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Prognose, Diagnose und Therapie des akuten Koronarsyndroms
Kardiale Biomarker
Geht man nach den Ergebnissen einer entsprechenden PubMed-Suche, sind Biomarker eindeutig ein beliebter Forschungsbereich, so berichtet Prof. Dr. Peter Ammann vom Kantonsspital St. Gallen. Im Zentrum des kardialen Interesses stehen derzeit die Troponine, vor allem die hoch sensitiven Varianten, die bei akutem Koronarsyndrom prognostisch gut einsetzbar sind. Hingegen ist die Datenlage bezüglich Biomarker für Diagnose oder Therapieentscheidungen dieser Patienten derzeit noch als ausgesprochen mager zu bezeichnen.
Die Definition von Biomarkern zur Erinnerung: Ein Biomarker ist eine nachweisbare Substanz, die in einen Organismus eingeführt wird zum Zweck, eine Organfunktion (oder andere Gesundheitsaspekte) zu untersuchen. Und diese Substanzen wecken das Forscherinteresse seit geraumer Zeit in beträchtlichem Ausmass, so Ammann: So unterstützten die amerikanischen National Institutes of Health (NIH) allein zwischen 2008 und 2009 entsprechende Projekte mit 2,5 Milliarden Dollar; die entsprechende PubMed-Suche spuckt für den Zeitraum zwischen 1990 und 2009 eine Zahl von knapp 450 000 veröffentlichten Artikeln aus (1).
Wann treten Biomarker bei akutem Koronarsyndrom (ACS) auf? • Kardiales Troponin (cTn) bei Myokardschädigung • Ischämie-modifiziertes Albumin bei Myokardischämie • BNP bei linksventrikulärer Dysfunktion • CRP bei Entzündung • Cystatin C bei Niereninsuffizienz.
Alte und neue Biomarker Idealerweise sollte ein Biomarker eine ganze Reihe von Eigenschaften aufweisen. Dazu zählen etwa: • im Myokard in hoher Konzentration vorhanden • in keinem anderem Gewebe vorhanden, weder unter nor-
malen noch unter pathologischen Umständen • unter normalen Umständen nicht im Plasma messbar • nur nach irreversibler Myokardschädigung freigesetzt • Biomarkerwert direkt proportional zum Ausmass der Ne-
krose • die Freisetzung sollte lange genug dauern, um ein gutes
Diagnosefenster zu ermöglichen (2). Allerdings, erklärt Ammann, würden Biomarker in der realen Welt während eines akuten ACS/Myokardinfarkts (MI) von strukturellen Proteinen aus dem Myokard freigesetzt – und dies umfasse auch den normalen Turnover von Myokardzellen. Zusätzlich können Biomarker auch bei Apoptose und Myozytennekrose oder im Rahmen erhöhter zellulärer Wandpermeabilität freigesetzt werden. Nekrosebiomarker der Vergangenheit sind die Laktatdehydrogenase (LDH) oder die Aspartat-Aminotransferase (AST): Bei beiden erfolgt der Anstieg nach etwa 10 Stunden, innerhalb
etwa 1 Woche kommt es zur Normalisierung. Als Nekrosebiomarker der Gegenwart gelten hingegen Myoglobin, CK-MB sowie Troponin I und Troponin T, deren Anstieg bereits etwa 4 bis 8 Stunden nach einem Myokardinfarkt zu beobachten ist. Die «alte» Kreatininkinase (CK), ein Enzym der Regeneration von ATP aus ADP, hat drei wichtige Isoenzyme: CK-MM, CK-BB und CK-MB. Diagnostisch besonders bedeutsam ist das CKMB: Macht es mehr als 6 Prozent der Gesamt-CK-Aktivität aus, liegt die Diagnose einer Myokardverletzung vor. Sowohl für CK als auch CK-MB liegt eine «relativ gute» Korrelation zwischen Infarktgrösse und Biomarkerkonzentration vor, «was bereits aus alten Tierstudien aus den Achtzigerjahren bekannt ist», berichtet der Experte.
Troponine in der Praxis Wie werden Troponine in der Praxis eingesetzt? Ammann: «Ein 65-jähriger Mann mit Thoraxschmerz, Raucher, mit Diabetes mellitus Typ 2, Hypertonie und ST-Hebung: Liegt hier ein Bedarf für Biomarker vor? Sicher nicht, dieser Patient ist an das
Biomarker und ihre Eigenschaften
CK-MB bei akutem MI: • Ausgezeichnete Spezifität von 97 bis 99 Prozent • Anfängliche Sensitivität für den Nachweis eines MI zunächst recht niedrig
(23–57%) • Bei wiederholter Testung nach 3 Stunden erhöht sich Sensitivität auf bis
zu 88 Prozent • Maximale Sensitivität bei Evaluierung über eine 9-Stunden-Periode.
Myoglobin: • nicht kardialspezifisch • Freisetzung bereits nach 2 Stunden, rascher als CK-MB und kardiales Tro-
ponin • nur kurzfristige Erhöhung (< 24 h), daher für serielle Bestimmungen we-
niger geeignet.
Kardiale Troponine liegen in drei Proteinkomplexen vor: • TnC: Bindung an Kalzium • TnT: Bindung an Tropomyosin • TnI: Bindung an Aktin und zusätzlich Hemmung der kalziumabhängigen
ATPase.
Kardiologie • August 2014 25
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Katheterlabor zu überweisen.» Als Gegenbeispiel nennt der Kardiologe eine 62-jährige Frau mit Sepsis aufgrund von Pyelonephritis, CRP von 150 und Kreatinin von 198 sowie EKGVeränderungen. «Bei erhöhten Troponinen ist hier die grosse Variabilität an Krankheiten zu beachten, die zu einer Troponinerhöhung führen können.» Für solche Fälle erlauben die High-sensitivity-(hs-)Troponine eine klare Einschätzung der Lage: «Alles über der 99. Perzentile ist pathologisch, alles darunter ist normal.» Dieses exakte Wissen fehlt etwa bei Troponin-T: «Hier liegt zwischen normal und pathologisch eine Grauzone, die zum Ausschluss eines ACS eine Zweitbewertung erfordert.» Diesbezüglich wies auch eine Studie des Massachusetts General Hospital nach, dass zwar bei 15 Prozent von knapp 400 Patienten mit Thoraxschmerz ein erhöhter Troponin-T-Wert vorliegt, allerdings nur 2 Prozent dieser Patienten einen Myokardinfarkt aufwiesen (3). Ammann: «Daher gilt: Bei Troponinwerten über der 99. Perzentile sind Anamnese und EKG durchzuführen; wird ein Verschluss eines Koronargefässes festgestellt, liegt ein Typ-1-MI vor. Bei Koronarien ohne Verschluss liegt eine Myozytennekrose vor und damit ein Typ2-MI.» Hingegen liege bei chronisch erhöhten Troponinen «vielleicht eine Grunderkrankung vor, wie etwa eine strukturelle Herzerkrankung. Die entsprechenden Risikofaktoren des Patienten sind zu evaluieren und gegebenenfalls zu behandeln.» Insgesamt sei die Datenlage, wie man diese Patienten behandelt, und ihre Prognose verbessert könnte, aber noch «sehr mager» (4).
Engeres Zeitfenster erlaubt rasche Einstufung Grundsätzlich muss man bei einem Notfall mit Thoraxschmerz bei Gebrauch alter Troponine zum Ausschluss eines ACS 7 Stunden warten, «bei Einsatz der hs-Troponine geht das mit einer 4-stündigen Wartezeit ein bisschen rascher». Reichlin et al. haben das Zeitfenster der hoch sensitiven Troponine noch enger gemacht und eine übersichtliche Entscheidungstabelle erstellt, wobei Troponin T jeweils zu Baseline und nach 1 Stunde gemessen wird (5): • «Rule out» eines ACS:
– Baseline-hs-Troponin T < 12 ng/ml und absolute Veränderung nach 1 Stunde < 3 ng/ml: 100 Prozent Sensitivität, 100 Prozent negativer prädiktiver Wert; der Patient kann nach Hause geschickt werden. • «Rule in» eines ACS: – hs-TnT zu Baseline > 52 ng/ml oder absolute Veränderung nach 1 h > 5 ng/ml: Spezifität 97 Prozent, positiver prädiktiver Wert 84 Prozent.
Platz der Biomarker in Prognose, Diagnose und Therapie Eignen sich Troponine auch für prognostische Voraussagen? Einige Hinweise darauf gibt es, zeigten Untersuchungen doch einen proportionalen Zusammenhang zwischen erhöhten hsTroponinen und Mortalität; andere Studien wiesen eine höhere Mortalität und höhere Raten der Herzinsuffizienz bei erhöhten Troponinwerten nach, aber keine Erhöhung der Myokardinfarktrate. Auch bei älteren Patienten konnte eine Untersuchung einen klaren Zusammenhang zwischen besseren Troponinwerten und besserer Prognose nachweisen. Wobei Troponine nicht immer allein eingesetzt werden müssen, «auch bei Kombination von Troponinen beispielsweise mit BNP zeigt sich eine hohe negative Prädiktivität», zitiert Ammann aus der ROMICAT-Studie (6).
Biomarker und Myokardinfarkt
Seit der dritten universellen Definition eines Myokardinfarkts (JACC 2012) stehen die Biomarker damit in direktem Zusammenhang (7). Seit damals gilt zum Nachweis eines MI ein Anstieg/Abfall eines kardialen Biomarkers (vorzugsweise Troponin, wobei zumindest ein Wert über der 99. Perzentile des oberen Referenzbereichs liegt). Zusätzlich muss mindestens einer der folgenden Faktoren erfüllt sein: Symptome der Ischämie, ST-T-Veränderung, bildgebender Nachweis des Verlusts von viablem Myokard oder Identifizierung eines intrakoronaren Thrombus in der Angiografie oder Autopsie.
Und Diagnose und Therapie? «Für die Diagnose sind derzeit die Troponine am besten geeignet, danach folgen hFABP (Heart-type fatty acid binding protein), BNP und vielleicht Copeptin. Für alle diese Biomarker verweisen die Daten auf eine schlechte Prognose bei leichter Erhöhung. Aber zur möglichen Auswahl therapeutischer Modalitäten aufgrund von Biomarkern ist die Datenlage derzeit einfach zu dünn.» Ein möglicher zukünftiger Biomarker ist die MikroRNA-208: Die kardioselektive MikroRNA-208 zeigt sich innerhalb von 1 bis 4 Stunden nach einem Infarkt im Blut, was sowohl in Tiermodellen als auch bei Menschen nachgewiesen ist.
Zusammenfassung • Die derzeit bevorzugten Biomarker bei akutem Koronar-
syndrom sind Troponine, vor allem hoch sensitive Troponine. • Bei Einsatz von hs-Troponinen sollte man ein «guter Kliniker» sein und echokardiografische Fähigkeiten aufweisen. • Eine Erhöhung kardialer Biomarker ausserhalb eines ACS verweist in den meisten Fällen auf unerwünschte klinische Endergebnisse. • Die Datenlage aus randomisiert-kontrollierten Trials für die Therapie dieser Patienten ist mager.
Lydia Unger-Hunt
Literatur: 1. Ptolemy AS et al. What is a biomarker? Research investments and lack of clinical integration necessitate a review of biomarker terminology and validation schema. Scand J Clin Lab Invest Suppl 2010; 242: 6–14. 2. Lindahl B. Acute coronary syndrome – the present and future role of biomarkers. Clin Chem Lab Med. 2013; 51 (9): 1699–1706. 3. Januzzi JL jr et al. High-sensitivity troponin T concentrations in acute chest pain patients evaluated with cardiac computed tomography, Circulation 2010; 121: 1227–1234. 4. De Lemos JA. Increasingly sensitive assays for cardiac troponins: a review; JAMA 2013; 309: 2262–2269. 5. Reichlin T et al. One-hour rule-out and rule-in of acute myocardial infarction using high-sensitivity cardiac troponin T; Arch Intern Med 2012; 172: 1211–1218. 6. Truong QA et al. Multi-marker strategy of natriuretic peptide with either conventional or high-sensitivity troponin-T for acute coronary syndrome diagnosis in emergency department patients with chest pain: from the «Rule Out Myocardial Infarction using Computer Assisted Tomography» (ROMICAT) trial. Am Heart J. 2012; 163: 972–979. 7. Thygesen K et al. Third universal definition of myocardial infarction. J Am Coll Cardiol. 2012; 60: 1581–1598.
Quelle: Main Session 3: «New and old cardiac biomarkers». SGK/SGHC-Jahreskongress 2014, 11. bis 13. Juni 2014 in Interlaken.
Kardiologie • August 2014 27