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CongressSelection
Testosteron zur kardiovaskulären Prävention?
Ein Herz für die Substitution hat nicht jeder Patient
Die Testosteronsubstitution ist ein boomendes Indikationsfeld – so haben sich beispielsweise in den USA die Testosteronverschreibungen innerhalb einer Dekade verfünffacht. Doch immer mehr Studien machen deutlich, dass die Substitution auch Schaden anrichten kann und dass insbesondere bei Männern mit kardialen Vorerkrankungen Vorsicht geboten ist.
Im Leben eines Mannes ist Testosteron wichtig für die sexuelle Differenzierung, den Muskelaufbau, die Knochenmasse, das Knochenmark und die Bildung von Erythropoietin sowie für die Libido und erektile Funktion, auch für die Stimmungslage. Doch ab einem Alter von etwa 40 Jahren sinkt der Testosteronspiegel im Blut pro Jahr um durchschnittlich 1,2 Prozent ab. Daher steige im Alter auch die Prävalenz eines Hypogonadismus an, betonte Prof. Dr. François Mach von der Universitätsklinik Genf. Doch ab wann liegt ein Hypogonadismus vor? Das Problem ist, dass es keine allgemein anerkannte Untergrenze für den Testosteronblutspiegel gibt. Für die Diagnose eines Hypogonadismus ist zunächst einmal das Vorliegen von klinischen Symptomen eines Testosteronmangels erforderlich. Nur dann wird eine Bestimmung des Testosteronspiegels überhaupt als sinnvoll erachtet. Es besteht ein gewisser Konsens, dass bei Symptomen eines Hypogonadismus und einem Testosteronwert unter 8 nmol/l (230 ng/dl) eine Testosteronsubstitutionstherapie indiziert ist. Weiterhin sind sich die Experten weitgehend einig, dass oberhalb von 12 nmol/l (350 ng/dl) keine Indikation für eine Substitution vorliegt. In der dazwischenliegenden Grauzone wird bei entsprechender Symptomatik die zusätzliche Bestimmung des freien Testosterons empfohlen – liegt auch dieser Wert unterhalb von 225 pmol/l (65 pg/ml), dann besteht nach gängiger Expertenmeinung die Indikation zur Testosteronsubstitution.
Metabolische Risikofaktoren mit niedrigen Testosteronwerten assoziiert Generell konnte gezeigt werden, dass ein niedriger Testosteronspiegel mit typischen kardiovaskulären Risikofaktoren assoziiert ist – so ist beispielsweise das Testosteron bei Männern umso niedriger, je höher ihr Gewicht oder auch ihr Bauchumfang ist. Darüber hinaus konnte bei Männern, die wegen ihrer Hypogonadismussymptome eine Testosteronsubstitution erhielten, gezeigt werden, dass Testosteron im Vergleich zu Plazebo sowohl zur Gewichtsabnahme als auch zur Reduktion des Bauchumfangs führte. Dabei war es vor allem die Abnahme der Fettmasse, die für die Gewichtsreduktion verantwortlich war. Darüber hinaus verbessern sich unter der Testosteronsubstitution auch die Lipidwerte, ausserdem ist im Langzeitverlauf eine Normalisierung des systolischen und diastolischen Blutdrucks im Vergleich zu Unbehandelten zu beobachten. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass
Was sagen die Europäischen Urologen?
Nach der aktuellen «Leitlinie Männlicher Hypogonadismus» der European
Association of Urology (EAU), die im Jahr 2012 publiziert wurde, ist die Tes-
tosteronsubstitution (TRT: Testosterone Replacement Therapy) nicht mit
dem De-novo-Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse assoziiert. Es wird da-
rin allerdings empfohlen, bei vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankun-
gen Vorsicht walten zu lassen. Denn die häufige Hämatokriterhöhung, wie
sie unter einer Testosteronsubstitution beobachtet wird, kann die Fluss-
eigenschaften des Blutes beeinträchtigen. Die Erhöhung des Hämatokrit-
wertes ist die häufigste Nebenwirkung der Testosteronsubstitution, und die
Polyzythämie gilt als eine mögliche Nebenwirkung der Langzeitgabe. Daher
gehören die Hämatokrit- und Hämoglobinüberwachung zu den Routine-
massnahmen, die unter einer TRT regelmässig erfolgen sollten. Die TRT
sollte in der Dosis verringert oder gestoppt werden, falls der Hämatokrit die
Normwerte überschreitet. Männer mit kardiovaskulärer Komorbidität soll-
ten vor Einleitung der TRT durch einen Kardiologen beurteilt und unter TRT
eng kardiovaskulär überwacht werden, so die EAU-Leitlinie.
aza
Dohle RG et al. Guidelines on Male Hypogonadism. EAU 2013; www.uroweb.org/ gls/pdf/18%20Male%20Hypogonadism_LR.pdf (Deutsche Übersetzung: J Reproduktionsmed Endokrinol 2013; 10 [5–6]: 279–292).
Normalwert («Cut-offWert»)
Gesamttestosteron ≥ 12,1 nmol/l
(freies Testosteron ≥ 243 pmol/l)
keine Testosteronsubstitution, gegebenenfalls spätere Kontrolle und Abklärung bei Verdacht auf Zielorganresistenz
Grauzone Gesamttestosteron 8–12,0 nmol/l
2. Messung
Bestimmung freies Testosteron
Diagnose «Hypogonadismus» bei wiederholt erniedrigten Testosteronwerten und Vorliegen entsprechender klinischer Symptome
Testosteronmangel
Gesamttestosteron < 8 nmol/l weitere Abklärung (FSH, LH) und Klassifikation Algorithmus erstellt nach den Empfehlungen der EAU. Kardiologie • Mai 2015 7 CongressSelection höhere Testosteronspiegel in einer Kohortenstudie aus Deutschland mit besseren Gesamtüberlebensraten sowie einer reduzierten kardiovaskulären Mortalität assoziiert waren (1). All diese Beobachtungen sprechen für positive Effekte von Testosteron auf kardiovaskuläre Risikofaktoren, und es erscheint nicht verwunderlich, dass beispielsweise in den USA die Zahl der Testosteronverschreibungen innerhalb einer Dekade um das Fünffache angestiegen sind. Wer profitiert wirklich? Doch dass die pauschale Hypothese, mehr Testosteron sei mit einem kardiovaskulären Überlebensvorteil assoziiert, so nicht haltbar ist, machten einige neuere Untersuchungen deutlich. So wurde beispielsweise im Jahr 2010 im «New England Journal of Medicine» eine Arbeit publiziert, in der 110 Männer im Alter von 65 Jahren oder älter mit eingeschränkter Mobilität und einem erniedrigten Gesamttestosteronserumspiegel von 100 bis 350 ng/dl (3,5–12,1 nmol/l) sowie einer Konzentration an freiem Testosteron unterhalb von 50 pg/ml (173 pmol/l) randomisiert entweder ein Testosterongel oder ein Plazebogel erhielten (2). Der primäre Endpunkt war hier die Änderung der maximalen Muskelkraft. Doch die Studie musste vorzeitig abgebrochen werden, da in der Testosterongruppe signifikant mehr kardiovaskuläre unerwünschte Ereignisse als in der Plazebogruppe auftraten. Eine aktuelle Studie zu dieser Fragestellung wurde im letzten Jahr in «PLOS ONE» publiziert (3). Dabei wurde die Häufigkeit an Myokardinfarkten in den ersten 90 Tagen nach der Testosteronerstverschreibung mit der Rate im Jahr vor der Verschreibung verglichen. Das Ergebnis: In der Gesamtpopulation wurde durch die Testosteronverschreibung die Rate an Myokardinfarkten um 36 Prozent erhöht. Doch die Subgruppenauswertung ergab ein differenziertes Bild: Bei Patienten unter 65 Jahren ohne Herzerkrankung in der Vorgeschichte wurde eher ein leichter Trend zur Protektion, jedenfalls aber keine Risikoerhöhung festgestellt. Ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt unter Testosteronsubstitution hatten hingegen diejenigen, die älter als 65 Jahre waren oder die bereits eine Herzerkrankung in der Vorgeschichte hatten. Möglicherweise ist dies unter anderem auf die Salz- und Wasserretention, die durch Testosteron gefördert wird, zurückzuführen, wie Mach vermutet. Diese könnte zu Ödembildung, Bluthochdruck und kongestiver Herzinsuffizienz führen. Fazit Die derzeitige Studienlage spricht also gegen eine generelle Empfehlung einer Testosteronsubstitution bei Patienten mit kardialer Vorbelastung. Mach wies darauf hin, dass auch die aktuellen Leitlinien der Endocrine Society keine Empfehlung aussprechen, ob Patienten mit Herzerkrankungen auf Hypogonadismus gescreent werden sollten. Sie empfehle auch nicht die Testosteronsupplementierung zur Verbesserung der Überlebensprognose bei Patienten mit Herzerkrankungen. Eine Messung des Testosteronwertes ist daher nach wie vor nur beim Vorliegen von klinischen Symptomen mit Verdacht auf Hypogonadismus indiziert. Adela Žatecky Referenzen: 1. Haring R et al. Low serum testosterone levels are associated with increased risk of mortality in a population based cohort of men aged 20– 79. Eur Heart J 2010; 31: 1494–1501. 2. Basaria S et al. Adverse Events Associates with Testosterone Administration. N Engl J Med 2010; 363: 109–122. 3. Finkle WD et al. Increased Risk of Non-Fatal Myocardial Infarction Following Testosterone Therapy Prescription in Men. PLOS One 2014; 9: e85805. Quelle: Vortrag «Testosterone: a novel treatment for prevention of cardiovascular disease?» beim Cardiology Update, 8. bis 12. Februar 2015 in Davos. 8 Kardiologie • Mai 2015