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Metformin: Immer noch besser
Substanz mit vielen Facetten
Seit der Publikation der UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) im Jahr 1998 ist Metformin die First Line Substanz in der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. Bislang ist es nicht gelungen, für andere orale Antidiabetika einen Mortalitätsvorteil zu zeigen.
M etformin gehört zu jenen wenigen Substanzen, die auch Jahrzehnte nach der Markteinführung noch immer den Goldstandard in der Behandlung einer Erkrankung darstellen – in diesem Fall des Typ-2-Diabetes. Chemisch zählt Metformin zur Gruppe der Biguanide und übt über zum Teil noch nicht vollständig verstandene Mechanismen mehrere in der Diabetestherapie günstige Wirkungen aus. Gesichert ist eine Hemmung der Glukoneogenese in der Leber, die zu einer Senkung der Glukoseproduktion und damit des Nüchternzuckers führt. Metformin bewirkt eine Verbesserung der hepatischen und peripheren Insulinsensitivität. Vermutet wird auch eine Hemmung der Glukoseaufnahme aus dem Darm. Metformin wird seit den 60er Jahren in der DiabetesTherapie eingesetzt. Das Original heisst Glucophage und wurde von der 1991 von Merck übernommenen französischen Firma Lipha entwickelt. Metformin ist das einzige der Bigua-
der Effekt von Metformin dauerhaft ist – deutlich beständiger als Sulfonylharnstoffe, aber nicht ganz so beständig wie das mittlerweile wegen Nebenwirkungen vom Markt genommene Rosiglitazon (2). Die Studie, die Metformin schliesslich zur First Line beim Diabetes mellitus Typ 2 machte, heisst UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) und wurde 1998 im Rahmen des EASD präsentiert. Lebovitz: «Ich kann mich noch gut daran erinnern. Und bis heute hat sich an der Relevanz dieser Daten nichts geändert.»
Weniger Mortalität im Vergleich zu Insulin und Sulfonylharnstoffen UKPDS zeigte für Metformin in einem Kollektiv übergewichtiger Typ-2-Diabetiker Vorteile hinsichtlich aller relevanten Endpunkte, inklusive Herzinfarkt, Schlaganfall und Mortalität. Und zwar nicht nur im Vergleich zur Lifestyle-Intervention,
«Metformin ist eine erstaunliche Substanz. Jedes Mal, wenn sich
jemand seine Besonderheiten ansieht, kommen neue spannende
Ergebnisse heraus.»
nide, das über so lange Zeit im Einsatz geblieben ist. Während die Substanz über mehr als 20 Jahre ein europäisches und insbesondere französisches Phänomen blieb, ging es in den 1990er Jahren erst richtig los mit der Forschung. Prof. Dr. med. Harold Lebovitz vom State University of New York Health Science Center in Brooklyn weist auf die Arbeiten der Metformin Study Group hin, die für die Monotherapie eindrucksvolle Senkungen des HbA1c im Vergleich zu Plazebo zeigten (1). Lebovitz: «Diese Studie hat uns gezeigt, was wir heute alle wissen. Mit Metformin wurde das HbA1c um rund 1,4 Prozent reduziert.» Mittlerweile hat die ADOPT-Studie mit einem Beobachtungszeitraum von fünf Jahren gezeigt, dass
Abbildung: Metformin-Formulae
sondern auch gegenüber Sulfonylharnstoffen und Insulin (3). Damit ist Metformin die einzige Substanz, für die in der Therapie des Typ-2-Diabetes jemals ein Mortalitätsvorteil gezeigt werden konnte. Lebovitz: «Woran sich heute nicht mehr alle erinnern können, ist, dass in UKPDS Metformin im Hinblick auf die glykämische Kontrolle nicht wirksamer war als Insulin oder Sulfonylharnstoffe. Dennoch war der Vorteil bei den Todesfällen und den Myokardinfarkten signifikant. Was man auch beachten muss, ist, dass die Mortalitätskurven erst nach circa sechs Jahren auseinanderdriften. Das wurde bei der Planung jener Studien übersehen, die heute zur Kritik an Metformin herangezogen werden. Offenbar hat Metformin also Wirkungen, die über die reine Zuckersenkung hinausgehen. Der offensichtlichste Effekt ist jener auf das Körpergewicht. So nahmen in UKPDS Metformin-Patienten über 12 Jahre nur minimal zu, während es in den Insulin- und SulfonylharnstoffGruppen zu sehr deutlicher Gewichtszunahme kam. In der Praxis ist Metformin zumindest gewichtsneutral oder führt sogar zu einer leichten Gewichtsreduktion.» Seit dieser Zeit haben zahlreiche Studien die Vorzüge von Metformin sowohl in der
22 Diabetes • Dezember 2014
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Monotherapie als auch in Kombination mit anderen oralen Antidiabetika oder Insulin bestätigt. Lebovitz: «Leider hat man sich dabei ganz auf das HbA1c konzentriert. Und es fehlt an randomisierten, kontrollierten Studien. Keine harten Endpunkte zu untersuchen, ist heutzutage völlig inadäquat.» Eine der besten Studien, die nach UKPDS gemacht wurden, war die HOME-Studie, die untersuchte, was geschieht, wenn man Metformin zu einer Insulintherapie bei Typ-2-Diabetikern hinzufügt. Primärer Endpunkt waren vaskuläre Komplikationen, sekundärer Endpunkt makrovaskuläre Ereignisse. Hinsichtlich des sekundären Endpunkts erwies sich Metformin dabei mit einer Hazard Ratio von 0,61 als signifikant überlegen. Das bedeutet, dass 16 Patienten mit Metformin behandelt werden müssen, um ein makrovaskuläres Ereignis zu verhindern (4). Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Beobachtungsstudien. Diese sind allerdings, so Lebovitz, nur geeignet, Hypothesen zu generieren, die es dann in einem randomisierten, kontrollierten Setting zu untersuchen gilt. Zu diesen retrospektiven Untersuchungen zählt das REACHRegister mit Diabetespatienten, die bereits kardiovaskuläre Ereignisse hinter sich hatten. Die Ergebnisse sind zwar retrospektiv, aber spektakulär: Patienten, die Metformin bekamen, zeigten im Vergleich zu allen anderen Therapien eine um rund 50 Prozent reduzierte Mortalität (5). Ein britisches Register mit mehr als 20 000 Patienten weist in eine ähnliche Richtung und fand unter Sulfonylharnstoffen im Vergleich zu Metformin eine um gut 50 Prozent erhöhte Mortalität (6). Derartige Resultate fanden sich, so Lebovitz, quer durch die Register.
Hypoglykämien bedeuten Herz-Kreislauf-Risiko Offen sei allerdings die Frage, ob Metformin tatsächlich Mortalität reduziert oder ob die anderen oralen Antidiabetika die Mortalität erhöhen. Eine ganz rezente Registeranalyse liefert einen interessanten Ansatz zu dieser Frage. Und zwar wurden Diabetiker unter Metformin- beziehungsweise Sulfonylharnstoff-Therapie mit gesunden Kontrollen verglichen. Dabei unterschieden sich die Metformin-Patienten hinsichtlich ihrer Mortalität über fünf Jahre nicht von den gesunden Kontrollen, während Diabetiker unter Sulfonylharnstoff ein signifikant höheres Risiko hatten zu versterben (7). Allerdings fand eine kürzliche Metaanalyse aller randomisierten, kontrollierten Studien zu Metformin keinen Überlebensvorteil (8). Lebovitz: «Das liegt daran, dass man hier Arbeiten verwertet hat, die Aussagen zu Mortalität nicht ermöglichen. In sechs der elf Studien, die in diese Analyse eingeflossen sind, lag die Gesamtmortalität bei weniger als drei Patienten. So kommt man natürlich nicht zu sinnvollen Aussagen. Wenn man eine Metaanalyse machen will, braucht man mindestens fünf gut und ähnlich designte Studien.» Nicht zuletzt weist Lebovitz auch darauf hin, dass Metformin Wirkungen hat, die über die Behandlung eines manifesten Typ-2-Diabetes hinausgehen. So konnte bei übergewichtigen Risiko-Patienten die Entwicklung eines Diabetes hinausgezögert werden. «Metformin war dabei nicht so gut wie eine Lebensstiländerung, aber durchaus wirksam. Der Schlüssel zu diesen Resultaten dürfte die Gewichtsreduktion sein.» Ein weiterer Vorteil von Metformin liegt im minimalen Risiko von Hypoglykämien. Lebovitz: «Wir wissen aus zahlreichen Arbeiten, dass Patienten, die schwere Hypoglykämien haben,
Legende: Diabetesassoziierte Todesfälle in der UKPDS-Studie. In der UKPDS-Studie war die Mortalität unter Metformin langfristig geringer als unter konventioneller oder intensiver Therapie (nach 1).
ein höheres kardiovaskuläres Risiko zeigen und früher sterben. Das wurde zum Beispiel in der Studie ADVANCE gezeigt (9). Aus diesem Grund setze ich Medikamente, die Hypoglykämien erzeugen können, möglichst spät im Krankheitsverlauf ein. Metformin ist eine erstaunliche Substanz. Jedes Mal, wenn sich jemand seine Besonderheiten ansieht, kommen neue spannende Ergebnisse heraus.» Diskutiert wird gegenwärtig auch eine Rolle in der Karzinomprävention.
Reno Barth
Literatur: 1. DeFronzo RA, Goodman AM. Efficacy of metformin in patients with non-insulin-dependent diabetes mellitus. The Multicenter Metformin Study Group. N Engl J Med. 1995; 333 (9): 541–549. 2. Kahn SE et al. Glycemic durability of rosiglitazone, metformin, or glyburide monotherapy. N Engl J Med. 2006; 355 (23): 2427–2443. 3. UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Effect of intensive blood-glucose control with metformin on complications in overweight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34). Lancet. 1998; 352 (9131): 854–865. 4. Kooy A et al. Long-term effects of metformin on metabolism and microvascular and macrovascular disease in patients with type 2 diabetes mellitus. Arch Intern Med. 2009; 169 (6): 616–625. 5. Roussel R et al. Metformin use and mortality among patients with diabetes and atherothrombosis. Arch Intern Med. 2010; 170 (21): 1892–1899. 6. Pantalone KM et al. Increase in overall mortality risk in patients with type 2 diabetes receiving glipizide, glyburide or glimepiride monotherapy versus metformin: a retrospective analysis. Diabetes Obes Metab. 2012; 14 (9): 803–809. 7. Bannister CA et al. Can people with type 2 diabetes live longer than those without? A comparison of mortality in people initiated with metformin or sulphonylurea monotherapy and matched, non-diabetic controls. Diabetes Obes Metab. 2014; 16 (11): 1165–1173. 8. Boussageon R et al. Reappraisal of metformin efficacy in the treatment of type 2 diabetes: a meta-analysis of randomised controlled trials. PLoS Med. 2012; 9(4): e1001204. 9. Zoungas S et al. Severe hypoglycemia and risks of vascular events and death. N Engl J Med. 2010; 363 (15): 1410–1418.
Quelle: «The evidence for metformin is overwhelming», Oral Presentation #1413, EASD 2014 vom 15. bis 19. September in Wien.
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