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Quälender chronischer Juckreiz?
Amerikanischer Pruritusexperte weiss Rat
Chronischer Pruritus beeinträchtigt die Lebensqualität ähnlich stark wie chronischer Schmerz. Wie Schmerzgeplagte verlangen auch Patienten mit chronischem Pruritus nach einer Behandlung, welche den Juckreiz möglichst rasch lindert. In den meisten Fällen richten Antihistaminika gegen chronischen Pruritus nicht viel aus. Was das Leben bei chronischem Pruritus erträglich machen kann, darüber berichtete Prof. Dr. med. Gil Yosipovitch, Wake Forest University Baptist Medical Center, Winston-Salem, NC, USA.
D efinitionsgemäss wird von chronischem Pruritus gesprochen, wenn dieser 6 Wochen oder länger anhält, die Inzidenz steigt mit zunehmendem Alter an. Als mögliche Ursache kommen neben dermatologischen Erkrankungen (z.B. atopische Dermatitis, Psoriasis, Lichen planus, Skabies) auch systemische Erkrankungen (z.B. Cholestase, chronische Niereninsuffizienz, hämatologische und lymphoproliferative Erkrankungen, Hyperthyreose), neuropathische (z.B. Notalgia paraesthetica) und psychogene Erkrankungen (z.B. somatoformer Pruritus) in Betracht. Bei Patienten mit chronischem Pruritus sind Nervenfasern überaktiviert. Sie feuern auch dann, wenn Stimuli einwirken, die normalerweise keinen Juckreiz auslösen (z.B. Temperaturwechsel, Aus- oder
Anziehen des Pyjamas) oder die üblicherweise Juckreiz lindern (z.B. Kratzen). Diese Phänomene von Nervenfasersensibilisierung (sensitization) kommen bei Patienten mit chronischem Pruritus nicht nur peripher (in der Epidermis), sondern auch zentral (Hirnstrukturveränderungen) vor.
Topische Pruritustherapien Bei leichtem oder lokalisiertem Pruritus und bei «Winterjuckreiz» (trockener Haut) reichen manchmal Emollienzien zur Linderung aus. Capsaicin (0,025% bis 0,1%) bewirkt lokal eine Entsensibilisierung peripherer Nervenfasern. Sehr störend ist die brennende Missempfindung, die nach 2 Wochen wieder verschwunden ist. Nur bei Personen, die das Brennen spüren,
«Bei Patienten mit chronischem Pruritus sind Nervenfasern überakti-
viert. Sie feuern auch dann, wenn Stimuli einwirken, die normalerweise
keinen Juckreiz auslösen oder die üblicherweise Juckreiz lindern.»
Abbildung 1: Die atopische Dermatitis ist das klassische Beispiel einer Dermatose, die chronischen Pruritus verursacht. (Foto: Dr. Marguerite Krasovec Rahmann)
spreche der Juckreiz auf Capsaicin an, sagte der Referent. In den USA sprechen Hispanics und Personen chinesischer Abstammung wesentlich besser darauf an als Kaukasier, während Afroamerikaner überhaupt nicht darauf ansprechen. Auch das altbekannte Menthol, das eine Empfindung von Kühle auslöst, wirkt nicht bei allen Patienten mit Pruritus. Es gebe sogar Patienten, bei denen Menthol den Juckreiz verschlimmere, so Yosipovitch. Wenn jedoch ein Patient berichtet, dass kalte Duschen den Juckreiz lindern, kann auch topisches Menthol (z.B. Creme 1% bis 5%) nützlich sein. Allerdings ist die Wirkdauer von Menthol nur kurz, sodass die Applikation in kurzen Abständen wiederholt werden muss. Topische Glukokortikoide können sich bei entzündlichen Dermatosen (z.B. atopisches Ekzem, Psoriasis, Lichen planus) günstig auf chronischen Pruritus auswirken, obschon sie keinen direkten Antiprurituseffekt, dafür aber einen antientzündlichen Effekt haben (1). Auch topische Calcineurininhibitoren (Pimecrolimus, Tacrolimus) lindern den Juckreiz bei entzündlichen Dermatosen (z.B. atopische Dermatitis, Kontaktdermatitis). Der Antiprurituseffekt kommt wahrscheinlich
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Abbildung 2: Patienten mit Psoriasis klagen häufig über quälenden chronischen Pruritus. (Foto: Dr. Marguerite Krasovec Rahmann)
Vielversprechende Juckreizlinderung
Apremilast – ein kleinmolekularer, oraler Hemmstoff der Phosphodiesterase 4 (PDE4) – reduziert den Pruritus rasch und nachhaltig. Das Medikament ist in den USA unter dem Markennamen Otezla® bereits zugelassen zur Behandlung von Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaquepsoriasis. Yosipovitch präsentierte am 23. EADV-Kongress ein Poster zur Wirkung von Apremilast auf den Pruritus (2). Die Auswertung der Resultate der beiden Psoriasisbehandlungsstudien ESTEEM 1 und 2 ergab, dass Apremilast (2-mal täglich 30 mg) den Pruritus bereits innerhalb von 2 Wochen im Vergleich zu Plazebo signifikant besserte. Der Antiprurituseffekt blieb bis zum Ende der Studien (Woche 32) erhalten. Durchschnittlich wurde eine Verminderung des Pruritus von fast 50 Prozent zwischen dem Beginn der Studie (baseline) und der Woche 16 festgestellt (2).
durch Aktivierung des TRPV1-Ionenkanals zustande. Nach wenigen Tagen mit wiederholter Applikation lassen die initialen brennenden Empfindungen nach. Wenn das initiale Brennen auftritt, kann meist im weiteren Behandlungsverlauf mit einem Antiprurituseffekt gerechnet werden. In einer kleinen kontrollierten Studie erwies sich topisches Tacrolimus bei therapieresistentem idiopathischem Pruritus ani als wirksam (1).
Systemische Pruritustherapien Ausser bei Patienten mit Urtikaria sind nicht sedierende H1Antihistaminika bei chronischem Pruritus wenig nützlich, weil Histamin – abgesehen von der Urtikaria – bei der Juckreizentstehung keine wichtige Rolle spielt (1). Der Nutzen sedierender Antihistaminika (z.B. Hydroxyzin), die bei chronischem Pruritus häufig verwendet werden, beruht auf der schlaffördernden Wirkung. Antidepressiva beeinflussen die zentrale Sensibilisierung und reduzieren die Überaktivität der Nervenfasern bei chronischem Pruritus. Der Referent berichtete, dass Mirtazapin – ein Antidepressivum aus der Gruppe der SNRI – bei generalisiertem chronischem Pruritus unter den Antidepressiva am besten wirksam sei, besonders bei nächtli-
chem Juckreiz, der den Schlaf störte (7,5–15 mg vor dem Schlafengehen). Bei Kindern unter 10 Jahren, die an stark juckender atopischer Dermatitis leiden, setzt der Referent nicht Mirtazapin, sondern orale sedierende Antihistaminika ein. Das Antidepressivum Duloxetin, das ebenfalls zentrale Sensibilisierungen reduziere, sei zwar bei neuropathischem Schmerz wirksam, aber nicht bei chronischem Pruritus, so Yosipovitch. Auch die Antikonvulsiva Gabapentin und Pregabalin reduzieren die zentrale Sensibilisierung. Diese Medikamente sollten einschleichend dosiert werden mit Dosissteigerung alle 2 Tage. Bei neuropathischem Pruritus sind relativ hohe Tages-dosen nötig (z.B. bis 3600 mg Gabapentin, aufgeteilt auf 3 Gaben) (1).
Pruritusprävention beim atopischem Ekzem Die gestörte Hautbarriere, die Entzündung und freigesetzte Zytokine lösen Juckreiz und Kratzen aus. Durch Aktivierung der Nervenfasern kann es schon zu Juckreiz kommen, bevor das Ekzem überhaupt sichtbar wird. Zur Pruritusprävention empfahl der Referent: • Kleidung aus weichem Baumwollstoff verwenden; syntheti-
sche Textilien, Wolle und rauhe Stoffe sind ungeeignet, weil sie auf der Haut reiben und reizen. • Nur Waschmittel mit geringem Irritationspotenzial verwenden. • Körperreinigung mit pH-neutralen Produkten; bei zu hohem pH-Wert werden Proteasen aktiviert, die Pruritus auslösen. • Hausstaubmilben bekämpfen. • Fett-feuchte Verbände (wet wraps) reduzieren den Pruritus und stellen die gestörte Hautbarriere wieder her.
Chronischer Pruritus bei Patienten mit Psoriasis Erstaunlicherweise ist Pruritus erst seit 10 Jahren als häufiges Psoriasissymptom anerkannt. Für viele Patienten mit Psoriasis ist der Pruritus ein sehr quälendes Symptom, das schlecht auf Therapien anspricht. Nicht nur bei Psoriasis ist die Kopfhaut besonders empfindlich für Juckreiz. Beim Pruritus der Psoriasis handle es sich um einen völlig anderen Juckreiz als bei demjenigen der atopischen Dermatitis, sagte der Referent. Seine «therapeutische Leiter» beginnt bei Emollienzien und topischen Glukokortikoiden. Dann folgt topische Salicylsäure, die nicht nur keratolytisch wirkt, sondern auch einen Antiprurituseffekt hat. Topisches Capsaicin (in der höheren Konzentration von 0,1%) ist bei Psoriasis (anders als bei atopischer Dermatitis) gut wirksam. Systemisch verwendet der Referent Mirtazapin, Fototherapie und Apremilast (siehe Kasten).
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Yosipovitch G et al. Chronic pruritus. N Engl J Med 2013; 368: 1625–1634. 2. Yosipovitch G et al. Effects of apremilast on pruritus in patients with moderate to severe plaque psoriasis: Results from the ESTEEM 1 and 2 trials. Poster P1682, 23. EADV-Kongress, Amsterdam.
Quelle: Focus Session 05 «How do I treat itch?», 23. Kongress der European Academy of Allergology and Venereology (EADV), Amsterdam, 8. bis 12. Oktober 2014.
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