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CongressSelection
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED)
«Unser Behandlungsspektrum wird sich grundlegend erweitern»
Das Jahrestreffen der europäischen Experten für chronisch entzündliche Darmerkrankungen (ECCO) offenbarte eine erfreuliche Entwicklung: Neue Therapeutika werden zukünftige Behandlungsoptionen deutlich erweitern. Ein Gespräch mit dem ECCO-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Dr. Gerhard Rogler von der Universität Zürich zu den Höhepunkten des diesjährigen Kongresses.
C ongressSelection: Herr Prof. Rogler, welche Eindrücke nehmen Sie vom Jahrestreffen der ECCO mit? Für mich war die Vorstellung der neuen Therapiestudien
ein echtes Highlight. Abgesehen von dem einen oder anderen
neuen TNF-Hemmer ist in den vergangenen zehn Jahren ja ei-
gentlich nur wenig wirklich Neues hinsichtlich der Therapie
von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen hinzuge-
kommen. In Barcelona hat man jetzt zur Behandlung von Co-
litis ulcerosa, aber auch von Morbus Crohn
eine ganze Reihe erfolgreicher Phase-II-Stu-
dien vorgestellt, beispielsweise zur Hem-
mung von IL-23, IL-6 oder JAK. Auch ein
neuer, neben Vedolizumab ebenfalls erfolg-
reicher Integrinhemmer gehört dazu. Die
wichtigste Nachricht vom ECCO-Kongress
lautet daher: Es wird in den kommenden
Jahren ganz neue Therapiewege geben. Sie
werden unser Behandlungsspektrum
grundlegend erweitern, aber auch komp-
Gerhard Rogler
lexer machen.
Zum Einsatz von TNF-Hemmern bei Erwachsenen gibt es mittlerweile viel Erfahrung. Zur frühen Behandlung von Kindern war das bis anhin nicht so. Für das, was sich bei den Erwachsenen bestätigt hat, gibt es nun auch bei Kindern immer mehr Belege. Die Studien zeigen, dass erstens auch bei Kindern der frühe Einsatz von TNF-aInhibitoren sicher ist und dass zweitens eine frühe Behandlung Vorteile hinsichtlich des Krankheitsverlaufs bringt. Man muss wissen, dass bei Kindern mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen das Risiko für einen schlechten Verlauf sehr hoch ist. Wenn also bei Kindern ein ausgedehnter Befall vorliegt, ist eine solche Therapie innerhalb des ersten Jahres durchaus sinnvoll. Für die Behandlung Erwachsener wurde in einer Sitzung zudem deutlich, dass der Einsatz von TNF-Hemmern kein erhöhtes Operationsrisiko darstellt und dass vor einer OP die Behandlung mit dem TNF-Hemmer nicht abgesetzt, sondern weitergeführt werden sollte.
Auch zu konventionellen Medikamenten wie Methotrexat wurden Untersuchungen vorgestellt. In einer randomisierten, internationalen Studie (METEOR) wurde die Wirksamkeit von parenteralem Methotrexat bei steroidabhängigen Colitis-ulcerosa-Patienten untersucht. Dabei wurde der primäre Endpunkt zwar verfehlt – wobei dieser
Endpunkt, nämlich steroidfreie Remission und Mukosaheilung, sehr ambitioniert war –, aber die Daten waren trotzdem aus meiner Sicht gut. Die wichtigen sekundären Endpunkte wurden ja erreicht. So kamen erstaunlich viele Patienten in Remission und waren letztlich steroidfrei. Insgesamt wurde diese Studie positiv aufgenommen.
Dagegen scheint sich ein gewisses Risiko für Azathioprin zu bestätigen? Dass ein gewisses Lymphomrisiko besteht, war ja schon länger klar. Neu sind Daten zum Urothelkarzinom. So kommen unter Azathioprintherapie Tumoren im Urintrakt etwas häufiger vor. Das bedeutet, dass die Patienten regelmässig urologisch untersucht werden sollten und insbesondere ein Urinstatus vorgenommen werden sollte. Nach der Auswertung unserer eigenen Daten können wir diese Risiken übrigens bestätigen. Zudem wurde in einem Poster vorgestellt, dass bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen allgemein neben den Lymphomen auch ein leicht erhöhtes Risiko für Leukämien und myelodysplastische Syndrome existiert. Allerdings sollte man sich vergegenwärtigen, dass das insgesamt seltene Erkrankungen sind. Trotzdem schadet es nichts, wenn man diese Risiken im Gedächtnis behält, insbesondere dann, wenn auffällige Blutbildveränderungen zu beobachten sind.
Die Versuche, über fäkale Mikrobiotatransplantationen bei Colitis ulcerosa ein «gesünderes» Mikrobiom zu erreichen, haben die Erwartungen bis anhin nicht erfüllt … Ja, die Studie aus Amsterdam ist für IBD-Patienten negativ. Allerdings gibt es dabei Aspekte, bei denen man sich schon fragen muss, ob das Studiendesign wirklich optimal war. So war die Stuhlspendergruppe sehr heterogen. Bei manchen Patienten waren die Spender Verwandte ersten Grades, bei anderen wurde ein gesunder «Superspender» herangezogen und wieder bei anderen schlicht ein Labormitarbeiter. Schon diese sehr unterschiedlichen Spendergruppen machen die Untersuchung ziemlich heterogen. Ausserdem muss man sich fragen, ob die Impfung von oben über eine nasoduodenale Sonde wirklich optimal ist oder ob es nicht sinnvoller wäre, per Einlauf oder Koloskopie vorzugehen. Ich würde sagen, die Studie war zwar negativ, aber das Thema ist noch nicht vom Tisch.
Was gibt es Neues zur Schmerztherapie bei chronischen IBD? Da gibt es völlig unterschiedliche Sichtweisen. Während in
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Europa die Schmerztherapie eher ein Stiefkind ist und die IBD-Betroffenen unter sehr vielen unnötigen Schmerzen leiden, haben in den USA oder Australien 10 bis 20 Prozent der IBD-Patienten ein «narcotic bowel syndrome». Das heisst, die Patienten bekommen permanent zu viel Opiate in ihrer Schmerztherapie. Die dortigen Experten sind daher sensibilisiert und weisen immer auf ihr Opiatproblem und die Gefahren hin. Wir haben aber in Europa eine völlig andere Situation, nämlich eher eine Unterversorgung mit Schmerzmitteln. Deshalb werden wir mit den Ländern aus Übersee auch keinen Konsens finden. Die ECCO sollte ihre eigenen, unabhängigen Leitlinien zur Schmerztherapie herausgeben.
Auch IBD-Schwestern scheinen bei solchen Therapien eine immer wichtigere Rolle zu spielen … Die Funktion der IBD-Schwestern wurde am Kongress von den englischen Kollegen als sehr wichtig herausgestellt. So ist die Hemmschwelle der Patienten ziemlich hoch, sich bei Dingen, die über das rein Medizinische hinausgehen, dem Arzt zu öffnen. Nur die IBD-Schwester hat die Möglichkeit, das ganze Spektrum der notwendigen Fragen zu stellen. Sie soll als Bindeglied zwischen den Spezialisten dafür sorgen, dass eine integrierte Versorgung stattfindet und dass die verschiedenen Fachärzte, also neben Rheumatologen auch Schmerztherapeuten oder Psychosomatikspezialisten, mit einbezogen werden. Ausserdem ist die IBD-Schwester eine Art «Patientenan-
wältin». Man darf nicht vergessen, dass immer wieder sehr einfache Dinge schiefgehen. So werden immer wieder Impfungen vergessen oder die regelmässigen Kontrolluntersuchungen versäumt. Insbesondere in der anschliessenden Diskussion forderten die Patientenvertreter sehr deutlich, dass es dieses Bindeglied auch in anderen Ländern geben sollte.
Was kann der Hausarzt für seine CED-Patienten mit nach Hause nehmen? Er sollte sich besonders um die Patienten in Remission gut kümmern, dass bei ihnen beispielsweise kein Eisen- und Vitaminmangel auftritt. Er sollte danach schauen, dass die Patienten ihre Kontrolltermine einhalten, dass der Urinstatus stimmt und kein Urothelkarzinom und keine interstitielle Nephritis übersehen werden. Die Basistherapie, die Remissionserhaltung, die notwendigen Kontrollen, die Koordination mit den Spezialisten, das sind die die Aufgaben des Hausarztes. Wenn es aber um schwere Schübe geht oder um Patienten mit chronisch aktiver Darmerkrankung, sollten die Hausärzte zunehmend die Gastroenterologen miteinbeziehen. Bei eher komplizierten Fällen sollte man sich die Versorgung teilen: Die Therapieeinstellung und -optimierung durch den Spezialisten und die Basisversorgung, die ja eine sehr wichtige Rolle spielt, durch den Hausarzt.
Das Gespräch führte Klaus Duffner.
Kleine ECCO-Statistik
Die European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) wächst. Mit 5420 Teilnehmern trafen sich am diesjährigen Kongress so viele CED-Experten wie noch nie. Dabei stellten Grossbritannien (606), Deutschland (464), Spanien (446), Italien (358) und die USA (329) die meisten. Auch die Schweiz war mit 227 Teilnehmern sehr gut vertreten. Knapp die Hälfte der Teilnehmer waren Ärzte, 19 Prozent kamen aus der Industrie, die übrigen verteilten sich auf spezialisierte CED-Pflegende (6%), klinische Forscher (5%), Endoskopiker (4%), Studenten (2%) und andere. Insgesamt wurden 1114 Abstracts akzeptiert, davon 725 Posterpräsentationen. Die mit Abstand am häufigsten vorgestellten Studienergebnisse stammten aus den Bereichen der klinischen Therapie und Diagnose, rund ein Viertel widmeten sich der Grundlagenforschung, Epidemiologie und Mikrobiologie. KD
Foto: Klaus Duffner
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