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Vorteile und Besonderheiten der Inkretinmimetika
Neue Einsatzgebiete, neue Sicherheitsdaten
Grosses Interesse gilt seit einigen Jahren der Gruppe der Inkretinmimetika, synthetischer, langwirksamer Analoga des Hormons GLP-1. Diese werden einerseits verstärkt in Kombination mit Insulin bei schwer einstellbaren Typ-2-Diabetikern eingesetzt, andererseits aber auch in neuen Indikationen untersucht.
B eim Einsatz der Inkretinanaloga geht man zumindest in Studien immer weiter nach vorne im Algorithmus der Diabetestherapie. Eine Substudie der SCALE-Studie mit mehr als 3000 Patienten untersuchte den Einsatz des GLP1Analogons Liraglutide in der gegenwärtig nicht zugelassenen, hohen Dosierung von 3 mg/Tag im Vergleich zu Plazebo in einer Population von übergewichtigen Patienten mit oder ohne Prädiabetes, denen zusätzlich Lifestylemassnahmen angeboten wurden (1).
SCALE: Noch kein manifester Diabetes Zwar erfolgte der Einschluss in die Studie ab einem BMI von 27 kg/m2, wenn zumindest eine Komorbidität vorhanden war, tatsächlich waren die Patienten aber mehrheitlich massiv adipös mit einem durchschnittlichen BMI von 38,3 kg/m2. Mit dem zusätzlichen Lifestyle-Programm (Bewegung und um 500 kcal/Tag reduzierte Diät) wurde in beiden Gruppen eine signifikante Gewichtsreduktion erreicht, die jedoch in der Liraglutide-Gruppe mit durchschnittlich 8 Prozent des Körpergewichts im Vergleich zu 2,6 Prozent unter Plazebo in 56 Wochen wesentlich deutlicher ausfiel.
Metabolische Verbesserung Auch im Hinblick auf die metabolischen Parameter schnitten die Patienten in der Verumgruppe besser ab. Konkret war der Nüchternzucker um 0,38 mmol/l geringer und das HbA1c um 0,23 Prozent reduziert. Von den Patienten, die beim Screening einen Prädiabetes gezeigt hatten, erreichten nach 56 Wochen signifikant mehr unter Liraglutide wieder normoglykämische Werte (69,7% vs. 32,1%). Umgekehrt entwickelte sich bei Patienten mit Normoglykämie beim Screening unter Plazebo signifikant häufiger ein Prädiabetes als unter Liraglutide (19,9% vs. 6,9%). Die Zahl der Patienten, die unter Behandlung einen manifesten Diabetes entwickelten, war unter Liraglutide ebenfalls niedriger, allerdings auch insgesamt in beiden Gruppen sehr gering (14 vs. 4 Ereignisse). Prof. Dr. med. Xavier PiSunyer von der Columbia University, der die Daten im Rahmen des EASD präsentierte, unterstreicht, dass die Senkung der Nüchternglukose rasch erreicht wurde und danach über die gesamten 56 Wochen stabil blieb.
Nach Wechsel auf Plazebo nicht anhaltend Nach diesen 56 Wochen wurde ein Teil der Patienten aus der Liraglutidegruppe in die Plazebogruppe rerandomisiert. Erste Auswertungen zeigen, dass nach insgesamt 68 Wochen Pa-
tienten, die auf Plazebo umgestellt wurden, mehr an Gewicht zunahmen und eher einen Prädiabetes entwickelten als jene, die weiter mit Liraglutide behandelt wurden.
DURATION II: Sicherheitsdaten aus 6 Jahren Follow-Up
Ebenfalls vorgestellt wurden auf dem EASD in Wien die Ergebnisse von Duration II, der GLP-1-Analoga-Studie mit dem bislang längsten Follow-up. Dabei handelt es sich um die Extension einer 30-wöchigen kontrollierten Phase-III-Studie, die für einmal wöchentlich Exenatide im Vergleich zur zweimal täglichen Applikation eine bessere Reduktion des HbA1c (-1,9% vs. -1,5%; p = 0,002) bei vergleichbarer Gewichtsreduktion zeigte (2). Daher erhielten in der zeitlich offenen Extension nun alle Patienten einmal wöchentlich Exenatide. Für die nunmehr publizierten 6-Jahres-Ergebnisse waren noch 127 Patienten verfügbar. Ihre Charakteristika entsprachen weitgehend der ITT-Population. Bei Beginn der Studie lag ihr HbA1c bei 8,2 ± 0,9 Prozent; Nüchternglukose bei 9,22 ± 2,26 mmol/l und das Körpergewicht bei 101 ± 17 kg. Bei den Patienten, die für das Follow-up nicht mehr zur Verfügung standen, war der Grund in den meisten Fällen der Entzug der Zustimmung. Abbrüche wegen Nebenwirkungen (5,8%) oder ärztlicher Entscheidung (5,1%) waren selten. Über die sechsjährige Beobachtungsdauer hatte sich das HbA1c signifikant verbessert, und zwar um 1,6 Prozent (95%-Konfidenzintervall [KI] -1,9 bis -1,4). Den Zielwert eines HbA1c < 7,0 Prozent erreichten 45 Prozent der Patienten, 32 Prozent kamen sogar unter 6,5 Prozent. Darüber hinaus wurden signifikante Verbesserungen der Nüchternglukose und des Körpergewichts beobachtet. Auch die Lipidwerte besserten sich. Und zwar Gesamtcholesterin (-0,28 mmol/l [KI: -0,47 bis -0,09]); LDL-Cholesterin (-0,27 mmol/l [KI: -0,42 bis -0,11]); HDL-Cholesterin (0,06 mmol/l [KI: 0,01 bis 0,12]) und Triglyzeride (-0,67 mmol/l [KI: -1,11 bis -0,24]). Im Wesentlichen wurden diese Verbesserungen in den ersten 30 Wochen erreicht und anschliessend über sechs Jahre konstant gehalten. Übelkeit als häufigste Nebenwirkung trat in den Wochen 0 bis 30 mit einer Häufigkeit von 0,85 Ereignissen pro Patientenjahr auf und nahm dann deutlich ab. Nach Woche 30 kam es nur mehr mit einer Häufigkeit von 0,08 pro Patientenjahr zu Nausea. Auch Pruritus und Erytheme an der Injektionsstelle nahmen mit längerer Behandlungsdauer deutlich ab und wurden schliesslich zu sehr seltenen Ereignissen. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse, die zum Abbruch führten, waren Nausea und Progres-
Diabetes • Dezember 2014 17
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GLP1-Analoga: Künstliche Inkretinhormone gegen die postprandiale Hyperglykämie
Bei der Substanzgruppe der Inkretinmimetika handelt es sich um synthetische Analoga des Inkretinhormons GLP1. Inkretine werden nach oraler Glukoseaufnahme freigesetzt und bewirken eine bedarfsabhängige Insulinsekretion. Der Anteil des Inkretineffektes an der Insulinantwort ist beträchtlich und dürfte beim Gesunden mehr als 50 Prozent ausmachen. Inkretine beeinflussen die Blutzuckerregulation auf mehrfache Weise. Sie hemmen die postprandiale Glucagonfreisetzung, verlangsamen die Magenentleerung und bewirken ein Gefühl der Sättigung. Aufgrund seiner extrem kurzen biologischen Halbwertszeit kann GLP1 unter Alltagsbedingungen nicht appliziert werden, weshalb langwirksame Analoga entwickelt wurden. Die besondere Domäne der Inkretinanaloga ist die Senkung des postprandialen Zuckers. Daher sind sie gute Kombinationspartner für Basalinsulin oder Metformin. Aufgrund ihrer Peptidstruktur müssen Gliptine injiziert werden. Dazu kommen, wie bei Insulin, Fertigpens zum Einsatz.
Literatur: Pratley RE. Overview of Glucagon-like Peptide-1 Analogs and Dipeptidyl Peptidase-4 Inhibitors for Type 2 Diabetes. Medscape J Med, 2008, 10 (7), 171.
sion des Diabetes. Davon waren allerdings nur jeweils zwei Patienten betroffen. Über sechs Jahre kam es zu zwei Fällen von Pankreatitis, einem Pankreaskarzinom und drei Fällen von akutem Nierenversagen. Es trat keine schwere Hypoglykämie auf, leichte Hypoglykämien kamen vor allem bei Patienten vor, die zusätzlich Sulfonylharnstoffe einnahmen. Damit habe Exenatide, so die Autoren, lang anhaltende Wirksamkeit gezeigt, bei einem Sicherheitsprofil, das genau den Erwartungen entsprach.
Dulaglutide zumindest gleichwertig mit Insulin Wenn mit einer Metforminmonotherapie keine ausreichende glykämische Kontrolle mehr erreicht werden kann, ist die Zugabe eines weiteren Antidiabetikums geboten. Häufig kommen in dieser Indikation Sulfonylharnstoffe und später Insulin zum Einsatz, die beide mit Hypoglykämierisiko und Gewichtszunahme verbunden sind. Zu den vielen möglichen Alternativen gehören auch Inkretinmimetika. Im Rahmen der Phase-III-Studie AWARD-2 wurde nun untersucht, wie sich das GLP1-Analogon Dulaglutide (DU) als Alternative zu Insulin glargin bewährt, wenn es in Kombination mit Metformin und dem Sulfonylharnstoff Glimepirid gegeben wird. Die Patienten
waren konsequent eingestellt. Metformin und Glimepirid wurden bis zu den maximal verträglichen Dosen ausgereizt. Die Studie lief über 78 Wochen und war im Hinblick auf den Vergleich Dulaglutide vs. Insulin offen. Doppelt verblindet waren hingegen die beiden eingesetzten Dosierungen des GLP1-Analogons. Insulin wurde auf das Nüchternglukoseziel hin titriert. Die 807 Patienten hatten zu Beginn der Studie ungeachtet der hoch dosierten Therapie ein HbA1c von durchschnittlich 8,1 Prozent sowie einen Durchschnitts-BMI von 31,6 kg/m2 und wurden im Verhältnis 1:1:1 zu einmal wöchentlich DU 1,5 mg, DU 0,75 mg oder der jeweiligen individuellen Dosis Insulin Glargin einmal täglich randomisiert. Das primäre Studienziel war es, die Nicht-Unterlegenheit von DU 1,5 mg im Vergleich zur Insulintherapie nach 52 Wochen zu zeigen. Dieses Ziel wurde mehr als erreicht. Tatsächlich konnte eine Nicht-Unterlegenheit für die niedrigere der beiden Dosierungen von Dulaglutide nachgewiesen werden, während 1,5 mg im Vergleich zu Insulin Glargin überlegen waren. Die mittlere Dosis von Insulin Glargin betrug 29,4 IE. Die Behandlung mit dem Inkretin-Mimetikum zeigte eine Reihe weiterer Vorzüge. Während Patienten unter Inkretintherapie Gewicht verloren, nahmen sie unter Insulintherapie zu. Über 52 Wochen betrug die Rate dokumentierter, symptomatischer Hypoglykämien ( 3,9 mmol/l) 2,0, 2,0 und 3,3 Ereignisse pro Patient und Jahr für die beiden Dulaglutid-Dosierungen und Insulin Glargin. Nach 78 Wochen waren HbA1c, Körpergewicht und Hypoglykämierate im Vergleich zu 52 Wochen unverändert, die mittlere Insulindosis war auf 31,4 IE gestiegen. Insgesamt kam es zu vier schweren Hypoglykämien, zwei unter Dulaglutide 1,5 mg und zwei unter Insulin.
Reno Barth
Referenzen: 1. Pi-Sunyer X et al. Liraglutide 3,0 mg reduces the prevalence of prediabetes and delays onset of type 2 diabetes in overweight/obese adults: the SCALE obesity and prediabetes trial. EASD 2014, Oral Presentation #73. 2. Drucker DJ et al. Exenatide once weekly versus twice daily for the treatment of type 2 diabetes: a randomised, open-label, non-inferiority study. Lancet 2008; 372 (9645): 1240–1250. 3. Klein E et al. DURATION-1 extension: efficacy and tolerability of exenatide once weekly over 6 years in patients with type 2 diabetes mellitus. EASD 2014, Oral Presentation #77. 4. Giorgino F et al. Efficacy and safety of once weekly dulaglutide vs. insulin glargine in combination with metformin and glimepiride in type 2 diabetes patients (AWARD-2). EASD 2014, Oral Presentation #38.
18 Diabetes • Dezember 2014