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Immunsuppressive CED-Therapien – Erfahrungen aus der Praxis
Alter und Kombinationen sind wichtige Parameter zur Einschätzung der Risiken
Besonders bei schweren Verläufen von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ist die Behandlung mit Immunsuppressiva eine hilfreiche Option. Allerdings kann deren Einsatz mit Risiken verbunden sein. Sie sind von der individuellen Situation, vom Alter der Patienten, aber auch von der Kombination mit anderen Präparaten abhängig.
L ymphome, heller Hautkrebs, Melanome, solide Tumoren, ernste Infektionen – wie sind solche Risiken bei der Behandlung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) einzuschätzen? Der Spezialist Prof. Dr. Jean-Frederic Colombel aus New York gab am ECCO-Kongress in Barcelona einen Überblick.
Erhöhtes Lymphomrisiko durch Thiopurine Gemäss einer aktuellen Metaanalyse besitzen mit Thiopurinen (Azathioprin, 6-Mercaptopurin) behandelte CED-Patienten ein erhöhtes Lymphomrisiko (1). Allerdings sind die Ergebnisse solcher Analysen auch von der Art und Weise abhängig, wie die Daten erhoben werden: Basierten die Erhebungen nämlich auf Einweisungen (referral based studies), wurde mit 9,2 eine hohe standardisierte Inzidenzratio (SIR)* für die Entstehung von Lymphomen berechnet. Waren die Daten jedoch populationsbasiert, lag dieser Wert bei 2,4 – das heisst, es lag immer noch ein mehr als zweifach erhöhtes Risiko vor. Auch in einer neueren Studie mit amerikanischen Veteranen, die an Colitis ulcerosa erkrankt waren, zeigten sich die mit Thiopurinen behandelten Patienten einem erhöhten Lymphomrisiko
Take Home Messages
• Thiopurine erhöhen das Lymphomrisiko, vor allem bei älteren CED-Patienten.
• Bei 35- bis 65-jährigen CED-Patienten überwiegt der Nutzen einer Kombinationsbehandlung (Azathioprin plus Anti-TNF) das Risiko einer möglichen Entwicklung von Lymphomen.
• Bei über 65-Jährigen könnte bei einer Kombinationsbehandlung das Risiko für Lymphome höher als der Behandlungsnutzen sein.
• Für junge erwachsene Männer scheint die Kombinationsbehandlung adäquat zu sein. Das Absetzen von Azathiopurinen nach zwei Jahren senkt das Lymphomrisiko signifikant.
• Der Einsatz von Thiopurinen verdoppelt das Risiko für einen hellen Hautkrebs, jedoch wahrscheinlich nicht jenes für Melanome.
• Zur Frage, ob Biologika das NMSC-Risiko erhöhen, liegen bis anhin uneinheitliche Ergebnisse vor (weitere Studien sind notwendig).
• Kombinationstherapien (Thiopurin plus Biologikum) scheinen das Risiko für hellen Hautkrebs zu erhöhen.
• Es besteht wahrscheinlich kein erhöhtes Risiko für solide Tumoren durch eine Anti-TNF-a-Therapie.
• Bei ehemaligen Krebspatienten scheinen Anti-TNF-Medikamente sowie Thiopurine das Risiko für Tumorrückfälle nicht zu erhöhen.
ausgesetzt (2, 3). Dabei waren die über 65-Jährigen besonders betroffen. Nach Absetzen der Thiopurintherapie verringerte sich dieses Risiko jedoch wieder deutlich, und zwar sowohl bei den jüngeren als auch bei den älteren Teilnehmern. Aber auch Kombinationen aus Thiopurinen und TNF-Inhibitoren sind mit dem Auftreten von Lymphomen verbunden. So wurde in einer neuen Untersuchung eine wesentlich stärkere Assoziation zwischen einer Kombinationstherapie (Anti-TNF plus Azathioprin) und Lymphomen festgestellt als zwischen Anti-TNF-Monotherapie und Lymphomen (4). Allerdings war dies stark vom Lebensalter der CED-Patienten abhängig: Während im Kollektiv unter Kombinationstherapie bei den 25-Jährigen 132 Lymphomafälle gezählt wurden, waren es bei den 74-Jährigen 4196 (Monotherapie: 25-Jährige 24 Fälle, 75-Jährige 722; siehe auch Abbildung). Bei den unter 65-Jährigen, so Colombel, sei der Nutzen einer Kombinationstherapie höher zu bewerten als das Lymphomrisiko. Bei älteren Patienten (> 65 Jahre) sei jedoch das Risiko einer solchen Behandlung zu gross. Aber auch bei jüngeren Männern, bei denen die Kombinationstherapie ja die bevorzugte Behandlungsstrategie ist, macht sich ein Stopp der Azathioprintherapie nach 2 Jahren positiv bemerkbar. So sinkt das Risiko für hepatosplenische T-Zell-Lymphom-induzierte Todesfälle.
Heller Hautkrebs: keine einheitlichen Ergebnisse Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen besitzen von vornherein ein erhöhtes Grundrisiko für Hautkrebs. Haben nun immunsuppressive Therapien zusätzliche Auswirkungen auf ihre Haut? Gemäss einer Studie aus dem Jahr 2011 hatten vor allem ältere Patienten (> 65 Jahre), die kontinuierlich mit Thiopurinen behandelt worden waren, ein deutlich höheres Risiko, an hellen, also nicht melanomen Hauttumoren (NMSC) zu erkranken als Patienten, die nie mit diesen Medikamenten in Kontakt gekommen waren (jährliche Inzidenzrate pro 1000 Patientenjahre: 4,04 vs. 0,84) (5). Interessanterweise steigt dieses Risiko bei den über 65-Jährigen, die Thiopurin mit Unterbrechungen erhalten hatten, sogar auf 5,70 an. Zur Frage, ob auch Biologikatherapien mit erhöhten Risiken für hellen Hautkrebs verbunden sind, liegen bis anhin inkonsistente Resultate vor. So haben Long (2010) beziehungsweise Burmester (2013) für den Einsatz von Infliximab oder Adalimumab bei Morbus Crohn beziehungsweise entzündli-
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chen Darmerkrankungen ein erhöhtes Risiko festgestellt (OR 2,18 bzw. SIR 2,29) (6, 7). Auf der anderen Seite hat Long (2012) für die Behandlung mit Infliximab, Adalimumab und Certolizumab pegol bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen für eine Biologikamonotherapie kein signifikant erhöhtes Risiko für hellen Hautkrebs beobachtet. (8). In der gleichen Arbeit wurde in einer Subanalyse von knapp 1600 NMSC-Fällen jedoch gezeigt, dass bei der Kombination von Thiopurin mit einem Biologikum sehr wohl ein erhöhtes Hautkrebsrisiko besteht (OR 3,89) (8). Für den schwarzen Hautkrebs konnte in einer Metaanalyse für den Einsatz von Biologika bei Patienten mit Colitis ulcerosa (OR 1,23) und Morbus Crohn (OR 1,51) ein leichtes, allerdings nicht signifikantes Risiko festgestellt werden. Speziell bei Morbus Crohn seien «gewisse Signale» zu beobachten, so Colombel.
Keine Hinweise für Häufung von soliden Tumoren Untersuchungen zur Krebshäufigkeit unter 13 000 Patienten mit rheumatoider Arthritis zeigen, dass solide Tumoren wie Darm-, Lungen-, Brust- und Pankreaskarzinome infolge einer Behandlung mit TNF-a-Hemmern nicht gehäuft vorkommen. Für chronische Darmentzündungen existieren diesbezüglich jedoch bis heute nur limitierte Daten. Die bis anhin vorliegenden populationsbasierten Studien zeigten jedenfalls keine Evidenz für ein durch Biologika bedingtes erhöhtes Risiko für solide Tumoren, erklärte Colombel. Auch bei ehemaligen Krebspatienten würde laut neueren Untersuchungen eine Anti-TNF- beziehungsweise eine Thiopurinbehandlung die Wiederkehr der soliden Tumoren nicht fördern.
Infektionsrisiko verdoppelt Beim Infektionsrisiko sieht das jedoch anders aus: In einem Fünf-Jahres-Follow-up (TREAT) von mit TNF-Blockern behandelten Morbus-Crohn-Betroffenen (17 700 Patientenjahre) erwies sich das Risiko für ernsthafte Infektionen und Todesfälle als signifikant erhöht (9). Ähnlich sieht es mit opportunistischen Infektionen aus: Gemäss einer neueren Metaanalyse, in die 22 randomisierte, klinische Studien einbezogen wurden, traten in dem mit den TNF-Inhibitoren behandelten Teil der CED-Patienten (n = 4135) bei 0,9 Prozent opportunistische Infektionen auf, während dies in der Vergleichsgruppe (n = 2919) nur bei 0,3 Prozent der Fall war (10). Das relative Risiko für solche opportunistischen Infektionen zeigte sich unter Anti-TNF-Therapie bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten rund verdoppelt (RR = 2,05). Trotz der beschriebenen Risiken für Infektionen, Hautkrebs
4500
3600 Kombination Monotherapie
2700
Anzahl Lymphome
1800
900
0 25
35 45 55 65 Alter (Jahre)
75
Kombination 132 293 623 1262 2601 4196
Monotherapie 24
51 106
216 446
722
Abbildung: Das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer Kombinationstherapie mit Infliximab und Azathioprin variiert in Abhängigkeit vom Alter.
Quelle: nach Scott (4)
und Lymphome sei die Behandlung mit TNF-a generell sicher, so Colombel. Für den Erfolg einer antientzündlichen Therapie bei Patienten mit CED sei eine ausführliche Diskussion mit den Betroffenen von entscheidender Bedeutung.
Klaus Duffner
*SIR heisst ein standardisiertes Inzidenzratio. Ist es grösser als 1, liegt eine Risikoerhöhung vor, ist es kleiner als 1, beeutet das eine Risikoerniedrigung.
Referenzen: 1. Kotlyar DS et al. Risk of lymphoma in patients with inflammatory bowel disease treated with azathioprine and 6-mercaptopurine: a metaanalysis. Clin Gastroenterol Hepatol 2014. pii: S1542-3565(14)007678. doi: 10.1016/j.cgh.2014.05.015. [Epub ahead of print] 2. Khan N et al. Gastroenterology 2013; 145: 1007–1015. 3. Beaugerie L et al. Gastroenterology 2013; 145: 166–175. 4. Scott FI et al. Clin Gastroenterol Hepatol 2015; 13: 302–309. 5. Peyrin-Biroulet L et al. Gastroenterology 2011; 141: 1621–1628. 6. Long MD et al. Clin Gastroenterol Hepatol 2010; 8: 268–274. 7. Burmester GR et al. Ann Rheum Dis 2013; 72: 517–524. 8. Long MD et al. Gastroenterology 2012; 143: 390–399. 9. Lichtenstein GR et al. Am J Gastroenterol 2012; 107: 1409–1422. 10. Ford AC et al. Am J Gastroenterol 2013; 108: 1268–1276.
Quelle: «The chronic care continuum: shared learnings from paediatric and adult IBD», Satellitensymposium AbbVie, 19. Februar 2015 am ECCO-Kongress in Barcelona.
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