Transkript
CongressSelection
Chronische Urtikaria
Neue Leitlinie und neue Therapie
Die chronische spontane Urtikaria ist häufig, aber nicht selten versagen die zur Therapie zugelassenen Antihistaminika. Nicht ungewöhnlich sind daher Patienten mit stark beeinträchtigter Lebensqualität. Jetzt gibt es eine neue Behandlungsmöglichkeit, die nach Ansicht von Experten eine Revolution in der Urtikariatherapie darstellt. Mit Omalizumab ist es heute möglich, die in der neuen internationalen Guideline erhobene Forderung nach kompletter Beseitigung der Urtikariasymptome therapeutisch zu erfüllen, auch bei Patienten, deren chronische Urtikaria auf Antihistaminika nicht angesprochen hat.
A ktuell wird die Urtikaria schlicht und einfach definiert als eine Gruppe von Krankheiten, die sich durch juckende Quaddeln und/oder Angioödeme bemerkbar machen, berichtete Dr. med. Clive Grattan, Norfolk & Norwich University, Norwich, UK. Die Urtikaria muss abgegrenzt werden von Quaddeln und/oder Angioödemen, die als Symptome anderer Erkrankungen auftreten (z.B. bei der Anaphylaxie, bei autoinflammatorischen Syndromen, beim hereditären Angioödem oder bei der Urtikaria-Vaskulitis mit Gefässwandnekrosen in der Biopsie). Urtikaria kommt bei Frauen häufiger vor als bei Männern (2:1) und betrifft alle Altersgruppen mit einem Häufigkeitsgipfel bei 20- bis 40-Jährigen. Meistens handelt es sich um eine spontane Urtikaria, die häufig ohne ersichtliche Ursache kommt und wieder verschwindet. Akute Formen sind häufiger als chronische, mehr als 6 Wochen bestehende Formen. Der chronischen spontanen Urtikaria wird in der aktuellen internationalen Guideline die chronisch induzierbare Urtikaria gegenübergestellt (1). Bei den induzierbaren Formen wird zwischen physikalischer Urtikaria, cholinergischer Urtikaria, Kontakturtikaria und aquagener Urtikaria unterschieden. Zu Ersterer gehören beispielsweise der symptomatische urtikarielle Dermografismus (Urticaria factitia) und die kälteinduzierte Urtikaria nach Kältekontakt (kalte Gegenstände, Luft, Wind, Flüssigkeiten).
Bis anhin in 30 Prozent therapierefraktär Die Urtikaria kann lange Zeit Beschwerden verursachen, bis die Erkrankung von selbst wieder verschwindet. Eine Behandlungsdauer von 10 und mehr Jahren ist nicht ungewöhnlich. Auch heute noch kann die Heilung nicht beschleunigt herbeigeführt werden, aber die Symptome können beseitigt werden, solange es noch nicht zur Spontanheilung gekommen ist. Nachbeobachtungen haben gezeigt, dass die Hälfte der Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria nach 6 Monaten noch Symptome aufweist, 30 Prozent nach 3 Jahren, 10 Prozent nach 5 Jahren und 8 Prozent auch noch nach 25 Jahren, so Grattan. Wenn sich Quaddeln und Angioödeme bemerkbar machen, dauert die chronische spontane Urtikaria in der Regel länger als bei Patienten, die nur Quaddeln aufweisen. Die Erstlinientherapie mit Antihistaminika der 2. Generation in Normaldosierung hilft etwa der Hälfte der betroffenen
Patienten. Trotz 4-facher Antihistaminikadosierung bleibt ein Drittel symptomatisch. Mehr als 30 Prozent können also nicht mit Antihistaminika behandelt werden. «Dies ist ein hoher Prozentsatz», betonte Grattan. Bei Patienten mit therapierefraktärer chronischer spontaner Urtikaria sei besonders die Schlaflosigkeit der «Killer» der Lebensqualität.
Abbildung: Urtikaria (Archiv)
6 Allergologie • September 2014
CongressSelection
Tabelle:
UAS7 zur Erfassung der Krankheitsaktivität bei chronischer spontaner Urtikaria
Punktzahl 0 1 2
3
Quaddeln Keine Quaddeln Leicht: weniger als 20 Quaddeln pro 24 Stunden Mässig: 20 bis 50 Quaddeln pro 24 Stunden
Intensiv: mehr als 50 Quaddeln pro 24 Stunden oder grosse konfluierende Areale mit Quaddeln
Pruritus Kein Pruritus Leicht: Pruritus vorhanden, aber nicht störend Mässig: Pruritus störend, aber ohne Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten oder des Schlafs Intensiv: schwerer Pruritus, der die Alltagsaktivitäten oder den Schlaf beeinträchtigt
Gesamtpunktzahl: während 1 Woche Summe der Tagespunktzahlen von 0 bis 6 (mögliche Maximalpunktzahl: 42) Quelle: nach Referenz 1
Aktuelle Neuauflage der internationalen Urtikaria-Guideline Die Diagnose ist bei chronischer spontaner Urtikaria einfach zu stellen, wenn die Patienten gründlich zu 23 in der aktuellen internationalen Guideline genannten Aspekten befragt werden (1). Als Blutuntersuchungen werden routinemässig lediglich ein Blutbild und eine Blutsenkung beziehungsweise ein CRP empfohlen, berichtete Professor Dr. med. Elias Toubi, Bnai-Zion Medical Center, Haifa, Israel. Nur wenn die Anamnese auf eine zugrunde liegende Ursache hindeutet (z.B. Infekt; Typ-I-Allergie; pseudoallergische Reaktion auf nichtsteroidale Entzündungshemmer, Nahrungsmittelzusatzstoffe oder Nahrungsmittel; Malignom; Autoantikörper), sind zusätzliche Abklärungen angezeigt (1). Die Guideline fordert dazu auf, bei allen Patienten den Schweregrad der Erkrankung zu beurteilen. Auch in der Praxis eignet sich dazu der Urticaria Activity Score 7 (UAS7), der die Krankheitsaktivität erfasst und bei der Abschätzung des Ansprechens auf die Therapie behilflich ist (Tabelle). Weil die chronische Urtikaria die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann, regt die neue Guideline an, auch in der Praxis die Lebensqualität zu erfassen. Mit dem CU-Q2oL steht ein validierter Fragebogen zur Verfügung, der speziell zur Beurteilung der Lebensqualität bei Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria entwickelt wurde (Chronic Urticaria Quality of Life Questionnaire).
Omalizumab als neue Urtikariatherapie Die neue Leitlinie steckt das Therapieziel bei chronischer Urtikaria hoch. Die Behandlung soll die Beschwerden nicht bloss lindern, sondern komplett beseitigen. Um das Therapieziel der kompletten Beschwerdefreiheit schneller zu erreichen, wurde das empfohlene Behandlungsschema gestrafft. Es besteht nun nur noch aus 3 statt wie bis anhin aus 4 Behandlungsstufen (1). Die Therapie mit täglicher Einnahme eines nicht sedierenden H1-Antihistaminikums der 2. Generation in Standarddosierung bildet als Firstline-Behandlung die erste Stufe (Kasten). Bei Symptompersistenz sollte nicht länger als 2 Wochen zugewartet werden, bis die Dosis in der 2. Stufe bis zur 4-fachen Dosis erhöht wird (Off-label-use). Wenn die Symptome trotz Dosissteigerung des Antihistaminikums persistieren, wird nach 1 bis 4 Wochen als 3. Therapiestufe die zusätzliche Verwendung von Omalizumab (Xolair®), alle 4 Wochen als subkutane Injektionen von 300 mg, empfohlen (1). Der Nutzen von Montelukast (Singulair®, Generika) als alternative Add-on-Therapie in der 3. Stufe sei gering, sagte der Referent. Ciclosporin A als weitere Alternative sei zwar gut dokumentiert, werde aber aufgrund der potenziellen Nebenwirkungen von vielen Ärzten gemieden.
Omalizumab bindet als rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper an IgE, wobei sich IgE-Hexamere bilden, erläuterte Professor Dr. med. Christian Vestergaard, Aarhus University Hospital, Aarhus, Dänemark. Die Bindung von IgE an hochaffine IgE-Rezeptoren auf Basophilen und Mastzellen wird verhindert. Durch Reduktion von freiem IgE werden IgERezeptoren auf den Zielzellen herunterreguliert. In 3 Phase-III-Studien wurde Omalizumab bei insgesamt 975 Patienten mit Antihistaminika-resistenter chronischer spontaner Urtikaria getestet. Bei der ASTERIA-I-Studie dauerte die Behandlung 24 Wochen, bei der ASTERIA-II-Studie 12 Wochen. An der GLACIAL-Studie (24 Wochen) beteiligten sich Patienten, deren Symptome sich trotz Therapie mit der 4-fachen Antihistaminikadosis sowie zusätzlich H2-Antihistaminika und/ oder Leukotrienrezeptorantagonisten nicht ausreichend gebessert hatten. Insgesamt befreite die Add-on-Behandlung mit Omalizumab in den 3 Studien 34 bis 44 Prozent der Patienten komplett von Quaddeln und Juckreiz. Bei 52 bis 66 Prozent blieben höchstens noch geringe Urtikariasymptome zurück (UAS7 ≤ 6). Die dramatische Besserung trete mit dieser sicheren, gut tolerierten Behandlung sehr rasch ein, berichtete der Referent. Es handle sich aber nicht um eine kurative Therapie, denn nach Behandlungsstopp kehrten die Symptome allmählich zurück.
Alfred Lienhard
Referenz: 1. Zuberbier T et al. The EAACI/GA2LEN/EDF/WAO Guideline for the definition, classification, diagnosis, and management of urticaria: the 2013 revision and update. Allergy 2014; 69: 868–887.
Quelle: «Evolution of the treatment landscape in refractory CSU», Satellitensymposium der Firma Novartis, EAACI-Kongress, Kopenhagen, 9.6.2014.
Beispiele nicht sedierender H1-Antihistaminika der 2. Generation
• Bilastin (Bilaxten®) • Cetirizin (Zyrtec®, Generika) • Desloratadin (Aerius®, Generika) • Fexofenadin (Telfast®, Generika) • Levocetirizin (Xyzal®, Generika) • Loratadin (Claritine®, Generika)
Allergologie • September 2014
7