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Fatigue – eine biologische Folge der Entzündung
Chronische Entzündung macht schlapp, doch Biologika helfen
Neben Schmerzen und der Gefahr zunehmender Behinderung leiden Patienten mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen auch unter Erschöpfungssymptomen, genannt «Fatigue». Biologikatherapie scheint auch in dieser Hinsicht zu helfen, und aktuelle Daten sprechen für günstige Effekte durch aerobes Training.
S eit vielen Jahren beschäftige ich mich nun mit den neurologischen Aspekten des Lupus. Dabei wurde schnell klar, dass Fatigue für diese Patienten ein massives Problem darstellt. Aufgrund der Häufigkeit und Schwere dieses Symptoms sind wir davon ausgegangen, dass Fatigue bei rheumatischen Erkrankungen einen besonderen biologischen Hintergrund haben muss. Heute ist dieses Phänomen das Hauptinteresse unserer Forschungsgruppe», sagt Prof. Dr. Roald Omdal von der Universität Bergen in Norwegen. Unter Fatigue versteht man, so eine gängige Definition (1), ein «überwältigendes Gefühl von Müdigkeit, Mangel an Energie und Erschöpfung». Omdal: «Das ist keine Müdigkeit, die man loswird, indem man Kaffee trinkt oder sich ausschläft. Wenn Sie mit chronischer Fatigue schlafen gehen, ist die Fatigue am nächsten Morgen immer noch vorhanden.» Man nimmt heute an, dass bis zu 80 Prozent aller Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen so stark unter
«Das ist keine Müdigkeit, die man loswird, indem man Kaffee trinkt oder sich ausschläft.»
Fatigue leiden, dass das ihr tägliches Leben beeinträchtigt. Wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, hänge letztlich jedoch davon ab, welche Instrumente und Definitionen von Fatigue zur Anwendung kommen. Gegenwärtig werden, so Omdal, mehr als 200 unterschiedliche Instrumente eingesetzt. Die Probleme beginnen bereits bei der Beschreibung des Phänomens. Omdal: «Gibt es eine muskuläre, eine kognitive, eine emotionale Fatigue oder ist das alles eine Fatigue mit verschiedenen Symptomen? Ist das Phänomen uni- oder multidimensional?» Erhoben wird Fatigue üblicherweise mittels Fragebögen. Dabei gibt es Instrumente, die nur für bestimmte Erkrankungen entwickelt wurden und daher nur bei diesen validiert sind. Dazu gehören beispielsweise Morbus Parkinson oder das primäre Sjögren-Syndrom. Fatigue kann im Zuge unterschiedlichster neurologischer oder onkologischer Erkrankungen auftreten. Sie ist aber auch ein häufiger Begleiter von Inflammation und daher mit praktisch allen Autoimmun- oder autoinflammatorischen Erkrankungen assoziiert. Dazu zählen nicht zuletzt rheumatoide Arthritis (RA), Lupus erythematodes und Psoriasis. Befremdlich ist dabei jedoch der Umstand, dass zum Beispiel für die RA keine Korrelation zwischen der Krankheitsaktivität und dem Ausmass der Fatigue nachgewiesen werden konnte. Unter Behandlung mit
Anti-TNF-Therapien bessert sich zwar auch die Fatigue, dies allerdings nicht parallel zur Aktivität der RA (2). Omdal: «Damit stellte sich natürlich die Frage nach den pathophysiologischen Mechanismen, die bei Entzündung zu Erschöpfung führen.»
Sinnvoller Mechanismus bei Infektionen Bei akuten Erkrankungen ist diese Verbindung von Vorteil. Fatigue zwingt die Betroffenen zur Schonung. Lethargie, Schläfrigkeit, sozialer Rückzug und fehlender Appetit sind in diesem Kontext durchaus sinnvoll. Man spricht vom «Sickness behavior model». Dieses erhöhe, so Omdal, schlicht und einfach die Überlebenschancen bei Infektionen oder nach Verletzungen. Daher habe ein starker evolutionärer Druck die Entwicklung von «Sickness behavior» begünstigt. Omdal: «Das ist eine unbewusste Strategie, die das Überleben des Individuums und der Art begünstigt.» Bei chronischen Entzündungen kommt es also zur Chronifizierung eines Zustandes, der im Normalfall nur wenige Tage, während einer akuten Infektion, bestehen sollte. Der biologische Hintergrund liegt in Wirkungen der im Rahmen der Immunantwort ausgeschütteten proinflammatorischen Zytokine TNF-alpha, Interleukin-1 und Interleukin-6 auf das Gehirn (3). Unter den Zytokinen dürfte IL-1 beta die grösste Rolle spielen. Omdal: «Es diffundiert nicht nur passiv durch die BlutHirn-Schranke, es wird aktiv in das Gehirn transportiert und zum Teil auch dort gebildet.» Die Wirkungen von IL-1 beta auf das Gehirn wurden im Tiermodell ausführlich untersucht. Rezeptoren für IL-1 beta finden sich in verschiedenen Regionen des Gehirns, und IL-1 beta-Injektionen in die Ventrikel bewirken «Sickness behavior». Dieser Effekt bleibt allerdings bei Knock-out-Mäusen, die keine Rezeptoren für IL-1 beta haben, aus, beziehungsweise er lässt sich durch Rezeptorantagonisten unterdrücken. Omdal: «Bemerkenswert ist, dass Injektionen von IL-1 beta keine Entzündung verursachen, sondern neuronale Signale auslösen.» Dass eine IL-1-Blockade auch bei rheumatischen Erkrankungen wirksam gegen Fatigue sein könnte, legt eine Pilotstudie nahe, die Omdal und sein Team bereits vor mehr als zehn Jahren durchführten. Sie behandelten RA-Patienten mit dem IL-1-Rezeptorantagonisten Anakinra und konnten eine deutliche Reduktion der Fatigue erkennen (4). Da die Studie sehr klein und nicht verblindet war, wurde als nächstes Projekt eine doppelblinde Untersuchung mit 40 Patienten mit primärem Sjögren-Syndrom durchgeführt. Diese zeigte vor allem, wie komplex die Zusammenhänge zwischen Fatigue und Entzündung sein dürften: Zwar
18 Rheumatologie • August 2015
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wurde der primäre Endpunkt (signifikante Reduktion des Fatigue-Scores) nach vier Wochen nicht erreicht, doch zeigte sich, dass im Verumarm deutlich und signifikant mehr Patienten eine Reduktion ihrer Fatigue um mindestens 50 Prozent angaben (5). Die Wirksamkeit der Inhibition von IL-1 beta gegen Fatigue wurde auch in anderen, nicht primär inflammatorischen Erkrankungen untersucht – so zum Beispiel mit gutem Erfolg bei Typ-2-Diabetes (6).
Zur Entzündung kommt oxidativer Stress Die ambivalenten Studienergebnisse legen die Vermutung nahe, dass weitere, noch nicht bekannte Zusammenhänge zwischen Entzündung und Fatigue im Spiel sind. Omdal und seine Gruppe begannen aus diesem Grund, ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf die Inflammation zu richten, sondern auch auf jene Mechanismen, mit denen der Organismus versucht, die Inflammation zu kontrollieren. Aus diesem Grund untersuchten sie die Rolle von oxidativem Stress und bestimmten die Spiegel unterschiedlicher Heat-shock-Proteine im Liquor von Sjögren-Patienten. Dabei fanden sie eine deutliche Assoziation von HSP90 alpha mit Fatigue. Das Bindeglied liegt in einem gemeinsamen Rezeptor, dem Toll-like-Rezeptor 4 (TLR4), an dem sowohl HSP90 als auch Lipopolysaccharide (LPS) andocken. Dieser Rezeptor wird von Mikrogliazellen im Gehirn reichlich exprimiert. Mittlerweile konnten Peptide identifiziert werden, die TLR4 blockieren. Im Mausmodell konnte gezeigt werden, dass LPS bei Mäusen zu «Sickness behavior» führt, dass dieses jedoch bei Blockade des TLR4 nicht mehr durch LPS ausgelöst werden kann. Die Beteiligung von Mechanismen, die nicht Teil der Entzündung selbst sind, sondern eine Reaktion auf diese Entzündung darstellen, könnte erklären, warum Fatigue in der klinischen Realität nur schlecht mit anderen Symptomen der systemischen Inflammation korreliert. Offen bleibt die Frage, warum unterschiedliche Individuen mit der gleichen Krankheit in unterschiedlichem Ausmass Fatigue entwickeln. Omdal: «Es könnte an den Genen liegen, an der Epigenetik oder vielleicht an anderen Formen der Genregulation.»
Wirksame Therapie reduziert auch Fatigue In der klinischen Praxis stellt sich vor allem die Frage, wie sich Fatigue bei Rheumapatienten behandeln lässt. Die Evidenz zu dieser Frage ist dünn. Omdal: «Aerobes Training hat sich als hilfreich erwiesen. Es bewährt sich bei allen Erkrankungen, die Fatigue verursachen. Bei manchen Patienten hilft auch kognitive Verhaltenstherapie. Dabei geht es vermutlich um den Umgang mit der Situation und nicht um die Veränderung biologischer Parameter. Konventionelle DMARD beeinflussen Fatigue nicht, Biologika hingegen sehr wohl. Das gilt für alle Biologika, auch wenn sie nur peripher und nicht im zentralen Nervensystem wirksam sind. In allen mir bekannten Studien zu Biologika bei rheumatischen Erkrankungen wurde – sofern Fatigue überhaupt gemessen wurde – ein positiver Effekt beobachtet.» So wurde beispielsweise in einer Phase-III-Studie zur Behandlung von Psoriasis mit Etanercept im Vergleich zu Plazebo auch eine günstige Wirkung auf Fatigue und Depression beobachtet (7). Ein ähnliches Bild ergab sich in einer Studie, die in einer Population von Patienten mit frühem, primärem Sjögren-Syndrom Rituximab mit konventionellen DMARD verglich (8). Kürzlich wurde auch für einen JanuskinaseInhibitor eine günstige Wirkung bei Patienten mit schwer behandelbarer rheumatoider Arthritis gezeigt. Das als Drittlinie eingesetzte Tofacitinib führte im Gegensatz zu Methotrexat zu einer klinisch relevanten Besserung der Fatigue. Nach Entblin-
Mit Aktivität der Fatigue trotzen
Dr. Katrine Loeppenthin von der Universität Kopenhagen betont den Einfluss
von Schlafproblemen für die Entwicklung von Fatigue bei Patienten mit rheu-
matoider Arthritis. Solche würden von 50 bis 70 Prozent der Betroffenen an-
gegeben. Körperliche Bewegung könnte jedoch geeignet sein, Fatigue und
Schlafstörungen bei RA zu bessern. Obwohl zur Fatigue allein die Datenlage
noch relativ dünn ist, zeigt beispielsweise eine Metaanalyse von 14 RCT, dass
aerobes Ausdauertraining bei RA-Patienten Funktion und Lebensqualität
verbessert (10). Ihre Gruppe führte eine Studie mit mehr als 400 dänischen
RA-Patienten durch, die einerseits die Zusammenhänge zwischen Schlaf-
qualität und Fatigue evaluieren und andererseits die Wirksamkeit körperli-
cher Aktivität ermitteln sollte. Die Studie zeigte, dass 61 Prozent der Pa-
tienten eine schlechte Schlafqualität berichteten. Mentale und allgemeine
Fatigue waren signifikant mit schlechtem Schlaf assoziiert. Gleichzeitig er-
wiesen sich die Patienten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung als weni-
ger aktiv, 78 Prozent wurden als «sedentary» eingestuft. Körperliche Inak-
tivität war mit Fatigue und mit der Krankheitsaktivität, nicht jedoch mit
Schmerz und Schlafqualität assoziiert (11).
reb
dung erhielten die MTX-Patienten eine Rescuetherapie mit Tofacitinib, worauf sich das Fatigueniveau innerhalb von drei Monaten an die ehemalige Verumgruppe annäherte (9). Omdal: «Die Therapie der Fatigue stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. DMARD haben hier keine Wirkung, aber wir bekommen immer bessere Evidenz, dass wir mit den neuen Medikamenten etwas bewirken können.»
Reno Barth
Referenzen: 1. Krupp LB, Pollina DA: Mechanisms and management of fatigue in progressive neurological disorders. Curr Opin Neurol 1996; 9(6): 456–460. 2. Minnock P et al.: How much is fatigue explained by standard clinical characteristics of disease activity in patients with inflammatory arthritis? A longitudinal study. Arthritis Care Res (Hoboken) 2014; 66(11): 1597–1603. 3. Tracey KJ: Understanding immunity requires more than immunology. Nat Immunol 2010; 11(7): 561–564. 4. Omdal R, Gunnarsson R: The effect of interleukin-1 blockade on fatigue in rheumatoid arthritis – a pilot study. Rheumatol Int 2005; 25(6): 481–484. 5. Norheim KB et al.: Interleukin-1 inhibition and fatigue in primary Sjögren’s syndrome – a double blind, randomised clinical trial. PLoS One 2012; 7(1): e30123. 6. Cavelti-Weder C et al.: Inhibition of IL-1beta improves fatigue in type 2 diabetes. Diabetes Care 2011; 34(10): e158. 7. Tyring S et al.: Etanercept and clinical outcomes, fatigue, and depression in psoriasis: double-blind placebo-controlled randomised phase III trial. Lancet 2006; 367(9504): 29–35. 8. Carubbi F et al.: Efficacy and safety of rituximab treatment in early primary Sjögren’s syndrome: a prospective, multi-center, follow-up study. Arthritis Res Ther 2013; 15(5): R172. 9. Strand V et al.: Tofacitinib with methotrexate in third-line treatment of patients with active rheumatoid arthritis: patient-reported outcomes from a phase III trial. Arthritis Care Res (Hoboken) 2015; 67(4): 475–483. 10. Baillet A et al.: Efficacy of cardiorespiratory aerobic exercise in rheumatoid arthritis: meta-analysis of randomized controlled trials. Arthritis Care Res (Hoboken) 2010; 62(7): 984–989. 11. Loeppenthin K: The association between fatigue, sleep and physcial activity in patients with rheumatoid arthritis. EULAR 2015, Abstract SP0021.
Quellen: Basic and Translational Science Session «Inflammation and fatigue» und Health Professionals Session «Get on the move with rheumatic and musculoskeletal disease» beim EULAR, 10. bis 12. Juni 2015 in Rom.
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