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Die SGLT2-Inhibitoren bewähren sich in der Praxis
Günstige Effekte auf Gewicht und Blutdruck
Die neue Substanzgruppe der SGLT2-Inhibitoren stellt nicht nur eine neue Option in der Diabetestherapie dar, sondern basiert auch auf einem Wirkprinzip, das sie grundlegend von allen anderen Antidiabetika unterscheidet. Im Rahmen des EASD-Kongresses in Wien wurden Übersichtsarbeiten und aktuelle Outcome-Studien zu dieser neuen Option in der Diabetestherapie vorgestellt.
S GLT2-Inhibitoren senken die Nierenschwelle für Glukose und fördern damit die Glukoseausscheidung mit dem Harn. Das führt zu verbesserter glykämischer Kontrolle und Gewichtsreduktion. In Diskussion sind eine Blutdrucksenkung aufgrund des diuretischen Effekts sowie eine nephroprotektive Wirkung. Prof. Dr. med. Apostolos Tsapas präsentierte im Rahmen des EASD 2014 einen eigens zum Anlass dieses Kongresses erstellten und damit ganz aktuellen Review (1) – der auf zwei publizierten Metaanalysen (2, 3) und einer zusätzlichen Literatursuche beruht – zur Wirksamkeit und Sicherheit dieser Substanzgruppe. Insgesamt gingen in die Studien Daten von 22 000 Patienten ein, wobei bei 15 000 gegen Plazebo und bei 7000 gegen andere aktive Substanzen verglichen wurde. Die Auswertung zeigte eine signifikante Reduktion des HbA1c durch SGLT2-Inhibitoren sowohl in der Monotherapie als auch als Add-on zu anderen Therapien, wobei der Effekt der Monotherapie mit 0,8 Prozent grösser war als der des Add-on mit 0,69 Prozent. Das Risiko von Hypoglykämien war – angesichts des insulinunabhängigen Wirkmechanismus erwartungsgemäss – lediglich minimal erhöht. Bestätigt wurde in der Metaanalyse auch der günstige Effekt auf das Körpergewicht. Im Schnitt wurde in den diversen Studien eine Gewichtsreduktion in der Grössenordnung von etwa zwei Kilo beobachtet. Auch eine Blutdruckreduktion unter Behandlung mit SGLT2-Inhibitoren findet sich in den Resultaten der Metaanalyse. Der Effekt ist zwar mit etwas über 4 mmHg systolisch relativ bescheiden, dafür aber hochsignifikant und konsistent. Die Senkung des diastolischen Blutdrucks lag bei ebenfalls signifikanten 2 mmHg. Tsapas weist auch auf Studien mit Dapaglifozin und Empaglifozin (4, 5) hin, die einen günstigen Effekt auf die in der 24-Stunden-Blutdruckmessung gefundenen Werte zeigen. Für Dapaglifozin wurde auch ein additiver Effekt in Verbindung mit verschiedenen Antihypertensiva nachgewiesen (6).
Cholesterinanstieg mit unbekannten Konsequenzen Aus bislang unbekannten Gründen zeigte sich unter Behandlung mit allen untersuchten SGLT2-Inhibitoren ein geringer, aber signifikanter Anstieg des LDL- und Gesamtcholesterins, bei gleichzeitigem leichtem Abfallen der Triglyzeride. Tsapas: «Die klinische Signifikanz dieses Effekts können wir derzeit
noch nicht einschätzen.» Bedingt durch die Glukosurie kommt es unter Therapie mit SGLT2-Inhibitoren vermehrt zu Harnwegsinfekten. In der Metaanalyse war das Risiko im Vergleich zu Plazebo insgesamt um den Faktor 1,21 erhöht. Tsapas unterstreicht jedoch, dass es sich vor allem um leichte Infektionen handelte und Pyelonephritiden in den Studien unter dem Verum nicht häufiger auftraten als unter Plazebo. Deutlich, nämlich beinahe um den Faktor vier, erhöht traten unter SGLT2-Inhibition sowohl bei Frauen als auch bei Männern Infektionen des Genitaltraktes auf.
Auswirkung auf die Nierenfunktion unterschiedlich Von hohem Interesse für zukünftige Forschung dürfte die Wirkung der SGLT2-Inhibition auf die Nierenfunktion sein. Tsapas weist auf einen leichten und reversiblen Rückgang der Nierenfunktion im Sinne eines leichten, reversiblen Kreatininanstiegs zu Beginn der Therapie hin, der bei manchen Patienten beobachtet wird. Verschiebungen des Elektrolythaushalts sind (vermutlich durch den diuretischen Effekt der Substanzen) möglich und treten besonders bei Patienten auf, die auch Diuretika zur Blutdrucksenkung einnehmen. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion nimmt die Wirkung der SGLT2-Inhibitoren ab. Tsapas verweist auf eine gemischte Datenlage zu den verschiedenen verfügbaren Substanzen. So verliert Dapaglifozin bei einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) unter 60 seine Wirkung und ist daher bei niereninsuffizienten Patienten nicht zu empfehlen (7). Das scheint für Canaglifozin nicht im selben Mass
SGLT2-Inhibitoren bei Typ-1-Diabetes?
Ein völlig neues Anwendungsgebiet für die SGLT2-Inhibitoren könnte ihr Einsatz bei Typ-1-Diabetes als zusätzliche Therapie zu Insulin werden. Der insulinunabhängige Wirkmechanismus könnte die Chance eröffnen, Blutzuckerspitzen zu reduzieren, ohne das Risiko von Hypoglykämien zu erhöhen. Tsapas verweist auf zwei Proof-of-concept-Studien, in denen ein solches Vorgehen untersucht wurde und die eine Senkung des HbA1c und/oder signifikante Reduktion der täglichen Insulindosis zeigen. Gegenwärtig laufen mehrere grosse klinische Studien mit verschiedenen SGLT2-Inhibitoren bei Typ-1-Diabetes.
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zu gelten (8), weshalb hier die Therapie – so Tsapas – bei einer eGFR unter 60 zwar nicht begonnen werden soll, jedoch weitergeführt werden kann, wenn sich die Nierenfunktion eines Patienten unter Therapie so weit verschlechtert, dass die eGFR unter 60 fällt. Auch Empaglifozin hat sich bei glomerulären Filtrationsraten zwischen 30 und 60 als wirksam erwiesen (9) und kann ebenso eingesetzt werden wie Canaglifozin.
Vergleich mit anderen oralen Antidiabetika Mangels Head-to-head-Studien sind Vergleiche zwischen den verschiedenen Vertretern der Gruppe nur schwer anzustellen. Sehr wohl verfügbar sind randomisierte Vergleiche mit anderen oralen Antidiabetika. So erwiesen sich SGLT2-Inhibitoren im Vergleich zu Metformin im Hinblick auf die HbA1c-Senkung als gleichwertig, bei geringerem Risiko von Hypoglykämien, einem günstigen Effekt auf den Blutdruck und einer deutlicheren Gewichtsreduktion. SGLT2-Inhibitoren sind als Monotherapie jedoch nur dann indiziert, wenn Metformin kontraindiziert ist oder nicht vertragen wird. Vergleichsstudien mit Sulfonylharnstoffen (jeweils als Add-on zu Metformin) zeigen ebenfalls Gleichwertigkeit im Hinblick auf die glykämische Kontrolle, dazu aber eine deutliche Reduktion des Körpergewichts in der Grössenordnung von fünf Kilogramm, eine massive Senkung des Hypoglykämierisikos sowie einen günstigen Effekt auf den Blutdruck. Im Vergleich zu Sitagliptin schnitten die SGLT2-Inhibitoren gleichwertig im Hinblick auf HbA1c und Hypoglykämierisiko ab, senkten jedoch das Körpergewicht um rund zwei Kilo und reduzierten auch den systolischen Blutdruck um zirka 4 mmHg.
Tsapas ging auch auf die Sorge ein, die vor einiger Zeit hinsichtlich einer möglichen Erhöhung des Malignomrisikos unter Therapie mit SGLT2-Inhibitoren geäussert wurde. Tatsächlich traten bei Patienten, die in Studien SGLT2-Inhibitoren erhielten, Blasen- und Brustkrebs häufiger auf als bei Plazebopatienten. Allerdings handelt es sich um so geringe Fallzahlen (10 Patienten mit Blasenkrebs in 21 Studien zu Dapaglifozin), dass eine Bewertung der Daten schwierig und ein detection bias gut möglich sei.
Neue Outcome-Studien zu den SGLT2-Inhibitoren Im Rahmen des EASD-Kongresses 2014 wurden zu mehreren Vertretern dieser Substanzgruppe wichtige Studien vorgestellt. Dabei ging es in erster Linie um zwei Fragestellungen, nämlich einmal um Langzeiterfahrungen mit der Standardkombination eines SGLT2-Inhibitors mit Metformin, und zum zweiten um neue Kombinationsmöglichkeiten, insbesondere zwischen Metformin, einem SGLT2-Inhibitor und einer Inkretin-basierten Therapie. Langzeiterfahrung: Für den Einsatz von Canaglifozion (CANA) bei älteren Patienten liegen mittlerweile Zweijahresdaten vor. Sie zeigen, dass es über 104 Wochen zu einer kontinuierlichen Senkung von HbA1c um 0,32 beziehungsweise 0,43 Prozent (CANA 100 bzw. 300 mg) sowie der Nüchternglukose führt. Über diese lange Behandlungszeit erlebten fast alle Patienten irgendeine Art von Nebenwirkung (88,0% vs. 89,8% und 86,1 unter CANA 100 bzw. 300 mg sowie Plazebo). Auch Gewichtsund Blutdruckreduktion sowie eine leichte Erhöhung von Gesamt- und LDL-Cholesterin entsprachen den Erwartungen.
SGLT2-Inhibitoren: Glukose über die Niere eliminieren
Die Nieren spielen eine entscheidende Rolle in der Glukosehomöostase, die wesentlich durch die renalen Prozesse der Filtration und Rückresorption sichergestellt wird. Die Nieren filtern täglich rund 180 Gramm Glukose aus dem Harn, die annähernd vollständig ins Blut rückresorbiert werden. Die renale Glukoserückresorption erfolgt durch die Natrium-Glukose-Cotransporter SGLT 1 und SGLT2, die sich im proximalen Tubulus des Nephrons befinden.
SGLT2 befindet sich weiter proximal im Tubulus und ist hauptsächlich für die Rückresorption der gefilterten Glukose in den Nieren verantwortlich. Weiter unten, gegen Ende des Tubulus, sitzen die SGLT1-Transporter, welche die Rückresorption der verbliebenen Glukose übernehmen. Gelangt mehr Glukose in den Harn als renal resorbiert werden kann, kommt es zur Glukosurie – die überschüssige Glukose wird mit dem Harn ausgeschieden. Beim Gesunden ist die Uringlukose-Exkretion minimal.
Die SGLT2-Inhibitoren verhindern die Rückresorption der gefilterten Glukose durch den SGLT2-Transporter, was die vermehrte Ausscheidung von Glukose mit dem Urin bewirkt. Die Hemmung von SGLT2 führt damit zu einer Erhöhung der Uringlukose-Exkretion, die zu einer Senkung des Plasma-Glukosespiegels bei Diabetikern genützt werden kann.
Nomura S et al. Discovery of canagliflozin, a novel C-glucoside with thiophene ring, as sodium-dependent glucose cotransporter 2 inhibitor for the treatment of type 2 diabetes mellitus. J Med Chem 2010; 53 (17): 6355–6360. Zur Verfügung gestellt von der Janssen-Cilag AG
Literatur zum Thema: 1.Triplitt CL. Understanding the kidneys' role in glucose regulation. Am J Manag Care. 2012; 18 (suppl 1): S11–S16. 2. Gerich JE. Role of the kidney in normal glucose homeostasis and in the hyperglycaemia of diabetes mellitus: therapeutic implications. Diabet Med. 2010; 27 (2): 136–142. 3. Bailey CJ. Renal glucose reabsorption inhibitors to treat diabetes. Trends Pharmacol Sci. 2011; 32 (2): 63–71.
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Nach zwei Jahren betrug die Gewichtsdifferenz zwischen den Verum- und Plazebopatienten im Durchschnitt 2,3 kg und 3,8 kg (CANA 100 bzw. 300 mg) (10).
Kombinationstherapie: In Wien wurden auch neue Daten zur Wirksamkeit eines SGLT2-Inhibitors in Kombination mit Metformin und einem DPP4-Inhibitor vorgestellt. Konkret wurde vor dem Hintergrund einer Metformintherapie die Kombination von Saxagliptin (SAXA) und Dapagliflozin (DAPA) mit den jeweiligen Einzelsubstanzen in Kombination mit Plazebo über 24 Wochen hinweg verglichen. Die mit einem HbA1c ≥ 8,0 Prozent und ≤ 12,0 Prozent schlecht kontrollierten Patienten erhielten SAXA 5 mg und DAPA 10 mg einmal täglich oder SAXA beziehungsweise DAPA plus Plazebo (PBO), jeweils in Kombination mit ≥ 1500 mg/Tag Metformin. Die Reduktion des mittleren HbA1c betrug -1,47 Prozent für die Verumkombination im Vergleich zu -0,88 Prozent für SAXA+PBO und -1,20 Prozent für DAPA+PBO. Den Zielwert von HbA1c < 7 Prozent erreichten 41 Prozent in der SAXA+DAPA Gruppe im Vergleich zu 18 Prozent (SAXA+PBO) sowie 22 Prozent (DAPA+PBO) (11). Mit der Fixkombination Empagliflozin/Linagliptin (EMPA/LINA) wurde eine weitere SGLT2-/DPP4-Inhibitor-Kombination untersucht. Konkret wurden EMPA 25 mg/LINA 5 mg, EMPA 10 mg/LINA 5 mg, EMPA 25 mg, EMPA 10 mg und LINA 5 mg über 52 Wochen vor dem Hintergrund einer Metformin-Therapie verglichen. Dabei erwies sich die Kombination in der höheren Dosierung als am besten wirksam mit einer mittleren HbA1c-Senkung von -1,21 Prozent. Auch der Prozentsatz der Patienten, die den HbA1c-Zielwert erreichten, war unter der Kombinationstherapie höher (12).
Worauf ist die Gewichtsreduktion zurückzuführen?
Eine italienisch-deutsche Gruppe untersuchte den Hintergrund der durch alle Studien beobachteten Gewichtsreduktion unter Therapie mit SGLT2-Inhibitoren. Diese entsteht durch den Verlust an Glukose – also an Energie – mit dem Harn. Allerdings zeigen Berechnungen, dass gemessen an der ausgeschiedenen Glukose-Menge nur relativ wenig Gewicht abgebaut wird. Die Autoren untersuchten 86 Typ-2-Diabetiker, die über 90 Wochen Empagliflozin (25 mg/Tag) einnahmen. In dieser Zeit verloren sie durchschnittlich 3,2 ± 4,2 kg (-17,0 bis +5,5). Der aus Daten klinischer Studien berechnete Kalorienverlust lag jedoch bei 217 ± 59 kcal/Tag, was über 90 Wochen zu einer Gewichtsreduktion von 8,7 ± 2,4 kg (-4,0 bis -15,3 kg) hätte führen müssen. Die Patienten verloren also im Durchschnitt nicht einmal die Hälfte des bei unveränderter
Kalorienaufnahme zu erwartenden Gewichts. Das bringt die Autoren zu dem Schluss, dass der Kalorienverlust unter SGLT2-Therapie zumindest teilweise durch verstärkte Kalorienaufnahme kompensiert wurde (13).
Reno Barth
Referenzen: 1. Tsapas A. «A new class of oral agents: SGLT2 inhibitors. Will they change the landscape?» Oral Presentation #1359, EASD 2014. 2. Liakos A et al. Efficacy and safety of empagliflozin for type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Diabetes Obes Metab. 2014; 16 (10): 984–993. 3. Vasilakou D et al. Sodium-glucose cotransporter 2 inhibitors for type 2 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Ann Intern Med. 2013; 159 (4): 262–274. 4. Lambers Heerspink HJ et al. Dapagliflozin a glucose-regulating drug with diuretic properties in subjects with type 2 diabetes. Diabetes Obes Metab. 2013; 15 (9): 853–862. 5. Tikannen I et al. Empagliflozin improves blood pressure in patients with type 2 diabetes (T2DM) and hypertension. Diabetologia 2013; 56 (suppl 1): S377. 6. Iqbal N et al. Dapagliflozin lowered ambulatory BP in patients with type 2 diabetes mellitus and hypertension inadequately controlled by a renin-angiotensin system blocker ± another agent. Diabetologia 2014; 57 (suppl 1): S344. 7. Kohan DE et al. Long-term study of patients with type 2 diabetes and moderate renal impairment shows that dapagliflozin reduces weight and blood pressure but does not improve glycemic control. Kidney Int. 2014; 85 (4): 962–971. 8. Yamout H et al. Efficacy and safety of canagliflozin in patients with type 2 diabetes and stage 3 nephropathy. Am J Nephrol. 2014; 40 (1): 64–74. 9. Barnett AH et al. Efficacy and safety of empagliflozin added to existing antidiabetes treatment in patients with type 2 diabetes and chronic kidney disease: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol. 2014; 2 (5): 369–384. 10. Stenlöf K et al. Long-term efficacy and safety of canagliflozin in older patients with type 2 diabetes mellitus over 104 weeks. Session «SGLT2 inhibitors: new outcome studies», Oral Presentation #5, EASD 2014. 11. Hansen L et al. Randomised, double-blind trial of dual add-on saxagliptin plus dapagliflozin vs saxagliptin or dapagliflozin add-on alone in poorly controlled type 2 diabetes on metformin. Session «SGLT2 inhibitors: new outcome studies»; Oral Presentation #4, EASD 2014. 12. Patel S et al. Fixed dose combinations of empagliflozin/linagliptin for 52 weeks as add-on to metformin in subjects with type 2 diabetes. Session «SGLT2 inhibitors: new outcome studies»; Oral Presentation #1, EASD 2014. 13. Ferrannini G et al. Energy balance following sodium-glucose co-transporter-2 (SGLT2) inhibition. Session «SGLT2 inhibitors: new outcome studies»; Oral Presentation #3, EASD 2014.
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