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Was sollen wir der betagten Frau mit Mammakarzinom anbieten?
Funktioneller Zustand, nicht Alter ist ausschlaggebend für die Therapie
Schon heute gibt es viele ältere Frauen mit Brustkrebs, und ihre Zahl wird weiter deutlich zunehmen. Bei betagten Mammakarzinompatientinnen stellen sich mannigfache Probleme. Dies soll aber nicht dazu führen, dass ihnen optimale Therapien vorenthalten werden. Sinnvoll sind individuell abgestimmte Anpassungen in der lokalen und systemischen Therapie, wenn Komorbiditäten und Leistungseinschränkungen dies erfordern.
Die altersspezifische Inzidenz des Mammakarzinoms erreicht in der Gruppe der 65- bis 69-Jährigen ein Maximum und verharrt dann auf hohem Niveau. Während in jüngeren Jahren die In-situ-Tumore überwiegen, sind es bei älteren Frauen die invasiven, nicht selten grossen und symptomatischen Geschwülste. Das mittlere Erkrankungsalter bei Brustkrebs beträgt in Deutschland 64 Jahre. «Es handelt sich also um eine Erkrankung der älteren Frau», fasste Prof. Dr. med. Klaus Friese, Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Ludwig-Maximilians-Universität, München, einige epidemiologischen Fakten zusammen (zur Begriffswahl: Kasten 1). Dies ist von grosser Relevanz, da die betroffenen Frauen die Erkrankung lange überleben und sich die Therapiewahl am Einfluss auf die Lebensqualität orientieren muss.
Komorbiditäten erschweren das Management Zu den Besonderheiten des Mammakarzinoms der betagten Frau gehören die mit dieser Altersgruppe assoziierten Komorbiditäten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arthrose, Demenz, Typ-2-Diabetes und Osteoporose. 82 Prozent der über 70-Jährigen haben eine, 34 Prozent sogar drei und mehr Begleiterkrankungen. Dies führt auch zu einer höheren Mortali-
Kasten 1: Begriffsklärungen zum Abschnitt zwischen mittlerem Alter und Tod
Ältere Menschen Hochbetagte Menschen Höchstbetagte Menschen Langlebige Menschen
65–74 Jahre 75–90 Jahre 91–100 Jahre über 100 Jahre
Kasten 2:
Typische Probleme bei der betagten Patientin
• Fehl- oder Mangelernährung: vermindert den Albumingehalt im Blut • Inkontinenz: kann sich unter Chemotherapie noch verschlechtern • Beeinträchtigtes Sehvermögen: erschwert die Einnahme von Medika-
menten • Hörminderung: Was kommt bei Aufklärungsgesprächen an? • Bestehende Medikationen: z.B. Interaktion Johanniskraut mit Cyclo-
phosphamid
tät aus nicht krebsbedingten Ursachen als bei jüngeren Brustkrebspatientinnen. Bei der betagten Patientin treten einige typische Probleme auf (Kasten 2). Die Toleranz gegenüber einer onkologischen Therapie kann – in Abhängigkeit von der funktionellen Reserve – erheblich variieren. «Nicht das Alter, sondern der Funktionsstatus der Organe ist entscheidend für die Auswahl und Dosierung der eingesetzten Substanzen», hob Friese hervor. Eine umfassende geriatrische Einschätzung muss sehr viele Faktoren berücksichtigen (wofür es eine Reihe von Fragebögen und Checklisten gibt): • Physische, mentale und psychosoziale Gesundheit (Kogni-
tion, Depression, Komorbiditäten) • Basisaktivitäten des täglichen Lebens (Ankleiden, Körper-
pflege, Zubereitung des täglichen Essens, Medikamenteneinnahme etc.) • Lebensumstände, soziales Netz, Mobilität, Verfügbarkeit von Hilfsdiensten • Arzneimittelnebenwirkungen und -interaktionen • Eliminationsbedingungen von Nieren und Leber Im Rahmen von Studien werden ältere Patientinnen und Patienten nicht ausreichend berücksichtigt. Analogschlüsse zu jüngeren Kollektiven können jedoch falsch sein. Daher sind viele für diese Altersgruppen spezifischen Fragestellungen noch unzureichend erforscht. Grundsätzlich ist auch die Behandlung älterer Patientinnen zeitintensiver, da sie sich viel mehr auf den persönlichen Kontakt stützen muss und nicht auf andere Informationsquellen, etwa das Internet, verwiesen werden kann. Ein Review zur Screening-Mammografie bei älteren Frauen kam kürzlich zum Schluss, dass bei einer Lebenserwartung von weniger als 10 Jahren die potenziellen Schäden gegenüber dem Nutzen betont und der Kurzzeitnutzen gesundheitsfördernden Verhaltens hervorgehoben werden sollten (1). Bei einer Lebenserwartung über 10 Jahre ist die Risiko-Nutzen-Abwägung für die Patientinnen ein Werturteil, das sie nur in genauer Kenntnis der Screeningauswirkungen fällen können.
Welche Abstriche soll man bei der operativen Therapie machen? Es gibt einige EORTC-Studien, welche eine Mastektomie mit einer brusterhaltenden Therapie verglichen haben (z.B. 2). Dabei ergab sich hinsichtlich des Überlebens kein signifikan-
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Take Home Messages
• Aufgrund der epidemiologischen Entwicklung und des hohen Durchschnittsalters bei Diagnosestellung wird die Zahl der älteren Brustkrebspatientinnen weiter ansteigen.
• Bezüglich Effektivität und Nebenwirkung der Therapien ist die Datenlage bei älteren Patientinnen limitiert.
• Ein geriatrisches Assessment vor Therapiebeginn ist eine essenzielle Grundlage für eine optimale Therapie.
• Bei einer rüstigen Patientin soll eine leitliniengerechte Therapie erfolgen und eine Unterbehandlung vermieden werden.
• Neue, nebenwirkungsarme Therapieformen (Hypofraktionierung der Radiotherapie, intraoperative lokale Radiotherapie) mit vergleichbarer Effektivität bieten sich als Alternativen an.
ter Unterschied, bei Patientinnen mit brusterhaltender Operation war hingegen die armbezogene Morbidität signifikant tiefer, und es ergab sich ein starker Trend zu einer besseren Körperwahrnehmung. In der Befragung ergab sich keine eindeutige Präferenz für einen der Behandlungsarme, aber die Patientinnen nach Mastektomie äusserten sich in 62 Prozent zufrieden mit der Therapie, diejenigen mit brusterhaltender Operation in 72 Prozent. Auch ein axillaschonendes Vorgehen bei der Lymphknotendissektion hat zumindest kurzfristig einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität der betroffenen älteren Frauen. «Wir wissen, dass die Strahlentherapie eine nur geringe Morbidität und Belastung für die Patientinnen hat», erklärte Friese, «sie einer betagten Patienten vorzuenthalten, ist deshalb nicht gerechtfertigt, zumal heute die Toxizität der Bestrahlung viel geringer ist.» Der Verzicht auf eine Strahlentherapie führt insgesamt nicht zu einer Verbesserung der Lebensqualität, gab sich Friese überzeugt, dieser Verzicht hat aber ein kürzeres erkrankungsfreies und Gesamtüberleben zur Folge. Zudem stehen radiotherapeutische Methoden zur Verfügung, die besonders verträglich sind, etwa die Hypofraktionierung und Beschränkung auf 40 Gray anstatt 50 Gy oder die intraoperative Radiotherapie (IORT) mit einer Einzeldosis von 20 Gy. Mit der IORT kann eine hohe Strahlendosis direkt auf das Tumorbett appliziert werden. In einer Vergleichsstudie bei sorgfältig ausgewählten Patientinnen über 45 Jahre erwies sich die IORT nach 5 Jahren hinsichtlich Lokalrezidiven und Gesamtüberleben als durchaus valable Alternative zu einer postoperativen externen Bestrahlung mit weniger nicht durch den Brustkrebs verursachten Todesfällen und weniger schweren Hautveränderungen (4).
… und welche bei systemischen Therapien? Eine Chemotherapie ist mit einer Beeinträchtigung der Lebensqualität durch medikamentöse Nebenwirkungen assoziiert. Diese Einschränkung ist aber vorübergehend, nach Beendigung der Chemotherapie ist die Lebensqualität mit derjenigen in einem Kontrollarm vergleichbar. Die therapieassoziierte Mortalität liegt bei Frauen über 65 Jahre im Bereich von 1,5 Prozent. Allerdings sind ältere Patientinnen in entsprechenden klinischen Studien untervertreten, und über die Langzeitauswirkungen, beispielsweise auf die Kognition, ist bisher nichts bekannt. Im Allgemeinen werden die hormonellen Therapien auch im Alter gut vertragen. Unter Tamoxifen oder Aromatasehemmern wurde eine gleichbleibende oder ansteigende Lebensqualität beobachtet. Die initialen Nebenwirkungen während der ersten drei Monate normalisieren sich innert zweier Jahre. Gleich mehrere Studien haben über sehr günstige Auswirkungen auf die Lebensqualität unter verschiedenen Trainingsprogrammen zur Förderung der körperlichen Aktivität (Aerobic, Spazierengehen, Radfahren, Krafttraining) berichtet. Diese Verbesserung hielt auch über Therapieende an. «Auch die Frau über 75 oder 85, die in einem guten Zustand ist, kann fast analog behandelt werden wie eine Frau mit 50», erklärte Friese mit Verweis auf AGO-Richtlinien, «nur bei der gebrechlichen Patientin müssen Einschränkungen vorgenommen werden.» Allerdings ist nicht das Alter entscheidend, sondern der Funktionszustand.
Halid Bas
Referenzen: 1. Walter LC et al. Screening mammography in older women: a review. JAMA 2014; 311 (13): 1336–1347. 2. de Haes JC et al. Quality of life in breast cancer patients aged over 70 years, participating in the EORTC 10850 randomised clinical trial. Eur J Cancer 2003; 39 (7): 945–951. 3. Prescott RJ et al. A randomised controlled trial of postoperative radiotherapy following breast-conserving surgery in a minimum-risk older population. The PRIME trial. Health Technol Assess 2007; 11 (31): 1–149, iii–iv. 4. Vaidya JS et al. Risk-adapted targeted intraoperative radiotherapy versus whole-breast radiotherapy for breast cancer: 5-year results for local control and overall survival from the TARGIT-A randomised trial. Lancet 2014; 383 (9917): 603–613.
Quelle: «Mammakarzinom der betagten Frau» im Rahmen des 3. Hauptthemas «Mammakarzinom – spezielle Situationen». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG), 25. bis 27. Juni 2014 in Interlaken.
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