Transkript
CongressSelection
«Wir bekommen ein immer besseres genetisches Verständnis»
Was nimmt man mit nach Hause aus der Vielzahl von Vorträgen, Workshops und Symposien? Interview mit dem Rheumatologen Prof. Dr. med. Erich Mur von der Physikalischen Medizin an der Universitätsklinik Innsbruck über seine Eindrücke am diesjährigen EULAR-Kongress in Paris.
C ongress Selection: Herr Professor Mur, wie ist Ihr Eindruck vom diesjährigen EULAR-Kongress? Prof. Dr. med. Erich Mur: Eine wie immer gut organi-
sierte Veranstaltung. Vor allem in den sogenannten WIN- und
HOT-Sessions, also den «what is new» und «how to treat»-
Vorträgen, konnte ich zu klinischen Ansätzen und zu aktuel-
len Entwicklungen Neues erfahren.
Für mich war vor allem interessant, welche
Fortschritte man derzeit im genetischen
Verständnis rheumatischer Erkrankungen
macht. Dabei wird immer deutlicher, wie
vielfältig deren genetischer Hintergrund ist.
Auch die Verbindung zwischen den ver-
schiedenen Elementen des Immunsystems
wird immer klarer. So wissen wir jedes Jahr
mehr über die Rolle verschiedener Interleu-
kine, wie zum Beispiel IL-6 oder IL-17.
Wenn wir nun den genetischen und immu-
Erich Mur
nologischen Hintergrund der Betroffenen
kennen, sollten wir diesen in absehbarer
Zeit endlich sehr zielgerichtete Therapien
zukommen lassen können. Gerade für Patienten, die bis an-
hin nicht optimal behandelt werden konnten, könnte eine der-
art ausgerichtete Blockade von Zytokinen sehr interessant
werden.
Ich bin da durchaus optimistisch, allerdings braucht es bis zur
Umsetzung in die Praxis wohl noch eine ganze Weile.
gute Schlafpflege scheinen sich sehr positiv auf Fibromyalgiepatienten auszuwirken. Das war mir in dieser Deutlichkeit bis anhin noch nicht bekannt.
Es war bei unterschiedlichen Erkrankungen recht viel von Remission die Rede ... Man diskutiert gegenwärtig, inwieweit bei länger anhaltender Remission Therapiepausen eingelegt werden dürfen. Aber das ist noch nicht klar beantwortet, wir brauchen da noch mehr Erfahrungen. Auch die Streckung von Therapieintervallen bei Remission ist im Gespräch. Das könnte interessant werden, möglicherweise haben wir Rheumatologen in Zukunft da mehr Freiräume.
In der Vergangenheit wurde die Gicht etwas stiefmütterlich behandelt. Haben Sie da etwas Neues gehört? In mehreren Sessions wurde die Gicht wieder mehr in den Vordergrund gerückt. Das war sehr erfreulich. So wurden einerseits interessante therapeutische Adaptionen und andererseits wurde die Wertigkeit neuerer Ansätze bei der Bildgebung diskutiert. Bei der Dual-Energy-Computertomografie kommt ein CT-Gerät zum Einsatz, welches sowohl über zwei Hochleistungsröntgenröhren als auch über zwei getrennte Detektorkränze verfügt. Damit können bei Gicht verschiedene Strukturen zeitgleich von Röntgenstrahlen mit unterschiedlichen Energien gescannt und beispielsweise Harnsäurekristalle im Gewebe farblich dargestellt werden.
Das könnte ausser für die RA auch für andere rheumatoide Erkrankungen interessant werden. Innerhalb der verschiedenen rheumatischen Erkrankungen bis hin zur Fibromyalgie zeichnen sich immer besser unterscheidbare Subgruppen ab, was bei der Wahl der Therapie künftig vermehrt berücksichtigt werden sollte. Bei der Fibromyalgie wurde zudem darauf hingewiesen, dass ein stärkeres Augenmerk dem Schlafverhalten der Patienten gelten sollte. Ein angemessener Lebensrhythmus und eine
Zur Person
Prof. Dr. Erich Mur ist Leiter der Physikalischen Medizin am Universitätsklinikum Innsbruck. Seine medizinischen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Rheumatologie und Sportmedizin sowie Palliativmedizin und Geriatrie. Er ist Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation sowie der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie.
Gibt es auch Dinge, die Ihnen weniger gefallen haben? Manche Änderungen in der aktuellen Terminologie finden nicht wenige − selbst wenn sie die dahinterstehenden Überlegungen nachvollziehen können − etwas gewöhnungsbedürftig. So spricht man nun von «peripheren Spondyloarthritiden», wobei der Begriff Spondyloarthritis nach gängigem Wortverständnis natürlich primär den Veränderungen an der Wirbelsäule zugeordnet wurde. Auch den Begriff einer «nicht radiografischen Spondyloarthritis» einem Patienten verständlich zu machen, kann mitunter eine gewisse Herausforderung sein. Generell denke ich, dass wir hinsichtlich der Terminologie, durch die immer besser verstandenen pathogenetischen Hintergründe verschiedener Erkrankungen, noch etliche Veränderungen erleben werden.
Das Interview führte Klaus Duffner.
8 Rheumatologie • August 2014