Transkript
CongressSelection
Kontroverse Diskussion um Dreifachtherapien bei Typ-2-Diabetes
Synergistische Wirkprinzipien kontra Hypoglykämierisiko
Bei Typ-2-Diabetes ist die Behandlung mit drei Antidiabetika langfristig eher die Regel als die Ausnahme. Aber ist das wirklich zielführend und notwendig – und sollte man vielleicht sogar schon sehr früh damit beginnen? Das wurde beim EASD-Kongress in Stockholm angeregt und kritisch diskutiert.
F ür Typ-2-Diabetiker mit sehr hohen HbA1c-Werten werden in der aktuellen Version des EASD/ADA-Positionspapiers initiale antidiabetische Zweifachkombinationen empfohlen, bei Werten > 10 Prozent sogar «initiale injizierbare Kombinationen mit Insulin» (1). Von initialen Dreifachkombinationen ist dort wohl nicht die Rede; auf diese setzt aber Prof. Ralph de Fronzo, Leiter der Diabetesabteilung am Universitätsklinikum San Antonio, Texas (USA).
Ergänzende Wirkprinzipien «Antidiabetische Dreifachtherapien mit Medikamenten aus mehreren Klassen sind sinnvoll, wenn sie ergänzende Wirkprinzipien haben», betonte de Fronzo bei einer Pro-und-Kontra-Diskussion. In einer kürzlich veröffentlichten Studie (2) hatte er die kombinierte Behandlung mit Metformin, Pioglitazon und Exenatid über zwei Jahre getestet: «Metformin hemmt die Glukoneogenese in der Leber, Pioglitazon wirkt günstig auf Lipolyse, Insulinsekretion und -sensitivität, und GLP-1-Rezeptor-Antagonisten wie Exenatid wirken ausserdem auch noch auf das Hirn, die Alphazellen und das Verdauungssystem», erläuterte er seinen Ansatz. Nun sind Dreifachkombinationen in der Therapie bei Typ-2Diabetes nichts Ungewöhnliches. De Fronzo hat sie aber initial eingesetzt – die eingeschlossenen Typ-2-Diabetiker waren im Mittel fünf Monate zuvor diagnostiziert worden und noch medikamentennaiv. Bei ihnen rechnete de Fronzo sich grosse Chancen aus, die Insulinsensitivität und -sekretion gleichermassen zu verbessern.
Initiale Kombination zeigt Vorteile bei der Blutzuckereinstellung Die Studienresultate scheinen ihm recht zu geben: Die Patienten der Kontrollgruppe, die leitliniengerecht Metformin in Monotherapie erhielten und nur im Bedarfsfall noch Glipizid und gegebenenfalls Insulin glargin bekamen, schnitten schlechter ab. Der mittlere HbA1c-Wert sank von im Mittel 8,6 Prozent auf 5,95 Prozent (initiale Dreifachtherapie, n = 106) versus 6,5 Prozent (sequenzielle Therapieintensivierung, n = 115). Die von de Fronzo beim Kongress präsentierten 3-Jahres-Daten zeigten sogar einen noch etwas deutlicheren Unterschied mit 5,8 Prozent versus 6,71 Prozent. Auch das 7-Punkte-Tagesprofil zeigte bei den von Anfang an kombiniert behandelten Patienten niedrigere Werte. Sie hatten zudem Vorteile beim Körpergewicht (–1,2 kg vs. +4,5 kg)
und erreichten häufiger das angestrebte HbA1c-Ziel < 6,5 Prozent. «Darüber hinaus hatten sich die Betazellen der Patienten in der Dreifachkombinationsgruppe erholt», berichtete de Fronzo. Weniger Hypoglykämien, aber mehr Magen-Darm-Probleme und Ödeme Die bessere Blutzuckereinstellung bezahlten die Patienten der experimentellen Gruppe allerdings mit mehr unerwünschten gastrointestinalen Wirkungen und mehr Ödemen. Hypoglykämien wurden bei 15 Prozent der Dreifachtherapie versus 46 Prozent der konventionell behandelten Patienten beobachtet, schwere Hypoglykämien gab es hier nicht. Für die Zukunft kann sich de Fronzo auch eine Kombination aus Metformin oder Pioglitazon mit einem SGLT-2-Inhibitor und einem inkretinwirksamen Medikament vorstellen – auch das wären drei einander ergänzende Wirkstoffklassen (siehe Abbildung). Möglichkeiten der Tripeltherapie Sinnvolle Kombinationen (nach Prof. Ralph de Fronzo): SGLT-2-Hemmer plus Metformin oder Pioglitazon plus DPP-4-Hemmer oder GLP-1-Rezeptor-Antagonist Zu wenig Nutzen, zu viele Interaktionen? «Eine enge Blutzuckerkontrolle hat auf kardiovaskuläre Endpunkte nur einen ganz geringen Effekt», konstatiert dagegen Prof. Thomas R. Pieber, Leiter der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel an der Medizinischen Universität Graz und Direktor des Instituts für Biomedizin und Gesundheitswissenschaften in Graz (Österreich). Er betont, der Nutzen der Blutzuckersenkung per se werde überschätzt, und andere Aspekte wie die Hypertonie würden vernachlässigt. In UKPDS etwa habe sich «erst nach 11 Jahren ein kardiovaskulärer Nutzen gezeigt, und dies auch nur unter Metformin». In der VADT-Studie habe man sogar 17 Jahre abwarten müssen. 10 Diabetologie • Dezember 2015 CongressSelection Eine Blutzuckersenkung in normnahe Bereiche würde Pieber nicht um jeden Preis anstreben, sondern die Blutzuckerziele gegen die damit verbundenen Sicherheitsbedenken abwägen. Er schätzt das Unterzuckerungsrisiko bei initialer Gabe dreier Antidiabetika als eher hoch ein: «Drei- und Vierfachkombinationen verursachen oftmals Wechselwirkungen, das kann zu Hypoglykämien und anderen unerwünschten Effekten führen.» Dreifachkombinationen vorerst nur als letzter Ausweg Pieber geht deshalb stufenweise vor, beginnend mit Metformin. Genügt dies nicht, setze er ein Basalinsulin ein. Bei manchen Patienten stösst diese Zweifachkombination aber doch an ihre Grenzen. Dann gebe er noch einen GLP-1-RezeptorAgonisten hinzu, aber eher keine Sulfonylharnstoffe oder Thiazolidindione. Ganz ohne Dreifachkombinationen kommt also auch Pieber nicht aus – sie sollten aber Ultima Ratio sein und nicht als Standard für therapienaive Patienten betrachtet werden, fordert er. Stattdessen sollten Hypertonie und Hypercholesterinämie beziehungsweise Dyslipidämie konsequent mitbehandelt werden. «Denn mit der Behandlung von Blutdruck und Lipiden wird die Prognose von Typ-2-Diabetes dramatisch verbessert», meint Pieber. Simone Reisdorf Referenzen: 1. Inzucchi SE, et al.: Diabetes Care. 2015; 38 (1): 140–149. 2. Abdul-Ghani MA, et al.: Diabetes Obes Metab. 2015; 17 (3): 268–275. Quelle: Debatte «Do we need triple and quadruple therapies?», beim EASD-Jahrestreffen, 17. September 2015 in Stockholm. Kongressnotiz Mehr Bewegung – Arzt als wichtigster Motivationsfaktor Körperliche Aktivität ist nachweislich eine effektive, nicht pharmakologische Intervention, die bei Typ-2-Diabetikern wie auch bei Hypertonikern die Glukose- und Blutdruckwerte und damit letztlich auch die Langzeitprognose verbessert. Doch die Erfahrungen in der Praxis machen deutlich, dass es oft schwierig ist, die Patienten entsprechend zu motivieren, und dass viele der Betroffenen die empfohlenen Aktivitätslevel nicht erreichen. Was könnte helfen? Das wollte eine französische Arbeitsgruppe mit der MOBILE-Studie untersuchen. Die beteiligten Ärzte – 126 Kardiologen und 132 Diabetologen – rekrutierten hierzu Patienten mit Typ-2-Diabetes und gleichzeitig Hypertonie, deren Aktivitätslevel eingangs mittels eines Fragebogens bestimmt worden waren. Darin wurden drei unterschiedliche Aktivitätslevel abgefragt und in «Metabolic Equivalent Task minutes» (MET-min) umgerechnet: hohe Aktivität wie zum Beispiel Aerobic (8,0 MET), mittlere Aktivität wie Freizeitradeln (4,0 MET); Gehen (3,3 MET). Nur Aktivitäten mit einer Dauer ≥ 10 Minuten wurden berücksichtigt und in wöchentliche MET-Summenscores zusammengefasst. Die Grenze zwischen aktiven und inaktiven Probanden war als 600 METmin/Woche, entsprechend zum Beispiel fünfmal wöchentlich 30 Minuten mittlere Belastung (5 x 30 x 4,0 = 600), definiert. Wei- terhin wurden die Teilnehmer per Fragebögen zu ihren Einstellungen, Motivationen und Dysmotivationen befragt. Die aktive Kohorte umfasste 628 und die inaktive 1138 Teilnehmer. Die aktive Kohorte war dabei deutlich gesünder als die inaktive: weniger Adipositas, kürzere Erkrankungsdauer, weniger Komplikationen und Komorbiditäten. Im weiteren Vergleich zeigte sich, dass die inaktiven Patienten signifikant mehr Medikamente benötigten: Sie nahmen im Durchschnitt 2,1 Antidiabetika und 2,2 Antihypertensiva ein, verglichen mit jeweils 1,9 Antidiabetika und Antihypertensiva bei den aktiven Patienten (in beiden Fällen p < 0,001). Doch trotz mehr Pharmakotherapie erreichten die inaktiven Patienten im Vergleich zu den aktiven Patienten signifikant seltener die Blutdruckkontrolle (54% vs. 67,8%, p < 0,001) wie auch die glykämische Kontrolle (33,1% vs. 45,9%, p < 0,001). Als der wesentliche Unterschied in der Motivation zwischen der aktiven und inaktiven Kohorte wurde die Rolle des Arztes identifiziert – seine Unterstützung bei wahrgenommenen Gesundheitsproblemen, wie zum Beispiel Hypoglykämien, sowie seine aktive Rolle bezüglich der Verordnung und des Monitorings der körperlichen Aktivität als integralen Bestandteils des Krankheitsmanagements. Ihn ihrem auf dem EASD-Kongress vorgestellten Poster betonten die Autoren, dass Ärzte die Motivationen und Barrieren ihrer Patienten bezüglich der körperlichen Aktivität berücksichtigen und die Ratschläge in dieser Hinsicht an die besonderen Bedürfnisse anpassen sollten. Sie sollten sich ihrer zentralen Rolle in der Patientenmotivation bewusst werden und die Verordnung von körperlicher Aktivität daher ebenso ernst nehmen wie die Medikamentenverschreibungen. Das bedeutet auch, dass die Compliance in dieser Hinsicht ebenso wie der therapeutische Effekt regelmässig überprüft und protokolliert werden sollten. Ein weiteres Ergebnis: Obwohl alle beteiligten Ärzte sich überzeugt zeigten, dass körperliche Aktivität für diese Patientengruppe wichtig ist, fanden sie in ihrer täglichen Praxis nur wenig Zeit für dieses Thema. Daher sollten, so das Fazit der Autoren, weitere Möglichkeiten der Patientenmotivation und des entsprechenden Monitorings in Betracht gezogen werden. Dazu zählt zum Beispiel auch die Nutzung neuer Technologien. AZA Quelle: Poster Nr. 305 «Physical activity in patients with type 2 diabetes and hypertension – Insights into motivations and barriers from the MOBILE study» beim EASD-Jahrestreffen, 14. bis 18. September 2015 in Stockholm. Diabetologie • Dezember 2015 11