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Inhalative Kortikoide bei COPD: Weniger ist mehr
Lang wirksame Bronchodilatatoren als Eckpfeiler der Therapie
Die Mehrheit der Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) erhält inhalative Kortikosteroide. Doch laut Studien bringen diese Wirkstoffe keinen Überlebensvorteil, sie haben nur einen unklaren Nutzen bezüglich der Senkung der Exazerbationsrate und beeinflussen nicht den Abfall des FEV1. Zudem sind vermehrt Pneumonien möglich. Experten fordern daher, inhalative Kortikosteroide nur noch bei spezifischen COPD-Patientengruppen einzusetzen.
Die GOLD-Empfehlungen sind eindeutig: Bei schwerer chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), also GOLD-Stadium 3 oder 4, besteht die Behandlung aus inhalativen Kortikosteroiden (ICS) plus lang wirksamen Beta-
agonisten (LABA) und/oder lang wirksamen Muskarinantagonisten, so Prof. Helgo Magnussen, Ärztlicher Direktor des Pneumologischen Forschungsinstituts am Krankenhaus Grosshansdorf in der Nähe von Hamburg. «Bei Asthma haben wir mit der Verabreichung von ICS sehr grossen Erfolg. Aber tun wir damit auch unseren COPD-Patienten Gutes?» Tatsache sei, so der Experte weiter, dass «es nur sehr wenig klinische und experimentelle Evidenz für einen NutHelgo Magnussen zen von ICS bei COPD gibt».
ICS + LABA: unverändertes Überleben, vermehrt Pneumonien Eine der wichtigsten Untersuchungen diesbezüglich war die TORCH-Studie (1). In dieser «wegweisenden» Studie erhielten mehr als 6000 Patienten über drei Jahre entweder Plazebo oder Salmeterol und Fluticason in Mono- oder in Kombinationstherapie. Der primäre Endpunkt wurde nicht erreicht: Es gab keinen signifikanten Unterschied bezüglich des Überlebens für Patienten, die inhalative Kortikosteroide erhalten hatten. Zwar zeigte sich eine Verbesserung des FEV1 – bekanntermassen ein wichtiger Marker des COPD-Schweregrads –, doch die verbesserte Lungenfunktion führte eben nicht zu einer besseren Überlebensrate: «Eine bedeutende Botschaft», kommentiert Magnussen. Dieselbe TORCH-Studie zeigte auch die Assoziation zwischen inhalativen Kortikosteroiden und einem signifikanten Anstieg von Pneumonie bei COPD-Patienten. «Doch dieses erhöhte Risiko hatte keine Auswirkung auf das Überleben! Was bedeutet das? Wir schliessen daraus, dass zwar mehr Patienten an Pneumonie erkranken, inhalative Kortikosteroide aber eine gewisse protektive Wirkung bei sehr schweren Pneumonien haben dürften, womit die Mortalitätsrate gleich bleibt.»
littener Pneumonie, mit einem niedrigen BMI von < 25 kg/m2 oder mit schwerer Ventilationsobstruktion von Pneumonie gefährdet (2). Magnussen: «Für solche COPD-Patienten gilt immer die Empfehlung für ICS.» Zusätzlich könnten ICS bei ACOS (Asthma-COPD Overlap Syndrome), bei Eosinophilie, erhöhtem FENO (fractional exhaled nitric oxide), erhöhten IgE-Werten oder bei Atopie hilfreich sein. Die systemischen Wirkungen sind immer zu beachten: So ist das Risiko für Beginn und Fortschreiten eines Diabetes dosisabhängig bei Einnahme von ICS erhöht (3), und neben der Hautausdünnnung können auch oropharyngeale Candidiasis oder Katarakt auftreten; alle Nebenwirkungen haben unterschiedliche Evidenzgrade (4). Die beste Zusammenfassung der derzeitigen Datenlage stammt laut Magnussen allerdings von einer kanadischen Studie (5). Demnach ist die Evidenz eines Nutzens von ICS – und daher auch der Kombination LABA + ICS, die ja in den meisten Ländern in Fixkombination vorliegt – bei COPD generell durch «grobe methodologische Probleme vieler Studien sehr eingeschränkt». Zusammenfassend lässt sich sagen: • ICS bringen keinen (von der lang wirksamen Bronchodila- tation unabhängigen) Überlebensvorteil. • ICS haben keine Auswirkung auf den Abfall des FEV1 im Lauf der Jahre. • Der Nutzen von ICS bezüglich der Verminderung schwerer Exazerbationen ist unklar. Moderate bis schwere COPD-Exazerbation ICS bei Rauchern, Pneumonie oder niedrigem BMI Also, welche Patienten sollten ICS erhalten? Laut einer aktuellen Studie sind besonders Raucher, Patienten mit bereits er- Quelle: nach Magnussen H et al. (6) 6 Hausarztmedizin • September 2015 CongressSelection Den wenigsten empfohlen, den meisten verabreicht Jedoch: «Laut Guidelines werden ICS nicht für Patienten mit mehr oder weniger erhaltener Lungenfunktion oder solchen mit weniger schweren Symptomen empfohlen. In der Realität erhalten aber fast alle COPD-Patienten ICS!» Doch nun bestehe ausserdem die Befürchtung, dass ICS «nicht einmal bei schwerer COPD geeignet sind», berichtet der Experte. «Einerseits wegen der Nebenwirkungen und andrerseits wegen der Ergebnisse einer Studie unserer Abteilung» (6). Die Überlegung hinter dieser Studie lautete, dass bei optimaler Bronchodilatation mit LAMA und LABA der Einsatz von ICS überflüssig wäre. Daraus folgte die Studienhypothese: Das Risiko von Exazerbationen wäre unter einem schrittweisen Ausschleichen von ICS bei kontinuierlicher Gabe von LAMA + LABA der Dreifachtherapie aus LAMA, LABA + ICS nicht unterlegen. Knapp 2500 Patienten mit einem mittleren FEV1 von 0,93 l (also einer schweren COPD) waren eingeschlossen. Alle erhielten während einer 6-wöchigen Einleitungsphase die Dreifachtherapie aus Tiotropium (18 µg 1 ×/Tag), Salmeterol (60 µg 2 ×/Tag) und Fluticasonpropionat (500 µg 2 ×/Tag). Danach wurden die Patienten auf die weitergehende Dreifachtherapie über 52 Wochen oder auf das Ausschleichen von Fluticason in drei Schritten (500 ¨ 250 ¨ 100 ¨ 0 µg) im Verlauf von 12 Wochen (unter Weiterführung der dualen Bronchodilatation) randomisiert. Primärer Endpunkt war die Zeit bis zur ersten mittelschweren oder schweren COPD-Exazerbation, wobei «mittelschwer» als Exazerbation mit Erfordernis von Antibiotika und/oder systemischen Steroiden galt und eine «schwere» Exazerbation als Notfallhospitalisierung definiert war. ICS-Ausschleichen: keine klinischen Konsequenzen … Die Ergebnisse: • Die beiden Gruppen zeigten bezüglich geschätzter Wahr- scheinlichkeit einer mittelschweren oder schweren COPDExazerbation keinen statistisch signifikanten Unterschied (HR 1,06) (Abbildung). • Nach 18 Wochen (= Ende des Steroidentzugs) zeigte die Gruppe mit ICS-Ausschleichen zwar eine stärkere Verminderung des FEV1 als die Dreifachtherapiegruppe, ebenso nach Woche 52 (jeweils 38 ml und 43 ml). Jedoch: • Bei einem Baseline-Wert von etwa 1 l entspricht diese Verminderung etwa 5 Prozent. • Der verminderte FEV1-Wert war nicht mit einer klinisch signifikanten Veränderung im St.-George’s-Fragebogen assoziiert: «Als ‹klinisch wichtig› ist ein Wert von mindestens 4 Punkten definiert, wir sahen eine Veränderung von 1 Punkt.» • Und: Die Verminderung des FEV1 war nicht anhaltend, am Ende der Studie hatten sich die Werte beider Gruppen angenähert. • Es gab keine Unterschiede – bezüglich Dyspnoe und Veränderungen im Gesundheitsstatus – bezüglich unerwünschter Nebenwirkungen, schwerer unerwünschter Nebenwirkungen und Studienabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen – in der Pneumonierate. «Allerdings war die Studie auch nicht für die Untersuchung von Pneumonien angelegt.» Take Home Messages • Die sorgfältige Diagnose unter Berücksichtigung des Unterschieds zwischen COPD und Asthma verhindert die Über- und die Unterversorgung mit ICS. • LABA und LAMA, allein oder in Kombination, sind die Eckpfeiler der pharmakologischen COPD-Therapie. • Der Einsatz von ICS hat signifikante Nebenwirkungen. • Ein wesentlicher Teil der COPD-Patienten, die derzeit ICS einnehmen, zieht keinen Nutzen aus der Gabe bezüglich Prävention von Exazerbationen. … auch nicht bei mittelschwerer COPD Dieses Ergebnis gilt übrigens nicht nur für Patienten mit schwerer COPD, sondern auch für solche mit leichterer Erkrankung, wie die 26-wöchige INSTEAD-Studie an Patienten mit mittelschwerer COPD bestätigte (7): Knapp 600 Patienten erhielten hier entweder Indacaterol 150 µg 1 ×/Tag oder die Kombination aus Salmeterol/Fluticason (SFC) 50/500 µg 2 ×/Tag; alle Patienten hatten länger als drei Monate SFC 50/500 erhalten und hatten ≥ 1 Jahr keine COPD-Exazerbationen erlitten. Primärer Endpunkt war die Nichtunterlegenheit von Indacaterol vs. SFC, gemessen am FEV1 nach 12 Wochen; als Grenzwert der Nichtunterlegenheit war 0,06 l definiert. Dieser primäre Parameter wurde erreicht, der mittlere Unterschied des FEV1 lag nach 12 Wochen bei 9 ml. Auch hier zeigten sich keine signifikanten Unterschiede bezüglich Dyspnoe oder Gesundheitsstatus laut St.-George’s-Fragebogen zu Woche 12 oder 26. Dementsprechend lautete das Fazit der Autoren: Bei Patienten mit mittelschwerer COPD ohne Exazerbationen im vergangenen Jahr ist ein Umstieg von SFC auf Indacaterol 150 µg ohne einen Verlust der Effektivität möglich. Lydia Unger-Hunt Referenzen: 1. Calverly PM et al.: Salmeterol and Fluticasone Propionate and Survival in Chronic Obstructive Pulmonary Disease. N Engl J Med 2007; 356: 775–789. 2. Crim C et al.: Pneumonia risk with inhaled fluticasone furoate and vilanterol compared with vilanterol alone in patients with COPD. Ann Am Thorac Soc 2015; 12: 27–34. 3. Suissa S et al.: Inhaled corticosteroids and the risks of diabetes onset and progression. Am J Med 2010; 123: 1001–1006. 4. Price D et al.: Risk-to-benefit ratio of inhaled corticosteroids in patients with COPD. Prim Care Respir J 2013; 22: 92–100. 5. Ernst P et al.: Inhaled corticosteroids in COPD: the clinical evidence. Eur Respir J 2015; 45: 525–537. 6. Magnussen H et al.: Withdrawal of inhaled glucocorticoids and exacerbations of COPD. N Engl J Med 2014; 371: 1285–1294. 7. Rossi A et al.: INSTEAD: a randomised switch trial of indacaterol versus salmeterol/fluticasone in moderate COPD. Eur Respir J 2014; 44: 1548–1556. Quelle: Vortrag von Helgo Magnussen «Inhaled Corticosteroids in COPD: less is more?» beim Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin (SGIM), 22. Mai 2015 in Basel. Hausarztmedizin • September 2015 7