Transkript
CongressSelection
Neue Leitlinien auch für drei weitere Krankheitsbilder
Perikarderkrankungen, ventrikuläre Arrhythmien und infektiöse Endokarditis im Fokus
Neben den neuen Leitlinien zum akuten Koronarsyndrom und zum Lungenhochdruck wurden im Rahmen des ESC-Kongresses auch drei weitere Guidelines zu weniger im öffentlichen Interesse stehenden, aber klinisch äusserst relevanten Indikationen vorgestellt.
Die neue und nach 11 Jahren gründlich überarbeitete Leitlinie zu Perikarderkrankungen umfasst einerseits die häufige Perikarditis, darüber hinaus aber auch eine Vielzahl seltener Erkrankungen mit Beteiligung des Perikards, wie die in den letzten Jahren mehrfach beschriebene Perikardbeteiligung bei verschiedenen autoinflammatorischen Erkrankungen. Glücklicherweise sind viele dieser Erkrankungen ausgesprochen selten. Keineswegs selten ist hingegen die akute Perikarditis, die hinter rund 5 Prozent der Krankenhausaufnahmen wegen Brustschmerzen steht. Für Patienten mit Perikarditis und niedrigem Risiko wird eine ambulante Behandlung mit antiinflammatorischer Therapie empfohlen. Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren sollten jedoch im Krankenhaus behandelt werden. Der Erfolg der Therapie sollte nach einer Woche überprüft werden. Eine wichtige Neuerung: Erstmals steht mit Colchizin ein Medikament zur Verfügung, dessen Wirksamkeit in dieser Indikation in einer randomisierten, kontrollierten Studie nachgewiesen wurde. Colchizin wird als Kombinationspartner von ASS oder NSAR eingesetzt. ASS und NSAR sind auch Substanzen der ersten Wahl bei der rezidivierenden Perikarditis, während Steroide, Immunsuppressiva oder immunsuppressive Biologika für die Zweit- oder Drittlinie reserviert bleiben. So können Azathioprin, Interleukin-1-Antagonisten oder intravenöse Immunglobuline bei therapierefraktärer rezidivierender Perikarditis zum Einsatz kommen. Aufgrund der insgesamt sehr dünnen Evidenz sind allerdings auch die meisten Empfehlungen schwach. In der neuen Leitlinie zu ventrikulären Arrhythmien wird die Empfehlung verstärkt, bei Patienten mit ausgeprägter Herzinsuffizienz einen implantierbaren Cardioverter-Defibrillator (ICD) einzusetzen. Diese Empfehlung stützt sich auf die Daten der MADIT-Studie, von der mittlerweile 8 Jahre Follow-up ausgewertet sind. Die Ergebnisse zeigen, dass bei Patienten mit weniger als 30 Prozent linksventrikulärer Auswurffraktion durch den ICD eine signifikante Reduktion der Mortalität erreicht werden kann. In der neuen Guideline empfiehlt die ESC auch eine DNA-Analyse bei allen Personen, die ohne bekannte kardiologische Vorerkrankung an einem plötzlichen Herztod
Guidelines online
Die neuen ESC-Guidelines können auf der Homepage der ESC abgerufen und heruntergeladen werden: www.escardio.org (Rubrik Guidelines & Education) oder direkt via QR-Code:
versterben. Dies soll der Identifikation genetisch bedingter Ar-
rhythmien dienen. Im Fall eines positiven Befundes können
Screening und entsprechende Beratung von Verwandten des
Verstorbenen deren Prognose verbessern. Die Leitlinie enthält
auch eine Reihe schwacher Empfehlungen für vielverspre-
chende Vorgehensweisen, zu denen es noch keine ausrei-
chende Evidenz gibt. Hierher gehört zum Beispiel die Klasse-
IIa-Empfehlung für den Einsatz des alten Antiarrhythmikums
Flecainid in Kombination mit Betablockern bei Patienten mit
katecholaminergen polymorphen ventrikulären Tachykardien
und rezidivierenden Synkopen.
Die wichtigste Veränderung in der neuen Leitlinie zur in-
fektiösen Endokarditis ist die Forderung nach interdisziplinä-
rem Management in einem Endokarditisteam. Dieses soll in
spezialisierten Zentren zur Verfügung stehen, an die Patienten
mit komplizierterer Erkrankung auch verlegt werden sollen.
Das Team sollte aus Kardiologen, Herzchirurgen und Infektio-
logen bestehen, am Zentrum sollte direkter Zugang zu den er-
forderlichen diagnostischen Gerätschaften sowie zu einer herz-
chirurgischen Abteilung bestehen. Ebenfalls neu ist die
Betonung der Bedeutung von multimodalem Imaging, wenn
möglich wird aufgrund der extrem hohen Sensitivität PET/CT
empfohlen. Diese Empfehlung stellt im Vergleich zur Leitlinie
von 2009, die den Fokus auf die Echokardiografie legte, eine
erhebliche Veränderung dar. Neu sind auch spezifische Emp-
fehlungen für Diagnostik und Behandlung einer Endokarditis
in speziellen Patientenpopulationen wie zum Beispiel bei on-
kologischen Patienten oder Patienten auf Intensivstationen.
Angesichts der Gefährlichkeit der Erkrankung wird die Bedeu-
tung früher Diagnostik, früher antibiotischer Therapie und frü-
her chirurgischer Interventionen hervorgehoben.
Nach wie vor sehr vorsichtig gehalten ist – aufgrund der ge-
ringen verfügbaren Evidenz – die Empfehlung zur antibioti-
schen Prophylaxe. Diese wird nur Patienten mit besonders ho-
hem Risiko angeraten, die sich sehr riskanten dentalen
Eingriffen unterziehen. Diese Empfehlung wurde jedoch, so
die ESC in einer Aussendung, innerhalb der Task-Force kon-
trovers diskutiert. Die Leitlinie betont, dass gute Dentalhy-
giene und regelmässige zahnärztliche Kontrollen einen wich-
tigeren Beitrag zur Vermeidung bakterieller Endokarditis
leisten. Mehr und bessere Studien auf diesem Gebiet würden
dringend benötigt.
Reno Barth
Quelle: Session «ESC Guidelines Overview», ESC-Jahreskongress, 30. August 2015 in London.
18 Kardiologie • Dezember 2015