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Der lange Weg zur personalisierten Therapie
Die Behandlung des kolorektalen Karzinoms wird zunehmend raffinierter
Die Zukunft in der Therapie des kolorektalen Karzinoms wird personalisierten Therapien auf Basis eines genetischen und biologischen Tumorprofilings gehören. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg.
Die Überlebenschancen nach Diagnose eines kolorektalen Karzinoms haben sich in den vergangenen Jahren verbessert. «Es gibt zweifellos Fortschritte. Das FünfJahres-Überleben liegt heute in Europa bei 57 Prozent für das Kolonkarzinom und knapp unter 56 Prozent für das Rektumkarzinom – jeweils alle Tumorstadien zusammengerechnet. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen europäischen Ländern», sagt Prof. Dr. Eric van Cutsem von der Universität Leuven in Belgien, und weist auf die erheblichen Fortschritte hin, die in den vergangenen 20 Jahren gemacht wurden: «1994 konnten wir manche Patienten dank Chirurgie heilen, darüber hinaus hatten wir praktisch keine Optionen. Wir haben alle Karzinome als gleich betrachtet und behandelt. 2014 haben wir Screeningprogramme implementiert, wir können viel mehr Patienten behandeln, und wir wissen, dass jeder Patient und jeder Tumor anders sind. Dennoch sind noch viele Probleme zu lösen.» Eine der Herausforderungen ist die Entwicklung individualisierter Therapien, die den unterschiedlichen Tumorcharakteristika und der unterschiedlichen Situation der Patienten gerecht werden.
Cutsem: «Dieses Konzept basiert auf klinischen und histologischen Parametern sowie bereits auch auf ersten molekularen Markern.» Diesen Markern werde in Zukunft wohl grössere Bedeutung zukommen, sie sind gegenwärtig jedoch noch nicht ausreichend validiert.
Erweiterung der Therapiepalette In der metastasierten Situation stehen heute ebenfalls deutlich mehr Optionen zur Verfügung als noch vor wenigen Jahren. Zu einer erweiterten Palette an zytotoxischen Chemotherapeutika ist eine grosse Zahl sogenannter Biologika hinzugekommen, die gezielt in bestimmte Mechanismen der Tumorbiologie eingreifen. Van Cutsem: «Diese ‹targeted therapies› haben die Wahl der geeigneten Strategie im konkreten Fall sicher schwerer gemacht. Und in nächster Zeit werden sicherlich noch einige weitere Biologika hinzukommen. Erfolge sehen wir bereits. Vor 15 Jahren lag das mediane Überleben beim metastasierten Kolonkarzinom unter 1 Jahr, heute sind wir in Studien bereits bei mehr als 30 Monaten. An optimalen Therapiealgorithmen arbeiten wir.» Ein wichtiger
Definition von Subgruppen
Individualisierung bedeutet, zunächst die Definition von Subgruppen, und das beginne, so van Cutsem, bereits bei der Klassifikation des Tumors nach dem TNM-Schema. Dieses entscheide nämlich darüber, ob der Patient eine adjuvante Therapie benötigte oder ob die chirurgische Therapie ausreichte. Van Cutsem: «Im Stadium 3 des lokalisierten Karzinoms besteht die Standardtherapie aus Chirurgie und Chemotherapie mit Fluoropyrimidin und Oxaliplatin. Wir wissen, dass ohne adjuvante Therapie 60 Prozent der Patienten durch die OP geheilt werden. Die Chemotherapie heilt weitere 15 bis 20 Prozent, und bei den restlichen 20 Prozent haben wir keinen Erfolg.» Die Herausforderung besteht nun darin herauszufinden, wer die Patienten sind, die von einer Chemotherapie profitieren. Im Stadium 2 sind es nur 5 Prozent, denen die adjuvante Therapie einen Vorteil über die Chirurgie hinaus bringt. Hier sei man aber bereits weiter mit der Individualisierung und habe das Stadium «high risk T2» definiert. Van
Gängige Therapiealgorithmen beim metastasierten kolorektalen Karzinom
Erstlinie Zweitlinie
RAS-Wildtyp
Chemo A + Bevacizumab
RAS-Wildtyp
FOLFOX + Bevacizumab
RAS-Wildtyp
FOLFOX + Anti-EGFR
oder FOLFIRI + Cetuximab
RAS-Mutation
Chemo A + Bevacizumab
Chemo B + Bevacizumab
oder FOLFIRI + Aflibercept
FOLFIRI + Anti-EGFR
Chemo B + Bevacizumab
oder FOLFIRI + Aflibercept
Chemo B + Bevacizumab
oder FOLFIRI + Aflibercept
Drittlinie
Anti-EGFR + Irinotecan
Regorafenib Regorafenib Regorafenib
Viertlinie
Regorafenib
Quelle: nach Van Cutsem
Gastroenterologie • Januar 2015 15
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Schritt dazu wird die Definition von Subtypen des kolorektalen Karzinoms sein, die gegenwärtig vom Colorectal Cancer Subtyping Consortium vorangetrieben wird. Fünf solcher Subtypen wurden im Rahmen des ASCO 2014 präsentiert (1). «Bis anhin sind wir noch nicht in der Lage, diesen Subtypen die diversen verfügbaren Therapien zuzuordnen, aber ich bin überzeugt, dass uns das in Zukunft gelingen wird», sagt van Cutsem. Man werde dann auch beim Kolonkarzinom anhand validierter Biomarker (genetische Signatur oder individueller Marker) den individuellen Patienten und seinen Tumor einer Subgruppe zuordnen, für die eine bestimmte Therapie zur Verfügung stehe. Van Cutsem verweist hier auf das Mammakarzinom, für das bereits vor Jahren ein derartiges Vorgehen vor-
Früherkennung verbessern: Biomarker für das Kolonkarzinom gesucht
Nichts verbessert die Prognose eines kolorektalen Karzinoms so deutlich wie
eine frühe Diagnose. Leider stossen Screeningmassnahmen auf Probleme.
Der Nachweis von Blut im Stuhl ist wenig zuverlässig, und Kolonoskopien im
Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen sind kostspielig, invasiv und finden in
der Bevölkerung nur sehr begrenzte Akzeptanz. «Die Teilnahme an Scree-
ningprogrammen ist in ganz Europa sehr gering, und es gibt kaum Zweifel,
dass das an der Natur der Untersuchung liegt», sagte Dr. med. Antoni Cas-
tells von Hospital Clinic Barcelona im Rahmen der UEGW 2014 in Wien vor
Journalisten. Ein einfacher Blut- oder Stuhltest zur Früherkennung von
Darmkrebs wäre daher ein präventivmedizinischer Traum. Kürzlich präsen-
tierte Daten lassen hoffen, dass dieser Traum in absehbarer Zeit Realität
werden könnte. Zwei molekulare Kandidaten werden gegenwärtig klinisch
getestet, wie Castells erklärte. Hintergrund dieser Entwicklungen ist die
Erforschung von Mustern der DNA-Methylierung sowie der Präsenz von
Mikro-RNA im Rahmen der Entstehung eines Kolonkarzinoms. Bei Patienten
mit kolorektalem Karzinom konnte in kleineren Studien an einem bestimm-
ten Gen (SEPT9, das für Septin 9 kodiert) methylierte DNA nachgewiesen
werden (1). Auch erhöhte Plasmaspiegel sogenannter Mikro-RNA wurden bei
Kolonkarzinompatienten gefunden (2). Mikro-RNA sind kurze, nicht kodie-
rende RNA, die an der Steuerung der Genexpression auf posttranskriptio-
naler Ebene beteiligt sind. Castells: «Beide Ansätze haben sich in kleinen
Studien als gut geeignet erwiesen. Nun müssen sie in grösseren Kohorten
auf ihre Verlässlichkeit überprüft werden.»
reb
Referenzen: 1. Summers T et al. Serum-based DNA methylation biomarkers in colorectal cancer: potential for screening and early detection. J Cancer 2013; 4 (3): 210–216. 2. Giráldez MD et al. Circulating microRNAs as biomarkers of colorectal cancer: results from a genome-wide profiling and validation study. Clin Gastroenterol Hepatol 2013; 11 (6): 681–688.e3
geschlagen wurde, welches zum Teil auch bereits Anwendung findet (2). Van Cutsem: «Heute treffen wir beim metastasierten Kolonkarzinom unsere Entscheidungen anhand der Tumorcharakteristika, der Patientencharakteristika und der Wünsche des Patienten.» Biomarker und genetische Informationen beginnen langsam, in dieses Schema einzufliessen. Bereits klinische Anwendung findet der RAS-Mutations-Status, zumal Tumoren mit Punktmutation des RAS-Gens nicht auf eine AntiEGFR-Therapie ansprechen.
Personalisierung als komplexe Aufgabenstellung Alles in allem wird das Projekt der Personalisierung schwierig. Van Cutsem: «Die Signalwege der Tumorzelle sind extrem komplex, mit zahlreichen gegenseitigen Beeinflussungen. Der Tumor wird nicht von einer einzigen Mutation gesteuert, sondern wir haben es vermutlich mit einer kompletten genetischen Signatur zu tun.» Wie komplex die Sache ist, zeige nicht zuletzt die RAS-Mutation. So konnten mittlerweile neben der bereits in der klinischen Praxis eingesetzten KRASMutation noch andere Mutationen am gleichen Gen identifiziert werden, die ebenfalls Prädiktoren für ein Nichtansprechen auf Anti-EGFR-Therapien sind. Van Cutsem: «Wir erhöhen also die Wahrscheinlichkeit, mit unseren Biologikatherapien das richtige Ziel zu treffen.» Allerdings kostet ein so aufwendiges Vorgehen viel Geld, und die entstehenden Kosten müssen sorgfältig gegen den erreichbaren Nutzen abgewogen werden, wobei gerade eine gezieltere Therapie auch einen kostendämpfenden Effekt hat, weil sie Übertherapie von Patienten vermeidet, bei denen kein Benefit zu erwarten ist (3). In Zukunft werde es, so Van Cutsem, nicht zuletzt auch darauf ankommen, neue Modelle für klinische Studien zu entwickeln, um personalisierte Strategien besser untersuchen zu können.
Reno Barth
Referenzen: 1. Dienstmann R et al. Colorectal Cancer Subtyping Consortium (CRCSC) identification of a consensus of molecular subtypes. J Clin Oncol 32: 5s, 2014 (suppl; abstr 3511). 2. Mallmann MR et al. Prediction and prognosis: impact of gene expression profiling in personalized treatment of breast cancer patients. EPMA J 2010; 1 (3): 421–437. 3. Frank M, Mittendorf T. Influence of pharmacogenomic profiling prior to pharmaceutical treatment in metastatic colorectal cancer on cost effectiveness: a systematic review. Pharmacoeconomics 2013; 31 (3): 215–228.
Quelle: «Advances in the management of colorectal cancer», Vortrag im Rahmen der Opening Plenary Session der 22. UEG-Week vom 18. bis 22. Oktober 2014 in Wien.
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