Transkript
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Hypothyreosetherapie orientiert sich am TSH-Wert
Gründliche Information der Patienten ist sehr wichtig
Wie die Behandlung einer symptomatischen Schilddrüsenunterfunktion erfolgen soll, wo die Probleme dabei liegen und wann ein Screening auf subklinische Hypothyreose sinnvoll ist, erklärte der Endokrinologe Dr. Karl Scheidegger, St. Gallen.
Ergibt die Laborbestimmung bei klinischem Verdacht ein erhöhtes Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH) bei gleichzeitig erniedrigtem freiem Thyroxin (fT4), steht die
Diagnose einer primären Hypothyreose schon. Weitere dia-
gnostische Tests sind nicht zwingend. «Allenfalls können ein-
mal (!) Schilddrüsenantikörper fakultativ gemessen werden,
therapeutisch ist dies jedoch bedeutungs-
los», betonte Scheidegger. Eine Ultraschall-
untersuchung der Schilddrüse ist nur not-
wendig bei Vorliegen einer Struma,
allenfalls aus psychologischen Gründen zur
Beruhigung. Bei psychisch Gesunden ist
Müdigkeit ein klassisches Symptom der Hy-
pothyreose. Bei Frauen vor der Menopause
liegt oft gleichzeitig ein Eisenmangel vor.
Ätiologisch beruhen primäre Hypothyreo-
sen auf einer Autoimmunthyreopathie mit
Karl Scheidegger
oder ohne Struma oder nach M. Basedow.
Weitere Ursachen können iatrogen sein (St.
n. Strumektomie, St. n. Radiojodtherapie, St. n. externer Be-
strahlung, Medikamente). Oft nur vorübergehende Hypothy-
reosen treten auf nach subakuter Thyreoiditis de Quervain
und nach postpartaler Thyreoiditis.
Sekundäre Hypothyreosen mit Ursachen im Hypophysenbe-
reich sind selten bis sehr selten. Verdachtsmomente ergeben
sich unter anderem bei Gesichtsfeldeinschränkungen, bei
Polydypsie/Polyurie, bei Amenorrhö oder Galaktorrhö oder
sekundärer Nebennierenrindeninsuffizienz.
Kasten 1:
Was Patienten zur Therapie mit Levothyroxin wissen müssen
• Die Tabletten sind morgens nüchtern 30 Minuten vor dem ersten Kaffee oder dem Morgenessen mit etwas Flüssigkeit einzunehmen.
• Eine Alternative ist die Einnahme abends vor dem Zubettgehen (z.B. bei gleichzeitiger oraler Eisensubstitution).
• Wahrscheinlich ist dies eine lebenslange Behandlung. • Die Tabletten sind kein «Medikament» im landläufigen Sinn, sondern ent-
halten ein dem natürlichen identisch nachgebildetes Hormon. • Die Behandlung ist lediglich Ersatz für etwas Fehlendes. • Bei adäquater Dosis macht sie keine Nebenwirkungen. • Es sind keine kurzfristigen Dosisanpassungen nötig. • Zur Behandlung mit Levothyroxin sind keine Alternativtherapien bekannt.
Substitution in der Regel mit Levothyroxin Nüchtern beträgt die Resorption von Levothyroxin (T4) 80 Prozent, postprandial liegt sie zirka 15 Prozent tiefer. Der Hormonspitzenspiegel tritt etwa 2 bis 4 Stunden nach Einnahme auf, liegt aber nur 10 bis 15 Prozent über dem Basiswert. Es ist daher wahrscheinlich sinnvoll, am Tag der Blutentnahme auf die morgendliche Tabletteneinnahme zu verzichten. T4 liegt zu 99 Prozent gebunden an Plasmaproteine vor; bei deren Veränderung ändern sich auch die gemessenen Hormonwerte. Die Halbwertszeit von rund 7 Tagen erlaubt die tägliche Einmaldosierung von Levothyroxin. Geht einmal eine Tablette vergessen, hat dies keine Konsequenzen. Physiologischerweise werden täglich etwa 100 µg T4 und 10 µg T3 produziert. 80 Prozent des T3 wird aus T4 gebildet; die Substitution kann daher in der Regel mit T4 erfolgen. Zur Substitution beträgt die mittlere Levothyroxindosis 1,6 µg/kg Körpergewicht, also 100 bis 150 µg pro Tag. Zur Suppression bei Struma werden 2,2 µg/kg KG, somit 125 bis 200 µg pro Tag benötigt. Für die Suppression nach Karzinom liegt die mittlere Dosierung bei 2,6 µg/kg KG, entsprechend 150 bis 250 µg pro Tag. Während der Schwangerschaft besteht jedoch ein um 30 bis 50 Prozent höherer T4-Bedarf. Die richtige Dosierung muss durch wiederholte TSH-Kontrollen überprüft werden. Im Alter wiederum ist der T4-Bedarf um 10 bis 30 Prozent geringer, entsprechende Dosisanpassungen sind dann notwendig.
Vorsicht bei Herzkranken und Alten Zum praktischen Vorgehen erklärte Scheidegger, dass bei Herzgesunden eine Substitutionsbehandlung «nach Belieben» begonnen werden könne. Bei koronarer Herzkrankheit (KHK) oder im Alter muss die T4-Behandlung aber einschleichend erfolgen, zum Beispiel mit initial 25 µg/Tag und anschliessender vorsichtiger Steigerung alle 2 bis 4 Wochen um 12,5 bis 25 µg bis zur Erhaltungsdosis von 75 bis 100 µg pro Tag. Allerdings trete bei vorbestehender KHK nur in 2 Prozent bei Substitutionsbeginn eine Angina pectoris auf, beruhigte der Endokrinologe. Der TSH-Zielwert unter T4-Substitution liegt bei 1 bis 2 mU/l beziehungsweise bei subjektivem Wohlbefinden. Eine erste Kontrolle soll nach 6 bis 8 Wochen erfolgen, dann alle 3 bis 6 Monate. Sind die Werte stabil, können die weiteren TSH-Kontrollen alle 1 bis 2 Jahre vorgenommen werden. Eine Bestimmung des freien T4 ist in der Regel nicht, eine Messung des freien T3 praktisch nie nötig. Wird fT4 gemessen, ist für die Beurteilung der Zeitpunkt der letzten Tabletteneinnahme zu berücksichtigen. «Sehr wichtig ist die gründliche Erklärung der Therapie», betonte Scheidegger (Kasten 1).
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Zur Substitutionstherapie mit T4 stehen derzeit drei Präparate zur Verfügung (Kasten 2). Gute Vergleichsstudien existieren nicht. Die Erfahrung zeigt aber, dass bei einigen Patienten eindeutige Resorptionsunterschiede vorkommen. Daher sollen keine unnötigen Präparatewechsel erfolgen. Allfällige Wechsel sollen nur unter TSH-Kontrolle vorgenommen werden. «Einige sensible Patienten bemerken unter Euthyrox® zirka 1 bis 4 Stunden nach Einnahme das Anfluten von T4», erwähnte der Endokrinologe.
Wenn die Müdigkeit nicht verschwindet Bestehen Hypothyreosesymptome, insbesondere Müdigkeit, unter an sich adäquater (TSH-Kontrolle) Substitution weiter, ist an verschiedene Faktoren zu denken. Liegt gleichzeitig eine Nebennierenrindeninsuffizienz vor? Besteht eine zusätzliche Anämie aufgrund von Eisen- oder Vitamin-B12-Mangel? Denkbar ist auch, dass der Autoimmunprozess per se oder das Wissen um die Krankheit die Müdigkeit unterhält. Immer ist zudem eine depressive Verstimmung auszuschliessen. Bei nicht ausreichender Symptomlinderung wurde auch eine Feinanpassung der T4-Substitution diskutiert. In entsprechenden kleinen Studien korrelierten die TSH-Werte gut mit T4-DosisVeränderungen, es fanden sich aber keine Hinweise, dass fein angepasste Dosierungen signifikante Veränderungen von Wohlbefinden, Symptomen, Lebensqualität oder kognitiven Funktionen bewirkten (1, 2). «Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Therapie ein einfaches Ziel verfolgen soll: die TSH-Konzentration im Normbereich zu halten. In Einzelfällen kann eine Feinanpassung dennoch sinnvoll sein. Jeder Endokrinologe kennt zudem einige wenige Patienten, die sich unter einer Kombinationsbehandlung mit T3 und T4 (Novothyral®) besser fühlen, auch wenn die pathophysiologische Basis dafür unklar bleibt. Gegen einen befristeten Therapieversuch ist im Einzelfall nichts einzuwenden», sagte Scheidegger. Unter Novothyral sind in den ersten Stunden nach Tabletteneinnahme Palpitationen und Nervosität möglich. Schliesslich gibt es einige Patientinnen und Patienten, die trotz adäquater Substitution Symptome wie Müdigkeit, Muskelschmerzen, depressive Verstimmungen, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen oder ein allgemein eingeschränktes Wohlbefinden beklagen. Die neurokognitiven Einschränkungen scheinen Teil des chronischen Grundleidens zu sein und auch unter Hormonersatzbehandlung nicht zu verschwinden (3).
Kasten 2:
Präparate zur Substitutionsbehandlung bei Hypothyreose
Präparat
Dosierungen
Levothyroxin (T4)
Eltroxin®
50 µg
100 µg
Euthyrox®
25 µg, 50 µg, 75 µg,
100 µg, 125 µg, 150 µg,
175 µg, 200 µg
Tirosint®
13 µg, 25 µg, 50 µg,
75 µg, 88 µg, 100 µg,
112 µg, 125 µg, 137 µg,
150 µg, 175 µg, 200 µg
Liothyronin (T3) plus Levothyroxin (T4)
Novothyral®
Liothyronin: 20 µg plus
Levothyroxin 100 µg
Publikumspreis in Fr. (OP à 100)
15.40 17.00 14.70
15.10 26.10
20.65
Neben ungenügender T4-Dosis und schlechter Compliance ist auch an weitere häufige Ursachen für eine persistierende TSHErhöhung zu denken. Dazu gehören die Einnahme der Tabletten mit Mahlzeiten, Malabsorption (auch nach bariatrischer Chirurgie), Zöliakie, eine verminderte Umwandlung von T4 zu T3 sowie selten einmal Antikörper oder eine Schilddrüsenhormonresistenz. Ausserdem sind Medikamenteninteraktionen von Bedeutung. Eisen, Kalziumkarbonat, Jod, Soja, Nahrungsfasern sowie Kaffee vermindern die T4-Resorption. Neben gewissen Antiepileptika erhöhen Johanniskrautpräparate die T4-Clearance. Eine Estrogenbehandlung führt zu einer stärkeren T4-Proteinbindung. Diese Situationen resultieren in einem höheren T4-Bedarf.
Streitthema «subklinische Hypothyreose» Von einer subklinischen Hypothyreose wird gesprochen, wenn eine TSH-Erhöhung bei normalen peripheren Hormonwerten (T3, T4) vorliegt. 8 Prozent der Bevölkerung zeigen nach epidemiologischen Erhebungen eine solche TSH-Erhöhung, bei älteren Menschen und bei Frauen sind es deutlich mehr. 80 Prozent der Menschen mit TSH-Erhöhung haben positive Schilddrüsenantikörper. Bei ebenfalls 80 Prozent dieser Individuen sind die TSH-Werte nur leicht bis mässig (< 10 mU/l) erhöht. Bei Menschen mit TSH-Erhöhung ohne Schilddrüsenantikörper tritt pro Jahr in 3 Prozent eine manifeste Hypothyreose auf; ist der Antikörpernachweis positiv, sind es jährlich 4 bis 5 Prozent. Andererseits kommt es bei 5 Prozent innert eines Jahres zu einer spontanen TSH-Normalisierung (4). In einer Studie bei Patienten mit geringerer TSH-Erhöhung (5,5– 10 mU/l) hatte die Hälfte bei wiederholten Messungen nach 5 Jahren ein normales TSH (5). Ein Konsens zum allgemeinen Screening auf subklinische Hypothyreose besteht weder zu Alter noch Kontrollintervallen. Von verschiedenen Seiten wurden für das Screening unterschiedliche Risikogruppen vorgeschlagen. «Ich selbst screene nie, ausser vor einer Schwangerschaft», erklärte Scheidegger. «Bei Struma, nach Strumektomie oder Radiojodtherapie, Schwangerschaft, Infertilität, therapieresistenter Depression soll immer eine Behandlung einer subklinischen Hypothyreose erfolgen.» Auch im Alter ist ein generelles TSH-Screening sehr umstritten. TSH-Werte zwischen 7 und 8 mU/l sind hier sehr wahrscheinlich als physiologisch zu betrachten. Zwar sind erhöhte TSH-Werte mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert, der Nutzen einer T4-Substitution ist jedoch nicht eindeutig belegt (6, 7). Wird ein erhöhter TSH-Wert (> 4 mU/l) bei normalem fT4 gefunden, empfiehlt sich eine Wiederholung der TSH-Bestimmung. Bei persistierender TSH-Erhöhung ist anhand endokriner und kardiovaskulärer Risikofaktoren eine individuelle Risikoabschätzung vorzunehmen. Liegen verdächtige Symptome vor, ist ein Therapieversuch von drei bis sechs Monaten sinnvoll. Dabei muss die T4-Dosis minimal 75 µg/Tag betragen. Bei Konzeptionswunsch oder Schwangerschaft hat immer eine T4-Substitution mit TSH-Zielwert < 1,0 mU/l zu erfolgen.
Halid Bas
Quelle: Seminar «Hypothyreose und Hyperthyreose – nur Ordnung oder auch Chaos?» bei der 17. Fortbildungstagung für Hausarztmedizin (KHM), 26. Juni 2015 in Luzern.
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Referenzen: 1. Walsh JP et al.: Small changes in thyroxine dosage do not produce measurable changes in hypothyroid symptoms, well-being, or quality of life: results of a double-blind, randomized clinical trial. J Clin Endocrinol Metab 2006; 91 (7): 2624–2630. 2. Carr D et al.: Fine adjustment of thyroxine replacement dosage: comparison of the thyrotrophin releasing hormone test using a sensitive thyrotrophin assay with measurement of free thyroid hormones and clinical assessment. Clin Endocrinol (Oxf ) 1988; 28 (3): 325–333. 3. Wekking EM et al.: Cognitive functioning and well-being in euthyroid patients on thyroxine replacement therapy for primary hypothyroidism. Eur J Endocrinol 2005; 153 (6): 747–753. 4. Parle JV et al.: Prevalence and follow-up of abnormal thyrotrophin (TSH) concentrations in the elderly in the United Kingdom. Clin Endocrinol (Oxf ) 1991; 34 (1): 77–83. 5. Meyerovitch J et al.: Serum thyrotropin measurements in the community: five-year follow-up in a large network of primary care physicians. Arch Intern Med 2007; 167 (14): 1533–1538. 6. Blum MR et al.: Subklinische Hypothyreose. Schweiz Med Forum 2013; 13 (39): 772–775. 7. Surks MI et al.: Subclinical thyroid disease: scientific review and guidelines for diagnosis and management. JAMA. 2004; 291 (2): 228– 238.
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