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Neue Ansätze im Management der Hypercholesterinämie
Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko, familiärer Hypercholesterinämie oder Statinunverträglichkeit benötigen dringend neue therapeutische Strategien, erklären Experten an der SKG-Jahrestagung, die dieses Jahr in Interlaken stattfand. Während die HDL-Erhöhung nach neuesten Erkenntnissen nicht zum gewünschten Erfolg führt, scheint die Hemmung einer Serinprotease eine tatsächliche Senkung des kardiovaskulären Risikos zu bedingen. Die ersten entsprechenden Wirkstoffe wurden bereits in Phase-II-Studien untersucht und erbrachten überaus interessante Ergebnisse.
B ei drei Patientengruppen mit Hypercholesterinämie stelle das Management eine gewisse Herausforderung dar, berichtet Prof. Dr. med. Ulf Landmesser vom universitären Herzzentrum am Universitätsspital Zürich. An erster Stelle sind Patienten mit koronarer Herzkrankheit zu nennen. Bei dieser Patientengruppe scheint die klinische Implementierung sekundärer Präventionsmassnahmen noch suboptimal zu sein, wie die Ergebnisse der mittlerweile 4. EUROASPIRE-Studie in 26 europäischen Ländern zeigen (1). Demnach sind heute zwar viel mehr Patienten pharmakologisch geschützt als noch bei der EUROASPIRE-II-Studie: 95 Prozent stehen heute unter Plättchenhemmung (vs. 85% in EUROASPIRE II), 89 Prozent nehmen Statine (vs. 55%). Allerdings: Klar ersichtlich sind die nach wie vor hohen Raten von Hypertonie, erhöhtem LDL-C oder Diabetes in dieser Patientengruppe. «Zwar sind diese Raten weniger hoch als noch bei den EUROASPIRE-II-Untersuchungen: Von Hypertonie sind etwa 45 Prozent betroffen, im Vergleich zu 54 Prozent in EUROASPIRE II; erhöhte LDL-C Werte zeigen in der EUROASPIRE IV aber immer noch 75 Prozent der Patienten.»
Familiäre Hypercholesterinämie: unterschätzt und unterdiagnostiziert Die familiäre Hypercholesterinämie (FH) wiederum ist «unterschätzt und unterdiagnostiziert»: Die Prävalenz der heterozygoten Form wird auf 1:200 bis 1:500 geschätzt und ist damit viel häufiger als die homozygote Form, die etwa 1:300 000 betrifft. «Zudem erreichen nur etwa 20 Prozent der FH-Patienten das Ziel von < 100 mg/dl (< 2,5 mmol/l) beziehungsweise < 70 mg/dl (< 1,8 mmol/l) bei bekannter KHK oder Diabetes», berichtet der Experte. «In der Schweiz schätzt man eine Prävalenz von 20 Prozent, diagnostiziert sind aber nur etwa 13 Prozent.» Die Diagnose basiert auf fünf Kriterien: • Familienanamnese • klinische Anamnese einer vorzeitigen KHK • körperliche Untersuchung (Xanthome und Arcus lipoides) • sehr hohes LDL-Cholesterin bei wiederholten Messungen • ursächliche Mutation molekulargenetisch nachgewiesen. Und last, but not least gibt es das Problem der geschätzten 10 Prozent der Patienten mit Statinunverträglichkeit, die unter dieser Therapie über Muskelschmerzen an Beinen oder
Stamm beziehungsweise an Schultern und Oberarmen klagen. Eine schwere Myopathie ist hingegen selten. Bei diesen drei Gruppen – KHK-Patienten mit Risikofaktoren, FH-Patienten, Statinunverträglichkeit – bestehe ein grosser klinischer Bedarf für neue, gezielte Lipidtherapien, fasst Landmesser zusammen. Möglich seien etwa die weitere LDL-C-Senkung durch Hemmung der Cholesterinresorption (Ezetimib, klinische Trials laufen) oder die kombinierte LDL-C-Senkung + HDL-CErhöhung durch Hemmung des Cholesterinester-Transferproteins CETP (ebenfalls derzeit in klinischen Trials untersucht) oder die Erhöhung des HDL-C allein durch ApoA1-Modulation (2).
Erhöhtes HDL senkt Risiko nicht Doch ist HDL überhaupt ein neues Ziel im Management der KHK? Die Studienlage scheint dies nicht zu bestätigen: In einer Untersuchung an knapp 16 000 Patienten mit akutem Koronarsyndrom erhöhte Dalcetrapib, ein CETP-Modulator, im Vergleich zu Plazebo zwar das HDL, senkte jedoch nicht das Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses (3). Ausserdem zeigte sich in dieser Studie in keiner der beiden Patientengruppen eine signifikante Assoziation zwischen dem BaselineHDL-Cholesterinwert und dem Risiko des primären Endpunkts (Zusammensetzung aus Tod aufgrund KHK, nonletaler Myokardinfarkt, ischämischer Insult, unstabile Angina, Herzstillstand mit Wiederbelebung). Ein möglicher Hintergrund dieser Beobachtungen: Das HDL von Patienten mit KHK zeige im Gegensatz zum HDL von Gesunden keine antiinflammatorische Wirkung am Endothel, berichtet Landmesser weiter (4). Und eine weitere Untersuchung wies darauf hin, dass manche genetische Mechanismen, die das Plasma-HDL erhöhen, nicht gleichzeitig das Risiko eines Myokardinfarkts senken – womit die Hypothese infrage gestellt würde, wonach eine Erhöhung des Plasma-HDL generell das Risiko eines Myokardinfarkts senke (5).
Forschungsschwerpunkt PCSK9 Eine neue, vielversprechende Möglichkeit in der LDL-Senkung ist hingegen die Hemmung der Proproteinkonvertase Subtilisin/ Kexin Typ 9 (PCSK9), erklärt Prof. Dr. Stefan Krähenbühl, Leiter der Abteilung für klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsspital Basel. Bereits 2003 trat die erste Evidenz
14 Kardiologie • August 2014
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für einen Zusammenhang zwischen PCSK9 und dem Cholesterinhaushalt von Menschen auf. Einige Jahre später wurde nachgewiesen, dass PCSK9-Knockoutmäuse um 50 Prozent geringere Serumcholesterin-Werte zeigten, was mit erhöhten LDL-Rezeptorwerten assoziiert war (6). Krähenbühl: «Bei etwa 0,1 Prozent aller Europäer und 2 Prozent der Afroamerikaner liegt eine Mutation im PCSK9-Gen vor; damit ist eine Verminderung des Serum-LDL um etwa 40 Prozent assoziiert.» Diese LDL-Senkung ist zudem mit handfesten klinischen Vorteilen verbunden, haben doch Kaukasier mit diesen Mutationen ein um etwa 46 Prozent geringeres Risiko für koronare Herzkrankheit, Afrikaner sogar um 88 Prozent, dies zeigten eine dänische Metaanalyse und eine amerikanische Studie an Personen mit kardiovaskulären Risikofaktoren (7, 8). Der Wirkmechanismus des PCSK9 im LDL-Stoffwechsel: Zirkulierendes LDL-Cholesterin wird vorwiegend durch Bindung an LDL-Rezeptoren in Hepatozyten abgebaut; die Rezeptoren werden nach intrazellulärer Dissoziation zurück zur Plasmamembran transportiert, um erneut LDL-Cholesterin aufzunehmen. PCSK9 reguliert den LDL-Cholesterinspiegel, indem es das «Recycling» von LDL-Rezeptoren beeinflusst: Der PCSK9-Prosegment-Komplex bindet an den LDL-Rezeptor und induziert eine Internalisierung, womit dieser Rezeptor nicht mehr für die LDL-Bindung verfügbar ist – und der LDL-Spiegel steigt.
Wirkstoffentwicklung läuft Derzeit werden unterschiedliche Wirkstoffe mit der Zielstruktur PCSK9 entwickelt, mit «Vor- und Nachteilen», zählt der Pharmakologe auf: Moleküle mit geringem Molekulargewicht können per os eingenommen werden und haben eine klar definierte chemische Struktur, demgegenüber stehen «Off-Target-Effekte», Arzneimittelwechselwirkungen und mögliche toxische Metabolite. Antikörper haben einerseits eine lange Halbwertzeit und eine einfache Pharmakokinetik, könnten andererseits aber lokale oder systemische unerwünschte Nebenwirkungen auslösen. siRNA haben ebenfalls eine lange biologische Halbwertzeit, doch fehlt es hier noch an Erfahrung. Einige Wirkstoffe befinden sich bereits in Phase-II-Studien, weitere sind im präklinischen Stadium. REGN727 (Alirocumab) wurde bereits bei gesunden Freiwilligen untersucht, sowohl i.v. (n = 40) als auch s.c. (n = 32); alle Probanden schlossen die Studie ab, TESAR wurden nicht beobachtet (9). Zusammenfassend ist die Hemmung der Interaktion zwischen PCSK und dem LDL-Rezeptor mit einer klinisch signifikanten Senkung der Serum-LDL-C-Werte assoziiert; Antikörper gegen PCSK9 senken die LDL-C-Werte und werden gut vertragen. Insgesamt könne man davon ausgehen, dass die PCSK9-Blockade das kardiovaskuläre Risiko senke, schliesst der Experte.
Alirocumab: positive Studienergebnisse Über weitere Merkmale und Studienergebnisse des PCSK9Hemmers berichtete nachfolgend Prof. Dr. med. François Mach von der Abteilung für Kardiologie am Genfer Universitätsspital. «Zunächst einmal ist Alirocumab ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper gegen PCSK9, die Wahrscheinlichkeit ist also geringer, dass es zu immunologischen Nebenwirkungen wie Neutropenie, Thrombozytopenie, hämolytischer Anämie oder Hypersensibilitätsreaktionen kommt.» Effektivität und Sicherheit untersuchte beispielsweise eine Phase-II-Studie bei 183 Patienten mit primärer Hypercholesterinämie (LDL-C ≥ 100 mg/dl) (10). Sie erhielten zusätzlich zu 10, 20 oder 40 mg Atorvastatin in Fixdosis randomisiert entweder Plazebo s.c. alle 2 Wochen (Q2W) oder Alirocumab
50, 100, oder 150 mg Q2W oder Alirocumab 200 oder 300 mg alle 4 Wochen (Q4W), insgesamt 12 Wochen lang. Alirocumab zeigte sowohl in der Q2W also auch der Q4W-Verabreichung eine eindeutige Dosis-Wirkungs-Beziehung hinsichtlich der LDL-C-Senkung: Jeweils 40, 64 und 72 Prozent unter 50, 100 und 150 mg Q2W beziehungsweise jeweils 43 und 48 Prozent unter 200 und 300 mg Q4W. Zum Vergleich: Die LDL-C-Senkung unter Plazebo zu Woche 12 lag bei 5 Prozent. Der PCSK9-Hemmer führte zusätzlich zu einer wesentlichen Senkung von non-HDL, Apolipoprotein B sowie Lipoprotein (a). Die Substanz wurde generell gut vertragen; bei 1 Patienten trat als schwere unerwünschte Nebenwirkung eine leukozytoklastische Vaskulitis auf. Weitere Phase-II-Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Mach fasste die Ergebnisse zusammen: • Unter Alirocumab zeigen sich 40- bis 73-prozentige Sen-
kungen des LDL-C in Kombination mit Statinen • Der Effekt des PCSK9-Hemmers ist additiv zu dem der Sta-
tine, nicht synergistisch • Die Wirkung ist unabhängig von Baseline-LDL-Spiegel und
Statindosierung • Signifikante Verbesserung auch anderer Lipidparameter • Die meisten Patienten erreichen ihre Behandlungsziele von
LDL-C < 1,8 mmol/l (70 mg/dl) • Der Wirkstoff war generell sicher und wurde gut vertragen;
es gab keine anhaltenden klinischen oder laborchemischen unerwünschten Nebenwirkungen, am häufigsten war die Reaktion an der Injektionsstelle. Nun soll der PCSK9-Hemmer in der ODYSSEY-Studie (12 globale Phase-III-Trials an mehr als 23 500 Patienten) in weiteren Patientenbevölkerungen (FH-Patienten, Hypercholesterinämie bei hohem kardiovaskulärem Risiko mit oder ohne lipidmodifizierende Therapie) weiter untersucht werden.
Lydia Unger-Hunt
Literatur: 1. Publikationen zu EUROASPIRE unter www.escardio.org/guidelinessurveys/eorp/Pages/eorp-publications.aspx#euroaspire 2. Landmesser U et al. The difficult search for a «partner» of statins in lipid-targeted prevention of vascular events: the re-emergence and fall of niacin. Eur Heart J 2013; 34: 1254–1257. 3. Schwartz GG et al. Effects of dalcetrapib in patients with a recent acute coronary syndrome. NEJM 2012; 367: 2089–2099. 4. Besler C et al. Mechanisms underlying adverse effects of HDL on eNOS-activating pathways in patients with coronary artery disease. J Clin Invest 2011; 121: 2693–2708. 5. Voight BF et al. Plasma HDL cholesterol and risk of myocardial infarction: a mendelian randomisation study. Lancet 2012; 380: 572–580. 6. Rashid S et al. Decreased plasma cholesterol and hypersensitivity to statins in mice lacking Pcsk9. Proc Natl Acad Sci USA 2005; 102: 5374–5379. 7. Benn M et al. PCSK9 R46L, low-density lipoprotein cholesterol levels, and risk of ischemic heart disease: 3 independent studies and meta-analyses. J Am Coll Cardiol 2010; 55: 2833–2842. 8. Cohen JC et al. Sequence variations in PCSK9, low LDL, and protection against coronary heart disease. NEJM 2006; 354: 1264–1272. 9. Stein EA et al. Effect of a monoclonal antibody to PCSK9 on LDL cholesterol. NEJM 2012; 366: 1108–1118. 10. McKenney JM et al. Safety and efficacy of a monoclonal antibody to proprotein convertase subtilisin/kexin type 9 serine protease, SAR236553/REGN727, in patients with primary hypercholesterolemia receiving ongoing stable atorvastatin therapy. J Am Coll Cardiol 2012; 59: 2344–2353.
Quelle: «Meet the Expert-Breakfast» – Innovation is the future: Fighting «bad» cholesterol, SGK/SGHC-Jahreskongress 2014, 11. bis 13. Juni 2014 in Interlaken.
Kardiologie • August 2014 15