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NOAC: Grosse Metaanalyse umfasste mehr als 70 000 Patienten
Vorhofflimmern ist eine der häufigsten Rhythmusstörungen der Vorhöfe, nimmt mit steigendem Alter zu und erhöht das Risiko für einen Schlaganfall auf das bis zu 5-Fache. Den Nutzen einer Antikoagulation mit den neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) bestätigt nun eine aktuelle Metaanalyse, die auf Daten von mehr als 70 000 Patienten zurückgreifen konnte. Anhand von Fallbeispielen konnten praktische Aspekte der Antikoagulation mit Apixaban aufgezeigt werden, zum Beispiel die Problematik der eingeschränkten Nierenfunktion sowie das perioperative Management.
Ausser Frage steht, dass Vorhofflimmern (VHF) eine relevante kardiologische Erkrankung ist, sie zählt zu den häufigsten Rhythmusstörungen des Vorhofs. Die Inzidenz ist relativ hoch: Sind unter den 65- bis 75-Jährigen rund 7 Prozent betroffen, so sind es unter den > 80-Jährigen bereits 15 bis 20 Prozent. Die klinischen Folgen sind ebenfalls bekannt: ein 5-fach erhöhter Anstieg von Schlaganfällen, ein 3-fach erhöhter Anstieg kongestiver Herzinsuffizienz sowie ein 2-fach erhöhtes Mortalitätsrisiko, so Prof. Dr. med. Stephan Windecker, Chefarzt der Universitätsklinik für Kardiologie am Inselspital Bern. Eine Antikoagulation mit Warfarin kann das relative Schlaganfallrisiko gegenüber Plazebo um 64 Prozent verringern und das absolute Risiko pro Jahr um 2,7 Prozent senken − das entspricht einer relativ niedrigen Number needed to treat (NNT) von 37 pro Jahr, um einen Schlaganfall zu verhindern, so der Experte (1). Die Antikoagulation schneidet dabei besser ab als eine plättchenhemmende Therapie. Aber auch die Limitationen einer Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten (VkA) sind hinreichend bekannt: Sie muss lebenslang monitorisiert werden, trotzdem wird der erforderliche INR-Bereich in weniger als 60 Prozent der Zeit tatsächlich eingehalten, ein Drittel der VHF-Patienten erhält erst gar keine solche Therapie oder beendet eine solche wieder. Nicht zu vernachlässigen sind mögliche Blutungskomplikationen, Schwierigkeiten mit der Compliance und Interaktionen mit anderen Medikamenten und Nahrungsmitteln, so Windecker.
NOAC bewährte Alternative Vor diesem Hintergrund wurden die neuen Substanzen entwickelt, mit denen heute zwei Gruppen oraler Antikoagulanzien zur Verfügung stehen: die direkten Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban, Apixaban sowie Edoxaban und der direkte Faktor-IIaHemmer Dabigatran. Eine aktuelle grosse Metaanalyse von Ruff et al. zeigte in einer prospektiven, gepoolten Analyse mit den Daten der grossen Zulassungsstudien der genannten Substanzen jetzt bei insgesamt 71 683 Patienten mit Vorhofflimmern einen Vorteil zugunsten der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) versus Warfarin hinsichtlich Schlaganfall und systemischen Embolien (2). Besonders ausgeprägt waren diese Vorteile, was die Verhütung hämorrhagischer Schlaganfälle sowie intrakranielle Blutungen (beide p < 0,0001) an-
ging. Diese Vorteile schlugen sich in einer signifikant niedrigeren Gesamtmortalität nieder (p = 0,0003). Lediglich hinsichtlich gastrointestinaler Blutungen lag der Vorteil bei Warfarin (p = 0,043). Diese neuen Medikamente waren aber nicht nur effizienter, sondern haben auch ein sicheres Profil. Bei der Betrachtung der schwereren Blutungen war gesamthaft ein Vorteil zugunsten der NOAC auszumachen (p = 0,06). Auch die älteren Patienten (> 75-Jährige) sowie diejenigen, die bereits einmal einen Schlaganfall oder eine transitorische ischämische Attacke (TIA) erlitten hatten, profitierten im Vergleich zu den traditionellen Antikoagulanzien stärker von den neuen Substanzen. Im Vergleich zu den Vitamin-K-Antagonisten treten Wirkung (innerhalb von 2 bis 4 Stunden) und -nachlass (innerhalb von 24 Stunden) der NOAC schneller ein, ihre pharmakologischen Effekte sind vorhersagbar, das Risiko hämorrhagischer Schlaganfälle, schwerwiegender Blutungen sowie die Mortalität sind geringer, so der Experte zusammenfassend. So hat beispielsweise die ARISTOTLE-Studie zeigen können, dass die Wirksamkeit von Apixaban im Vergleich zu Warfarin über 30 Monate hinweg signifikant besser ist (p = 0,01), was die Vermeidung von Schlaganfällen oder systemischen Embolien (-21%) angeht (3). Schwere Blutungen waren in dieser Studie unter Apixaban signifikant seltener (-31%; p < 0,001), und die Gesamtmortalität konnte um 11 Prozent verringert werden. Apixaban konnte in der AVERROES-Studie auch gegenüber ASS eine bessere Wirksamkeit (Hazard Ratio [HR]: 0,45; p < 0,001) belegen. Die Inzidenz schwerer Blutungen unterschied sich nicht signifikant (HR: 1,13; p = 0,57). Den guten Resultaten ihrer Studien zufolge empfehlen die ESC-Guidelines zur Vorbeugung von Thromboembolien bei nicht valvulärem Vorhofflimmern, heute den NOAC gegenüber den VKA den Vorzug zu geben, so Windecker.
Fallbeispiele aus der Praxis Den klinischen Einsatz von Apixaban verdeutlichte PD Dr. Jan Steffel, Co-Leiter Rhythmologie, Oberarzt Kardiologie Universitätssspital Zürich, anhand von konkreten Fallbeispielen: zum Beispiel die 71-jährige Patientin, die sich mit paroxysmalem Vorhofflimmmern seit 5 Jahren (etwa 1 symyptomatische Episode/Monat) vorstellt. Sie ist subjektiv bis auf seltene Palpitationen beschwerdefrei und erhält ASS, Metoprolol
12 Kardiologie • August 2014
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50 mg und Atorvastatin 20 mg. Ausserdem hat sie einen medikamentös eingestellten Diabetes mellitus Typ II sowie eine mittelschwere Niereninsuffizienz (GFR 37 ml/min). Sollte sie ein NOAC, wie zum Beispiel Apixaban, erhalten? Zur Ermittlung des individuellen Schlaganfallrisikos wird heute der CHA2DS2-VASC-Score empfohlen, so der Experte. «Der Einsatz dieses Scores ist nicht allein zur Beurteilung der Notwendigkeit zur Antikoagulation hilfreich, sondern auch, um mit dem Patienten zu diskutieren, wie hoch sein jährliches Risiko für ein unerwünschtes Ereignis ist. Solche Zahlen können die Compliance verbessern, die bekanntermassen in der Primärprävention ohne Symptome eine Herausforderung darstellt.» Demnach erhält die Patientin für Alter, Geschlecht und Diabetes 3 Punkte und hat damit nicht nur eine Indikation zur Antikoagulation, sondern auch ein jährliches Schlaganfallrisiko von 6 Prozent. Für das weibliche Geschlecht wird dabei nur im Zusammenhang mit weiteren Risikofaktoren ein Punkt gegeben, ohne diese muss es nicht weiter berücksichtigt werden. Ist eine Antikoagulation indiziert, sollen heute bevorzugt die NOAC zum Einsatz kommen, wenn keine Kontraindikationen vorliegen, so auch Steffel zu den ESC-Empfehlungen, und er warnt gleichzeitig vor dem undifferenzierten Einsatz dieser neuen Medikamente.
Nierenfunktion wichtiger Parameter Zu berücksichtigen ist beispielsweise eine allfällige Einschränkung der Nierenfunktion, je nach Medikament gestaltet sich das etwas unterschiedlich. Eine absolute Kontraindikation ist lediglich eine schwere Niereninsuffizienz. Aber der Experte ist eher vorsichtig: «Unter 30 ml sind zwar sowohl Rivaroxaban als auch Apixaban zugelassen, aber ich bin persönlich der Meinung, dass man es hier nicht einsetzen sollte, es fehlen die Daten, daher ist es zum jetzigen Zeitpunkt besser, es bei diesen Patienten nicht anzuwenden», so der Experte. Das entspricht auch den ESC-Empfehungen. Diese empfehlen zudem bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion regelmässige Kontrollen, 2- bis 3-mal pro Jahr oder in Situationen, in denen man eine Verschlechterung befürchtet. Und die Alternative? Auch bei Phenproucomon stellt die Niereninsuffizienz eigentlich eine Kontraindikation dar, so Steffel, auch wenn diese hier oftmals nicht berücksichtigt wird. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass diese Patienten hinsichtlich der Schlaganfallprävention bei steigendem Blutungsrisiko nicht mehr viel profitieren, der Einsatz sollte also mit Vorsicht erfolgen. Apixaban hat hinsichtlich der Niereninsuffizienz interessante Daten, wie Steffel weiter ausführte: «In der ARISTOTLE-Studie konnte gezeigt werden, dass Patienten mit einer mittelschweren Niereninsuffizienz hinsichtlich der schweren Blutungen interessanterweise relativ stärker profitierten als solche mit einer leichten Niereninsuffizienz.» Insofern ist die eingangs vorgestellte Patientin, die eine Indikation zur oralen Antikoagulation aufweist, in seinen Augen eine geeignete Kandidatin für den Einsatz der Substanz.
Perioperatives Management In einem weiteren Fall wird der 73-jährige, asymptomatische Patient, der seit 15 Jahren Vorhofflimmern hat, bereits mit Apixaban behandelt. Er hat darüber hinaus eine arterielle Hypertonie und soll nun aufgrund einer dilatativen Kardiomyopathie (Ejektionsfraktion 29% unter optimaler medikamentöser Therapie) einen ICD erhalten. Neben dem NOAC erhält er zudem Bisoprolol 5 mg, Ramipril 5 mg sowie Spironolacton 25 mg.
Das perioperative Management der Antikoagulation hängt vom Risiko des geplanten Eingriffs ab (Kasten). Sehr gute praktische Empfehlungen gibt hier das Papier der EHRA, das auch zum Download zur Verfügung steht, so Steffel (zu erreichen via nebenstehenden QR-Code). In Fällen niedrigen Risikos, wie der geplanten ICD-Implantation, reicht es aus, Apixaban mindestens 24 Stunden vorher abzusetzen – der Patient erhielt die letzte Gabe am Morgen vor der Operation, so der Referent. Diese Empfehlung ist unabhängig von der Nierenfunktion.
Christine Mücke
Literatur: 1. Hart RG et al. Meta-analysis: antithrombotic therapy to prevent stroke in patients who have nonvalvular atrial fibrillation. Ann Intern Med 2007; 146: 857–867. 2. Ruff CT et al. Comparison of the efficacy and safety of new oral anticoagulants with warfarin in patients with atrial fibrillation: a meta-analysis of randomised trials. Lancet 2014; 383: 955–962. 3. Granger CB et al. Apixaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2011;365: 981–992. 4. Heidbuchel H et al. EHRA practical guide on the use of new oral anticoagulants in patients with non-valvular atrial fibrillation: executive summary. Eur Heart J. 2013; 34 (27): 2094–2106.
Quelle: Satellitensymposium von Pfizer/Bristol Myers Squibb, SGK/SGHC-Jahreskongress 2014, 11. bis 13. Juni 2014 in Interlaken.
Kasten:
Klassifikation des Blutungsrisikos chirurgischer Eingriffe
Interventionen, bei denen die Unterbrechung der Antikoagulation nicht zwingend ist: • zahnärztliche Eingriffe:
– Extraktion von 1 bis 3 Zähnen – Paradontale Eingriffe – Inzision eines Abzsesses • Ophthalmologie: – Katarakt- oder Glaukomoperation • Endoskopie ohne Chirurgie • oberflächliche Chirurgie (z.B. Abzessinzision, kleine dermatologische Exzisionen)
Interventionen mit niedrigem Blutungsrisiko: • Endoskopie mit Biopsie • Prostata- oder Blasenbiopsie • Radiofrequenzablation bei supraventrikulärer Tachykardie • Angiografie • Schrittmacher oder ICD (ausser bei komplexer anatomischer Situation)
Interventionen mit hohem Blutungsrisiko: • komplexe linksseitige Ablation (VHF, ventrikuläre Tachykardie) • spinale oder epidurale Anästhesie • diagnostische Lumbalpunktion • thorakale und abdominelle Chirurgie • grössere orthopädische Eingriffe • Leberbiopsie, transurethrale Prostataresektion (TURP) • Nierenbiopsie
Nach Heidbuchel (4)
Kardiologie • August 2014 13