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Management der stabilen koronaren Herzkrankheit
Der Vorteil der hämodynamischen Unabhängigkeit
Die traditionelle Behandlung der stabilen koronaren Herzkrankheit ist mit einer Senkung von Herzfrequenz und Blutdruck verbunden. Der hämodynamisch nahezu neutrale Wirkstoff Ranolazin dagegen zeigt in Studien eine klare antiischämische und antianginöse Effektivität und könnte daher vor allem für bradykarde oder hypotensive Patienten von Nutzen sein.
V or zwei Jahren veröffentlichte die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) neue Guidelines zu Diagnose und Therapie der stabilen KHK (SCAD) mit oder ohne Angina. Das Management ruhe demnach auf drei Säulen: Lebensstilinterventionen und optimale medikamentöse Therapie für alle Patienten sowie Revaskularisierung für ausgewählte Patienten, berichtet Prof. José Luis Lopez Sendon, Universitätskrankenhaus La Paz in Madrid. Kalziumkanalblocker und Betablocker werden nach wie vor als Erstlinientherapie empfohlen, während Ivabradin, lang wirksame Nitrate, Nicorandil, Trimetazidin und Ranolazin zu den empfohlenen Zweitlinientherapien zählen. Allerdings ist die Datenlage der genannten Zweitlinientherapeutika alles andere als geklärt: Beispielsweise mangle es bezüglich der Effektivität lang wirksamer Nitrate in der Behandlung der Angina an «klinischer Information», für Ivabradin konnte eine aktuelle Studie keinen anhaltenden Nutzen bei SCAD zeigen, Trimetazidin weise eine «generell lückenhafte» Datenlage auf, und Nicorandil sei nicht überall erhältlich, zählt Lopez Sendon auf (1, 2). Zusätzlich liegen bei vielen Patienten Komorbiditäten vor, die den Einsatz verschiedener SCAD-Therapien stark einschränken können, «was vor allem für Therapien mit hämodynamischen Effekten gilt», wie der spanische Kardiologe betont.
Bessere myokardiale Relaxation und Perfusion Und hier setzt Ranolazin an, so Prof. John Camm von der St. George’s Hospital Medical School in London, der damit den roten Faden aufnimmt. Kurz zum Wirkmechanismus: Ranolazin hemmt den späten Natriumeinstrom in die Herzmuskelzellen, was die intrazelluläre Akkumulation von Natrium und in weiterer Folge die Kalziumüberladung verringert und somit die myokardiale Relaxation und Perfusion verbessert – allerdings ohne gleichzeitig: • die Herzfrequenz zu senken (keine Bradykardie) • die systolische Kontraktilität zu vermindern (keine Ver-
schlechterung der linksventrikulären Funktion) • die koronare und die periphere Durchblutung zu erhöhen (es
ist kein Vasodilatator und nicht mit Hypotonie assoziiert) • die AV-Knoten-Überleitung zu verlangsamen (keine PR-Ver-
längerung). Auch der arterielle Blutdruck wird nicht beeinflusst, wie in einer der ersten Untersuchungen zu Ranolazin festgestellt wurde (3). Diese Studie umfasste 158 Patienten mit chronischer Angina, die eine Woche lang entweder Ranolazin, Ate-
nolol oder Plazebo erhielten und sich nachfolgend körperlichen Belastungstests unterzogen. Hier war bezüglich der hämodynamischen Messungen (Blutdruck, Herzfrequenz, Frequenz-Blutdruck-Produkt) kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Ranolazin und Plazebo zu beobachten, mit Ausnahme einer sehr leichten Erhöhung des systolischen Blutdrucks unter maximaler Belastung in der Ranolazingruppe. Im Gegensatz dazu kam es unter Atenolol zu einer signifikanten Verminderung von Blutdruck, Herzfrequenz und Frequenz-Blutdruck-Produkt. Diese Ergebnisse wurden auch in einer Metaanalyse von sechs Studien mit insgesamt 9223 Patienten mit stabiler KHK bestätigt (4): Ranolazin führte zu keiner signifikanten Senkung des systolischen und diastolischen Blutdrucks in Rückenlage sowie der Herzfrequenz und der Herzfrequenz im Stehen. Der systolische Blutdruck im Stehen zeigte einen sehr geringen Trend zur Senkung, «hier handelte es sich allerdings um maximal 2 mmHg weniger, das ist weder mechanistisch noch klinisch signifikant», kommentiert Camm.
Welche Patienten kommen infrage? Doch funktioniert Ranolazin auch als antiischämischer Wirkstoff? Dazu liegt eine Analyse des CARISA-Trials vor, in der 258 Patienten unter maximal verträglicher Dosierung der Basistherapie (Beta- und Kalziumkanalblocker) eingeschlossen waren (5). Nach zwölfwöchiger Behandlung zeigte sich unter Ranolazin eine Verlängerung der Gesamtbelastungsdauer um jeweils 34,5 Sekunden (Talspiegel) beziehungsweise 46,3 Sekunden (Spitzenspiegel) vs. Plazebo; unter Ranolazin traten zudem wöchentlich 2,3 Anginaanfälle weniger auf. «Damit ist der klare Nachweis des antiischämischen Effekts von Ranolazin erbracht», so Camm. Für hypotensive oder bradykarde SCAD-Patienten könnte Ranolazin daher besser verträglich sein als andere Wirkstoffe. Ein weiteres Einsatzgebiet wären möglicherweise diejenigen Patienten, bei denen andere antianginöse Wirkstoffe in niedriger Dosierung nicht ausreichend effektiv sind, höhere Dosierungen dieser Arzneimittel aber zu unerwünschten hämodynamischen Nebenwirkungen führen. Hier könnte Ranolazin als Add-on-Therapie eine effektive und verträgliche Behandlungsoption darstellen, so der Experte abschliessend.
Lydia Unger-Hunt
Quelle: «Stable Coronary Artery Disease (SCAD) Management: Is the hemodynamic approach still valid?», Menarini-Satellitensymposium am ESC-Kongress, 30. August 2015 in London.
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Referenzen: 1. NICE Guideline 126. Management of stable angina. https://www.nice.org.uk/guidance/cg126 2. Fox K et al.: Ivabradine in stable coronary artery disease without clinical heart failure. NEJM 2014; 371: 1091–1099. 3. Rousseau MF et al.: Comparative efficacy of ranolazine versus atenolol for chronic angina pectoris. Am J Cardiol 2005; 95: 311–316. 4. Savarese G et al.: Effects of ranolazine in symptomatic patients with stable coronary artery disease. A systematic review and meta-analysis. Int J Cardiol 2013; 169: 262–270. 5. Sendón JL et al.: Effects of ranolazine on exercise tolerance and angina frequency in patients with severe chronic angina receiving maximally-tolerated background therapy: analysis from the Combination Assessment of Ranolazine In Stable Angina (CARISA) randomized trial. Eur J Prev Cardiol 2012; 19: 952–959.
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