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Masernfreie Schweiz – ist das bis Ende 2015 noch zu schaffen?
Kampagne «Für eine Schweiz ohne Masern»
Europa soll bis Ende dieses Jahres masernfrei werden. Um ihren Beitrag zu leisten, hat die Schweiz beziehungsweise der Bundesrat 2011 die «Nationale Strategie zur Masernelimination 2011 bis 2015» verabschiedet. Noch ist die Schweiz von der erforderlichen Durchimpfungsrate von 95 Prozent ein ganzes Stück entfernt. Hausärzte und Gynäkologen können jedoch dazu beitragen, dass das ambitionierte Ziel erreicht wird.
Die wichtigsten Ziele der nationalen Strategie zur Masernelimination bis Ende 2015 fasste Dr. med. Nadine Eckert vom Bundesamt für Gesundheit (BAG), Bern, zusammen: 1. Mindestens 95 Prozent der 2-Jährigen sind zweimal gegen
Masern geimpft; 2. die Impflücken bei den unter 50-Jährigen sind geschlossen
und 3. jeder Ausbruch in der Schweiz wird zeitnah und nach ein-
heitlichen Standards und Verfahren kontrolliert. Während der letzte Punkt weitgehend gewährleistet ist, hapert es noch deutlich bei den ersten zwei Punkten. Wie Eckert aus den Statistiken der BAG-Abteilung für übertragbare Erkrankungen zitierte, haben schweizweit erst 86 Prozent der 2-Jährigen zwei Dosen des Impfstoffes erhalten. Bei den 8-Jährigen beträgt die Durchimpfungsrate mit zwei Dosen 90 Prozent, bei den 16-Jährigen 89 Prozent. Zudem ist ein Altersanstieg der Masernerkrankten zu beobachten. So lag das durchschnittliche Alter während der Masernepidemie 2003 bei 9 Jahren, während jener von 2006 bis 2009 bei 11 Jahren und 2014/15 bereits bei 15 Jahren und älter. Auch der Anteil der Masernfälle bei den Erwachsenen hat zugenommen. Dies, weil Jugendliche ohne ausreichenden Impfschutz und ohne durchgemachte Masern erwachsen werden.
Europaweite Kampagnen Die Schweiz ist Mitgliedstaat der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Region Europa. Gemeinsam mit allen Mitgliedern setzte man sich zum Ziel, Europa bis Ende 2015 masernfrei zu machen und zu halten. Deshalb hat der Bundesrat 2011 die «Nationale Strategie zur Masernelimination 2011 bis 2015» verabschiedet. Bund, Kantone und Fachorganisationen arbeiten dafür koordiniert zusammen. Zudem hat die Schweiz zur Unterstützung das Komitee «Für eine Schweiz ohne Masern» einberufen. Die Mitglieder dieses Komitees sind Persönlichkeiten aus Gesundheit, Konsumentenschutz, Unicef, Sport und Politik. Solche Kampagnen sind durchaus wirkungsvoll: Finnland, Australien sowie Nord- und Südamerika gelten dank hoher Durchimpfung als masernfrei.
Masern – eine ernst zu nehmende Erkrankung Auch in der Ärzteschaft ist manchmal die Meinung anzutreffen, dass es sich bei den Masern um eine harmlose Kinderkrankheit handle. Weit gefehlt, denn Masern verursachen häufig Komplikationen wie Mittelohr- und Lungenentzündungen, in selte-
neren Fällen Enzephalitiden. In den letzten beiden Fällen wird eine Hospitalisation notwendig. Sehr selten kann Jahre nach der Masernerkrankung eine subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) auftreten, die immer tödlich verläuft. Bei Kindern im Schulalter beträgt die Rate für ernsthafte Komplikationen etwa 10 Prozent, bei Erwachsenen und Säuglingen sind die Komplikations- und Hospitalisierungsraten deutlich höher. Und: Trotz bester medizinischer Versorgung in Europa verläuft die Krankheit bei 1 von 3000 Erkrankten tödlich. Eine besondere Risikogruppe sind Schwangere. Kommt es in den ersten 24 Schwangerschaftswochen zu einer Masern-Infektion, kann dies eine spontane Fehl- oder eine Totgeburt verursachen. Treten die Masern nach der 24. Woche auf, können sie zu einem niedrigen Geburtsgewicht, einer Frühgeburt oder – am Ende der Schwangerschaft – zu einer Maserninfektion beim Neugeborenen führen. Es besteht jedoch kein Risiko für Missbildungen bei Säuglingen, wie dies bei den Röteln der Fall sein kann.
Erfolg bei Röteln Apropos Röteln: Am Beispiel der Röteln verdeutlichte Eckert auf der diesjährigen Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, dass die Elimination einer Infektionskrankheit gelingen kann. So trat die letzte rötelnbedingte Embryopathie in der Schweiz 1996 auf, die letzte kongenitale Rötelninfektion 2007, und 2009 wurden das letzte Mal Röteln bei einer Schwangeren registriert, betonte Eckert: «Es gibt immer noch einzelne Rötelnfälle, aber die Elimination ist nun in Griffweite!»
8 Gynäkologie • September 2015
Quelle: BAG
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Quelle: BAG
Kampf der Masernverschleppung
Es gibt noch einen Grund, warum die Schweiz grosse Anstrengungen zur Masernelimination unternimmt: Im internationalen und im europäischen Vergleich hatte die Schweiz bezüglich Masern einen schlechten Ruf. Zwischen 2006 und 2009 gab es in unserem Land einen grossen Masernausbruch mit 4400 Fällen. Zahlreiche Masernfälle wurden aus der Schweiz in mindestens 17 Länder verschleppt – so auch in Staaten, in denen der Zugang zu medizinischer Versorgung begrenzt ist. Derzeit sterben an Masern weltweit pro Jahr 145 000 Menschen, vorwiegend Kinder. Das sind 400 Menschen pro Tag. Mit dem Verschleppen der Krankheit werden auch Anstrengungen zunichte gemacht, die zur Eliminierung der Masern unternommen werden.
Was sind eigentlich Masern?
Obwohl die Masern eine ernst zu nehmende Erkrankung sind, gehört das Wissen um diese Kinderkrankheit vor allem bei jüngeren Ärzten nicht mehr zum Erfahrungsschatz. Eigentlich ein Erfolg der Impfkampagnen, dass viele Kollegen noch nie einen Masernfall «live» gesehen haben. Daher ein paar Fakten zur Erinnerung: Eine Masernerkrankung verläuft in zwei Phasen: Phase 1: 7 bis 18 Tage nach der Infektion treten grippeähnliche Symptome wie Fieber, Schnupfen auf, danach folgen hartnäckiger Husten und eine Entzündung der Augen. Phase 2: Auftreten des für Masern typischen Krankheitsbildes. Es zeigt einen Hautausschlag mit roten Flecken (Exanthem). Diese treten zuerst im Gesicht auf. Nach und nach bedecken die roten Flecken den ganzen Körper, begleitet von hohem Fieber, Appetitverlust und starkem Unwohlsein. Bei Auftreten der roten Flecken ist die erkrankte Person bereits seit 4 Tagen ansteckend und hat das Virus möglicherweise schon unwissentlich an Personen weitergegeben, mit denen sie in dieser Zeit in Kontakt war. In der Regel beträgt die Krankheitsdauer 5 Tage. Masern lösen jedoch etwa bei jeder zehnten Person Komplikationen aus. Nach Ausheilung der Masern bleibt das Immunsystem noch einige Wochen lang geschwächt. Masernviren werden durch Husten oder Niesen (Tröpfcheninfektion) übertragen. Nach Kontakt mit einer erkrankten Person sollten Nichtimmune während 21 Tagen zu Hause bleiben. Innerhalb von 72 Stunden nach dem ersten Kontakt zu einem Menschen, der mit Masernviren ansteckend ist, kann sich eine nichtimmune Person mittels einer Impfung noch schützen.
Die Masern gehen zurück Doch die nationale Strategie hat durchaus Erfolge zu verzeichnen: 2011 erkrankten in der Schweiz noch 662 Personen an Masern, so Eckert. Zwischen 2013 und 2014 sind die Fallzahlen von 176 auf 23 gesunken (–87%). Mit 3 Fällen pro 1 Million Einwohner erreichte die Inzidenzrate 2014 den tiefsten Stand seit Einführung des Meldeobligatoriums für Masern im Jahr 1999. Aktuell: Zwischen Januar und Mitte Mai 2015 wurden 8 Masernfälle gemeldet. Trotz der stark gesunkenen Inzidenz sind in der Schweiz weiterhin sporadisch Fälle – speziell aus dem Ausland – sowie Ausbrüche zu erwarten. Reisen ins Ausland, insbesondere nach Asien und Afrika, aber auch in europäische Gebiete, die zurzeit grosse Ausbrüche verzeichnen (wie z.B. Berlin oder Bosnien-Herzegowina), stellen ein wesentliches Infektionsrisiko dar und führen zum Import der Masern in die Schweiz. Es wird sowohl Kindern als auch Erwachsenen empfohlen, vor Reisen in Länder, in welchen die Masern grassieren, den Impfstatus zu überprüfen und bei Bedarf die erforderlichen ein oder zwei Impfdosen nachzuholen.
Nachholimpfungen verstärken In Sachen Nachholimpfungen appellierte Eckert an Hausärzte und Gynäkologen, bei der Elimination der Masern zu helfen. So sollten die Impfausweise und der Impfstatus kontrolliert werden. Falls nach 1963 Geborene noch keine zwei Dosen erhalten haben, ist zur Nachimpfung zu raten. Wichtig kann auch der Hinweis sein, dass die Masern selbst mehr und schwerere Komplikationen verursachen, als es Impfnebenwirkungen gibt. Ausserdem legte Eckert ihren Kollegen die Website www.stopmasern.ch (siehe QR-Code) als Informationsmedium für die Patienten ans Herz. Dort kann man sich auch Material für die Patienteninformation wie Flyer oder Broschüren herunterladen.
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Vortrag von Dr. med. Nadine Eckert: «Eliminating Measels and Rubella in Switzerland: Preliminary data and importance in gynaecology», Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG), 25. Juni 2015 in Lugano.
Gynäkologie • September 2015
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