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KHM-Forschungspreis für Hausarztmedizin 2014
Pilotstudie untersuchte die Frage, wie viele Medikamente ein Patient wirklich braucht
Sind wirklich alle Medikamente, die Langzeitpatienten einnehmen, auch anhaltend erforderlich? Mit dieser Frage beschäftigten sich die Gewinner des diesjährigen KHM-Forschungspreises, Dr. med. Stefan Neuner-Jehle, MPH, PD Dr. med. Oliver Senn – beide als Hausärzte und als Forscher am Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich tätig – sowie PD Dr. med. dipl. Soz.
4,2 Punkten auf einer 5-teiligen LikertSkala). Der Zeitaufwand dafür betrug durchschnittlich 15 Minuten. Nach Angaben der Ärzte beurteilten die Patienten den Medikamenten-Check als sehr positiv (Mittelwert von 4,6 von maximal 5).
Tanja Krones, Leitende Ärztin klinische Ethik am Universitätsspital Zürich. Die Wichtiger Impuls für den Umgang Forscher konnten mit ihrer Pilotstudie zeigen, dass bei älteren und polymorbi- mit Polypharmazie
den Patienten 9 Prozent der verschriebenen Medikamente überflüssig sind.
Der Präsident der KHM-Forschungspreis-Jury, Professor Dr. med. Alain Pécoud, bewertet
die Studie als «äusserst wichtig für die
Die Folgen der Einnahme zu vieler Die Gründe für die Änderungsvorschläge an Schweizer Hausärzte, die zunehmend PaMedikamente sind schwerwiegend. den individuellen Medikamentenlisten der tienten mit einer langen Medikamentenliste Polypharmazie, das heisst, die gleich- Ärzte waren fehlende Indikation (56%), in- betreuen. Die prämierte Studie bietet einen
zeitige Verordnung von mindestens 4 bis adäquate Dosierung (21%), das Vorhanden- möglichen systematischen Ansatz, um dem
5 Medikamenten, führt zu einem deutlich sein einer besseren Alternative (12%) oder Problem der Polypharmazie in der Hausarzt-
erhöhten Risiko für Heimeinweisungen, unerwünschte Wirkungen (11%). Dies über- medizin zu begegnen.»
Hospitalisationen, verschlechterte Mobilität, raschte Neuner-Jehle und seine Studienkolle- Nach dem erfolgsversprechenden Ergebnis
Morbidität und Tod.
gen: «Wir hatten erwartet, dass vor allem dieser prämierten Pilotstudie plant die For-
Eine Checkliste gegen zu viele Medikamente
Nebenwirkungen dazu führen, dass Medika- schungsgruppe nun eine randomisiert-konmente abgesetzt oder Dosierungen geändert trollierte Wirksamkeitsstudie mit harten kliwerden. Dass in der Pilotstudie bei der Mehr- nischen Endpunkten, um die langfristigen
Die Studiengruppe um Neuner-Jehle evalu- zahl der Fälle die Indikation nicht (mehr) ge- Auswirkungen einer systematischen Anwen-
ierte eine Checkliste, um bei multimorbiden geben war, zeigt auf, dass Medikamente dung des adaptierten GPGP-Algorithmus für
Patienten Medikamente systematisch weg- manchmal einfach weiterlaufen, ohne kri- die Patienten zu evaluieren.
Mü
lassen zu können. Sie adaptierten dafür den tisch hinterfragt zu werden.»
für die Geriatrie entwickelten und validierten Die Teilnehmer der Pilotstudie bewerteten Quelle: Pressemitteilung des KHM anlässlich der
Algorithmus «Good Palliative-Geriatric Prac- den Algorithmus als gut praktikabel und Jahrestagung 2014.
tice» (GPGP) für die Anwendung durch den akzeptierbar (Mittelwerte zwischen 3,2 und
Hausarzt. Der adaptierte Algorithmus be-
steht aus vier Fragen, die der Arzt gemein-
sam mit dem Patienten bespricht. Dabei
werden alle aktuell verschriebenen Medika- Mit einer Checkliste gegen zu viele Medikamente
mente hinsichtlich tatsächlich gegebener
Indikation, Nutzen-/Risiko-Verhältnis, Dosierung und möglicher Alternativen hinterfragt. In der prämierten Pilotstudie wurden Nutzen und Praxistauglichkeit der neuen Medikamenten-Checkliste untersucht. 14 Hausärzte im Kanton Zürich testeten diese bei insgesamt 63 Patienten über 60 Jahre, die langfristig täglich mindestens 5 Medikamente einnahmen.
Der mit 30 000 Franken dotierte, von Mepha gestiftete KHM-Forschungspreis für Hausarztmedizin ging 2014 an die Autoren der Arbeit «Systematisches Weglassen verschriebener Medikamente ist bei polymorbiden Hausarztpatienten akzeptiert und machbar».
Jedes 11. Medikament überflüssig
Nach Anwendung des adaptierten GPGPAlgorithmus schlugen die Studienärzte ihren Patienten bei 16 Prozent der Medikamente eine Änderung vor. In Absprache mit den Patienten wurden daraufhin 13 Prozent der Verschreibungen verändert – das bedeutet, die Vorschläge wurden von den Patienten mehrheitlich angenommen. 9 Prozent der Medikamente wurden ganz abgesetzt, jede 11. Verschreibung war also überflüssig.
Preisträger mit Sponsor und Jury-Präsident: Dr. Daniel Hummel, Head Business Unit Retail Mepha Pharma Schweiz AG, PD Dr. med. Oliver Senn, PD Dr. med. Tanja Krones, Dr. med. Stefan Neuner-Jehle und Prof. Dr. med. Alain Pécoud, Präsident der Jury des KHM-Forschungspreises Hausarztmedizin (von links nach rechts).
Neuner-Jehle S et al. Systematisches Weglassen verschriebener Medikamente ist bei polymorbiden Hausarztpatienten akzeptiert und machbar. PRAXIS. 2014; 103 (6): 317–322.
24 Hausarztmedizin • September 2014