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COPD – im Netzwerk der Komorbiditäten
Ist es Ursache, Folge, gemeinsame Pathophysiologie oder Zufall?
Viele Patienten mit COPD sind nicht nur aufgrund ihrer eingeschränkten Lungenfunktion schwer krank. Zahlreiche Komorbiditäten können darüber hinaus die Lebensqualität reduzieren und die Prognose verschlechtern. Statistische Modellbildung und Netzwerkanalyse können beim Verständnis helfen.
D em Thema Komorbiditäten der COPD wird beständig steigende Aufmerksamkeit gewidmet. Während im Jahr 2005 GOLD ganze fünf Zeilen darauf verwendete, erschienen 2014 an die 200 Publikationen zu den Komorbiditäten der COPD, so Dr. Miguel Divo von der Harvard Medical School, Boston. Seit 2011 ist auch ein ganzes Kapitel der GOLD Guidelines den Komorbiditäten gewidmet. Divo wies auf die wichtige Unterscheidung zwischen Multimorbidität und Komorbidität hin. So befinden sich die meisten COPD-Patienten in einem Lebensalter, in dem rein statistisch auch mit weiteren chronischen Erkrankungen zu rechnen ist. Eine schottische Studie fand in der Altersgruppe der 60- bis 64-jährigen bereits bei rund 20 Prozent mindestens drei chronische Krankheiten (1). Divo: «Die Frage ist also, ob COPD eine Indexerkrankung mit Komorbiditäten oder eine von vielen gleichberechtigt assoziierten Krankheiten multimorbider Menschen ist.» Klinisch ist diese Unterscheidung kaum zu treffen. In der Untersuchung dieser Frage kommen gegenwärtig immer öfter biomathematische Herangehensweisen ins Spiel. Diese gehen zunächst von simpler Arithmetik aus: Wie viele weitere Erkrankungen werden bei COPD-Patienten beobachtet, welche sind das und wie hoch ist die Prävalenz der einzelnen Krankheiten im Vergleich zueinander? Divo: «Das ist die einfachstmögliche Analyse der Daten und das, was wir in den meisten publizierten Arbeiten sehen.» Es gibt jedoch auch aussagekräftigere Betrachtungsweisen. So wurde in NHANES die Prävalenz der einzelnen typischen COPD-Komorbiditäten in der COPD-Population erhoben und mit gesunden Kontrollen verglichen. Dabei zeigte sich, dass Erkrankungen wie Hypertonie, Diabetes mellitus, Osteoporose, Depression und viele weitere tatsächlich in der COPD-Population häufiger waren (2). Divo: «Es geht hier um Wahrscheinlichkeiten. Weder ist eine dieser Erkrankungen exklusiv mit COPD assoziiert, noch determiniert die COPD dazu, eine bestimmte Komorbidität zu entwickeln.»
Modellbildung erleichtert das Verständnis von Komorbiditäten In einem nächsten Schritt können Komorbiditäten näher betrachtet werden. Dies erlaubt beispielsweise eine Unterscheidung zwischen Erkrankungen mit teilweise gemeinsamer Pathophysiologie und Erkrankungen, die lediglich durch gleiche Lebensstilfaktoren begünstigt werden. Auch eine Betrachtung im Hinblick auf die Folgen ist möglich: Führt eine Komorbidität zu einer Verschlechterung der Indexerkrankung oder erhöht sie nur gemeinsam mit der Indexerkrankung die Morbidität und Mortalität? Setzt man solche Fragen noch in Relation zur Prävalenz der verschiedenen Komorbiditäten, so erhält man das «Komorbidom», ein Modell, das Erkrankungen wie Planeten rund um den Endpunkt «Tod» anordnet (3). Je
häufiger eine Erkrankung auftritt, desto grösser ist der «Pla-
net» und je deutlicher der Einfluss auf die Mortalität, desto
näher steht er am Zentrum. Betrachtet man Komorbiditäten,
die miteinander in Verbindung stehen, erhält man Cluster.
Eine Methode, die sich als Werkzeug zur Systematisierung
solcher Beobachtungen anbietet, ist die Netzwerkanalyse.
Netzwerke bestehen aus Knoten und Kanten (Nodes and Ed-
ges), wobei Knoten als Akteure verstanden werden, die mit-
tels Kanten verbunden sind. In dem von Divo und der inter-
nationalen «BODE Collaborative Group» vorgeschlagenen
COPD-Netzwerk (4) stellen die einzelnen Komorbiditäten die
Knoten dar, die Kanten sind ihre statistische Assoziation, die
positiv oder negativ sowie unterschiedlich ausgeprägt sein
kann. Letzteres wird durch die Dicke der Kanten symbolisiert.
Die Grösse der Knoten steht für die Prävalenz, die Farbe der
Knoten für das betroffene Organsystem. Dieses Modell wurde
nun auf ein COPD-Kollektiv und eine Kontrollgruppe ohne
COPD angewandt. Die Auswertung zeigt bei COPD-Patienten
eine deutlich höhere Netzdichte, also stärkere Assoziationen
zwischen den verschiedenen Erkrankungen: Während bei den
gesunden Kontrollen 56 Knoten (= Erkrankungen) durch
149 Kanten verbunden sind, kommen in der COPD-Population
auf 59 Knoten 428 Kanten. Weitere Informationen liefert die
Betrachtung sogenannter «Hubs» (Verteiler), das sind beson-
ders stark vernetzte Knoten mit hoher Prävalenz, sowie von
Clustern, also durch ausgeprägte Konnektivität auffallende
Subnetzwerke innerhalb des Netzwerks. So wurde beispiels-
weise ein metabolisch-inflammatorischer Cluster beschrieben,
zu dessen Hubs neben Adipositas auch Hyperlipidämie, Gicht,
Hypothyreose, Bronchiolitis und Zöliakie gehören. Auch ent-
zündliche Gelenkerkrankungen spielen im Rahmen des COPD-
Netzwerks eine wichtige und für die Forscher überraschende
Rolle. Die Netzwerkanalyse könnte in Zukunft bei der Defini-
tion unterschiedlicher Phänotypen der Erkrankung hilfreich
sein. Die ultimative Hoffnung wäre eine Verbesserung der
Therapie durch das Aufbrechen der Cluster.
Reno Barth
Referenzen: 1. Barnett K et al.: Epidemiology of multimorbidity and implications for health care, research, and medical education: a cross-sectional study. Lancet 2012; 380(9836): 37–43. 2. Schnell K et al.: The prevalence of clinically-relevant comorbid conditions in patients with physician-diagnosed COPD: a cross-sectional study using data from NHANES 1999-2008. BMC Pulm Med 2012; 12: 26. 3. Divo M et al.: Comorbidities and risk of mortality in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Am J Respir Crit Care Med 2012; 186(2): 155–161. 4. Divo M et al.: COPD comorbidities network. Eur Respir J 2015; 46(3): 640–650.
Quelle: Tot topics session «Comorbidities in COPD and other chronic lung diseases» beim ERS-Jahreskongress, 27. September 2015 in Amsterdam.
4 Pneumologie • Januar 2016