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Aktuelle Daten aus dem AMI-RAL-Register
Therapie des akuten Koronarsyndroms
Im Management des akuten Koronarsyndroms scheint klar, dass Wartezeiten zwischen Symptombeginn und Therapieeinleitung die Infarktgrösse beeinflussen können. Kontrovers wird noch diskutiert, ob mit Verkürzung der Zeiten auch eine Senkung der Mortalität verbunden ist. Im Kanton Waadt wurde ein neues Managementregime eingeführt, das klar auf eine Verkürzung der Gesamtischämiedauer setzt. Die Initiatoren berichten über vielversprechende erste Ergebnisse des AMI-RAL (Acute Myocardial Infarction Registry and Analysis Lausanne)-Registers.
D as optimale Management von Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI) war zentrales Anliegen des Vortrags von Dr. Juan F. Iglesias von der Abteilung für Interventionelle Kardiologie am Universitätsspital Lausanne. «Das Management der Patienten mit akutem ST-Hebungsinfarkt hat sich zwar in den letzten Jahrzehnten signifikant verbessert, der Infarkt ist aber nach wie vor eine häufige Ursache von Morbidität und Mortalität. Bei der klinischen Prognose herrscht hier noch Optimierungsbedarf – vor allem in der Subgruppe der Hochrisikopatienten», stellte der Kardiologe klar. Folgende Strategien werden derzeit eingesetzt: • Reduktion der Zeit bis zur Reperfusionstherapie • Antithrombotische Therapie • Optimierung der mechanischen Reperfusion • Adjuvante pharmakologische Therapie. Rolle der Therapieverzögerung Vor allem der erste Punkt ist von Bedeutung: Verzögerungen beim Einleiten der Therapie gelten zwar als unabhängiger Prädiktor der Infarktgrösse (1). Jedoch zeigte eine aktuellere Studie, dass die klinischen Endergebnisse davon so gut wie unbeeinflusst bleiben (2): Forscher der Universität Michigan analysierten die «Door-to-Balloon»-Zeiten von knapp 100 000 Hospitalisierungen von Patienten mit perkutaner koronarer Intervention (PCI) aufgrund eines STEMI. Es zeigte sich, dass trotz der signifikanten Verbesserung der «Door-to-Balloon»Zeit in den Jahren zwischen 2005 und 2009 (jeweils 83 min
Abbildung: Ischämiedauer und Infarktgrösse (nach Garcia-Dorado D et al.)
vs. 67 min) die Krankenhausmortalität so gut wie unverändert geblieben war (4,8% vs. 4,7%).
Höchste Priorität für Gesamtischämiedauer Diese Studie wurde allerdings auf der Leserbriefseite des New England Journal of Medicine (NEJM) kritisiert, etwa von Professor Dr. David Garcia-Dorado vom Universitätskrankenhaus Vall d’Hebron in Barcelona, auf dessen Beitrag (3) Dr. Iglesias verwies. Laut Ansicht von Garcia-Dorado ist die Gesamtischämiezeit die eigentlich relevante Variable, und kürzere «Doorto-Balloon»-Zeiten hätten bei langer Gesamtischämiezeit vielleicht keinen Effekt auf die Infarktgrösse, bei insgesamt kurzer Gesamtischämiezeit jedoch sehr wohl (Abbildung). Zudem sei die akute beziehungsweise die 30-Tage-Mortalität wahrscheinlich kein adäquater Endpunkt, da der Vorteil einer geringen Infarktgrösse später auftrete. Der Ansatz, die Gesamtischämiezeit kurz zu halten, habe daher nach wie vor höchste Priorität, so Garcia-Dorado.
Kanton Waadt geht neue Wege Diesem Ansatz hat sich auch das Waadtland mit einem neuen Projekt verschrieben: Für akute STEMI-Patienten setzte man sich das Ziel, die Reperfusionswartezeiten zu minimieren, 24 Stunden am Tag eine zeitgerechte PCI zu liefern und somit die klinischen Endergebnisse der Patienten zu verbessern. «Dazu implementierten wir am Universitätsspital Lausanne ein lokales STEMI-Netzwerk, das in Zusammenarbeit mit Notfalldiensten, regionalen Krankenhäusern, Kardiologen und Allgemeinmedizinern geregelt ist», berichtete Iglesias. Auf diese Weise sei «eine lebensechte Perspektive der klinischen Praxis» mit nicht selektionierten STEMI-Patienten möglich, wie der Kardiologe betonte. Zwischen Januar und Dezember 2013 wurden 305 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 64 Jahren (26,2% Frauen) in das Register des AMI-RAL aufgenommen, wovon schliesslich 274 Patienten mit dokumentierten STEMI für die Analyse verfügbar waren. Das Vorgehen: Nach Bestätigung der STEMIDiagnose wird so rasch wie möglich die pharmakologische Therapie verabreicht: ASS 500 mg p.o. oder i.v. plus Ticagrelor 180 mg p.o. im Krankenhaus (falls kontraindiziert oder nicht verfügbar: Clopidogrel 600 mg p.o.) plus unfraktioniertes Heparin 5000 IE i.v.
18 Kardiologie • August 2014
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Im Vergleich zu 2012 zeigten sich mit diesem Vorgehen bereits signifikante zeitliche Verbesserungen: • Vom Auftreten der Symptome bis zum ersten ärztlichen
Kontakt («first medical contact», FMC) vergingen 2013 median 84 Minuten (2012: 85 min). • Die «Door-to-Balloon»-Zeit wurde von 71 auf 46 Minuten gesenkt. • «FMC-to-Balloon»-Zeit beträgt jetzt 98 Minuten (vs. früher 125 min). • Die mediane Gesamtischämiedauer beträgt nun 188 anstatt 219 Minuten. Die Gesamtmortalität im Krankenhaus lag bei 5,4 Prozent, wobei dieser Wert ebenfalls nach 30 Tagen beziehungsweise nach 3 Monaten galt; die Rate an kardiovaskulärem Tod, MI, Insult (im Krankenhaus) lag ebenfalls bei 5,4 Prozent, nach 3 Monaten bei 6,2 Prozent und nach 6 Monaten bei 6,6 Pro-
Dualer Ansatz: Plättchenhemmung und pleiotrope Effekte
Am Beispiel des P2Y12-Rezeptorhemmers Ticagrelor diskutierte Professor Dr. med. Jürg H. Beer, Kantonsspital Baden und Labor für Plättchenforschung, Kardiovaskuläre Physiologie, Universität Zürich, den Einfluss pleiotroper Effekte auf die Wirksamkeit der P2Y12-Rezeptorhemmer. Er beleuchtet zunächst pharmakologische Aspekte. Einen wesentlichen Vorteil von Ticagrelor stellt der Faktor Zeit dar: Das rasche Einsetzen und ebenso rasche Nachlassen der Plättchenhemmung bei Absetzen des Medikaments aufgrund seiner reversiblen Hemmung unterscheidet es von anderen P2Y12-Rezeptorhemmern, berichtete der Experte. Bestätigt habe dies beispielsweise eine amerikanische Untersuchung an 123 Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit (KHK) versus Clopidogrel (4). «Zusätzlich bietet Ticagrelor, verglichen mit der kurzen Plasmaexposition der aktiven Metaboliten von Prasugrel und Clopidogrel, eine signifikante systemische 24-Stunden-Exposition des direkten, aktiven Metaboliten», betonte Beer.
PLATO-Studie: Gute Resultate bei akutem Koronarsyndrom Die pharmakologischen Eigenschaften spiegeln sich in der besseren Prävention kardiovaskulärer Ereignisse, die die PLATO-Untersuchung mit knapp 19 000 Patienten aufzeigte: Die Patienten waren mit akutem Koronarsyndrom (ACS) mit oder ohne ST-Strecken-Hebung hospitalisiert worden und erhielten randomisiert entweder Ticagrelor oder Clopidogrel (5). Im Vergleich zu Clopidogrel reduzierte die Behandlung mit Ticagrelor signifikant die kumulierte Inzidenz von Todesrate aufgrund vaskulärer Ursachen, Myokardinfarkt (MI) sowie Schlaganfall (kombinierter primärer Endpunkt), sowohl nach 30 Tagen als auch nach einem Jahr (11,7 vs. 9,8 vs. 11,7; HR 0,8, p < 0,001), ohne die Rate schwerer Blutungen zu erhöhen. Auch die Todesfälle jeglicher Ursache konnten signifikant reduziert werden, wie der Experte anmerkte.
zent; eine akute Stentthrombose trat bei 0,7 Prozent auf. Eine schwere Blutung trat im Krankenhaus bei 4,0 Prozent auf, nach 30 Tagen bei 5,1 Prozent und nach 3 Monaten bei 6,2 Prozent.
Weitere Anstrengungen erforderlich Die Implementierung eines regionalen STEMI-Netzwerks zur Durchführung von zeitgerechten PCI im Rahmen eines standardisierten Managementprotokolls reduziert signifikant die Wartezeiten, resümierte Iglesias. Dies ist jedoch kein Grund, sich auf Lorbeeren auszuruhen: «Um die Gesamtischämiezeit weiter zu reduzieren, müssen wir noch zusätzliche Anstrengungen unternehmen.» Im Zentrum stehe hier vor allem eine Reduktion patientenabhängiger Verzögerungen bereits vor der Hospitalisierung, etwa beim Transfer. Es gebe somit genügend Stoff für die weitere Forschung, resümierte Professor Dr. Stephan Windecker vom Inselspital in Bern. Der Fokus liege dabei vor allem auf dem Bereich der Vorbehandlung dieser Patienten: «Wann ist die optimale Zeit für die Verabreichung oraler Plättchenhämmer? Im Krankenhaus oder sogar bereits vorher – hilft dieses Vorgehen oder schädigt es? Diese Daten sind für ein optimales Management noch erforderlich.»
Lydia Unger-Hunt
Literatur: 1. Brodie BR et al. Impact of time to treatment on myocardial reperfusion and infarct size with primary percutaneous coronary intervention for acute myocardial infarction (from the EMERALD Trial). Am J Cardiol 2007; 99: 1680–1686. 2. Menees DS et al. Door-to-balloon time and mortality among patients undergoing primary PCI. N Engl J Med 2013; 369: 901–909. 3. Garcia-Dorado D, Garcia del Blanco B. Door-to-balloon time and mortality. N Engl J Med 2014; 370 (2): 178–182. 4. Gurbel PA et al. Randomized double-blind assessment of the ONSET and OFFSET of the antiplatelet effects of ticagrelor versus clopidogrel in patients with stable coronary artery disease: the ONSET/OFFSET study. Circulation 2009; 120: 2577–2585. 5. Wallentin L et al. Ticagrelor versus clopidogrel in patients with acute coronary syndromes. N Engl J Med 2009; 361: 1045–1057. 6. Bonello L et al. Ticagrelor increases adenosine plasma concentration in patients with an acute coronary syndrome. J Am Coll Cardiol 2014; 63 (9): 872–877. 7. Adamski P et al. Overview of pleiotropic effects of platelet P2Y12 receptor inhibitors. Thromb Haemost 2014 Apr 24;112(2). [Epub ahead of print]
Quelle: Astra Zeneca Satellite Symposium, SGK/SGHC-Jahreskongress 2014, 11. bis 13. Juni 2014 in Interlaken.
Vielfältige pleiotrope Effekte Die pleiotropen Effekte der P2Y12-Rezeptorhemmer sind vielfältig und reichen von antiinflammatorischen Effekten bis hin zur Verbessesrung der endothelialen Funktion oder Plaquestabilisierung. Auf diese Art und Weise bringt auch die bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom gezeigte Erhöhung der Adenosinplasmakonzentration durch Ticagrelor eine Stabilisierung der Plaques, einen vermehrten Adenosin-vermittelten koronaren Blutfluss sowie eine verbesserte endotheliale Funktion mit sich (6). Die ebenfalls daraus resultierende Dyspnoe sei in der Regel mild und nur transient, so der Experte weiter. Sie tritt in 13,8 Prozent der Patienten unter Ticagrelor auf (7,8% Clopidogrel) und kann zu Therapieabbrüchen führen. Diese Effekte unterstützen die Wirkung der Substanz auf die Plättchen, in welchem Ausmass sie jedoch zum langfristigen klinischen Ergebnis beitragen, ist weiterhin Gegenstand von Untersuchungen (7).
20 Kardiologie • August 2014