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Was geschieht vor dem Diabetes?
Kommunikation zwischen Fettleber und fettem Pankreas
Der Manifestation eines Diabetes mellitus Typ 2 geht eine lange Phase des Prädiabetes mit steigender Insulinresistenz und sinkender Insulinproduktion voraus. Was genau in dieser Zeit im Organismus geschieht, wird in den letzten Jahren verstärkt beforscht und zunehmend besser verstanden. Dabei dürften neben der Fettleber auch Fetteinlagerungen im Pankreas eine wichtige Rolle spielen.
Die Erforschung des Prädiabetes gestaltet sich schwierig. Ein Grund dafür sind die erheblichen Probleme bei der Rekrutierung von Probanden für Studien. «Die Leute kommen nicht in die Klinik, um sich wegen Prädiabetes vorzustellen. Man muss sie aktiv suchen», sagt Prof. Hans-Ulrich Häring vom Universitätsklinikum Tübingen. Seine Gruppe macht genau das seit mehr als 20 Jahren. Personen mit Typ2-Diabetes in der Familienanamnese, Adipositas oder einem Gestationsdiabetes werden gezielt angesprochen und für Kohorten und Studien rekrutiert. Mittlerweile sind mehr als 3000 Personen in die Tübingen-Kohorte eingeschlossen. Häring: «Erwartungsgemäss sehen wir eine breite Palette an Phänotypen, die von normaler Insulinsensitivität bis zu deutlicher Insulinresistenz reichen, in Verbindung mit normaler oder eingeschränkter Insulinproduktion.» Aus der Kombination dieser beiden Faktoren ergeben sich Diagnosen wie gestörte Gluko-
Ein wichtiger Faktor zur Beantwortung dieser Fragen ist die Genetik. Eine Vielzahl von Publikationen zeigte die Assoziationen zwischen Mutationen verschiedenster Kandidatengene und Typ-2-Diabetes. Allerdings handelte es sich dabei durchwegs um schwache Assoziationen. Mit einem Quotenverhältnis (Odds Ratio) von 1,4 trägt ein Gen namens TCF7L2 am deutlichsten zum Diabetesrisiko bei. Häring: «In unserer TULIP-Population konnten wir Effekte zahlreicher mit Diabetes assoziierter Gene auf die Insulinsekretion beobachten.» Diese wurden über unterschiedliche Mechanismen vermittelt. Allerdings konnten diese Befunde die Frage, warum manche Menschen ihre Insulinsekretion hochregulieren können und andere nicht, nur unzureichend beantworten. So untersuchte Prof. Härings Gruppe auch additive Effekte der verschiedenen genetischen Varianten. Die Studie ergab, dass es nur bei insulinresistenten Personen überhaupt zu einem signifikanten,
«Es gibt wohl auch Patienten, bei denen die genetische Komponente im Vordergrund
steht. Bei der grossen Mehrzahl der Betroffenen erklärt der genetische Zugang jedoch
»nicht, warum sie nicht in der Lage zu einer kompensatorischen Hypersekretion sind.
setoleranz oder Typ-2-Diabetes. Mithilfe eines interdisziplinären Netzwerks, dem auch Radiologen angehörten, machte man sich in Tübingen auf die Suche nach den zugrunde liegenden Pathomechanismen. Häring: «Vor allem wollten wir die Insulinwirkung in den Zielorganen Leber, Muskulatur, Gehirn, Fettgewebe und Pankreas untersuchen.» Gleichzeitig wurden 400 Probanden für eine Studie zur Wirksamkeit von Lebensstilinterventionen angeworben.
Insulinsensitivität nimmt trotz Intervention ab Dieses Tübinger Lebensstil Interventions-Programm (TULIP) brachte zunächst wenig Überraschungen. Mit der Intervention besserte sich die Insulinsensitivität der Probanden. Leider zeigte das Achtjahres-Follow-up, so Häring, dass dieser Effekt nicht dauerhaft gehalten werden konnte und dass sich die Testpersonen sogar über den Ausgangswert hinaus in Richtung Diabetes verschlechtert hatten. Häring: «Damit ergaben sich zwei Fragen: Welcher Mechanismus führt über die Jahre zu zunehmender Insulinresistenz? Und warum können manche Menschen diese zunehmende Insulinresistenz durch verstärkte Insulinausschüttung kompensieren und manche nicht?»
aber bescheidenen Zusammenwirken dieser genetischen Faktoren kommt (1). Häring: «Es gibt eindeutig genetische Effekte mit hochinteressanten Mechanismen. Und es gibt wohl auch Patienten, bei denen die genetische Komponente im Vordergrund steht. Bei der grossen Mehrzahl der Betroffenen erklärt der genetische Zugang jedoch nicht, warum sie nicht in der Lage zu einer kompensatorischen Hypersekretion sind.» Die Ausnahme stellt das erwähnte Gen TCF7L2 dar. Für Varianten dieses Gens konnte gezeigt werden, dass sie die durch GLP-1 stimulierte Insulinsekretion deutlich reduzieren (2). Diese genetischen Varianten beeinflussen bei Typ-2-Diabetikern auch das Ansprechen auf DPP4-Inhibitoren (3). Mittlerweile wurde auch ein Einfluss von Mutationen dieses Gens auf die Insulinsekretion in Abhängigkeit vom Glukosespiegel nachgewiesen (4). Häring: «Wir denken also, dass die rund 10 Prozent der Personen mit Prädiabetes, die diese Genvarianten tragen, genetisch für die Erkrankung determiniert sind. Und wir wollen nun in einer multizentrischen Studie untersuchen, wie man in dieser Population die Prävention verbessern kann. Wir haben Hinweise, dass sich gerade bei diesen Patienten die Insulinsekretion erholt, wenn die Glukose durch entsprechenden Lebensstil niedrig gehalten wird.»
24 Diabetologie • Dezember 2015
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Die zahlreichen Phänotypen der Adipositas Für die grosse Mehrzahl der Fälle rücken andere Mechanismen ins Zentrum des Interesses. Bildgebende Untersuchungen haben dazu wichtige Informationen geliefert. So gelang es der Tübinger Gruppe über die Jahre, mehrere Subphänotypen von Adipositas mit unterschiedlichen Fettverteilungsmustern zu beschreiben. Bei manchen Personen kommt es zur perivaskulären Einlagerung von Fett, während andere im Nacken Fettdepots ausbilden. Häring: «Die wahrscheinlich wichtigste Entdeckung war jedoch, dass es uns gelungen ist, anhand von MR-Studien zwischen einem metabolisch gesunden und einem metabolisch ungesunden Typ von Adipositas zu unterscheiden.» Der gesunde Typ hat wenig viszerales und viel subkutanes Fett, kaum Fett in der Leber und bleibt insulinsensitiv. Der ungesunde Fetttyp fällt hingegen durch viszerales Fett, Insulinresistenz und ektope Fetteinlagerung, unter anderem in der Leber, auf. Die Fetteinlagerung in der Leber dürfte, so Häring, der zentrale Treiber hinter der Diabetesentstehung sein, weil mit zunehmendem Fettgehalt der Leber die Insulinresistenz zunimmt. Häring: «Betrachtet man diese Phänotypen genauer, so findet man weitere Subphänotypen.» Offensichtlich gibt es, abhängig von der genetischen Disposition, eine metabolisch benigne und eine metabolisch maligne Fettleber (6). Unterschiedliche Fettsäuremuster dürften dabei ausschlaggebend sein. Einen wichtigen Faktor dürfte die Exkretion von Fetuin durch die metabolisch maligne Fettleber darstellen. Fetuin greift am Toll-like-Rezeptor TLR4 an und begünstigt die Ausbildung lipidinduzierter Insulinresistenz (7).
Zerstört pankreatisches Fett die Betazellen? Die Imaging-Studien brachten auch ein überraschendes Ergebnis: Im Pankreas konnte ein Fettsignal festgestellt werden, das bis zu 15 Prozent des Organvolumens ausmachen kann. In einer Studie gelang es mittlerweile, in der prädiabetischen Population eine Assoziation zwischen steigendem Pankreasfett und abnehmender Insulinsekretion nachzuweisen (8). Interessanterweise wird diese Assoziation bei metabolisch gesunden Personen nicht gefunden. Die Studie erregte Aufsehen und stiess auf Ablehnung. Häring: «Wir konnten unsere Daten damals nicht besonders gut publizieren. Man war der Ansicht, dass das nicht stimmen kann. Mittlerweile wurden unsere Befunde jedoch von anderen Gruppen bestätigt.» Histologische Studien zeigen, dass sich bei manchen Menschen Fettzellen im Pankreas in der Nähe der Betazellen gruppieren. Häring: «Unserer Hypothese nach handelt es sich um perivaskuläre Fettzellen, aber das ist nicht bewiesen.» Generell erwecken perivaskuläre Fettzellen zunehmend das Forschungsinteresse der Diabetologen. Ob und in welchem Ausmass diese besondere Zellpopulation vorhanden ist, die sich sowohl von viszeralem als auch von subkutanem Fett unterscheidet, ist individuell stark verschieden. Diese Zellen reagieren auf Fetuin, indem sie (unter anderem) erhebliche Mengen der Zytokine IL-6 und IL-8 ausschütten (9). Durch ein Zusammenwirken dieser Faktoren könnte es bei Personen mit Prädiabetes zu einer zunehmenden Schädigung der Betazellen kommen, wobei ein «Crosstalk» zwischen Fettleber und Fettpankreas den Ausschlag für die Entwicklung des Diabetes gibt. Häring: «Das ist neu, aber wir denken, dass das zumindest eine brauchbare Hypothese ist, die nun weiter geprüft werden muss.»
Take Home Messages
• Erfolge durch Lebensstilinterventionen gehen häufig mit den Jahren wieder verloren.
• Die Genetik allein erklärt die Entwicklung vom Prädiabetes zum Diabetes nur bei wenigen Patienten.
• Es gibt metabolisch gesunde und metabolisch ungesunde Adipositas. • Es gibt die metabolisch benigne und die metabolisch maligne Fettleber. • Fett im Pankreas ist mit abnehmender Insulinproduktion assoziiert.
Fettleber als Interventionsbremse Gut ins Bild passen Studienergebnisse, die zeigen, dass eine Fettleber ein entscheidendes Hindernis für das Ansprechen auf Lebensstilinterventionen ist. Eine Fettleber ist jedoch alles andere als leicht zu behandeln. Körperliches Training ist eine Möglichkeit, sagt Häring, denn bei manchen Menschen kommt es dabei zu einer dramatischen Abnahme des Leberfetts. Leider gibt es jedoch auch rund 25 Prozent Nonresponder, die auch unter kontrolliertem Training kein Leberfett verlieren. Gegenwärtig wird nach Biomarkern für die Responderund Nonresponder-Phänotypen gesucht. Eine andere Spur führt ins Gehirn. Häring verweist auf eine Vielzahl von Studien zur Insulinwirkung im Gehirn, die mittlerweile mittels fMRI lokalisiert werden kann. Dabei mehren sich die Hinweise auf eine Insulinresistenz des Gehirns, die beispielsweise bewirkt, dass die Inhibition von Hunger durch hohe Insulinspiegel nicht mehr funktioniert. Die Erforschung der Insulinwirkung auf das Gehirn hat das Potenzial zu einer wissenschaftlichen Revolution. Häring: «Wir dachten bisher, dass Insulinresistenz des Gehirns eine Folge von Adipositas ist. Diese Verbindung könnte jedoch auch in die andere Richtung funktionieren. So gibt es Hinweise, dass das Gehirn die Glukoseaufnahme in der Peripherie beeinflusst. Das ist extrem spekulativ, aber das beschäftigt uns. Wir wollen das beweisen.»
Reno Barth
Referenzen: 1. Haupt A et al.: The inhibitory effect of recent type 2 diabetes risk loci on insulin secretion is modulated by insulin sensitivity. J Clin Endocrinol Metab 2009; 94 (5): 1775–1780. 2. Schäfer SA et al.: Impaired glucagon-like peptide-1-induced insulin secretion in carriers of transcription factor 7-like 2 (TCF7L2) gene polymorphisms. Diabetologia 2007; 50 (12): 2443–2450. 3. Zimdahl H et al.: Influence of TCF7L2 gene variants on the therapeutic response to the dipeptidylpeptidase-4 inhibitor linagliptin. Diabetologia 2014; 57 (9): 1869–1875. 4. Heni M et al.: Glycemia determines the effect of type 2 diabetes risk genes on insulin secretion. Diabetes 2010; 59 (12): 3247–3252. 5. Stefan N et al.: Identification and characterization of metabolically benign obesity in humans. Arch Intern Med 2008; 168 (15): 1609–1616. 6. Stefan N, Häring HU: The role of hepatokines in metabolism. Nat Rev Endocrinol 2013; 9 (3): 144–152. 7. Pal D et al.: Fetuin-A acts as an endogenous ligand of TLR4 to promote lipid-induced insulin resistance. Nat Med 2012; 18 (8): 1279–1285. 8. Heni M et al.: Pancreatic fat is negatively associated with insulin secretion in individuals with impaired fasting glucose and/or impaired glucose tolerance: a nuclear magnetic resonance study. Diabetes Metab Res Rev 2010; 26 (3): 200–205. 9. Siegel-Axel DI et al.: Fetuin-A influences vascular cell growth and production of proinflammatory and angiogenic proteins by human perivascular fat cells. Diabetologia 2014; 57 (5): 1057–1066.
Quelle: 47th Claude Bernard Lecture im Rahmen des EASD-Kongresses, 15. September 2015 in Stockholm.
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