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Asthma bronchiale: Neue Leitlinien für alle Schweregrade
Zwei neue, im Lauf des Jahres präsentierte, Leitlinien sollen die Behandlung von Asthmatikern im klinischen Alltag erleichtern und verbessern. Diese Dokumente wurden auch im Rahmen des europäischen Pulmologenkongresses ERS in München diskutiert.
M it ihrem aktualisierten Report zur Global Strategy for Asthma Management and Prevention hat die Global Initiative for Asthma (GINA) im Jahr 2014 eine Reihe wichtiger Änderungen in ihren Positionen vorgenommen. Die Veränderungen beginnen, so Prof. Dr. med. Helen Reddel vom Woolcock Institute of Medical Research, Australien, bei der Definition von Asthma, das nunmehr als heterogene Erkrankung verstanden wird, die durch «chronische Entzündung der Atemwege» charakterisiert wird. Asthma wird – so GINA 2014 – definiert durch respiratorische Symptome wie Atemgeräusche (Wheeze), Kurzatmigkeit, Engegefühl in der Brust oder Husten, die in ihrer Intensität variieren, in Kombination mit variabler exspiratorischer Einschränkung des Atemflusses. Reddel: «Diese Definition ist sowohl für die klinische Praxis als auch für die Forschung geeignet, sie betont die Heterogenität und streicht dabei die zentralen, definierenden Merkmale der Krankheit heraus. Damit ist diese Definition offen für die Untersuchung spezieller Phänotypen von Asthma.»
Symptome versus Risiko Der GINA-Report in seiner aktuellen Version nimmt eine klare Unterscheidung von Symptomen und Risiko vor, zumal Patienten mit wenig ausgeprägter Symptomatik durchaus ein hohes Risiko eines ungünstigen Verlaufs der Erkrankung aufweisen können. Damit ergeben sich auch zwei Zielsetzungen der Asthmatherapie: Einerseits eine möglichst gute Symptomkontrolle, andererseits eine möglichst weitgehende Reduktion des Risikos einer ungünstigen Entwicklung der Erkrankung, die sich beispielsweise in Exazerbationen oder einer fortschreitenden Abnahme der Lungenfunktion äussern kann. Damit übernimmt GINA das Konzept einer ATS/ERS Task Force, die 2009 zwischen «current clinical control» und «fu-
Korrekte Diagnose essenziell
In der GINA-Guideline wird die Wichtigkeit einer korrekten Diagnose betont, die sowohl Unter- als auch Übertherapie vermeiden soll. Dazu wird dem Praktiker ein einfacher Algorithmus an die Hand gegeben: Zunächst sollen variable respiratorische Symptome korrekt identifiziert werden. Im zweiten Schritt wird die Einschränkung der Lungenfunktion (airflow limitation) und im dritten Schritt deren Variabilität nachgewiesen. Die Methode dazu ist die Spirometrie, die bei Asthma typischerweise eine Reduktion des FEV1 zeigt. Die Daten, auf denen die Diagnose beruht, sollten, so Reddel, genau dokumentiert werden, bevor eine Therapie begonnen wird. Dies sei zur differenzialdiagnostischen Absicherung wichtig, darüber hinaus könne es aber auch schwierig werden, unter Therapie eine Asthmadiagnose zu bestätigen.
ture risk» unterschied (2). Hinweise auf erhöhtes Risiko trotz akzeptabler Symptomatik können beispielsweise schwere Asthmaanfälle in der Anamnese, Rauchen, Nebenwirkungen von Asthmamedikamenten oder eingeschränkte Adhärenz sein. Zu beachten ist nicht zuletzt eine mögliche Diskordanz zwischen Symptomen und Lungenfunktion. So kann ein hohes FEV1 bei ausgeprägter Symptomatik darauf hinweisen, dass es sich nicht um Asthma, sondern beispielsweise um ein kardiologisches Problem handelt. Umgekehrt ist ein reduziertes FEV1 bei geringer Symptomatik zum Beispiel möglich, wenn der Patient seinen Lebensstil soweit eingeschränkt hat, dass er die schlechte Lungenfunktion nicht mehr bemerkt. In jedem Fall ist eine schlechte Lungenfunktion, so Reddel, jedoch ein Hinweis auf eine ungünstige Prognose und gehört daher eher in den Bereich «future risk». Bei Patienten mit hohem Risiko ist das Management individueller Risikofaktoren ein wichtiges Therapieziel. Die GINA-Leitlinie gibt detaillierte Anweisungen, welche Risikofaktoren in Frage kommen und wie mit ihnen umzugehen ist.
Kriterien für eine gute Asthmakontrolle Von guter Asthmakontrolle kann laut GINA gesprochen werden, wenn der Patient keine (oder allenfalls minimale) Symptome erlebt, in seinem Nachtschlaf nicht gestört ist, keine Bedarfsmedikation (Reliever) benötigt, zu normaler körperlicher Aktivität fähig ist, weitgehend normale Lungenfunktion und keine (oder sehr seltene) Asthmaanfälle hat. Das Risiko von Anfällen oder einer ungünstigen Entwicklung der Erkrankung sollte gering sein. Dass diese Ziele oftmals nicht erreicht werden, liegt – so GINA – nicht selten an Unter- und Fehldiagnosen. So zeigen zahlreiche Studien, dass bis zu mehr als 60 Prozent der erwachsenen Asthmatiker keine Asthmadiagnose haben (3), während umgekehrt rund ein Drittel der Patienten mit Asthmadiagnosen tatsächlich unter anderen Erkrankungen leidet (4, 5).
Asthmamanagement als Kreislauf Das Asthmamanagement soll sich gemäss der GINA-Guideline an einem kontinuierlichen Kreislauf von Untersuchung, Behandlung und Erfolgskontrolle orientieren. Hinsichtlich der stufenförmigen Eskalation der Therapie unterscheidet sich das aktuelle GINA-Dokument wenig von den früheren. Wie schon in älteren Reports unterstreicht GINA die Bedeutung inhalativer Kortikosteroide als Basis der langfristigen Asthmatherapie. Die Eskalation erfolgt in 5 Schritten. Während Patienten auf Stufe 1 nur mit einem raschwirksamen Beta-2-Agonisten (RABA) als Bedarfsmedikation behandelt werden,
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Stufe 1
Stufe 2
Stufe 3
Stufe 4
Stufe 5
Bevorzugte Langzeittherapeutika Andere Optionen
Bedarfsmedikation
ICS niedrig dosiert ICS niedrig dosiert/
ICS mittel- bis
Zusatztherapie,
LABA
hochdosiert/LABA
z.B. anti-IgE
ICS niedrig
Leukotrienrezeptor- ICS mittel- bis
ICS hochdosiert +
Zusätzlich ICS
dosiert erwägen
antagonist (LTRA)
hochdosiert
LTRA (oder + THEO*) niedrig dosiert
THEO* niedrig dosiert + LTRA (oder + THEO*)
Bei Bedarf raschwirkende Beta-2-
Bei Bedarf RABA oder ICS niedrig dosiert/Formoterol**
Antagonisten (RABA)
ICS: inhalatives Kortikosteroid; THEO: Theophyllin *Für Kinder 6 bis 11 Jahre ist Theophyllin nicht empfohlen. Bevorzugte Behandlung auf Stufe 3 ist ICS mitteldosiert. **ICS niedrig dosiert/Formoterol als Bedarfsmedikation für Patienten, denen Budesonid niedrig dosiert/Formoterol oder Beclometason niedrig dosiert/Formoterol zur Langzeit- und Bedarfstherapie verschrieben wurde
Quelle: modifiziert nach GINA 2014. http://www.ginasthma.org/
kommen auf Stufe 2 inhalative Kortikosteroide und in weiteren Schritten langwirksame Beta-2-Agonisten und schliesslich spezielle Therapien (z.B. Anti-IgE) hinzu. Allerdings wird nunmehr betont, dass es für Stufe 1 die geringste Evidenz gibt und daher früh an den Einsatz eines «Controllers» (Step 2) gedacht werden sollte. Hinsichtlich der Wahl des Controllers wird auf regionale Unterschiede in Verfügbarkeit, Erstattung und auch Empfehlungen in Guidelines hingewiesen.
Mangelnde Adhärenz ein Problem Allerdings gibt der aktuelle Report genaue Anleitungen zur individuellen Anpassung der Behandlung – einerseits an die besondere medizinische Situation des Patienten, andererseits aber auch an lokale Gegebenheiten wie zum Beispiel die Verfügbarkeit bestimmter Medikamente oder die Besonderheiten verschiedener Erstattungssysteme. Genauer eingegangen wird auch auf Ursachen eines möglichen Therapieversagens, das nicht immer einen «step up», sondern oft nur gezielte Problemlösungen erforderlich macht. So ist eine der häufigsten Ursachen für ein Nicht-Ansprechen auf die inhalative Therapie schlicht die falsche Anwendung des Inhalators (6, 7). Ein weiteres Problem stellt die oftmals geringe Adhärenz dar (8). Der Patienteninformation kommt daher ganz entscheidende Bedeutung zu.
Wann ist ein Asthma ein schweres Asthma? Mit dem Problem des schweren Asthmas hat sich eine Task Force der European Respiratory Society und der American Thoracic Society auseinandergesetzt und eine neue, praxisgerechte Leitlinie erarbeitet (9). Diese definiert schweres Asthma nun als Asthma, das mit hochdosierten inhalativen Kortikosteroiden und einer zweiten Medikation und/oder systemischen Kortikosteroiden kontrolliert werden muss oder das auch unter derart eskalierter Therapie noch unkontrolliert bleibt. Diese Definition ist insofern ungewöhnlich, als andere Gruppen nur dann von schwerem Asthma sprechen, wenn die Kontrolle auch mit eskalierter Therapie nur unzureichend gelingt. Die neue Leitlinie gibt evidenzbasierte Empfehlungen zu verschiedenen Therapien, die als weitere Eskalation über die Steroide hinaus versucht werden. Dazu Prof. Dr. med. Guy Brusselle vom Universitätsspital Gent: «Ein wichtiger Schritt im Umgang mit schwerem Asthma besteht in der Diagnose des Phänotyps. In der Vergangenheit dachten wir, schweres Asthma sei immer eosinophiles Asthma. Mittlerweile haben wir aber gelernt, dass es auch andere Formen schweren Asthmas gibt.» Dafür ist nicht immer eine schwere Inflammation erforderlich. Da eosinophiles und neutrophiles Asthma anderen pathophysiologischen Mechanismen unterliegen, ist die Unterscheidung von grosser Wichtigkeit für die Therapie. Während eosinophiles Asthma
durch Allergene ausgelöst wird, sind die Verursacher von neutrophilem Asthma Bakterien, Viren, Endotoxine sowie Partikel oder andere Schadstoffe.
Ursachen für schlechte Symptomkontrolle Neben schlechter Compliance kommen auch Rauchen, fehlerhafte Anwendung des Inhalers, Allergenexposition und Komorbiditäten als Gründe für schlechte Symptomkontrolle in Frage. Übergewicht und gastroösophagealer Reflux sind häufige Komorbiditäten, die sich ungünstig auf die Asthmakontrolle auswirken können. Weiter besteht die Möglichkeit, dass der Patient gar nicht unter Asthma, sondern unter einer anderen Erkrankung leidet und falsch diagnostiziert wurde. Auch Nebenwirkungen von Medikamenten können Asthmasymptome begünstigen. Brusselle nennt beispielsweise ASS und NSAR, Betablocker und ACE-Hemmer. Empfehlungen für die Therapie von schwerem Asthma können zumeist nur auf Basis schwacher Evidenz gegeben werden. Die Task-Force empfiehlt bei schwerem allergischem Asthma einen Therapieversuch mit dem Anti-IgE-Antikörper Omalizumab. Die Qualität der Evidenz wird bei Erwachsenen als «gering» und bei Kindern als «sehr gering» eingestuft. Keine Empfehlung gibt es hingegen für den Einsatz von Methotrexat und Makrolidantibiotika. Allerdings ist die Evidenz auch für diese beiden Negativempfehlungen schwach. Brusselle betont jedoch, dass sein – von ihm ausdrücklich als «persönliche Meinung» bezeichneter – Standpunkt in der Frage der Makrolide durchaus von der Leitlinie abweicht, und weist auf eine rezente Metaanalyse hin, die bei Patienten mit schwerem Asthma eine Verbesserung der Lebensqualität durch Makrolide zeigt (10). Auch gäbe es Hinweise, dass beim neutrophilen Asthma Veränderungen im Mikrobiom der Atemwege und bakterielle Infektionen zur Symptomatik und zu erschwerter Krankheitskontrolle beitragen können. Dem stehen jedoch die bekannten Risiken und Toxizitäten der Makrolide gegenüber. Eine Empfehlung für den Einsatz von Antimykotika besteht nur bei Patienten mit wiederholten Exazerbationen durch allergische bronchopulmonale Aspergillose (ABPA). Die bronchiale Thermoplastie soll nur in klinischen Studien Anwendung finden (11).
Reno Barth
Quellen: «Global Initiative for Asthma (GINA) 2014: new aspects of asthma diagnosis and management» und «The ERJ and ERR at the forefront of respiratory medicine: 2014 guidelines» anlässlich der Jahrestagung der European Respiratory Society, 6. bis 10. September 2014 in München.
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Literatur: 1. GINA Report, Global Strategy for Asthma Management and Prevention. Download auf www.ginasthma.org 2. Reddel HK et al. An official American Thoracic Society/European Respiratory Society statement: asthma control and exacerbations: standardizing endpoints for clinical asthma trials and clinical practice. Am J Respir Crit Care Med. 2009 Jul 1; 180 (1): 59–99. 3. Falagas ME et al. Under-diagnosis of common chronic diseases: prevalence and impact on human health. Int J Clin Pract. 2007; 61 (9): 1569–1579. 4. Lucas AE et al. Overtreatment with inhaled corticosteroids and diagnostic problems in primary care patients, an exploratory study. Fam Pract. 2008; 25 (2): 86–91. 5. Aaron SD et al. Overdiagnosis of asthma in obese and nonobese adults. CMAJ. 2008 179(11): 1121–1131. 6. Giraud V, Roche N. Misuse of corticosteroid metered-dose inhaler is associated with decreased asthma stability. Eur Respir J. 2002; 19 (2): 246–251. 7. Basheti IA et al. Improved asthma outcomes with a simple inhaler technique intervention by community pharmacists. J Allergy Clin Immunol. 2007; 119 (6): 1537–1538. 8. Foster JM et al. Inhaler reminders improve adherence with controller treatment in primary care patients with asthma. J Allergy Clin Immunol. 2014 Jul 18. pii: S0091-6749(14)00802-1 9. Die «International ERS/ATS Guidelines on Definition, Evaluation and Treatment of Severe Asthma» unter www.ers-education.org 10. Reiter J. et al. Macrolides for the long-term management of asthma – a meta-analysis of randomized clinical trials. Allergy. 2013; 68 (8): 1040–1049. 11. Castro M et al. Effectiveness and safety of bronchial thermoplasty in the treatment of severe asthma: a multicenter, randomized, doubleblind, sham-controlled clinical trial. Am J Respir Crit Care Med. 2010; 181 (2): 116–124.
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