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Kongressnotizen
Länger und besser Leben mit Pumpe
I m Rahmen des EASD-Kongresses in Wien wurden gute Daten für den Einsatz von Insulinpumpen aus mehreren Studien vorgestellt. Am verblüffendsten waren dabei die Ergebnisse einer Auswertung des schwedischen Diabetes-Registers. Sie zeigen für Typ1-Diabetiker ein um 29 Prozent geringeres Mortalitätsrisiko, wenn diese statt der mehrfachen täglichen Injektionen eine Pumpe verwenden. Das Risiko, einen kardiovaskulären Tod zu sterben, war sogar um 43 Prozent reduziert. In die retrospektive Studie gingen Daten von 18 000 Patienten ein, von denen rund 2500 mit Pumpe behandelt wurden. Die Beobachtungsdauer lag durchschnittlich bei knapp 7 Jahren. Da es sich bei den Pumpennutzern zweifellos um eine selektierte Population handelt, wurde mittels Propensity
Score Matching möglichst gut für Covariable korrigiert. Die Gründe für das bessere Abschneiden sind unklar. Dr. med. Sofia Gudbjornsdottir, die die Daten in Wien präsentierte, betonte, dass die glykämische Kontrolle bei den Pumpenpatienten nicht besser war. Sie vermutet, dass die ausführliche Schulung und die enge Bindung des Pumpennutzers zu Arzt oder Zentrum zu den besseren Ergebnissen beitragen. Eine weitere im Rahmen des EASD vorgestellte Studie untersuchte die Auswirkungen einer Insulinpumpentherapie auf die Lebensqualität von Typ-2-Diabetikern. Die randomisierte, kontrollierte OpT2mise-Studie mit 331 Teilnehmern im Alter zwischen 30 und 75 Jahren zeigte, dass Patienten mit Insulinpumpen eine durchschnittliche HbA1c-
Reduktion von 1,1 Prozent erreichten, ge-
genüber einer Abnahme von 0,4 Prozent bei
Patienten, die mehrfach täglich Insulin inji-
zierten. Diese Verbesserung bei der Blutzu-
ckereinstellung mittels Insulinpumpe wurde
ohne Episoden schwerer Hypoglykämie er-
reicht. Auch die Behandlungszufriedenheit
war unter Pumpentherapie höher.
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Quellen: Gudbjornsdottir S. «Insulin pumps (CSII) and cardiovascular diseases and mortality in the Swedish national diabetes register». Oral Presentation #196. Aronson R. «OpT2mise Study: The Impact of Insulin Pump Therapy on Treatment Satisfaction and Resource Utilization in Patients with Type 2 Diabetes». Poster Präsentation Nr. 1009. EASD 2014 vom 15. bis 19. September in Wien.
Was Typ-2-Diabetes mit Alzheimer zu tun hat
Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko, an Morbus Alzheimer und anderen Demenzen zu erkranken. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass dies nicht nur an der demenzfördernden Wirkung kardiovaskulärer Risikofaktoren liegen dürfte. Vielmehr scheint es pathophysiologische Parallelen zwischen den beiden Erkrankungen zu geben. Ein Bindeglied ist die Bildung von Amyloid, das sich im Rahmen des Typ-2Diabetes bei Betazellverlust in den Inseln ablagert – mit offensichtlichen Parallelen zum Morbus Alzheimer, bei dem Amyloid in sterbenden Neuronen aggregiert. Die Forschung der vergangenen Jahre habe gezeigt,
so Prof. Dr. med. Amar Abderrahmani von der Universität Lille in Frankreich, dass es zwischen Alzheimer- und Diabetespathologie viele Gemeinsamkeiten gebe. So spielt der «RE-1 element Silencing transcription factor» (REST) eine wichtige Rolle für die bei Morbus Alzheimer beobachtete Neurotoxizität. Neue Daten weisen nun darauf hin, dass REST auch mit der Betazellpathologie bei Typ-2-Diabetes zu tun haben könnte. Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Erkrankungen stellt ein Protein namens JIP-1 dar, das gemeinsam mit Amyloidplaques in den Gehirnen von Alzheimer-Patienten gefunden wird, aber auch in der Betazelle auftritt. «Va-
rianten und Mutationen des Gens, das für JIP-1 kodiert, stehen auch mit verschiedenen Formen von Diabetes mellitus in Verbindung», sagte Abderrahmani. Abnehmende JIP-1-Expression trägt zu verminderter Insulinproduktion und Betazellverlust infolge von proinflammatorischen Zytokinen und Umweltfaktoren bei. Wird im Mausmodell REST in Betazellen eingebracht, führt das zu vergleichbaren Effekten wie der Verlust der JIP-1-Expression und letztlich zu Diabetes.
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Quelle: Abderrahmani A: «Similarities between beta cells and neurons». Oral Presentation #1352. EASD 2014 vom 15. bis 19. September in Wien.
Metabolisches Risiko durch Darmbakterien
Das Darmmikrobiom wird seit einiger Zeit mit der Entstehung von Übergewicht und Diabetes mellitus Typ 2 in Verbindung gebracht. Unklar ist freilich, ob und wie Interventionen bei der mikrobiellen Besiedelung des Dickdarms ansetzen können. Die 1013 bis 1014 Mikroorganismen, die den menschlichen Verdauungstrakt bewohnen, gehören zu 400 bis 600 verschiedenen Spezies – überwiegend Anaerobiern. Rund eine halbe Million Bakteriengene stehen den 23 000 Genen des Wirtes Homo sapiens gegenüber. «Eine Imbalance der intestinalen
Flora – auch Dysbiose genannt – wurde im Rahmen zahlreicher Erkrankungen nachgewiesen. Das Spektrum reicht von metabolischen über kardiovaskuläre bis zu immuno-inflammatorischen Krankheiten.» Untersuchungen des Metagenoms, also des Gesamtgenoms der Darmflora, haben gezeigt, dass eine eingeschränkte Diversität der Darmbakterien mit Morbidität assoziiert sein dürfte. Untersuchungen der Gruppe um Prof. Dr. med. Karine Clément, INSERM, Paris, haben gezeigt, dass adipöse Menschen mit geringer Diversität der Darmflora mehr
Risikofaktoren wie systemische Inflamma-
tion aufweisen als Adipöse mit artenreiche-
rer Besiedlung des Darms. Bei diätetischen
Interventionen wurde bei Ersteren auch nur
eine relativ geringe Beeinflussung der Risi-
kofaktoren erreicht. Das Darmmikrobiom
könnte also ein Marker für die Chancen einer
Lifestyleintervention sein.
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Quelle: Clement K. «Gut microbiota after bariatric surgery and dietary interventions». Oral Presentation #1365. EASD 2014 vom 15. bis 19. September in Wien.
2 Diabetes • Dezember 2014
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Kongressnotizen
Hypoglykämien sind häufiger als angenommen
I m Rahmen der HAT-Studie, in die die Daten von 27 585 Typ-1- und Typ-2-Diabetikern eingingen, wurde das Hypoglykämierisiko unter Insulintherapie erhoben. Das Ergebnis wurde von den Autoren als überraschend und erschreckend eingestuft: Unter praxisnahen Bedingungen berichteten 80 Prozent der Patienten von einer Hypoglykämie im vergangenen Monat. Rund 83 Prozent der Typ-1-Diabetiker und rund 51 Prozent der Typ-2-Diabetiker gaben solche Episoden in den vier Wochen vor Erhalt der Fragebögen an. Über das Jahr berechnet kam
man auf fast wöchentliche Hypoglykämien bei Typ-1-Zuckerkranken und immerhin noch durchschnittlich 16,5 Episoden pro Jahr bei Typ-2-Zuckerkranken. Jeder 7. Typ-1-Diabetiker berichtete von einer schweren Hypoglykämie, bei den Typ-2-Diabetikern waren es 8,9 Prozent. Auch die gefürchteten nächtlichen Hypoglykämien waren mit 40,6 beziehungsweise 15,9 Prozent sehr häufig. Generell wird angenommen, dass das Risiko mit aggressiver Zuckereinstellung steigt. Diese Annahme wurde in HAT allerdings nicht bestätigt. Die Studie zeigte keine Korrelation
zwischen dem HbA1c und dem Hypoglykämierisiko. Allerdings war die Diabetesdauer – nicht jedoch das Alter – mit der Gefahr von Unterzuckerung assoziiert. Frauen hatten ein höheres Hypoglykämierisiko als Männer. reb
Quelle: Khunti K. «Self-reported hypoglycaemia: a global study of 24 countries with 27,585 insulintreated patients with diabetes: the HAT study». ePoster #481, EASD 2014 vom 15. bis 19. September in Wien.
Britische Forscher planen neue Metforminstudie
M etformin ist seit mehr als 50 Jahren im Einsatz und seit der Publikation der UKPDS-Studie Erstlinientherapie bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern. Seit UKPDS wurden jedoch keine weiteren randomisierten, kontrollierten Studien mit Metformin mehr durchgeführt. Das soll sich nun ändern, denn Prof. Dr. med. Rury Holman von der Universität Oxford und weitere britische Diabetologen planen eine Studie namens GLINT, die in einem Kollektiv von fast 12 000 Patienten mit Prädiabetes die Wirksamkeit von Metformin auf das kardiovaskuläre Risiko untersuchen soll. Das Prä-
diabetes-Setting wurde gewählt, weil die First-Line-Therapie Metformin in einer diabetischen Population aus ethischen Gründen nicht mehr mit Plazebo verglichen werden kann. Die Patienten in GLINT werden über 40 Jahre alt sein und ein erhöhtes Diabetesrisiko sowie ein kardiovaskuläres 10-JahresRisiko von mindestens 20 Prozent aufweisen. GLINT ist geplant als doppelblinder Vergleich von Metformin und Plazebo mit einem primären kombinierten Endpunkt von kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Myokardinfarkt und nicht tödlichem Schlaganfall. Zu den sekundären Endpunkten zählt neben
der Diabetesinzidenz auch das Auftreten von
Karzinomen. Letzteres soll Klarheit hinsicht-
lich einer möglichen Karzinomprävention mit
Metformin bringen. GLINT soll die Resultate
mehrerer retrospektiver Studien in prädiabe-
tischen Populationen, wie zum Beispiel des
2002 publizierten Diabetes Prevention Pro-
grams, in einem kontrollierten Setting be-
stätigen. Erste Ergebnisse werden für 2022
erwartet.
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Quelle: Pressekonferenz, EASD 2014 vom 15. bis 19. September in Wien.
Auch an mörderisches Insulin denken!
Hypoglykämien können tödlich verlaufen. Und das ist keineswegs immer unbeabsichtigt, wie Prof. Dr. med. Vincent Marks von der University of Surrey, UK, im Rahmen des EASD 2014 ausführte. Hohe Insulindosen werden aus den unterschiedlichsten Gründen selbst- oder fremdappliziert. Suizidversuche mit Insulin sind dokumentiert (allerdings nur selten erfolgreich), ebenso wie Mordversuche und erfolgreiche Morde. Wobei Insulin für einen Anschlag auf einen Gesunden wenig geeignet ist, da es unzuverlässig wirkt und leicht im Labor nachzuweisen ist. Solche Anschläge fänden sich, so Marks, eher in Kriminalromanen als in der realen gerichtsmedizinischen Praxis.
Fälle von Münchhausen-Syndrom sind dokumentiert. Und zwar sowohl von Patienten, die sich mit hohen Insulindosen immer wieder selbst in die Notaufnahme bringen, als auch von Pflegepersonen, die ihnen anvertraute Kranke oder Kinder in einem Zustand der Abhängigkeit halten wollen. Bei Personen mit Hypoglykämien unbekannter Ursache sollte daher immer an die Injektion von Insulin oder Insulinanaloga gedacht werden, auch wenn es sich nicht um Diabetiker handelt. Die häufigste Tätergruppe stellen, so Marks, Krankenschwestern dar. Bei Personen mit Symptomen einer schweren Hypoglykämie unbekannter Ursache sollten daher Blut- und Urinproben genommen und bei Be-
darf auf Glukose, Betahydroxybutyrat, Insulin und Analoga, C-Peptid, Proinsulin, Sulfonylharnstoffe und gegenregulatorische Hormone untersucht werden. Zu den gezielten Angriffen mit Insulin kommt noch ein weiterer, kaum bekannter Problembereich: der Missbrauch von Insulin. Die durch eine Hypoglykämie provozierte starke Adrenalinausschüttung wird von manchen Personen offenbar als stimulierend empfunden. reb
Marks V. «Factitious and forensic hypoglycaemia».Oral Presentation #1343. EASD 2014 vom 15. bis 19. September in Wien.
4 Diabetes • Dezember 2014