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Intelligente Diagnostik und Therapie auch bei Obstipation gefragt
Breites Spektrum an sekundären Ursachen
Obstipation ist ein äusserst häufiger Symptomkomplex. Ungeachtet der scheinbaren Banalität kann das Zustandsbild eine Fülle verschiedener Ursachen haben und eine echte diagnostische und therapeutische Herausforderung darstellen.
C hronische Obstipation ist eine der verbreitetsten gastrointestinalen Störungen, betrifft Frauen häufiger als Männer und tritt mit zunehmendem Alter häufiger auf. «Der deutlich ungünstige Effekt auf die Lebensqualität führt zu hohen Kosten für die betroffenen Individuen und die Gesellschaft», sagt Prof. Dr. med. Klaus Krogh vom Aarhus Universitätsspital. Es wird unterschieden zwischen primärer und sekundärer Obstipation, wobei, so Krogh, mindestens fünfzig verschiedene Ursachen für sekundäre Obstipation bekannt sind. Das Spektrum reicht von neurologischen über endokrine Erkrankungen bis zu Medikamentennebenwirkungen. Bei der Definition scheiden sich bereits die Geister. Diese kann anhand der Symptome oder der Pathophysiologie erfolgen. Nach den Rom-III-Kriterien wird die funktionelle (primäre) Obstipation anhand von Stuhlgangbeschwerden definiert, die in den vergangenen drei Monaten während mindestens 25 Prozent der Zeit vorhanden waren (Kasten) (1). Objektiv lässt sich eine Obstipation beispielsweise diagnostizieren, indem man mithilfe radioopaker Marker die Dauer der Darmpassage misst. Anhand solcher Messungen kann eine Klassifikation in eine Obstipation mit normaler Kolontransitzeit (auch idiopathische Obstipation), eine mit verzögerter Transitzeit (sog. slow transit constipation) oder eine anorektale Obstipation (Beckenbodendysfunktion) vorgenommen werden. «Das klingt simpel, aber ist es wirklich so einfach?», fragt Krogh und weist auf die vielen zusätzlichen Faktoren hin, die im wirklichen Leben die Defäkation beeinflussen. Besonders die Ursachen der anorektalen Obstipation sind vielfältig. So liegt bei rund einem Viertel der von Obstipation betroffenen Menschen eine Störung der Sensibilität im
Rom-III-Kriterien zur Diagnose der funktionellen Obstipation
Während mindestens 3 der vorhergehenden 6 Monate, dauernd oder intermittierend: • Mindestens 2 der folgenden Kriterien in mehr als 25 Prozent der Zeit
– starkes Pressen beim Stuhlgang – klumpiger oder harter Stuhl – Gefühl der inkompletten Entleerung – Gefühl der anorektalen Obstruktion/Blockierung – manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation – weniger als 3 Entleerungen pro Woche • Kein weicher Stuhlgang ohne Laxanzien • Kein Reizdarmsyndrom
Rektum vor, was dazu führt, dass Stuhldrang nicht entsprechend wahrgenommen wird (2, 3). Auch strukturelle Auffälligkeiten wie zum Beispiel ein Prolapsus ani oder eine Rektozele können den Stuhlgang erheblich stören. Allerdings stelle sich, so Krogh, nicht selten die Frage, ob die strukturellen Veränderungen Ursache oder Folge chronischer Obstipation seien. Auch paradoxe Kontraktionen des externen Sphinkters und des Musculus puborectalis kommen als Hintergründe einer Obstipation infrage. Vor allem seien, so Krogh, Patienten häufig auch von mehreren Störungen oder Erkrankungen betroffen, die Ursache ihrer Obstipation sein könnten.
Diagnose wichtig für die Wahl der Therapie Unter den drei Hauptformen der funktionellen Obstipation ist jene mit normalem Transit mit Abstand die häufigste. So wurde in einer Studie mit 1000 chronisch obstipierten Patienten bei 59 Prozent eine normale Transitzeit gefunden, während nur 13 Prozent eine verzögerte Transitzeit zeigten. Eine Beckenbodendysfunktion war bei 25 Prozent die Ursache der Beschwerden, und bei 3 Prozent lag eine Kombination aus Slow Transit und anorektaler Obstipation vor (4). Die möglichst genaue Diagnose und Identifikation des Mechanismus der Obstipation im individuellen Fall haben entscheidenden Einfluss auf die Wahl der Therapie, wie Prof. Dr. med. William Whitehead von der University of North Carolina betont. So konnte in Studien gezeigt werden, dass Biofeedback – im Gegensatz zu früheren Annahmen – nur bei Störungen der Defäkation, nicht jedoch bei normalem oder verlangsamtem Transit hilfreich ist. Dafür sind die Ergebnisse, die mit Biofeedback erreicht werden können, in der passenden Patientengruppe exzellent. Über eine Beobachtungszeit von zwei Jahren kam es in der Population der Patienten mit anfangs gestörter Defäkation zu einer weitgehenden und anhaltenden Normalisierung der Stuhlgewohnheiten (5). Die gleiche Gruppe verglich in einem Kollektiv von Patienten mit anorektaler Obstipation Biofeedback mit Laxanzien. Dabei erwies sich Biofeedback im Vergleich zu Macrogol hinsichtlich aller Endpunkte als überlegen und führte zu vergleichsweise mehr Stuhlgängen bei weniger Beschwerden (6). Am leichtesten behandelbar ist, so Whitehead, die Patientengruppe mit normaler Kolontransitzeit. Hier helfen oft schon einfache Lebensstilmassnahmen wie vermehrte Flüssigkeitszufuhr und regelmässige Bewegung. Reicht das nicht aus, können Ballaststoffe und als weitere Eskalationen der Therapie Laxanzien, Chloridkanalaktivatoren oder 5HT4-Agonisten eingesetzt werden. Bei verzögerter Transitzeit bringen
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Lebensstilmassnahmen und Ballaststoffe in der Regel nicht Neue Sicherheitsdaten zu Lubiproston
den gewünschten Erfolg. Eine medikamentöse Therapie mit Eine weitere Phase-III-Studie wurde zum Einsatz von Lubi-
Laxanzien, Chloridkanalaktivatoren oder 5HT4-Agonisten wird proston bei der chronischen opioidinduzierten Obstipation
erforderlich sein, in besonders schweren Fällen kann sogar vorgestellt (9). Lubiproston gehört zur Gruppe der Chloridka-
eine Kolektomie indiziert sein. Bei Defäkationsstörungen ist nalaktivatoren und ist in der Schweiz seit November 2009 zur
die Wirksamkeit medikamentöser Interventionen nicht Behandlung der chronisch-idiopathischen Verstopfung bei Er-
gesichert. Falls verfügbar, sollte, so Whitehead, bei diesen wachsenen zugelassen. Die Wirkung beruht auf einer Förde-
Patienten Biofeedback zum Einsatz kommen.
rung des Transports von Chloridionen über ClC-2-Kanäle in
Eine aktuelle Studie zeigt jedoch, dass klare Diagnosen bei den Darm. Dadurch kommt es zu einem Einstrom von Chlorid-
Obstipation schwierig sein können, weil bei einem hohen Pro- ionen, was zu einer verstärkten parazellulären Flüssigkeits-
zentsatz der Patienten mit dem Überlappen mehrerer Zu- sekretion in den Darm führt. Nun wurde die Substanz in drei
standsbilder zu rechnen ist. Eine Befragung von mehr als multizentrischen Phase-III-Studien bei Patienten untersucht,
10 000 Personen in den USA zeigte: Fast die Hälfte der Be- die infolge eines chronischen, nicht onkologischen Schmerz-
fragten, die angaben, unter Reizdarmsyndrom mit Verstop- zustandes Opioide einnahmen und unter Obstipation mit
fung, chronischer idiopathischer Obstipation, funktioneller weniger als drei spontanen Stuhlgängen pro Woche litten. An
Dyspepsie oder GERD zu leiden, hatte mehr als eines dieser der UEGW 2014 wurden die gepoolten Sicherheitsdaten die-
Syndrome. Von den 2641 Personen, die mindestens eines die- ser Studien vorgestellt. An unerwünschten Ereignissen waren
bei den insgesamt mehr als 1300 Pa-
«Fast die Hälfte der Befragten, die angaben,
tienten lediglich Bauchschmerzen, Nausea und Durchfall in der Verum-
unter Reizdarmsyndrom mit Verstopfung, chronischer idiopathischer Obstipation, funktioneller
gruppe häufiger als in der Plazebogruppe. Schwere Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen selten. Le-
Dyspepsie oder GERD zu leiden, hatte mehr als
eines dieser Syndrome.»
diglich schwere Durchfälle traten unter Lubiproston häufiger auf (1,8% vs. 0,3%). Aus der Verumgruppe brachen 7,2 Prozent die Studie wegen Neben-
wirkungen ab, aus der Plazebogruppe
ser Zustandsbilder angaben, hatten 832 (31,5%) zwei der ab- waren es 3,1 Prozent. Die Autoren betonen, dass Lubiproston
gefragten Syndrome und 217 (8,2%) sogar drei. Das höchste offenbar auch bei Patienten mit chronischer opioidinduzierter
Risiko weiterer gastrointestinaler Beschwerden zeigten Per- Obstipation im Zusammenhang mit nicht onkologischen
sonen mit Reizdarmsyndrom (7).
Schmerzen gut vertragen werde.
Prucaloprid wirksam und sicher
Reno Barth
auch bei Männern
Referenzen:
Im Rahmen der UEGW 2014 wurden auch Studien zur Wirksamkeit verschiedener bei Obstipation einsetzbarer Medikamente vorgestellt: so zum Beispiel zum Serotonin-Rezeptor(5HT4-)Agonisten Prucaloprid (PRU), der gegenwärtig in Europa nur zur Behandlung von Frauen zugelassen ist, die auf
1. Longstreth GF et al. Functional bowel disorders. Gastroenterology. 2006; 130 (5): 1480–1491. 2. Gladman MA et al. Clinical and physiological findings, and possible aetiological factors of rectal hyposensitivity. Br J Surg. 2003; 90 (7): 860–866. 3. Gladman MA et al. Rectal hyposensitivity: prevalence and clinical
Laxanzien nicht adäquat angesprochen haben. Nun wurde in einer Phase-III-Studie die Wirksamkeit bei Männern untersucht (8). Eingeschlossen wurden 374 Männer ab 18 Jahren, die maximal zwei spontane Stuhlgänge pro Woche hatten. Sie erhielten entweder Plazebo oder PRU 2 mg einmal täglich über 12 Wochen. Primärer Endpunkt war der Anteil der Patienten,
impact in patients with intractable constipation and fecal incontinence. Dis Colon Rectum. 2003; 46 (2): 238–246. 4. Nyam DC et al. Long-term results of surgery for chronic constipation. Diseases of the colon and rectum. 1997; 40 (3): 273–279. 5. Chiarioni Get al. Biofeedback benefits only patients with outlet dysfunction, not patients with isolated slow transit constipation. Gastroenterology. 2005; 129 (1): 86–97.
die unter Therapie auf mindestens drei Stuhlgänge pro Woche kamen. Als sekundäre Endpunkte wurden unter anderem Lebensqualität und der Patient Assessment of ConstipationSymptoms (PAC-SYM) Score erhoben. PRU erwies sich in dieser kontrollierten Studie im Vergleich zu Plazebo als signifikant überlegen. In der PRU-Gruppe kamen 37,9 Prozent der
6. Chiarioni G et al. Biofeedback is superior to laxatives for normal transit constipation due to pelvic floor dyssynergia. Gastroenterology. 2006; 130 (3): 657–664. 7. Vakil N et al. Extensive overlap among patients with irritable bowel syndrome with constipation, chronic idiopathic constipation, functional dyspepsia, and gastroesophageal reflux disease: a cross-sectional, population-based survey. Presented at UEG Week 2014, Vienna.
Patienten auf mindestens drei Stuhlgänge pro Woche, unter Plazebo lediglich 17,7 Prozent. Auch hinsichtlich des auf die Defäkation bezogenen Lebensqualitätsscores PAC-QOL war PRU im Vergleich zu Plazebo signifikant besser. Das Nebenwirkungsprofil entsprach den Erwartungen mit Bauchschmerzen als häufigstem unerwünschtem Ereignis, das jedoch in
8. Yiannakou Y et al. Efficacy and safety of Prucalopride in men with chronic constipation: a phase 3, randomized, double-blind, placebocontrolled trial. Presented at UEG Week 2014, Vienna. 9. Lichtlen P, Losch-Beridon T, Wang M. Lubiprostone is well tolerated for treatment of opioid-induced constipation in chronic non-cancer pain patients: results of three phase 3, randomised, double-blind, placebo-controlled trials. Presented at UEG Week 2014, Vienna.
der Plazebogruppe häufiger auftrat als unter Verum (PRU vs.
PLA: 4,3% vs. 5,9%). Durchfall (6,5% vs. 1,6%), Nausea (6,0% vs. 2,2%), Kopfschmerzen (9,2% vs. 3,8%) und Schwindel (2,2% vs. 1,6%) waren unter PRU häufiger als unter Plazebo.
Quellen: Session «Management of constipation based on the underlying pathophysiology: Does it work?» sowie Postersessions im Rahmen der 22. UEG-Week vom 18. bis 22. Oktober 2014 in Wien.
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