Transkript
CongressSelection
Management der Pulmonalembolie: Empfehlungen zu den NOAC
Die 2014 aktualisierte, von der ERS unterstützte ESC-Leitlinie zum Management der Pulmonalembolie enthält eine Reihe wichtiger Neuerungen. Nicht nur werden erstmals die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) berücksichtigt, es gibt auch Empfehlungen zur frühzeitigen Entlassung von Patienten aus dem Krankenhaus.
Das Management der Pulmonalembolie (PE) ist für die Kardiologie und die Pulmologie von vergleichbar hoher Bedeutung. Die europäische Leitlinie zu diesem Thema wird von der European Society of Cardiology (ESC) erstellt und von der European Respiratory Society (ERS) unterstützt. Kürzlich wurde eine überarbeitete Fassung mit wichtigen Neuerungen der Öffentlichkeit vorgestellt. Prof. Dr. med. Stavros V. Konstantinides, der Vorsitzende der Taskforce, die die neue Leitlinie erstellt hat, präsentierte die Guideline sowohl im Rahmen des ESC-Kongresses in Barcelona als auch eine Woche später auf dem ERS-Kongress in München (1).
Überarbeitete Algorithmen Wichtigste Neuerung in der aktualisierten Guideline ist eine Ausweitung des Algorithmus zur Risikoabschätzung (Abbildung 1). Nach wie vor ist das erste und wichtigste Kriterium in diesem Zusammenhang die Frage nach Schock oder Hypotonie. Das Vorhandensein eines dieser beiden Zustände macht den Patienten zum Hochrisikopatienten. Bei hohem Risiko besteht das weitere Vorgehen in der Sicherung der Diagnose, möglichst mittels CT-Angiografie, und anschliessender primärer Reperfusion (Abbildung 2). Neu ist nun ein detaillierter Entscheidungsbaum, der angibt, wie bei niedrigem Risiko vorzugehen ist (Abbildung 3). Konstantinides: «Von Patienten im Schock wussten wir, dass sie ein sehr hohes Risiko haben. Aber bei den übrigen 95 Prozent mit mittlerem oder niedrigem Risiko war nicht so klar, wie das Management aussehen soll.» Zum ersten Mal enthalten die Guidelines nun einen Algorithmus zur Risikostratifizierung, auf dessen Basis therapeutische Entscheidungen getroffen werden können. Dies geschieht anhand klinischer Scores in Verbindung mit Echokardiografie und/oder CT des rechten Ventrikels. Alles in allem wird ein zurückhaltenderes Vorgehen empfohlen als in früheren Versionen der Leitlinie. Hintergrund ist eine bessere Evidenz. «Wir haben jetzt solide Evidenz, wann bei Patienten mit mittlerem Risiko eine Rescuethrombolyse statt der primären Thrombolyse empfehlenswert ist. Wir wissen jetzt auch, wie man Patienten mit niedrigem Risiko identifiziert, die nach einer Pulmonalembolie frühzeitig aus dem Krankenhaus entlassen werden können», sagte Konstantinides. In der Praxis bedeutet das eine Aufteilung der Patienten in Risikogruppen mit niedrigem und mittlerem Risiko, wobei sich mittleres Risiko noch einmal in «high intermediate» und «low intermediate» unterteilt. Bei Patienten in der Risikogruppe «high intermediate» sollte eine Reperfusion zumindest erwogen werden. Das wichtigste
Tool zur Risikostratifizierung ist neben der Bildgebung der Pulmonary-Embolism-Severity-Index-(PESI-)Score, der auf einem Punktesystem basiert. Für verschiedene Symptome und klinische Zeichen werden Punkte vergeben, die Gesamtzahl ist ein Indikator für das Mortalitätsrisiko. Mit Antikoagulation Weiterem vorbeugen Auch wenn keine Reperfusion vorgenommen wird, besteht das wichtigste Therapieziel darin, weitere thromboembolische Ereignisse zu verhindern. Die Methode dazu ist die medikamentöse Antikoagulation. Wie in den älteren Leitlinien werden in dieser Indikation nach wie vor Vitamin-K-Antagonisten empfohlen. Neu in der Fassung von 2014 ist zusätzlich die Medikamentengruppe der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC), die bei Erstellung der älteren Versionen der Guidelines noch nicht in dieser Indikation zugelassen waren. Die Basis für die Aufnahme in die Leitlinie bilden grosse Studien zum Einsatz dieser Substanzgruppe bei tiefen Beinvenenthrombosen und Pulmonalembolien (Tabelle). Konstantinides: «Das sind die ersten grösseren internationalen Guidelines mit einem kompletten Programm von Empfehlungen zu den NOAC. Zu jeder einzelnen Substanz geben wir genaue Anweisungen, wie und wann sie einzusetzen ist, ob es sich um
Abbildung 1: Der Algorithmus zur Risikoabschätzung bei Pulmonalembolie wurde für die neuen Guidelines ausgeweitet.
20 Pneumologie • November 2014
22 Pneumologie • November 2014
Abbildung 3: Algorithmus zum Vorgehen bei Niedrigrisikopatienten. Quelle: Alle Abbildungen adaptiert nach (1 ), Übersetzung Rosenfluh.
eine Erstlinientherapie oder eine Alternative zur Standardtherapie handelt.» ASS spielt in der Prophylaxe thromboembolischer Ereignisse nur bei Patienten eine Rolle, bei denen jede Form der Antikoagulation kontraindiziert ist oder die diese verweigern. Wichtig für die Indikationsstellung zur Antikoagulation sind altersadjustierte D-Dimer-Cut-offs. Das D-Dimer wird aus einer Blutprobe bestimmt, wenn bei einem Patienten ein PE-Verdacht besteht, die Wahrscheinlichkeit jedoch gering ist. Während bisher eine Antikoagulation bei Werten < 500 µg/l unterbleiben konnte, berücksichtigen die neuen Guidelines den altersbedingten Anstieg von D-Dimer. Bei einem 65-jährigen Patienten liegt der Cut-off jetzt bei 650 µg/l. Die Frage, wie lange nach einer Pulmonalembolie antikoaguliert werden soll, kann nach wie vor nicht anhand zuverlässiger Evidenz beantwortet werden. Erstmals enthält die Leitlinie auch Kapitel zur chronisch thromboembolischen pulmonalen Hypertonie sowie Empfehlungen zum Management der PE in der Schwangerschaft.
Reno Barth
Literatur: 1. 2014 ESC Guidelines on the diagnosis and management of acute pulmonary embolism. European Heart Journal. 2014, doi:10.1093/eurheartj/ehu283
Quelle: «The ERJ and ERR at the forefront of respiratory medicine: 2014 guidelines.» Symposium im Rahmen des ERS 2014 in München.
Die Leitlinie kann kostenlos heruntergeladen werden unter www.escardio.org/guidelines oder via QR-Code:
Substanz Dabigatran
Rivaroxaban
Apixaban Edoxaban
Studie
Design
Behandlung und Dosierung
Dauer
Patienten
RE-COVER
Doppelblind
Enoxaparin/Dabigatran (150 mg b.i.d.)
Doppel-Dummy vs. Enoxaparin/Warfarin
6 Monate
2539 Patienten mit akutem venösthrombotischem Ereignis (VTE)
RE-COVER II
Doppelblind
Enoxaparin/Dabigatran (150 mg b.i.d.)
Doppel-Dummy vs. Enoxaparin/Warfarin
6 Monate
2589 Patienten mit akutem VTE
EINSTEIN DVT Offen
Rivaroxaban (15 mg b.i.d. über 3 Wochen, 3, 6 oder dann 20 mg o.d.) vs. Enoxaparin/Warfarin 12 Monate
3449 Patienten mit akuter tiefer Beinvenenthrombose (DVT)
EINSTEIN PE Offen
Rivaroxaban (15 mg b.i.d. über 3 Wochen, 3, 6 oder dann 20 mg o.d.) vs. Enoxaparin/Warfarin 12 Monate
4832 Patienten mit akuter Pulmonalembolie (PE)
AMPLIFY Hokusai VTE
Doppelblind Doppel-Dummy Doppelblind Doppel-Dummy
Apixaban (10 mg b.i.d. über 7 Tage, dann 5 mg b.i.d.) vs. Enoxaparin/Warfarin LMWH/Edoxaban (60 mg o.d. oder 30 mg bei Kreatininclearance 30–50 ml/min oder Körpergewicht unter 60 kg) vs. Enoxaparin/Warfarin
6 Monate
Variabel 3–12 Monate
5395 Patienten mit akuter DVT und/oder PE 8240 Patienten mit akuter DVT und/oder PE
Wirksamkeitsendpunkt (Ergebnisse)
Sicherheitsendpunkt (Ergebnisse)
Rezidiv VTE oder tödliche PE: 2,4%
Schwere Blutung: 1,6%
unter Dabigatran vs 2,1% unter
unter Dabigatran vs.
Warfarin
1,9% unter Warfarin
Rezidiv VTE oder tödliche PE: 2,3%
Schwere Blutung: 15 Patientem
unter Dabigatran vs. 2,2%
unter Dabigatran vs.
unter Warfarin
22 Patienten unter Warfarin
Rezidiv VTE oder tödliche PE: 2,1%
Schwere oder klinisch relevante
unter Rivaroxaban vs. 3,0%
Blutung (CRNM): 8,1% unter
unter Warfarin
Rivaroxaban vs. 8,1% unter
Warfarin
Rezidiv VTE oder tödliche PE: 2,1%
Schwere oder CRNM-Blutung:
unter Rivaroxaban vs. 1,8%
10,3% unter Rivaroxaban vs.
unter Warfarin
11,4% unter Warfarin
Rezidiv VTE oder tödliche PE: 2,3%
Schwere Blutung: 0,6% unter
unter Apixaban vs. 2,7% unter Warfarin Apixaban vs. 1,8% unter Warfarin
Rezidiv VTE oder tödliche PE: 3,2%
Schwere oder CRNM-Blutung: 8,5%
unter Edoxaban vs. 3,5% unter
unter Edoxaban vs. 10,3% unter
Warfarin
Warfarin
Abbildung 2: Algorithmus zum Vorgehen bei Hochrisikopatienten
CongressSelection