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Das Ende der LDL-Hypothese
Stellenwert des LDL-Cholesterins in der kardiovaskulären Prävention
Eine Hypothese ist eine unbewiesene Annahme. Dass ein hoher LDL-Wert im Blut ein Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten darstellt, kann heute niemand mehr anzweifeln. Grosse Studien beweisen das. Aus der Hypothese wurde eine Tatsache.
W elchen Stellenwert hat das LDL-Cholesterin als Risikofaktor für kardiovaskuläre Krankheiten heute? Diese Frage beantwortete Prof. Dr. med. Ulrich Laufs, Oberarzt am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg, in seinem Vortrag. Im Jahr 1985 erhielten Michael S. Brown und Joseph L. Goldstein den Nobelpreis für die Entdeckung des Cholesterinmetabolismus, die sie in den Siebzigerjahren veröffentlichten. Seit dieser Zeit existiert die LDLHypothese, die in (erhöhtem) LDL-Cholesterin ein mögliches Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten sieht. Laufs vertrat die Meinung, dass der Terminus «LDL-Hypothese» ungeeignet sei, das Ganze zu beschreiben, denn heute muss man nicht mehr hypothetisieren, man weiss.
Das Problem Er stützte seine Skepsis auf folgende Aspekte: Pathophysiologie, Epidemiologie, Genetik sowie Studien zu Statinen und anderen Cholesterinsenkern. Dass LDL-Cholesterin zur epithelialen Dysfunktion beiträgt und damit die Atherogenese fördert, steht zweifelsfrei fest. Diese Erkenntnis propagierte die American Heart Association (AHA) in ihren Empfehlungen aus dem Jahr 2014 deutlich (1). Was sagt die Epidemiologie zum Risiko eines hohen Cholesterinlevels? Seit die ersten Re-
Wer profitiert von Statinen?
Prof. Dr. med. François Mach, Chefarzt der Kardiologie am Universitätsspital Genf, präsentierte die Sichtweise der AGLA (Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose) zur Therapie mit Statinen. Weltweit kursieren verschiedene Guidelines mit unterschiedlichen Empfehlungen zur Statintherapie. Die einen empfehlen die Behandlung, ohne Zielwerte zu definieren («Fire-and-forgetStrategie»), die anderen definieren Zielwerte («Treat-to-target-Strategie»). Worauf soll man sich in der Praxis stützen? Mach fokussierte auf folgende Punkte: Eine Statintherapie braucht Zielwerte. Nur so kann man eine Behandlung überwachen, denn jeder Patient reagiert anders auf Medikamente. Ferner sollte die Therapie das Risiko des Patienten berücksichtigen; das verhindert eine Unter- oder Übertherapie. Die Risikobeurteilungen für die Prävention kardiovaskulärer Komplikationen sollte sich auf kardiovaskuläre Ereignisse stützen und nicht auf die Mortalität. Eine «Fire-and-forget-Strategie» führt zu schlechteren Resultaten und zu einer schwachen Compliance. Laut Mach sind die Empfehlungen der AGLA ein Kompromiss zwischen zwei Extremen: der Übertherapie bei den ACC/AHA-Guidelines sowie der Untertherapie bei den Empfehlungen des SMB (Swiss Medical Board). Die Untersuchung des Patienten durch seinen Hausarzt stellt immer noch die beste Indikation für eine Behandlung. Das sollte nicht durch extreme, wenig praktikable Guidelines kompromittiert werden.
sultate der Framingham-Studie veröffentlicht wurden, gibt es keinen Zweifel an der Kausalität zwischen hohen Cholesterinwerten im Blut und einem hohen Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten (2). Unzählige Forscher reproduzierten die epidemiologischen Zusammenhänge seit den Siebzigerjahren. Viele Pathologien entwickeln sich bereits früh im Leben, wenn der Patient die entsprechenden Gene mitbringt. Das scheint auch für kardiovaskuläre Krankheiten zu stimmen: Menschen mit einem (natürlich) hohen LDL-Cholesterinwert im Blut tragen ein deutlich erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten. Laut einer Metaanalyse aus dem Jahr 2012 zeigt sich ein linearer Zusammenhang (3). Den Zusammenhang zwischen hohem Cholesterinwert im Blut und kardiovaskulären Krankheiten kannte man bereits von der familiären Hypercholesterinämie. Diese Menschen tragen ein absurd hohes Risiko mit sich herum.
Die Lösung Ein Japaner namens Akira Endo synthetisierte Anfang der Siebzigerjahre das erste Statin, eine Substanz aus dem Pilz Penicillium citrinum. Er nannte sie Compactin. Endo entdeckte, dass Compactin das Cholesterin im Blut senken konnte. Heute gibt es eine grosse Variation von Statinen, die prinzipiell gleich wirken: Statine hemmen das Enzym HMGCoA-Reduktase in den Leberzellen. Das führt zu einer verminderten Cholesterinsynthese sowie zu einer Vermehrung der LDL-Rezeptoren (4). Diese Mechanismen senken den Cholesterinspiegel im Blut. Statine gelten heutzutage als Standard bei der Cholesterinsenkung. Für Laufs ist das entscheidende an der Behandlung eines erhöhten Cholesterinlevels die Reduktion des LDL-Cholesterins. Das wirft einige Fragen auf: Wie tief soll das LDL-Cholesterin sein, um einen maximalen Benefit zu erhalten? Bringt die Kombination von Statinen mit anderen Cholesterinsenkern (zum Beispiel Ezetimib, das die intestinale Cholesterinresorption hemmt) bessere Resultate? Lässt sich das mit Studien belegen? Eine grosse Studie, in der LDL-Cholesterin eine Rolle spielt, ist die IMPROVE-IT-Studie (IMProved Reduction of Outcomes. Vytorin Efficacy International Trial) (5). Bei dieser Studie ging es um die Sekundärprävention des akuten Koronarsyndroms (ACS). ACS steht für ST-Hebungsinfarkt (STEMI), nicht ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) oder für eine instabile Angina pectoris. Die Forscher beobachteten mehr als 18 000 Patienten über insgesamt neun Jahre (mittlere Beobachtungszeit 6 Jahre). Die Studienteilnehmer erhielten randomisiert täglich 40 mg Simvastatin mit der Möglichkeit, die Dosis zu steigern, oder 40 mg Simvastatin plus Ezetimib 10 mg. Laufs sagte zur IMPROVE
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IT-Studie als Erstes: «Ezetimib ist sicher.» Er stützte die Aussage auf die Tatsache, dass diese Studie eine der grössten und längsten der Medizingeschichte sei. Schaut man sich die Werte des LDL-Cholesterins bei den Studiengruppen an, so zeigte sich nach acht Jahren folgendes Bild: • Die Simvastatin-Gruppe lag im Durchschnitt bei 1,8 mmol/l. • Die Simvastatin/Ezetimib-Gruppe lag im Durchschnitt bei
1,4 mmol/l. Die IMPROVE-IT-Studie passt perfekt zu den Daten der «Cholesterol Treatment Trialists’ Collaboration» (6). Die Frage ist nun, was diese Resultate bedeuten. Die aktuellen Daten beleuchten den Zusammenhang zwischen der Senkung des LDLCholesterins und der Reduktion kardiovaskulärer Krankheiten. Das Fazit lautet: Je tiefer das LDL-Cholesterin, desto geringer das kardiovaskuläre Risiko. Laufs zeigte den linearen Zusammenhang anhand einer Grafik: Egal, welchen Ausgangswert für das LDL-Cholesterin man nimmt, das Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten sinkt linear (7). Überdies sinkt die Ereignisrate.
Die Realität Gute Studien zu Medikamenten sind sicher erfreulich. Es stellt sich jedoch die Frage: Wie bringt man die Medikamente zu den Patienten? Die Therapietreue bezüglich Fett reduzierender Medikamente liegt um die 50 Prozent (8, 9). Eine Untersuchung belegte den Zusammenhang zwischen der Einnahme von Statinen und der Mortalität der Patienten: Nimmt ein Patient seine Statine an über 90 Prozent der beobachteten Tage ein, reduziert sich das Mortalitätsrisiko um etwa 50 Prozent (10). Eine Metaanalyse von 44 Studien zu diesem Thema wies
Abbildung 1: Unter www.agla.ch/risikoberechnung/agla-risikorechner oder via QR-Code gelangen Sie zum Risikorechner der AGLA.
Folgendes nach: In Europa liessen sich 9 Prozent aller Ereignisse im Rahmen einer kardiovaskulären Krankheit auf die nachlässige Einnahme von Medikamenten zurückführen (11). Mit Kombinationsmedikamenten (Simvastatin und Ezetimib) lässt sich die Therapietreue verbessern, das kennt man zum Beispiel von den Asthmamedikamenten. Eine weitere Optimierung, so Laufs Überzeugung, werden Medikamente sein, die man nur alle zwei bis vier Wochen einnehmen muss. Es handelt sich dabei um Wirkstoffe, die das Leberenzym PCSK9
PCSK-9: «Superstatine» am Horizont?
Die Abkürzung PCSK-9 steht für «Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9». Es handelt sich bei diesem Zungenbrecher um ein proteolytisches Enzym, das inaktive Eiweisse in ihre aktive Form spaltet. PCSK-9 moduliert LDL-Rezeptoren, was zu deren verstärktem Abbau führt. Das bedeutet: Je mehr PCSK-9 wirkt, desto weniger LDL-Rezeptoren sind aktiv. Daraus folgt ein höherer LDL-Spiegel im Blut. Die Medizin interessiert natürlich die Blockierung der PCSK-9, um eine Hypercholesterinämie zu behandeln. Passende Wirkstoffe sind bereits in klinischer Erprobung (1). Drei davon befinden sich in Phase 3: Alirocumab (Sanofi, Regeneron), Evolocumab (Amgen) und Bococizumab (Pfizer).* Es handelt sich um monoklonale Antikörper, erkennbar an der Endigung -mab. Diese Antikörper blockieren die Wirkung der PCSK-9, was zur Vermehrung der LDL-Rezeptoren führt. Besetzen mehr Rezeptoren die Zelloberfläche, wird auch vermehrt LDL-Cholesterin aus dem Blut abgezogen – der LDL-Spiegel sinkt. Die Wirkung der drei Wirkstoffe, die sich in Phase 3 befinden, untersucht man in grossen Studien mit bis zu 25 000 Teilnehmern. Über verschiedene Studien hinweg fanden sich zusätzlich zu Statinen robuste LDL-Senkungen. Daten zum langfristigen kardiovaskulären Nutzen werden für 2017 und 2018 erwartet. Als Endpunkte dieser Studien wählten die Forscher kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod durch ein kardiovaskuläres Ereignis. Monoklonale Antikörper, welche die PCSK-9 bremsen, haben das Potenzial, LDL-Cholesterin massiv zu senken. Da drängt sich die Frage auf, kann man die LDL-Senkung auch übertreiben? Cholesterin ist ja nicht a priori böse. Zum Beispiel dient Cholesterin als Baustein in den Zellwänden. Ohne Cholesterin gäbe es keine Steroidhormone. Die Lieferung des Cholesterins an Nebennieren und Gonaden ist allerdings die Aufgabe des HDL.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2005 hatte eine Senkung des LDL-Cholesterins auf 40 mg/dl keine erkennbaren negativen Wirkungen (2). Belegt ist demgegenüber der klinische Vorteil eines LDL-Spiegels unter 50 mg/dl (3). Bei diesen Werten gab es viel weniger kardiovaskuläre Ereignisse, verglichen mit höheren LDL-Werten im Blut. Für Prof. Dr. Peter Libby, Chief of Cardiovascular Medicine at Brigham and Women’s Hospital in Boston, sind die PCSK-9 Inhibitoren keine «Superstatine», wirken sie doch ausschliesslich auf das LDL und haben nicht die pleiotropen Effekte der Statine. Aber im Einsatz zusammen mit Letzteren sind die derzeitigen Resultate vielversprechend, sie könnten dazu beitragen, die LDL-Problematik schliesslich besser in den Griff zu bekommen. AL
*Für den Wirkstoff Evolocumab wurde sowohl bei der EMA als auch der FDA in der zweiten Hälfte des letzten Jahres ein Zulassungsantrag gestellt.
Referenzen: 1. Sheridan C: Phase 3 data for PCSK9 inhibitor wows. Nat Biotechnol 2013; 31: 1057–1058. 2. Wiviott SD et al. Safety and efficacy of achieving very low low-density lipoprotein cholesterol levels with rosuvastatin 40 mg daily (from the ASTEROID Study). Am J Cardiol 2009; 104: 29–35. 3. Hsia J et al. Cardiovascular event reduction and adverse events among subjects attaining low-density lipoprotein cholesterol <50 mg/dl with rosuvastatin. The JUPITER trial (Justification for the Use of Statins in Prevention: an Intervention Trial Evaluating Rosuvastatin). J Am Coll Cardiol 2011; 57: 1666–1675.
Quelle: «PCSK-9 inhibitors – super statins on the horizon?» am Cardiology Update: An ESC Update Programme, 8. bis 12. Februar 2015 in Davos.
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(«Proprotein Convertase Subtilisin/Kexin type 9») hemmen. Solche Wirkstoffe stecken momentan in der Entwicklung.
André Lauber
Abbildung 2: Unter www.jbs3risk.com/pages/risk_calculator.htm oder via QR-Code gelangen Sie zum Risikorechner der Joint British Societies recommendations on the prevention of Cardiovascular Disease.
Fazit zur IMPROVE-IT Studie
Die Resultate der IMPROVE IT-Studie fasste Laufs so zusammen: 1. Die Senkung des LDL–Cholesterins mit Simvasta-
tin und Ezetimib reduziert kardiovaskuläre Ereignisse. 2. «Je tiefer, desto besser» gilt für das LDL-Cholesterin tatsächlich. 3. Ezetimib ist sicher.
Der QR-Code führt Sie zur Vorstellung des IMPROVE-IT Trial durch Christopher P. Cannon am Kongress der American Heart Association (AHA) in Chicago.
Referenzen: 1. Stone NJ et al. 2013 ACC/AHA guideline on the treatment of blood cholesterol to reduce atherosclerotic cardiovascular risk in adults: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. Circulation 2014; 129: S1–45. 2. Kannel WB et al. Serum cholesterol, lipoproteins, and the risk of coronary heart disease. The Framingham study. Ann Intern Med 1971; 74: 1–12. 3. Ference BA et al. Effect of long-term exposure to lower low-density lipoprotein cholesterol beginning early in life on the risk of coronary heart disease: a Mendelian randomization analysis. J Am Coll Cardiol 2012; 60: 2631–2639. 4. Stone NJ et al. 2013 ACC/AHA guideline on the treatment of blood cholesterol to reduce atherosclerotic cardiovascular risk in adults: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. Circulation 2014; 129: S1–45. 5. Blazing MA et al. Evaluating cardiovascular event reduction with ezetimibe as an adjunct to simvastatin in 18,144 patients after acute coronary syndromes: final baseline characteristics of the IMPROVE-IT study population. Am Heart J 2014; 168: 205–12.e1. 6. www.ctsu.ox.ac.uk/research/meta-trials/ctt/ctt-website. Gekürzt: http://bit.ly/1MGxyul 7. Laufs U et al. Understanding IMPROVE-IT and the cardinal role of LDL-C lowering in CVD prevention. Eur Heart J 2014; 35: 1996–2000. 8. Baroletti S, Dell’Orfano H. Medication adherence in cardiovascular disease. Circulation 2010; 121: 1455–1458. 9. Laufs U et al. Strategies to improve drug adherence. Eur Heart J 2011; 32: 264–268. 10. Shalev V et al. Continuation of statin treatment and all-cause mortality: a population-based cohort study. Arch Intern Med 2009; 169: 260–268. 11. Chowdhury R et al. Adherence to cardiovascular therapy: a metaanalysis of prevalence and clinical consequences. Eur Heart J 2013; 34: 2940–2948.
Quelle: «LDL-C lowering in CVD prevention», «US (AHA/ACC) versus ESC Guidelines: Who should get a statin?» und «PCSK-9 inhibitors – super statins on the horizon?» am Cardiology Update: An ESC Update Programme, 8. bis 12. Februar 2015 in Davos.
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Foto: Hans Utzinger
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