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Prostatakarzinom und vorzeitige Ejakulation
Vermischtes vom EAU-Kongress 2014
Im Rahmen des diesjährigen Kongresses der European Association of Urology (EAU) wurde das Thema PSA-Screening heftig und zum Teil durchaus kontrovers diskutiert. Spannende aktuelle Daten gab es jedoch zu praktisch allen Teilgebieten der Urologie und Andrologie. Darunter auch zur Ejaculatio praecox, die jahrzehntelang von der Forschung eher vernachlässigt worden war.
B ereits in mehreren Auswertungen zeigte die European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC) eine signifikante Reduktion der prostataspezifischen Mortalität durch PSA-Screening. Im Rahmen des diesjährigen Kongresses der EAU präsentierte Professor Dr. Jonas Hugosson, der derzeitige Principal Investigator von ERSPC, einen Ausblick auf die aktuellen Daten der Studie, die in Kürze in «Lancet» publiziert werden sollen (1). Diese zeigen weiterhin das Bild früherer ERSPC-Auswertungen, also eine reduzierte prostataspezifische Sterblichkeit im Screeningarm. Die Veränderungen gegenüber früheren Auswertungen entsprechen den Erwartungen. Über die Jahre wird eine Abnahme der Zahl an Einladungen beobachtet, und es sind mehr Diagnosen erforderlich, um einen Todesfall zu verhindern. Auch wird der Unterschied in den Karzinomdiagnosen zwischen den Armen mit den Jahren kleiner, wobei der Vorteil des Screeningarms hinsichtlich der Mortalität nach wie vor zunimmt. Bemerkenswerterweise sind die Vorteile des Screenings in den verschiedenen Zentren beziehungsweise Ländern sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während beispielsweise in Schweden eine dramatische Reduktion der Mortalität beobachtet wird, ist dies in der Schweiz nicht der Fall. Hugosson führt das auf die unterschiedliche Altersstruktur der Patienten in den verschiedenen Zentren zurück.
Wie sieht es mit den Screeningintervallen aus? Entschliesst man sich zum PsA-Screening, stellt sich damit auch die Frage des Screeningintervalls. Hier zeigte eine Studie aus den Niederlanden, dass die Patienten nicht unbedingt Interesse an langen Intervallen haben (2). Dabei ging man von der Annahme aus, dass sich bei Männern mit sehr niedrigem PsA mit nur drei PsA-Werten (in der 5., 6. und 7. Dekade) das Risiko eines aggressiven Prostatakarzinoms schon erheblich senken lässt. Allerdings ergab die Arbeit, dass ein erheblicher Prozentsatz der Männer einer niederländischen Kohorte nicht einmal bereit waren, 4 Jahre auf ihre nächste
Untersuchung zu warten. 39,2 Prozent der Probanden liessen innerhalb dieses Intervalls mindestens einmal ausserhalb des Studienprotokolls ihr PSA kontrollieren. Daher bezweifeln die Autoren, dass ein Screeningintervall von 10 Jahren in der Praxis durchgehalten werden kann, wenn man die Männer einmal für das PSA-Screening motiviert hat.
Suboptimale Compliance bei Patienten unter «active surveillance» Zu einem gänzlich anderen Ergebnis in einer Population, bei der regelmässige Kontrollen besonders wichtig wären, kam eine Schweizer Gruppe, die die Adhärenz von Männern unter «active surveillance» untersuchte (3). Beobachtet wurden 157 Patienten über 13 Jahre am Kantonsspital Baden unter Reallife-Bedingungen, das heisst ausserhalb des akademischen Betriebs. Dabei zeigte sich, dass 27 Prozent der Patienten nicht zu den vereinbarten Untersuchungsterminen erschienen. Für die Autoren ein enttäuschendes Ergebnis, zumal zu erwarten sei, dass es durch die Verweigerung der Kontrollen zu Todesfällen infolge von Prostatakrebs kommt. Zum anderen zeigte die Studie, dass «active surveillance» bei kooperativen Patienten eine sinnvolle Option darstellt. Insgesamt kam es nur bei 28 Prozent der Kohorte zu einer Progression, die eine definitive Therapie (radikale Prostatektomie oder Strahlentherapie) erforderlich machte. Am Ende der Studie befanden sich noch 50 Prozent der Männer unter «active surveillance».
Entwarnung für Metformin Entwarnung gibt es für Typ-2-Diabetiker: Eine finnische Studie zeigte, dass Metformin, wie bereits bekannt, das Risiko reduziert, ein Prostatakarzinom zu entwickeln, dabei aber nicht – wie befürchtet – das Risiko von Hochrisikokarzinomen erhöht (4). Generell fand die finnische Gruppe keinen Hinweis auf das Auftreten besonders gefährlicher Karzinome bei Diabetikern. In der gesamten Population war die Einnahme antidiabetischer Medikation mit einer reduzierten Inzidenz von
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Prostatakarzinomen assoziiert (HR 0,87, 95%-KI: 0,79–0,96). Wurden die High-Grade-Tumoren (Gleason 7–10) getrennt betrachtet, zeigte sich zwar keine Risikoreduktion, aber auch keine erhöhte Inzidenz. Auch wurde kein Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung festgestellt. Noch besser sehen die Daten für Metformin aus, das im Vergleich zu anderen Diabetestherapien eine noch weitere Reduktion des Prostatakarzinomrisikos (HR 0,87, 95%-KI: 0,77–0,99) brachte. Hochrisikokarzinome traten auch unter Metformin nicht gehäuft auf. Die Autoren schliessen aus diesen Daten, dass Metformin einen protektiven Effekt gegenüber Prostatakrebs haben könnte.
Nykturie beeinträchtigt Lebensqualität Auch scheinbar banale Probleme können erheblichen Einfluss auf Lebensqualität und Produktivität haben. So ergaben Daten einer Umfrage, die unter Urologen und ihren Patienten (n = 8738) in Europa und den USA durchgeführt wurde, dass Nykturie und die damit verbundene Störung des Schlafes zu ernsten Konsequenzen führen kann (5, 6). Dabei war die Ausprägung der Nykturie (gemessen an der Länge der ersten ungestörten Schlafphase) signifikant negativ korreliert mit dem Aktivitätsniveau und dem Gefühl, erfrischt aufzustehen, und der Lebensqualität insgesamt. Wem es gelang, mindestens vier Stunden ungestört zu schlafen, zeigte ein deutlich besseres Befinden. Mit stärker werdender Nykturie nahmen Lebensqualität und Produktivität ab. Patienten, die mindestens zweimal pro Nacht auf die Toilette mussten, waren in jeder Hinsicht mehr eingeschränkt als Patienten, die mit einer Miktion durch die Nacht kamen.
Aktuelle Studienergebnisse zur Ejaculatio praecox Neue Daten aus dem Feld der Andrologie zeigen, dass sexuelle Funktionsstörungen auch mit Lebensstilmassnahmen wirksam behandelt werden können. So gelang es einer italienischen Gruppe, Patienten mit lebenslanger vorzeitiger Ejakulation (premature ejaculation, PE) erfolgreich mit einem Training der Beckenbodenmuskulatur zu behandeln (7). Gemäss Definition der International Society of Sexual Medicine liegt eine PE vor, wenn es beim Geschlechtsverkehr innerhalb einer Minute zur Ejakulation kommt. In die Studie eingeschlossen waren 40 Männer im Alter zwischen 19 und 46 Jahren, die über 12 Wochen ein Programm zum Training der Beckenbodenmuskulatur absolvierten und parallel regelmässig die Zeit bis zur Ejakulation überprüften. Zu Beginn der Studie lag die durchschnittliche Zeit bis zur Ejakulation bei 31,7 Sekunden. Nach 12 Wochen hatte sie sich auf durchschnittlich 146,2 Sekunden verbessert. Die Studienpatienten hatten zuvor bereits mehrere erfolglose Therapieversuche mit unterschiedlichen Strategien absolviert. Bei 33 der 40 Männer kam es zu signifikanten Verbesserungen, bei 5 Patienten wurde kein Erfolg erreicht, und 2 beendeten die Studie vorzeitig, hatten davor jedoch einen Erfolg berichtet. Ein Teil der Pa-
tienten setzte das Training über drei weitere Monate fort, wobei die verlängerte Ejakulationszeit erhalten blieb. Die Autoren betonen, dass die Methode nicht nur kostengünstig, sondern auch frei von Nebenwirkungen sei. Allerdings müsse sie sich nun in einem weiteren Schritt in grösseren Studien bewähren. Auch eine Standardisierung des Übungsprogramms wäre wünschenswert. Verhaltenstherapeutische Massnahmen dürften bei PE auch dann sinnvoll sein, wenn eine medikamentöse Therapie gewählt wird. So zeigte eine weitere italienische Studie, dass Männer, die mit dem speziell zur Therapie der PE zugelassenen SSRI Dapoxetin behandelt wurden, von einer zusätzlichen Verhaltenstherapie profitierten (8). In beiden Gruppen kam es zu einer signifikanten Verlängerung der intravaginalen ejakulatorischen Latenzzeit (IELT), die über die Dauer der Studie zunahm. Bei Männern, die zusätzlich zur Einnahme von Dapoxetin als Bedarfsmedikation auch regelmässig eine Verhaltenstherapie inklusive der lange bekannten «Squeeze»und «Stop and Start»-Techniken absolvierten, fiel die Verbesserung jedoch um einiges deutlicher aus. Nach neun Monaten betrug die IELT in der Medikamentengruppe 2,59 Minuten, unter Kombinationstherapie jedoch 6,14 Minuten. Eine weitere Studie zur vorzeitigen Ejakulation untersuchte Zusammenhänge zwischen PE (lebenslang und erworben) auf der einen und hormonellen Faktoren auf der anderen Seite (9). Dabei wurden in der PE-Gruppe im Vergleich zu einer Kontrollgruppe signifikant höhere Testosteronspiegel sowie niedrigere Spiegel von FSH und LH gefunden. Sowohl das Gesamttestosteron als auch das freie Testosteron waren bei lebenslanger PE höher als bei Männern mit erworbener PE. Hinsichtlich der Schilddrüsenhormone wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen gefunden.
Reno Barth
Referenzen: 1. «Update: European Randomised Study of Screening for Prostate cancer (ERSPC)», Vortrag J.E. Hugosson im Rahmen der Plenary Session 4. 2. Bokhorst LP et al. Will men with very low PSA values accept a long screening interval? Poster Session 69. 3. Hefermehl LJ et al. 13 years of experience in active surveillance for prostate cancer: Malcompliance is a major concern in the long term. Poster Session 3. 4. Haring A et al. Anti-diabetic drugs and prostate cancer incidence in the Finnish Prostate Cancer Screening Trial. Poster Session 69. 5. Andersson F et al. Negative impact of nocturia on utility, productivity and health-related quality of life: Results of a real world survey of patients in Europe and USA. Poster Session 48. 6. Bliwise et al. Negative impact of reduced first undisturbed sleep period on utility, productivity and health-related quality of life: Results of a real world survey of patients in Europe and USA. Poster Session 48. 7. Pastore AL et al. Pelvic floor muscle rehabilitation for patients with lifelong premature ejaculation: A novel therapeutic approach. Poster Session 58. 8. Cormio L et al. Combined dapoxetine and behavioural treatment provides better results than dapoxetine alone in the management of patients with longlife premature ejaculation. Poster Session 58. 9. Dogan C et al. The effects of hormonal factors on premature ejaculation. Poster Session 58.
Quelle: Vorträge und Posterpräsentationen im Rahmen des 29. Jahreskongresses der European Association of Urology, 11. bis 15. April 2014 in Stockholm.
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