Transkript
CongressSelection
lung in der Verumgruppe 3,7 Prozent, aber in der Kontrollgruppe 13,7 Prozent (6). Da immer mit Resistenzentwicklungen gerechnet werden und auch die Sicherheit solcher Behandlungen gewährleistet sein müsse, sollten die Patienten alle 3 bis 4 Monate kontrolliert werden, so Cerny. Dabei werden Hämatologie, Nierenfunktion, Leberwerte und nicht zuletzt die Compliance der Betroffenen überprüft. Zudem sollte je nach Fibrosegrad 1- bis 2-mal pro Jahr die Leber per Ultraschall auf ein mögliches Leberkarzinom untersucht werden. Nicht unterschätzt werden sollten immunsuppressive Behandlungen. Spitzenreiter, hinsichtlich einer Reaktivierung der HBV, so Cerny, sei ganz klar der AntiCD20-Antikörper Rituximab, vor TNF-α-Inhibitoren und anderen Biologika beziehungsweise DMARD mit mittlerem Risiko. Deshalb sei vor Beginn einer solchen immunsuppressiven Therapie ein HBV-Screening zu empfehlen.
Klaus Duffner
Referenzen: 1. Soriano V et al.: The Changing Epidemiology of Liver Disease in HIV Patients. AIDS Rev 2013; 15: 25–31. 2. Fretz R et al.: Hepatitis B and C in Switzerland – healthcare provider initiated testing for chronic hepatitis B and C infection Swiss Med Wkly 2013; 143: w13793. 3. ECDC Technical Report: Hepatitis B and C in the EU neighborhood 2010. 4. European Association for the Study of the Liver: EASL Clinical Practice Guidelines: Management of chronic hepatitis B virus infection. Journal of Hepatology 2012; 57: 167–185. 5. Marcellin P et al.: Regression of cirrhosis during treatment with tenofovir disoproxil fumarate for chronic hepatitis B: a 5-year open-label follow-up study. Lancet 2013; 381: 468–475. 6. Hosaka T et al.: Long-term entecavir treatment reduces hepatocellular carcinoma incidence in patients with hepatitis B virus infection. Hepatology 2013; 58 (1): 98–107.
Quelle: «Update: Chronische virale Hepatitis» beim Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin (SGIM), 21. Mai 2015 in Basel.
Hepatitis C: Fortschritte auf der Suche nach «Perfektovir»
Zirrhosehöchststand wird erst 2030 erreicht
Viele der rund 80 000 chronischen Hepatitis-C-Patienten in der Schweiz haben sich bereits vor Jahrzehnten infiziert. Heute rechnet man mit rund 1000 HCV-bedingten Todesfällen pro Jahr. Der Krankheitshöchststand wird jedoch erst in 15 bis 20 Jahren erreicht sein.
F ür die Schweiz gibt es gemäss Prof. Dr. Andreas Cerny vom Epatocentro Ticino/Lugano hinsichtlich der chronischen Hepatitis C epidemiologisch zwei Kategorien. Rund 80 000 und damit fast alle infizierten Patienten gehören in die Kategorie «klassische Epidemiologie». Die Mehrheit von ihnen sind I.v.-Drogenkonsumenten oder ehemalige I.v.Drogenkonsumenten (60%). Sie sind seltener von HIV betroffen (< 10%), bereits in den Achtzigerjahren infiziert worden und sehr oft unbehandelt (nur etwa 10% behandelt). Zudem zeichnen sie sich durch eine relativ geringe Reinfektionsrate aus (0,8–4,7 pro 100 Patientenjahre [PJ]). Aber: Mit 1000 Todesfällen pro Jahr ist die Lebermorbidität hoch. Dagegen sind die rund 200 Betroffenen der Kategorie «neue Epidemiologie» vorwiegend homosexuelle Männer (> 80%), die häufig auch das HI-Virus tragen (< 90% koinfiziert) und erst nach 2005 infiziert wurden. Diese Patientengruppe ist gut behandelt (> 75%), jedoch relativ häufig mit Reinfektionen konfrontiert (8–15 pro 100 PJ) und – zumindest im Moment – von einer geringen Lebermorbidität betroffen (1).
84 Prozent mehr Leberkarzinome bis 2030
Die Chronifizierungsrate nach einer HCV-Infektion ist mit 85 Prozent sehr hoch. Nach etwa 20 Jahren wird bei 25 Pro-
zent der Infizierten eine Leberzirrhose diagnostiziert. Bei ih-
nen liegt das Risiko, ein Leberzellkarzinom
zu entwickeln, bei 3 bis 5 Prozent pro Jahr.
Die Progression wird beschleunigt durch
Alkohol, Koinfektionen mit HIV/HBV, eine
Fettleber, Diabetes, Immundefizienz, Rau-
chen oder genetische Marker. Seit der Jahr-
tausendwende nehmen die jährlich neu
gemeldeten HCV-Fälle in der Schweiz kon-
tinuierlich ab, allerdings ist seit rund vier
Jahren wieder ein gewisser Anstieg zu ver-
zeichnen. Das grosse Problem der Hepati-
tis C seien die Folgekrankheiten, vor allem
Andreas Cerny
bei den Patienten, die schon sehr lange in-
fiziert sind, so Cerny. Gemäss einer neuen Simulation von
Prof. Beat Müllhaupt vom Universitätsspital Zürich wird der
Hausarztmedizin • September 2015
3
CongressSelection
Höchststand der Zirrhosen zwischen 2030 und 2035 erreicht sein. Ähnliches gilt für dekompensierte Zirrhosen und Leberkarzinome. Anders ausgedrückt: Dekompensierte Zirrhosen werden bis zum Jahr 2030 in der Schweiz um 57 Prozent zunehmen, hepatozelluläre Karzinome (HCC) um 84 Prozent und HCV-bedingte Lebertodesfälle um 72 Prozent.
Heute gute Behandlungschancen In der Schweiz sind rund zwei Drittel der HCV-Infizierten zwischen 1955 und 1975 geboren. Da in den USA der I.v.-Drogenkonsum rund zehn Jahre früher begann, sind dort auch die HCV-Betroffenen älter. Mit einem HCV-Screening in diesen älteren Geburtsjahrgängen (zwischen 1945 und 1965) habe man in bestimmten Regionen der USA sehr gute Erfahrungen gemacht, berichtete Cerny. Auch in der Schweiz werden derzeit verschiedene Szenarien diskutiert, um noch mehr nicht identifizierte Patienten zu finden und zu behandeln. Mit rund 13 Prozent sind die HCV-Behandlungsraten in der Schweiz im internationalen Vergleich nämlich eher niedrig (3). Das in dieser Hinsicht am besten organisierte Land ist Frankreich mit einer Behandlungsrate von über 50 Prozent, vor Deutschland, den Niederlanden und Australien (zwischen 40 und 50%). Die Behandlung selbst macht heute sehr grosse Hoffnung. War Ende der Achtzigerjahre nur mit einer 10-prozentigen Heilungsrate zu rechnen (bei gleichzeitig starken Nebenwirkun-
Take Home Messages
• Schweiz: Rund 80 000 Patienten sind mit HCV infiziert (jede 100. Person). • Rund die Hälfte der Infizierten weiss nichts von der Infektion. • Der Höhepunkt für die Entwicklung von Zirrhosen und HCC wird erst zwi-
schen 2030 und 2035 erwartet. • Die neuen Medikamente sind ein «historischer Durchbruch»: Mittel- bis
langfristig könnten sie die Elimination von HCV ermöglichen. • Zwischen Hausarzt und Spezialist ist eine gute Zusammenarbeit erfor-
derlich. • Ein verbessertes Screening ist wünschenswert, um mehr Betroffene er-
kennen und behandeln zu können.
gen), wird heute von einer deutlich über 90-prozentigen Chance auf Heilung ausgegangen. Verantwortlich dafür sind Proteaseinhibitoren (Endung «-previr»), NS5A-Inhibitoren («-asvir») und Polymeraseinhibitoren («-buvir»). Sie können je nach Präparat und Genotyp mit Ribavirin und pegyliertem Interferon kombiniert oder allein gegeben werden. Die Dauer der Behandlung variiert, je nach Viruslast, Genotyp, Vorliegen einer Zirrhose und Vorbehandlung, zwischen 8 und 24 Wochen. Dabei liegt die Heilungsrate (Viruslast 12 Wochen nach Therapieende unter Nachweisgrenze) zwischen 85 Prozent (vorbehandelt, Genotyp 3 und Zirrhose) und praktisch 100 Prozent (Genotyp 2, keine Zirrhose).
Kostensenkung durch weitere Zulassungen? Allerdings sind solche Behandlungen mit Kosten pro Patient zwischen 40 000 und 120 000 Franken sehr teuer. Die Verschreibung unterliegt in der Schweiz derzeit einer umstrittenen Limitatio auf Personen mit F3- und F4-Fibrose oder extrahepatischen Manifestationen der Hepatitis C (neue Medikamente und Richtlinien unter: www.sasl.ch). Da in nächster Zeit mit weiteren Zulassungen zu rechnen ist und damit auch die Konkurrenz der Produkte untereinander zunehme, sei zu hoffen, so Cerny, dass die Preise fallen. Obwohl die Suche nach «Perfektovir» – dem einen Medikament mit höchster Effizienz für alle Genotypen, sehr tolerabel und gleichzeitig bezahlbar – noch nicht beendet sei, habe man einen guten Weg – «weg vom Interferon» – beschritten.
Klaus Duffner Referenzen: 1. Wandeler G et al.: Hepatitis C: a changing epidemic. Swiss Med Wkly 2015; 145: w14093. 2. Müllhaupt B et al.: Modeling the Health and Economic Burden of Hepatitis C Virus in Switzerland 2015; PLOS ONE 10.1371/ journal.pone.0125214 3. Razavi H et al.: The present and future disease burden of hepatitis C virus (HCV) infection with today’s treatment paradigm. J Viral Hepat 2014; 21(1): 34–59.
Quelle: «Update: Chronische virale Hepatitis» beim Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin (SGIM), 21. Mai 2015 in Basel.
4 Hausarztmedizin • September 2015