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ACE-Inhibitor, Sartan oder Betablocker
Substanzwahl in der Blutdrucktherapie: kontrovers diskutiert
In den meisten verfügbaren Guidelines werden zwar relativ präzise Grenz- und Zielwerte für die blutdrucksenkende Therapie vorgegeben, hinsichtlich der zu verwendenden Substanzen sind die Empfehlungen jedoch weit weniger genau. Vor- und Nachteile der verschiedenen Gruppen von Antihypertensiva werden nach wie vor kontrovers diskutiert. So auch im Rahmen einer Pro-Contra-Sitzung am diesjährigen Kongress der Europäischen Kardiologengesellschaft ESC.
S trittig ist unter anderem, ob – und wenn, dann für welche Patienten – Betablocker als First-Line-Therapie in Frage kommen. Prof. Dr. med. Bryan Williams vom University College London beantwortet diese Frage mit einem «Nein» und verweist auf die Empfehlungen des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE). In diesen werden Betablocker seit dem Jahr 2006 nicht mehr als Erstlinientherapie geführt, sondern nur noch empfohlen, wenn neben der Hypertonie noch andere Erkrankungen vorliegen, die eine Blockade der Betarezeptoren ratsam erscheinen lassen. Dies trifft zum Beispiel zu, wenn zusätzlich zum Bluthochdruck bereits eine Herzinsuffizienz besteht.
NICE-Guidelines: Betablocker nicht mehr First-Line Bei der reinen Hypertonie werden Betablocker seit 2011 bei NICE nur noch als Fünft-Linie, also sozusagen als letzter Ausweg, genannt. Gründe dafür sind gemäss Williams zum einen die metabolischen Nebenwirkungen dieser Substanzen. So zeigte eine Metaanalyse durch alle untersuchten Studien unter Kombinationen von Thiaziddiuretika und Betablockern ein höheres Diabetesrisiko als unter anderen Blutdrucktherapien. In vielen Arbeiten war die Differenz signifikant (1). Auch das Schlaganfallrisiko war unter Atenolol höher als unter Losartan (2) und Amlodipin (3). Darüber hinaus erwiesen sich Betablocker in einem systematischen Review im Vergleich zu allen anderen Gruppen von Antihypertensiva als am wenigsten wirksam in der Reduktion von instabiler Angina, Schlaganfall, Myokardinfarkt sowie Herzinsuffizienz und erhöhten obendrein das Diabetes-Risiko (4). Auch die theoretischen Hintergründe dieser Nachteile sind mittlerweile bekannt. Betablocker führen, so Williams, auch zu Übergewicht und ungünstigen Veränderungen des Lipidprofils sowie zu ausgeprägten Blutdruckschwankungen. Die Blutdrucksenkung tritt vor allem in der Peripherie und weniger zentral ein. Besonders problematisch sind diese Effekte bei übergewichtigen Patienten (5). Allerdings sei anzumerken, dass diese Daten praktisch ausschliesslich mit Atenolol erhoben wurden, womit sich die Frage stelle, ob sich die Befunde auf alle Betablocker übertragen lassen. Diese Frage könne jedoch mangels entsprechender Studien nicht beantwortet werden, weshalb es legitim sei, von Atenolol auf die gesamte Klasse zu schliessen. Williams: «Betablocker sind daher keine Initialtherapie der Hypertonie. Sie sollen allerdings weiterhin verwendet werden
bei Patienten, die bereits unter Angina pectoris oder einer Herzinsuffizienz leiden. Allenfalls kommen Betablocker noch bei jüngeren Patienten in Frage, die keine ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker vertragen – insbesondere wenn eine starke sympathische Aktivierung vorhanden ist. Angesichts des erhöhten Diabetesrisikos sollte man vor allem die Kombination mit Thiaziddiuretika vermeiden.»
American Heart Association: Betablocker ebenbürtig Dem hält Prof. Dr. med. Henry Krum von der Monash-University in Melbourne die gute blutdrucksenkende Wirkung der Betablocker entgegen, die dazu geführt habe, dass diese in den Leitlinien der American Heart Association als gleichwertig mit anderen Substanzklassen betrachtet würden. Das wichtigste Ziel der Blutdrucktherapie sei die Blutdrucksenkung, und deren Ausmass trage massgeblich zur Reduktion harter Endpunkte bei (6). Auch in den aktuellen Guidelines von ESC/ESH sei die Empfehlung für Betablocker nur bei Patienten über 60 Jahre eingeschränkt. In der ASCOT-Studie habe es hinsichtlich des primären kombinierten Endpunktes keine signifikanten Unterschiede zwischen Atenolol und Amlodipin gegeben (3). Nicht zuletzt verweist Krum auf angesichts der verbesserten Pharmakokinetik und Pharmakodynamik naheliegende Vorteile neuerer Betablocker im Vergleich zu Atenolol. Dass es innerhalb der Klasse erhebliche Unterschiede zum Beispiel hinsichtlich des diabetogenen Potenzials gibt, wurde etwa für Metoprolol und Carvedilol gezeigt (7).
Wie sieht es mit den RAS-Hemmern aus? Ebenfalls strittig ist die Frage, ob ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptorblocker gleichermassen wirksam und verträglich und damit klinisch einfach austauschbar sind. Prof. Dr. med. Giuseppe Mancia, Universität Mailand, beantwortet die Frage mit einem vorsichtigen «Ja» und betont die Probleme, die grundsätzlich bei Vergleichen zwischen älteren und neueren Medikamenten auftreten. Um zu validen Aussagen zu gelangen, müssten die Substanzen in direkten Vergleichsstudien getestet werden. Indirekte Vergleiche sind problematisch, zumal die plazebokontrollierte Studie als Goldstandard in der Regel nur für die ältere Substanz eingesetzt werden kann, nach Etablierung einer wirksamen Therapie jedoch ethisch nicht mehr vertretbar ist. Im Falle der Hypertonie komme noch das generell günstigere Risikoprofil der Patienten in neueren
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Studien hinzu, das es schwieriger mache, dramatische Effekte auf harte Endpunkte zu erreichen. Zum direkten Vergleich zwischen ACE-Hemmern und ARB liegt eine Metaanalyse vor, die hinsichtlich Myokardinfarkt und kardiovaskulären Todes Gleichwertigkeit sowie hinsichtlich Schlaganfallprävention eine leichte, gerade signifikante Überlegenheit der ARB fand (8). Die Limitation dieser Daten liege jedoch in der Studienpopulation, die in allen verfügbaren Studien aus Patienten mit sehr hohem Risiko (oft Post-Infarkt) bestand und keinem gewöhnlichen Hypertonie-Kollektiv entsprach. Am nächsten kommt dem noch die Studie ON-TARGET, in deren Kollektiv sich knapp 70 Prozent Hypertoniker befanden, die für Telmisartan und Ramipiril vergleichbare Risikoreduktion in Bezug auf alle Endpunkte zeigte (9).
Vorteil auf Seiten der ACE-Hemmer Für Prof. Dr. med. Frank Ruschitzka vom Universitätsspital Zürich ist diese Datenlage zu dünn. Vor allem gäbe es jedoch für die ACE-Hemmer, nicht jedoch für die ARBs, deutliche Hinweise auf eine Senkung der Mortalität (10). So sei beispielsweise in der ADVANCE-Studie durch Perindopril und Indapamid eine Senkung der Gesamtmortalität in einer Population von Diabetikern gezeigt worden (11). Und in HYVET brachte eine Blutdrucksenkung mit Perindopril im Vergleich zu Plazebo bei hochbetagten Patienten einen Vorteil hinsichtlich mehrerer Mortalitätsendpunkte (12). In der HOPE-Studie wurde in einem Hochrisikokollektiv der kombinierte Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall um fast ein Drittel reduziert (13). Ruschitzka unterstrich, dass auch die Rationale von ACE-Inhibitoren und ARB durchaus unterschiedlich sei. Während ARB nur an einer, genau definierten Stelle in das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System eingreifen, reduzieren ACE-Inhibitoren insgesamt das verfügbare Angiotensin und verhindern dadurch auch die Aktivierung anderer Angiotensinrezeptoren. Während also Klasseneffekte schon generell eine problematische Annahme darstellen, könne man bei ACE-Inhibitoren und ARB überhaupt nicht mehr von vergleichbarer Wirksamkeit ausgehen. Nicht zuletzt könne man auch die direkten Vergleichsstudien zwischen ACEHemmern und ARB aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Beispielsweise wurde in VALUE zwar im Hinblick auf den kombinierten primären Endpunkt die Gleichwertigkeit von Valsartan und Amlodipin gezeigt, doch ergab sich in der Valsartangruppe ein höheres Risiko beim sekundären Endpunkt Myokardinfarkt sowie ein Trend zu mehr Schlaganfällen (14). Zu den Ergebnissen von ON-TARGET sei anzumerken, dass die Gleichwertigkeit von Sartan und ACE-Inhibitor in dieser Studie trotz einer geringeren Blutdrucksenkung im ACEHemmer-Arm erreicht wurde (9).
Reno Barth
Literatur: 1. Mason JM et al. The diabetogenic potential of thiazide-type diuretic and beta-blocker combinations in patients with hypertension. J Hypertens. 2005; 23 (10): 1777–1781. 2. Dahlöf B et al. Cardiovascular morbidity and mortality in the Losartan Intervention For Endpoint reduction in hypertension study (LIFE): a randomised trial against atenolol. Lancet. 2002; 359 (9311): 995–1003. 3. Dahlöf B et al. Prevention of cardiovascular events with an antihypertensive regimen of amlodipine adding perindopril as required versus atenolol adding bendroflumethiazide as required, in the AngloScandinavian Cardiac Outcomes Trial-Blood Pressure Lowering Arm (ASCOT-BPLA): a multicentre randomised controlled trial. Lancet. 2005; 366 (9489): 895–906. 4. Williams B. Beta-blockers and the treatment of hypertension. J Hypertens. 2007; 25 (7): 1351–1353. 5. Williams B. The obese hypertensive: the weight of evidence against beta-blockers. Circulation. 2007; 115 (15): 1973–1974. 6. Go AS et al. An effective approach to high blood pressure control: a science advisory from the American Heart Association, the American College of Cardiology, and the Centers for Disease Control and Prevention. Hypertension. 2014; 63 (4): 878–885. 7. Bakris GL et al. Metabolic effects of carvedilol vs metoprolol in patients with type 2 diabetes mellitus and hypertension: a randomized controlled trial. JAMA. 2004 Nov 10; 292 (18):2227–1236. 8. Reboldi G et al. Comparison between angiotensin-converting enzyme inhibitors and angiotensin receptor blockers on the risk of myocardial infarction, stroke and death: a meta-analysis. J Hypertens. 2008; 26 (7): 1282–1289. 9. ON-TARGET Investigators: Telmisartan, ramipril, or both in patients at high risk for vascular events. N Engl J Med. 2008; 358 (15): 1547–1559. 10. van Vark LC et al. Angiotensin-converting enzyme inhibitors reduce mortality in hypertension: a meta-analysis of randomized clinical trials of renin-angiotensin-aldosterone system inhibitors involving 158 998 patients. Eur Heart J. 2012; 33 (16): 2088–2097. 11. Patel A et al. Effects of a fixed combination of perindopril and indapamide on macrovascular and microvascular outcomes in patients with type 2 diabetes mellitus (the ADVANCE trial): a randomised controlled trial. Lancet. 2007; 370 (9590): 829–840. 12. Beckett NS. Treatment of hypertension in patients 80 years of age or older. N Engl J Med. 2008; 358 (18): 1887–1898. 13. Yusuf S et al. Effects of an angiotensin-converting-enzyme inhibitor, ramipril, on cardiovascular events in high-risk patients. The Heart Outcomes Prevention Evaluation Study Investigators. N Engl J Med. 2000; 342 (3): 145–153. 14. Julius S et al. Outcomes in hypertensive patients at high cardiovascular risk treated with regimens based on valsartan or amlodipine: the VALUE randomised trial. Lancet. 2004; 363 (9426): 2022–2031.
Quelle: «Hot Topics in Hypertension, wissenschaftliche Sitzung im Rahmen des ESC, am 31. August 2014 in Barcelona.
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