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Chronische Niereninsuffizienz und Vorhofflimmern
Hypertonie bei Hochrisikopatienten: häufig übersehen
Die Kombination von Hypertonie mit chronischer Niereninsuffizienz oder Vorhofflimmern bedeutet für betroffene Patienten ein massiv erhöhtes kardiovaskuläres Risiko beziehungsweise ein höheres Blutungsrisiko bei Vorhofflimmern. Experten betonen die immer noch stiefkindliche Behandlung des Blutdrucks bei diesen beiden Patientengruppen. Ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung wären häufiger durchgeführte ambulante Blutdruckmessungen, da bei alleiniger Messung in der Praxis die Mehrheit der Patienten übersehen wird.
Die erste Botschaft für Patienten mit Hypertonie und chronischer Niereninsuffizienz (chronic kidney disease, CKD) lautet: «Bei jedem Patienten mit CKD und einer Clearance von unter 40 ml/min ist das Risiko, aufgrund irgendeiner kardiovaskulären Komplikation zu sterben, 10- bis 20-mal höher als das Risiko, dass die CKD zu einer Niereninsuffizienz im Endstadium fortschreitet.» Mit diesen Worten leitete Prof. Dr. med. Michel Burnier vom Universitätsspital Lausanne seinen Vortrag ein und betonte: «Diese Patienten gehören einer Population mit sehr hohem Risiko an.» (1)
Kritisch: GFR < 45 + Mikroalbuminurie Das Risiko steigt generell ab einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) unter 45 ml/min an. «Je niedriger die GFR, desto höher das Risiko», zitierte der Experte Zahlen einer grossen amerikanischen Studie (2). Neben der GFR muss auch die Mikroalbuminurie gemessen werden, weil «mit erhöhter Albuminausscheidung im Harn nicht nur das renale Risiko steigt, sondern auch die kardiovaskuläre Ereignisrate – und zwar rasch» (3). Die Mikroalbuminurie ist damit nicht nur ein Marker für Nierenerkrankungen, sondern auch für kardiovaskuläre Störungen sowie «wahrscheinlich auch für arterielle Erkrankungen». Dieser Zusammenhang wird mittlerweile auch in den Hypertonie-Guidelines von European Society of Cardiology (ESC) und der European Society of Hypertension (ESH) anerkannt: «Bei einer CKD Grad 3 gilt das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis auch bei relativ normalem Blutdruck als mittelhoch bis hoch, und bei Grad 4 – also einer GFR < 40 – ist das Risiko sehr hoch», so Burnier.
Welcher Zielwert für CKD-Patienten? Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass diese Patienten aufgrund des hohen Risikos auf besonders niedrigere Blutdruckwerte zu senken sind. Jedoch zeigte die RENAAL-Untersuchung schon 2003, dass die kardiovaskuläre Ereignisrate bereits bei einer Blutdrucksenkung unter 140 mmHg systolisch sinkt (4). In einer weiteren Studie wurden zwei Gruppen untersucht: eine mit eindeutiger Proteinurie 1 g/Tag, die andere darunter. «Demnach scheint es, dass bei hoher Proteinurie ein zu niedriger Blutdruck sogar schädlich sein könnte, im Sinne eines höheren Risikos für das Fortschreiten der Niereninsuffizienz. Aber diese Frage ist noch nicht geklärt.» (5) Grundsätzlich lautet die Empfehlung daher, CKD-Patienten auf
einen Wert von 140/90 mmHg zu senken; dies gilt gleichermassen für Diabetiker und Nichtdiabetiker.
Ambulante Blutdruckmessung unerlässlich Aber dieses Ziel wird in der Praxis häufig verpasst oder übersehen, warnt Burnier: «Die NHANES-Studie von 1999 bis 2006 zeigte deutlich, dass 50 Prozent der CKD-Patienten den Zielwert nicht erreichen.» (6) Noch besorgniserregender sind die Ergebnisse der AASK-Studie. Diese untersuchte die «Dipping»-Muster bei Afroamerikanern, deren Blutdruck bei Messung in der Praxis etwa 132 mmHg systolisch betrug (7). Bei 24-h-Messung konnte man jedoch erkennen, dass 40 Prozent der Patienten in der Nacht erhöht, aber stabil waren (die sogenannten Non-Dipper). Wiederum 40 Prozent hatten einen nächtlichen systolischen Blutdruckanstieg auf 146 mmHg – die Reverse-Dipper –, und nur bei 20 Prozent, den Dippern, trat die physiologische nächtliche Blutdrucksenkung auf. «Mit anderen Worten: Bei Messung der Blutdrucks nur in der Praxis wären 80 Prozent der Patienten mit nächtlicher Hypertonie übersehen worden.» Nach einem Modell von Gabbai et al. ist der in der Praxis gemessene Blutdruck sogar derjenige mit der geringsten Signifikanz (8). Das ambulante 24-h-Blutdruckmonitoring (ABPM) sei daher erforderlich, um die Genauigkeit zu verbessern, mit der ein Fortschreiten der Progression diagnostiziert wird. «Das häufige Auftreten von Non-Dippern unter CKD-Patienten beruht dabei wahrscheinlich auf der Unfähigkeit, Natrium auszuscheiden, womit auch in der Nacht ein erhöhter Blutdruck erforderlich ist», erklärt der Experte.
Behandlung: RAS-Blocker in Kombination Erstlinienbehandlung der Hypertonie sind RAS-Blocker in Kombination mit anderen Antihypertensiva. Die Kombination von zwei RAS-Blockern wird bei CKD-Patienten hingegen ausdrücklich nicht empfohlen, da diese Modalität zwar potenziell die Proteinurie reduziert, aber zu einer erhöhten Komplikationsrate und einem erhöhten Risiko für Nierenversagen und Dialyse führt, wie die ON-TARGET-Studie nachweisen konnte (9). Sehr interessant seien zudem die Ergebnisse einer Subanalyse der ACCOMPLISH-Studie, die renale Outcomes verschiedener Fixdosiskombinationen bei Hypertoniepatienten mit hohem Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis untersuchte (10). «Bekanntermassen wurden Kalziumkanalblocker viele
32 Kardiologie • November 2014
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Jahre lang in der Hypertoniebehandlung von CKD-Patienten nicht wirklich empfohlen, da sie trotz guten Effekts auf den Blutdruck auch eine erhöhte Proteinurie auslösen können; da waren viele Ärzte skeptisch», berichtet der Kardiologe. Doch diese Skepsis «mag vielleicht für eine Erstlinienmonotherapie angebracht sein, aber bei Kombination eines Kalziumkanalblockers mit einem ACE-Hemmer oder ARB zeigte sich zu unserer Überraschung eine langsamere CKD-Progression als unter der Kombination ACE-Hemmer + Diuretikum». Die empfohlene Kombination lautet daher RAS-Blocker + Kalziumkanalblocker – nicht nur aufgrund des Einflusses auf die renale Progression, sondern auch wegen der «ebenfalls sehr wichtigen Wirkung auf die kardiovaskuläre Ereignisrate», fügt Burnier hinzu.
Fazit • CKD-Patienten haben ein hohes Risiko für kardiovaskuläre
Komplikationen. • Die Blutdruckkontrolle ist eine wichtige Determinante der
Progression zur Niereninsuffizienz im Endstadium und kardiovaskuläre Komplikationen; Zielwert ist 140/90 mmHg. • CKD-Patienten sind durch eine hohe Rate maskierter Hypertonie und Non-Dipper gekennzeichnet, daher sind 24-h-Messungen des Blutdrucks indiziert. • Erstlinientherapie sind Hemmer des Renin-Angiotensin-Systems. • Unter den Kombinationstherapien scheint die Kombination von RAS-Blocker + Kalziumkanalblocker die beste Wahl.
Lydia Unger-Hunt
Vorhofflimmern: Hypertonie erhöht Insultrisiko
«Die Inzidenz von Vorhofflimmern steigt bei Männern und Frauen weltweit an», erklärt Dr. Athanasios J. Manolis, Direktor der Abteilung für Kardiologie am Asklepeion Allgemeinen Krankenhaus in Athen. Dies ist auf die erhöhte Prävalenz der beiden wichtigsten Risikofaktoren für Vorhofflimmern (AF) zurückzuführen: steigendes Alter und Hypertonie. «Wenig überraschend ist daher auch eine sehr hohe Prävalenz von Hypertonie bei AF-Studien wie ROCKET oder RELY zu beobachten, die bis zu 90 Prozent betragen kann.» Hypertoniepatienten mit New-Onset-Vorhofflimmern haben ein knapp doppelt erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, ein 3-fach erhöhtes Risiko für letalen und nicht letalen Insult sowie ein 5-fach erhöhtes Risiko für Hospitalisation aufgrund von Herzinsuffizienz, zeigte die LIFE-Studie an knapp 9000 Patienten (11). Dieselbe Studie wies zudem nach, dass Losartan im Vergleich zu Atenolol das Risiko von Hypertoniepatienten für NewOnset AF um 33 Prozent verringert. Eine britische Datenanalyse von 650 000 Hypertonikern (davon 4661 mit New-Onset-AF) zeigte wiederum, dass Hypertoniker unter langfristiger Monotherapie mit ACE-Hemmern, ARB oder Betablockern mit geringerer Wahrscheinlichkeit ein Vorhofflimmern entwickeln als unter Kalziumkanalblockern (12). Laut einem am Kongress des American College of Cardiologists (ACC) vorgestellten Abstract waren 87,5 Prozent der 18 200 Patienten des ARISTOTLE-Trials hyperton; in dieser Untersuchung war eine schlecht kontrollierte Hypertonie unabhängig mit einem 50 Prozent höheren Insultrisiko assoziiert, und Patienten mit unkontrolliertem Blutdruck während der Studie wiesen ein höheres Risiko für eine schwere Blutung sowie für alle Blutungen auf (HR jeweils 1,14 bzw. 1,11) (13). Auch bei idealer INR gilt: Je höher der Blutdruck, desto höher das Insultrisiko, vor allem ab einem Wert von 140 mmHg systolisch (14). «Generell wird die Hypertonie bei Studien über Vorhofflimmern unterschätzt», kritisiert der Kardiologe. «Keine der Warfarin-Trials hat Daten über Hypertonie, die neueren Studien ebenso wenig. Meist wird lediglich eine Eingangsmessung durchgeführt, die 50 Prozent der Patienten als Hypertoniker ausweist, aber damit hat es sich auch schon.» (15) Viele Fragen harrten daher noch ihrer Beantwortung: • Bei wie vielen AF-Patienten befindet sich der Blutdruck innerhalb der Ziel-
werte? • Was ist der mittlere Blutdruck bei AF-Patienten unter neuen Antikoagu-
lanzien vs. Vitamin-K-Antagonisten? • Welche Antihypertensiva werden eingesetzt? • Kann die Regulierung des Blutrucks die Ergebnisse von Vorhofflimmern-
Studien ändern?
Literatur: 1. Keith DS et al. Longitudinal follow-up and outcomes among a population with chronic kidney disease in a large managed care organization, Arch Intern Med 2004; 164: 659–663. 2. Go AS et al. Chronic kidney disease and the risks of death, cardiovascular events, and hospitalization. NEJM 2004; 351: 1296–1305. 3. Gansevoort RT et al. The case for using albuminuria in staging chronic kidney disease, J Am Soc Nephrol 2009; 20: 465–468. 4. Bakris GL et al. Effects of blood pressure level on progression of diabetic nephropathy: results from the RENAAL study, Arch Intern Med 2003; 163: 1555–1565. 5. Jafar TH et al. Progression of chronic kidney disease: the role of blood pressure control, proteinuria, and angiotensin-converting enzyme inhibition: a patient-level meta-analysis, Ann Intern Med 2003; 139: 244–252. 6. Plantinga LC et al. Blood pressure control among persons without and with chronic kidney disease: US trends and risk factors 1999–2006; Hypertension 2009, 54: 47–56. 7. Pogue V et al. Disparate estimates of hypertension control from ambulatory and clinic blood pressure measurements in hypertensive kidney disease. Hypertension 2009; 53: 20–27. 8. Gabbai FB et al. Relationship between ambulatory BP and clinical outcomes in patients with hypertensive CKD, Clin J Am Soc Nephrol 2012; 7: 1770–1776. 9. Mann JF et al. Renal outcomes with telmisartan, ramipril, or both, in people at high vascular risk (the ONTARGET study): a multicentre, randomised, double-blind, controlled trial; Lancet 2008; 372: 547–553. 10. Bakris GL et al. Renal outcomes with different fixed-dose combination therapies in patients with hypertension at high risk for cardiovascular events (ACCOMPLISH): a prespecified secondary analysis of a randomised controlled trial; Lancet 2010; 375: 1173–1181. 11. Wachtell K et al. Angiotensin II receptor blockade reduces new-onset atrial fibrillation and subsequent stroke compared to atenolol: the Losartan Intervention For End Point Reduction in Hypertension (LIFE) study; J Am Coll Cardiol 2005; 45: 712–719. 12. Schaer BA et al. Risk for incident atrial fibrillation in patients who receive antihypertensive drugs: a nested case-control study; Ann Intern Med 2010; 152: 78–84. 13. Meena R et al. Abstract, ACC 2014. 14. Lip GY et al. Effect of hypertension on anticoagulated patients with atrial fibrillation, European Heart Journal 2007; 28: 752–759. 15. Kallistratos MS et al. Blood pressure. The forgotten factor in previous and recent studies regarding anticoagulation in atrial fibrillation, Intern J Cardiol 2013; 168: 4434–4435.
Quelle: «Hypertension in the patient at high cardiovascular risk». ESCKongress, am 31. August 2014 in Barcelona.
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