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Antikoagulation bei Blutungsanamnese im Gastrointestinaltrakt
Balanceakt zwischen Blutung und Embolie
Die obere gastrointestinale Blutung stellt die häufigste Notfallsituation in der Gastroenterologie dar. Haben Patienten unter einer antithrombotischen Therapie eine schwere gastrointestinale Blutung erlitten, steht der Arzt vor einer schwierigen Entscheidung – insbesondere dann, wenn das Thromboserisiko hoch ist.
Die Inzidenz der Blutung im oberen Gastrointestinal (GI)Trakt liegt bei etwa 50 bis 150 Episoden pro 100 000 Einwohner, ist bei Männern fast doppelt so hoch wie bei Frauen und nimmt mit zunehmendem Alter deutlich zu (1, 2). Wenn ein Patient unter einer antithrombotischen Therapie eine schwere gastrointestinale Blutung erleidet, steht der behandelnde Arzt vor eine schwierigen Entscheidung: Soll er das Antithrombotikum absetzen und damit eventuell eine Thrombose auslösen? Oder soll er die Behandlung fortsetzen und damit weitere Blutungen riskieren? Bisher konnte keine Studie effektiv nachweisen, dass es für den Patienten von Vorteil ist, eine Therapie mit oralen Antikoagulanzien («oral anticoagulant drugs», OAD) einzustellen, berichtete Prof. Dr. Jan Borovicka, Kantonsspital St. Gallen. In einer retrospektiven Kohortenstudie, die amerikanische Versichertendaten aus Colorado von 2005 bis 2008 auswertete, zeigte sich, dass es ungünstiger war, eine orale Antikoagulation nach überstandener Magenblutung langfristig zu unterbrechen, als die Behandlung fortzusetzen (3). In die Studie wurden 442 Patienten einbezogen. Die Patienten waren unter einer Dauertherapie mit dem Vitamin-K-Antagonisten Warfarin wegen einer GI-Blutung in einem Krankenhaus oder einer Notfallambulanz therapiert worden. Der Beobachtungszeitraum betrug 90 Tage.
Aufgrund der Therapie verminderte Sterberate unter Vitamin-K-Antagonist? Bei 260 Patienten (58,8%) wurde die Antikoagulation nach der Blutung fortgesetzt, im Median nach vier Tagen. Während des Beobachtungszeitraums traten in der Warfaringruppe mehr GI-Blutungen auf (10% vs. 5,5%), der Unterschied war jedoch statistisch nicht signifikant. Die Behandlung erhöhte auch nicht signifikant das Risiko einer rezidivierenden GI-Blutung, keine der Blutungen verlief tödlich. Die Behandlung mit Warfarin ging mit einem geringeren Risiko für Thrombose und Mortalität einher. Innerhalb des Beobachtungszeitraums starben 15 Patienten (5,8%) mit und 37 (20,3%) ohne Warfarintherapie. Die häufigsten Todesursachen waren Krebs, Infektionen und kardiale Erkrankungen. Nach Abgleich anderer Risikofaktoren hatten Patienten mit fortgesetzter Warfarintherapie eine um 69 Prozent verminderte Sterberate. Es konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, dass die Verringerung der Mortalität auf der Einnahme von Warfarin beruhte. Nur drei der 37 Todesfälle in dieser Patientengruppe waren durch Thrombosen bedingt. Zwar könnten subklinische Thrombosen einen tödlichen Effekt gehabt haben. Es ist je-
Management akuter GI-Blutungen durch den Gastroenterologen
Bei Präsentation einer oberen gastrointestinalen Blutung muss umgehend der hämodynamische Status evaluiert werden und eine Risikoabschätzung erfolgen. Anzeichen kürzlicher Blutungen in der Endoskopie können helfen, das Risko weiterer Blutungen einzuschätzen und das Vorgehen leiten. Sowohl blutende Ulzerationen als auch jene ohne blutendes Gefäss sollten endoskopisch behandelt werden. Je nach Situation sollte eine Adrenalininjektion mit einer zweiten endoskopischen Option kombiniert werden. Thermokoagulation und Clips können Blutungen wirksam reduzieren und die Notwendigkeit chirurgischer Massnahmen reduzieren. Im Anschluss an die Endoskopie sollten Patienten mit aktiv blutendem Ulkus sowie jene, bei deren Ulkus das blutende Gefäss nicht sichtbar oder ein Koagel adhärent ist, hochdosiert intravenöse Protonenpumpenhemmer erhalten (4).
Blutungsrisiko und Antikoagulation
• Bei Hochrisikopatienten mit endoskopischer Therapie treten in 10 bis 24 Prozent rezidivierende Blutungen auf.
• Eine frühere Wiederaufnahme der oralen Antikoagulation geht mit einem niedrigerem Mortalitäts- und Thromboembolierisiko einher.
• Der Verzicht auf eine Tripletherapie kann bei Patienten mit Vorhofflimmern und PCI das gastrointestinale Risiko erheblich reduzieren.
• Bislang konnte keine prospektive Studie nachweisen, dass das Vorenthalten einer Antikoagulation auf der Basis eines hohen Risikoscores tatsächlich einen Nutzen für die Betroffenen bringt.
doch nicht auszuschliessen, dass der Verzicht auf eine Antikoagulation die Folge eines schlechteren Gesundheitszustands und damit eines höheren Mortalitätsrisikos war. Hinsichtlich einer Tripletherapie betonte der Experte, dass bereits der alleinige Einsatz von Clopidogrel zu einer signifikanten Reduktion von Blutungskomplikationen und zu keinem Anstieg der Rate thromboembolischer Komplikationen führen würde.
Claudia Borchard-Tuch
Quellen: Main Session 7: Borovicka J: «History of GI bleeding: Which cardiac patient cannot be anticoagulated?», SGK/SGHC Jahreskongress 2014, 11. bis 13. Juni 2014 in Interlaken.
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Literatur: 1 Longstreth GF. Epidemiology of hospitalization for acute upper gastrointestinal hemorrhage: a population-based study. Am J Gastroenterol 1995; 90: 206–210. 2 Rockall TA et al. Incidence of and mortality from acute upper gastrointestinal haemorrhage in the United Kingdom. Steering Committee and members of the National Audit of Acute Upper Gastrointestinal Haemorrhage. BMJ 1995; 311: 222–226. 3. Witt DM et al. Risk of thromboembolism, recurrent hemorrhage, and death after warfarin therapy interruption for gastrointestinal tract bleeding. Arch Intern Med 2012; 172 (19): 1484–1491. 4. Wong SH, Sung JJ. Management of GI emergencies: peptic ulcer acute bleeding.Best practice Res Clin Gastroenterol 2013; 639-647. Quelle: Main Session 7: Borovicka J: «History of GI bleeding: Which cardiac patient cannot be anticoagulated?», SGK/SGHC Jahreskongress 2014, 11. bis 13. Juni 2014 in Interlaken.
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