist, so Hui, deutlich limitiert, weil die Patienten erst sehr spät behandelt wurden und eine Reihe weiterer Therapien erhielten. Die verfügbaren Daten zeigen keinen Einfluss auf die Mortalität. Auch die Kombination Lopinavir/Ritonavir mit Interferon-β1b erwies sich im Tiermodell als wirksam, wurde jedoch noch nicht beim Menschen eingesetzt. Plasma oder Immunglobuline von Überlebenden haben einen protektiven Effekt, sind jedoch kaum verfügbar, da eine ausreichende Produktion neutralisierender Antikörper nach der Genesung nur für kurze Zeit bestehen bleibt (7). An der Entwicklung monoklonaler neutralisierender Antikörper wird gearbeitet. Was alles im Umgang mit einem infektiösen Patienten schiefgehen kann, zeige, so Hui, der MERS-Ausbruch in Korea: Der Patient informierte das Krankenhauspersonal nicht über seinen Aufenthalt im Nahen Osten und liess sich wegen Unzufriedenheit mit den Krankenhäusern dreimal verlegen. Erst im vierten Spital wurde schliesslich MERS diagnostiziert. Diese Krankenhausodyssee war allerdings erst der Anfang einer Reihe von Pannen. Infizierte Patienten, die engen Kontakt zum Indexpatienten gehabt hatten, liessen sich in andere Spitäler verlegen, gingen nach Hause oder verliessen sogar das Land. Man habe, so Hui, in Korea einfach nicht mit MERS gerechnet. Krankenhausausbrüche in arabischen Ländern verliefen nach ähnlichen Mustern mit zahlreichen infizierten
Angehörigen von Patienten, die beim Besuch ihrer kranken Verwandten mit dem Virus in Kontakt kamen. Da MERS mehrfach in Saudiarabien aufgetreten ist, bestanden erhebliche Sorgen, dass das Virus von Mekkapilgern verbreitet werden könnte. Aus diesem Grund wurde das Schlachten von Kamelen während der Zeit des Hadsch untersagt. Bis jetzt gibt es keinerlei Hinweise auf Erkrankungen von Pilgern.
Reno Barth
Referenzen: 1. Miller PE et al.: Supply of neuraminidase inhibitors related to reduced influenza A (H1N1) mortality during the 2009–2010 H1N1 pandemic: summary of an ecological study. Influenza Other Respir Viruses 2013; 7 Suppl 2: 82–86. 2. Zaki AM et al.: Isolation of a novel coronavirus from a man with pneumonia in Saudi Arabia. N Engl J Med 2012; 367(19): 1814–1820. 3. Müller MA et al.: Presence of Middle East respiratory syndrome coronavirus antibodies in Saudi Arabia: a nationwide, cross-sectional, serological study. Lancet Infect Dis 2015; 15(5): 559–564. 4. Zumla A, Hui DS, Perlman S: Middle East respiratory syndrome. Lancet 2015; 386(9997): 995–1007. 5. Faure E et al.: Distinct immune response in two MERS-CoV-infected patients: can we go from bench to bedside? PLoS One 2014; 9(2): e88716. 6. Falzarano D et al.: Treatment with interferon-α2b and ribavirin improves outcome in MERS-CoV-infected rhesus macaques. Nat Med 2013; 19(10): 1313–1317. 7. Mair-Jenkins J et al.: The effectiveness of convalescent plasma and hyperimmune immunoglobulin for the treatment of severe acute respiratory infections of viral etiology: a systematic review and exploratory meta-analysis. J Infect Dis 2015; 211(1): 80–90.
Quellen: Symposien «How to approach and treat fungal and viral respiratory infections» und «Pandemics and emerging infections» beim ERS-Jahreskongress, 26. bis 30. September 2015 in Amsterdam.
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