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Hypertonie beeinträchtigt kognitive Funktionen
Primärprävention früher zerebraler Schäden ist möglich
Bereits viele Jahre bevor sich ein Hirnschlag ereignet oder eine Demenz manifest wird, kann hoher Blutdruck im Gehirn stumme Schäden anrichten. Eine Primärprävention solcher asymptomatischer Hirnschäden ist möglich, wenn frühzeitig antihypertensiv behandelt wird. Studienresultate sprechen dafür, dass eine antihypertensive Therapie die Progression von kognitiver Beeinträchtigung und Demenz verzögern kann.
S chon früh muss bei unbehandeltem hohem Blutdruck mit Organschäden im Gehirn gerechnet werden», berichtete Dr. Antonio Coca, Unidad de Hipertensión, Hospital Clínico, Universidad Barcelona. Zu den frühen zerebralen Schäden gehören: • Mikroaneurysmen und Mikroblutungen (mit dem Risiko
eines hämorrhagischen Hirnschlags 20–30 Jahre später) • Remodeling kleiner Arterien, «white matter lesions» (WML)
im Gehirn, stumme lakunäre Infarkte, ischämische Mikroblutungen (mit dem Risiko eines späteren ischämischen Hirnschlags) • frühe kognitive Beeinträchtigung (early cognitive impairment) als funktioneller Schaden (mit dem Risiko einer späteren Demenz). Zur Pathogenese von frühen Hirnschäden gehört ein Remodeling mit Strukturveränderungen kleiner Arterien. Infolge des hohen Blutdrucks nimmt die Dicke der Media zu und die vasodilatatorische Kapazität ab. Der Blutfluss zu den versorgten Hirnregionen wird vermindert, was eine Ischämie zur Folge haben kann. Mittels MRI können die ischämischen Hirnläsionen (WML = Hyperintensitäten der weissen Substanz, lakunäre Infarkte, ischämische Mikroblutungen) sichtbar gemacht werden.
Fortschreitendes Alter und Hypertonie bewirken Hirnschäden und kognitive Einbussen WML und Mikroblutungen sind nicht nur der Hypertonie anzulasten, sondern auch dem fortschreitenden Alter. Bei alten Personen kommen WML und Mikroblutungen viel häufiger vor als im mittleren Lebensalter. So wurden Mikroblutungen bei über 80-Jährigen bei 35,7 Prozent und bei 50- bis 59-Jährigen bei 11,5 Prozent entdeckt (1). Neben dem Alter bildet jedoch die Hypertonie den zweiten Risikofaktor. Hypertoniker weisen im Vergleich zu Normotensiven häufiger und in grösserer Ausdehnung zerebrale WML und Mikroblutungen auf. Bei behandelten Hypertonikern mit guter Blutdruckkontrolle ist jedoch die Prävalenz von WML und Mikroblutungen geringer als bei unbehandelten Hypertonikern und Behandelten mit ungenügender Blutdruckeinstellung. Der Einfluss der Hypertonie auf die Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit ist in den letzten 15 Jahren ein beliebtes Forschungsthema geworden. Wahrscheinlich könne die kognitive Leistungseinbusse durch eine gute Blutdruckeinstellung verzögert werden, sagte der Referent. Gemäss der
Honolulu-Asia-Aging-Study steigert hoher Blutdruck im mittleren Alter (über 160 mmHg systolisch) das Risiko von kognitiver Leistungseinbusse und Demenz im Alter auf das 2,5-Fache. In der japanischen Ohasama-Study liessen nicht nur höhere systolische Blutdruckwerte bei Selbstmessung zu Hause, sondern auch grössere Schwankungen des systolischen Blutdrucks von Tag zu Tag das Risiko kognitiver Leistungseinbussen erheblich ansteigen (2). In der RotterdamScan-Study war das Demenzrisiko umso stärker ausgeprägt, je höher der Schweregrad periventrikulärer und subkortikaler WML war. Das pathologisch-anatomische Substrat für die kognitive Einbusse ist in den kleinen Gefässen zu finden. Es gibt aber auch eine Assoziation zu Erkrankungen der grossen Gefässe, die durch die Hypertonie ebenfalls strukturell verändert werden. Gemäss der Baltimore Longitudinal Study of Aging korreliert das Ausmass der Atherosklerose in den Karotiden mit dem Demenzrisiko. Die Studie zeigte nach 14 Jahren eine erhöhte Demenzinzidenz (alle Ursachen sowie Alzheimer-Demenz), wenn bei Studienbeginn Intima und Media verdickt und bilaterale Plaques in den Karotiden feststellbar waren. Bei 41 Männern und 25 Frauen mittleren Alters (50 bis 60 Jahre), die eine leichte bis moderate, bis anhin noch nicht behandelte Hypertonie aufwiesen und sonst gesund waren (kein Typ-2-Diabetes, keine klinischen Zeichen zerebrovaskulärer oder kardiovaskulärer Krankheiten), fand die Forschungsgruppe von Coca bei 41 Prozent WML. Die Praxisblutdruckwerte und die 24-Stunden-Blutdruck-Werte waren bei Personen mit WML höher als bei Personen ohne WML. Bei der neuropsychologischen Testung sei bei Personen mit WML eine Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit festgestellt worden, so der Referent. Jahre später könne neben der Aufmerksamkeit auch das Gedächtnis beeinträchtigt werden.
Antihypertensive Therapie als Demenzprävention Vor 4 Jahren erschien eine interessante französische Studie, die nachwies, dass das Volumen der WML im Verlauf von 4 Jahren bei Hypertonikern (Durchschnittsalter 72 Jahre, Ausgangsblutdruck systolisch ≥ 160 mmHg) weniger stark zunahm, wenn der Blutdruck durch die antihypertensive Therapie gut eingestellt war im Vergleich zur antihypertensiven Therapie ohne gute Blutdruckkontrolle (Abbildung) (3). Wie sich die antihypertensive Therapie auf die Inzidenz von Demenzen aller Ursachen auswirkt, wurde in einer Metaanalyse
Kardiologie • August 2015 21
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Einfluss der antihypertensiven Therapie auf das WML-Volumen
WML-Volumen bei Baseline Veränderung des WML-Volumens 6,06 6 in 4 Jahren
5,38 5 4,72
Blutdruckzielwerte für die Primärprävention von zerebralen Schäden
Empfehlung für
Hypertoniker im Allgemeinen Diabetiker Hypertoniker im Alter
Blutdruckzielwert (mmHg) unter 140/90 unter 140/85 unter 150/90
(nach den 2013 ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension, J Hypertens 2013; 31: 1281–1357).
WML-Volumen (cm3)
4
3 n = 402
2 1 0,79
n = 187 1,00
n = 366 1,29
0 normaler
Blutdruck
Hpertonie kontrolliert
Hypertonie unkontrolliert
In dieser Vierjahresstudie wurde gezeigt, dass Hypertoniker nicht nur ein höheres WML-Volumen als normotone Vergleichspersonen aufweisen, sondern dass in einem Vierjahreszeitraum dieses Volumen auch schneller zunimmt, wenn die Hypertonie weiterhin unkontrolliert bleibt. Quelle: nach Godin et al. (3).
untersucht (4). Die Analyse von 15 Studien (randomisierte Studien und Beobachtungsstudien) ergab eine Risikoreduktion für Demenz um 9 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die bedeutendste Studie auf diesem Gebiet sei die Syst-EurStudie, berichtete Coca. Nach den ersten 4 Behandlungsjahren von über 60-Jährigen mit systolischer Hypertonie konnte im Vergleich zur Plazebogruppe eine signifikante Reduktion der Demenzinzidenz registriert werden. Behandelt wurde mit dem Kalziumkanalblocker Nitrendipin (10 bis 40 mg pro Tag), und als Add-on-Medikamente wurden Enalapril und Hydro-
Take Home Messages
• Es besteht eine enge Verbindung zwischen Hypertonie, stummen strukturellen Hirnschäden (white matter lesions, Mikroblutungen) und funktionellen Schäden (kognitive Beeinträchtigung).
• Neue Studienresultate sprechen dafür, dass die antihypertensive Therapie die Progression von kognitiver Beeinträchtigung und Demenz verzögern kann.
• Es gibt keine eindeutige Evidenz, dass sich eine bestimmte Antihypertensivaklasse besser als andere Klassen zur Prävention kognitiver Einbussen eignet.
chlorothiazid verwendet. Nach den ersten 4 Studienjahren wählten 80,5 Prozent der Patienten der ursprünglichen Plazebogruppe für weitere 4 Jahre ebenfalls die aktive Behandlung. Nach 8 Jahren war das Demenzrisiko bei den aktiv behandelten Hypertonikern signifikant um 55 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe reduziert. Es wurde berechnet, dass die antihypertensive Behandlung von 1000 Patienten während 5 Jahren 20 Demenzfälle verhindern kann (5). Coca wies besonders darauf hin, dass in dieser Studie die von Beginn an aktiv behandelten Patienten ein viel geringeres Demenzrisiko aufwiesen als Patienten der ursprünglichen Plazebogruppe, bei denen die antihypertensive Therapie um 4 Jahre verzögert einsetzte. Um die präventive Wirkung der antihypertensiven Therapie maximal auszunützen, müsse die Blutdruckbehandlung möglichst frühzeitig beginnen, betonte der Referent. Für die weitverbreitete Ansicht, dass Kalziumkanalblocker am besten geeignet seien, um bei Hypertonikern die kognitiven Funktionen zu schützen, gebe es keine gesicherte Evidenz. Signifikante Unterschiede seien nicht erkennbar, wenn Kalziumkanalblocker mit anderen Antihypertensiva verglichen würden, sagte der Referent. Entscheidend sei die antihypertensive Behandlung, unabhängig von der Wahl des Medikamentes.
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Poels M et al.: Prevalence and risk factors of cerebral microbleeds: an update of the Rotterdam scan study. Stroke 2010; 41: 103–106. 2. Matsumoto A et al.: Day-to-day variability in home blood pressure is associated with cognitive decline: the Ohasama study. Hypertension 2014; 63: 1333–1338. 3. Godin O et al.: Antihypertensive treatment and change in bloodpressure are associated with the progression of white matter lesion volumes: the Three-City (3C)-Dijon Magnetic Resonance Imaging Study. Circulation 2011; 123 (3): 266–273. 4. Levi Marpillat N et al.: Antihypertensive classes, cognitive decline and incidence of dementia: a network meta-analysis. J Hypertens 2013; 31: 1073–1082. 5. Forette F et al.: The prevention of dementia with antihypertensive treatment. Arch Intern Med 2002; 162: 2046–2052.
Quelle: Lecture «Antihypertensive treatment, cognitive function and dementia» beim ESH 2015, 14. Juni 2015 in Mailand.
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