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Entzündlich-rheumatische Krankheiten: Impfanamnese nicht vergessen!
Totimpfungen auch unter Immunsuppression möglich
Zur Anamnese eines Patienten mit autoimmun-entzündlicher rheumatischer Erkrankung gehört immer die Abklärung des Impfstatus. Insbesondere solle auf die Vollständigkeit der Lebendimpfungen geachtet werden, forderte PD Dr. Parham Sendi von der Universitätsklinik für Infektiologie am Inselspital Bern. Der Infektiologe erläuterte, was bei der Impfung immunsupprimierter Patienten zu beachten ist.
B ei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen geht es in der Praxis meist darum, folgende drei Impffragen zu klären: • Wie ist der Impfstatus des Patienten? • Ist ein zu impfender Patient unter immunsuppressiver
Therapie oder nicht? • Soll ein Lebendimpfstoff oder ein Totimpfstoff geimpft wer-
den?
Impfanamnese bei Erstkontakt
Bei Rheumatologen sollte es heute Standard sein, schon beim
ersten Kontakt den Impfstatus abzuklären und das Impfbuch
auf Aktualität zu prüfen, meinte Sendi. Da-
mit lässt sich der Situation vorbeugen,
dass erst dann, wenn eine Impfung zur Dis-
kussion steht, nach der Impfgeschichte ge-
fragt wird und sich dann nicht immer um-
standslos klären lässt, ob eine Impfung
schon erfolgt ist oder eine Infektionskrank-
heit schon durchgemacht wurde.
Grundsätzlich sollten Patienten mit ent-
zündlich-rheumatischen Erkrankungen den
Parham Sendi
allgemein empfohlenen Impfschutz aufweisen. Solange sie nicht unter einer immun-
suppressiven Therapie stehen, können auch alle Impfstoffe
eingesetzt werden. Eine Autoimmunkrankheit, so Sendi, sei
per se keine Kontraindikation für Impfungen, auch nicht für
Lebendimpfungen.
Take Home Messages
• Bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sollte bei Erstkonsultation der Impfstatus erhoben werden.
• Neben den Standardimpfungen werden für diese Patienten Impfungen gegen Influenza, Pneumokokken und Hepatitis B empfohlen.
• Autoimmunkrankheiten per se sind keine Kontraindikation für Impfungen aller Art.
• Totimpfstoffe können bei immunsupprimierten Patienten bedenkenlos eingesetzt werden.
• Impfungen mit Lebendimpfstoffen können bei Immunsupprimierten nur sehr eingeschränkt durchgeführt werden. Biologika müssen stets vorher abgesetzt werden.
Patienten mit rheumatischen Autoimmunerkrankungen gehören zu den Risikogruppen, bei denen grundsätzlich eine Impfung gegen Hepatitis B, Influenza und Pneumokokken durchgeführt werden sollte – wobei es sich durchwegs um Totimpfungen handelt. Sendi machte darauf aufmerksam, dass Konjugatimpfstoffe gegenüber Polysaccharid-Impfstoffen zu bevorzugen seien, da sie eine stärkere Immunantwort erwarten liessen.
Wann soll man impfen? Bei neu diagnostizierten Patienten, die (noch) nicht unter immunsuppressiver Behandlung stehen, sollte fehlender Impfschutz rasch nachgeholt werden. Dabei ist laut Sendi Folgendes zu beachten: Nachdem man einen Totimpfstoff verabreicht hat, sollte mindestens 2 Wochen gewartet werden, bevor man mit einer immunsuppressiven Therapie beginnt. Bei Lebendimpfstoffen ist laut Empfehlung eine Frist von mindestens 4 Wochen einzuhalten. Im akuten Krankheitsschub sollte grundsätzlich besser nicht geimpft werden. «Es empfiehlt sich, zunächst die Krankheitsaktivität mit Kortikosteroiden unter Kontrolle zu bringen. Erst nachdem die Steroiddosis reduziert ist, kann man über die Impfung sprechen.»
Wirken Impfungen zuverlässig? Alle Impfungen sind laut Sendi auch bei Patienten unter Immunsuppression wirksam, auch wenn die Impfantwort etwas schwächer ausfallen könne. Deshalb empfiehlt das BAG eine serologische Kontrolle nach einer neu erfolgten Impfung, und zwar 4 bis 6 Wochen nach Abschluss des vollständigen Impfzyklus. Antikörper-(AK-)Titer können unter anderem bei Impfungen gegen Pneumokokken, Tetanus, Varizellen, Masern oder Hepatitis A und B bestimmt werden. Sendi nannte die praktischen Konsequenzen am Beispiel der Hepatitis-B-Impfung: Werden AK-Titer (anti-HBs) > 100 U/l gemessen, besteht Impfschutz, bei einem AK-Titer < 10 U/l ist die Immunantwort ausgeblieben (Nonresponder), und es muss noch einmal der komplette Impfzyklus erfolgen. Bei AK-Titern dazwischen muss laut Sendi eine Nachimpfung erwogen werden, deren Erfolg dann durch eine erneute Titerbestimmung zu bestätigen ist. Die Sicherheit aller Totimpfstoffe ist auch bei Patienten unter Immunsuppressiva gewährleistet. Fälle, in denen etwa durch eine Grippe- oder Pneumokokkenimpfung ein Arthritisschub ausgelöst wurde, seien sehr seltene Ausnahmen.
6 Rheumatologie • November 2015
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Tabelle:
Immunsuppressiva und Impfungen
Totimpfstoffe
Keine Einschränkung
Alle Immunsuppressiva ausser Rituximab Immunogenität kann reduziert sein
Lebendimpfstoffe MMR, Varizellen, Gelbfieber, Herpes Zoster
Kortikosteroide2 Systemisch: nur Kurzzeit oder Niedrigdosis Physiol. Ersatztherapie Nicht systemisch
Sulfasalazin Hydroxychloroquin
Bedingte Einschränkung
Rituximab1 Immunogenität ist reduziert für mindestens 6 Monate nach Behandlungsstopp
Methotrexat4 Azathioprin5 6-Mercaptopurin6
Kontraindikation
keine
Kortikosteroide3 Systemisch und hohe Dosis und ≥ 2 Wochen Leflunomid Ciclosporin A Mykophenolat Cyclophosphamid Tacrolimus
Infliximab Adalimumab Golimumab Certolizumab Etanercept Abatacept Tocilizumab Ustekinumab Anakinra Rituximab
1 Nach einer Rituximabgabe ist es ratsam, mindestens 6 Monate mit der Gabe eines Totimpfstoffes zu warten. Diese Empfehlung wird nicht aus Sicherheitsbedenken, sondern lediglich aus Gründen der Immunogenität gegeben. Sie basiert auf der Halbwertszeit von Rituximab, auf Studien zur Immunogenität von Totimpfstoffen sowie auf Messungen von CD19+ Zellen unter Rituximabtherapie. Wenn eine Impfung früher als 6 Monate nach Absetzen von Rituximab indiziert ist (z.B. Influenza während Grippesaison), so kann es sinnvoll sein, diese früher zu geben.
2 Kurzzeittherapie < 2 Wochen, Niedrigdosis: Prednisonäquivalent < 20 mg/Tag (Erwachsene) bzw. < 0,5 mg/kg/Tag (Kinder), physiologische Ersatztherapie, als nicht systemisch gelten topische Anwendungen (Atemwege, Haut, Augen, Ohren) und Injektionen (intraartikulär, Schleimbeutel, Sehnen).
3 Hohe Dosis: Prednisonäquivalent ≥ 20 mg/Tag (Erwachsene), ≥ 0,5 mg/kg/Tag (Kinder). 4 Impfung generell kontraindiziert bei > 0,4 mg/kg/Woche oder > 20 mg/Woche.
Nur Herpes zoster: Impfung möglich, wenn ≤ 0,4 mg/kg/Woche oder ≤ 20 mg/Woche. MMR, Varizellen, Gelbfieber: In klinisch stabilen Fällen können Lebendimpfungen unter niedrig dosiertem Methotrexat (≤ 0,4 mg/kg/Woche oder ≤ 20 mg/Woche) verabreicht werden. Dieser Ansatz wurde auf der Grundlage von Expertenmeinungen erstellt und ist seit 2006 klinische Praxis im Service de Médicine Internationale et Humanitaire, Hôpitaux Universitaires de Genève. Die Empfehlung wird eine künftige weitere Überwachung erfordern.
5 Nur Herpes zoster: Impfung möglich, wenn ≤ 3,0 mg/kg/Tag; darüber oder andere Lebendimpfstoffe: kontraindiziert. 6 Nur Herpes zoster: Impfung möglich, wenn ≤ 1,5 mg/kg/Tag; darüber oder andere Lebendimpfstoffe: kontraindiziert.
Quelle: Bundesamt für Gesundheit
Lebendimpfstoff bei Immunsuppression?
Eine besondere Herausforderung ist gegeben, wenn ein Immunsupprimierter mit einem Lebendimpfstoff geimpft werden soll, also gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR), Varizellen oder Gelbfieber. Der früher geltende Grundsatz «Keine Lebendimpfstoffe bei Immunsupprimierten!» wird heute nicht mehr ganz aufrechterhalten. Vielmehr hat das BAG differenziertere medikamentenspezifische Empfehlungen herausgegeben. Demnach gibt es keine Beschränkungen für Lebendimpfstoffe unter einer systemischen Steroidtherapie über einen kurzen Zeitraum (< 2 Wochen) oder in geringer Dosis (Prednisonäquivalent < 20 mg/Tag bei Erwachsenen). Ausserdem stellen topische Steroide kein Hindernis für eine Impfung mit Lebendimpfstoffen dar. Diese können ohne Einschränkungen auch bei Therapie mit Sulfasalazin oder Hydroxychloroquin verabreicht werden. Unter bestimmten Bedingungen können (einzelne) Lebendimpfstoffe auch unter Methotrexat und Azathioprin eingesetzt werden. Bei Patienten unter hohen Steroiddosen oder unter Biologika sind Lebendimpfstoffe kontraindiziert. Man muss in diesen Fällen also die Behandlung aussetzen, bevor man impft.
Nach einer Daumenregel kann man den zeitlichen Mindestabstand berechnen, indem man die maximale Halbwertszeit des Medikaments mit 5 multipliziert; zumeist muss man 1 bis 3 Monate warten, bei Rituximab sogar 1 Jahr. Das BAG hat für die einzelnen Medikamente detaillierte Empfehlungen aufgelistet, die unter www.ekif.ch einsehbar sind.
Uwe Beise Quelle: Vortrag «Impfungen» beim Rheuma Top 2015, 21. August 2015 in Pfäffikon.
Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF); www.ekif.ch
Rheumatologie • November 2015
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