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Mit pflanzlichen Produkten gegen Harnwegsinfekt und Nierenstein
Phytotherapie stellt aus Sicht vieler Patienten eine wünschenswerte Alternative zur gängigen pharmakologischen Behandlung verschiedener Erkrankungen des Urogenitaltraktes dar. Aber hält die Evidenz, was Werbung und Internet versprechen?
R ezidivierende Infektionen des oberen Harntraktes stellen für viele Frauen ein erhebliches gesundheitliches Problem dar. Gut verträgliche präventive Strategien sind dringend gefragt. Hier bieten sich phytotherapeutische Methoden an. Gewissermassen der Klassiker in dieser Indikation ist die Moosbeere (Cranberry). Allerdings weist Prof. DDr. Kurt Naber von der Technischen Universität München auf einen Cochrane-Review von 24 Studien hin, der keine signifikante Reduktion symptomatischer Harnwegsinfekte unter Prophylaxe mit Moosbeere zeigen konnte (1). Dieses negative Ergebnis zog sich auch durch alle untersuchten Subgruppen. Naber: «Das Problem mit Cranberry ist die fehlende Standardisierung der Produkte. Je nach Herkunft der Beeren weisen diese einen sehr unterschiedlichen Gehalt des Wirkstoffs Proanthocyanidin auf. Die Verhinderung der Bakterienadhäsion im Harntrakt ist jedoch deutlich dosisabhängig. Es müssen mindestens 36 mg am Tag sein, um eine signifikante Reduktion der Adhäsion zu erreichen. Daher sind die verschiedenen Studien zu Cranberry nicht zu vergleichen.» Zu diesem Schluss kamen auch die Autoren des Reviews, die für die Zukunft Studien mit standardisierten Moosbeerprodukten fordern. Auf einem ähnlichen Prinzip wie die Moosbere beruht D-Mannose, für die in einer randomisierten Studie die gleiche Wirksamkeit in der Reduktion von Harnwegsinfekten gezeigt werden konnte wie für Nitrofurantoin – das allerdings mit weniger Nebenwirkungen (2). Auch die Kombination aus Rosmarinblättern, Liebstöckelwurzel und Tausendgüldenkraut wird seit einiger Zeit unter anderem bei Blasenbeschwerden eingesetzt. Ihr werden di-
uretische, spasmolytische, antiinflammatorische, antioxidative, antibakterielle und nephroprotektive Eigenschaften zugeschrieben. Naber weist auf eine noch im Publikationsprozess befindliche Studie hin, die diese Kombination in einem prospektiven Setting untersucht. Die bisher bekannt gewordenen Ergebnisse sollen gut sein – im Sinne hoher Ansprechraten, geringem Bedarf an zusätzlicher Antibiotikatherapie und dem Ausbleiben von Rezidiven.
Probiotika für die Vagina Ebenfalls untersucht werden in dieser Indikation Probiotika für den Einsatz in der Vagina. Naber: «Dabei muss man bedenken, dass es nur wenige Stämme von Lactobazillus gibt, die sich längere Zeit in der Vagina halten können. Das sind etwa die Stämme L. rhamnosus GR-1 und L. reuteri RC-14. Bemerkenswerterweise macht es keinen Unterschied, ob man die Lactobazillen oral gibt oder direkt in die Vagina appliziert. Sie wissen, wo sie hinmüssen.» Die Einnahme dieser Kulturen soll die Vaginalflora mit Lactobazillen restaurieren, die dann in Konkurrenz zu Uropathogenen und Erregern der bakteriellen Vaginose treten. In einer kleinen Studie konnte mit Probiotika eine Reduktion symptomatischer Episoden rezidivierender Harnwegsinfekte um 50 Prozent erreicht werden (3). Naber: «Leider haben wir dazu noch keine grossen Studien, aber das Prinzip scheint interessant zu sein.»
Weniger Harnwegsinfekte durch Immunmodulation Ebenfalls auf Bakterien, wenn auch nicht auf den in der Vagina erwünschten, basiert die nicht spezifische Immunmodulation mit Lysaten von E. Coli. Die Evidenzlage ist gut. Eine Metaanalyse identifizierte 11 verblindete, kontrollierte Studien, 7 davon zu Uro-Vaxom®, einem Extrakt immunaktiver Fraktionen aus insgesamt 18 ausgewählten Stämmen von Escherichia coli zur oralen Einnahme. «Der Extrakt konditioniert das Immunsystem, rasch auf Infektionen mit pathogenen Stämmen von E. coli zu reagieren. Wir haben zumindest 5 randomisierte, plazebokontrollierte Doppelblindstudien, die eine Reduktion der Episoden von Harnwegsinfekten um 50 bis 60 Prozent zeigen», sagt Naber. Nachgewiesen wurden sowohl eine Verbesserung der urologischen Symptomatik als auch die Prävention rezidivierender Infektionen (4).
Einsatz der Phytotherapie auch bei Steinleiden eine Option? Phytotherapeutika können auch bei Erkrankungen der Prostata sowie bei Nierensteinen versucht werden. Generell
14 Urologie • Juni 2014
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sprechen, so Prof. Dr. Riccardo Bartoletti von der Universität Florenz, die hohe Patientenakzeptanz und der damit verbundene ausgeprägte Plazeboeffekt und die gute Verträglichkeit für die pflanzlichen Optionen. Dem stehen allerdings einige ausgeprägte Nachteile wie Mangel an Evidenz sowie unsicherer und schwankender Wirkstoffgehalt der Präparate gegenüber. So gibt es zur Behandlung von Steinleiden mittels Phytotherapie nur für eine einzige der eingesetzten Pflanzen – für Phyllanthus niruri – Daten aus Studien. Insgesamt sind es 115 Arbeiten, davon allerdings viele in vitro. Dabei konnte der Pflanzenextrakt die Bildung von Oxalatsteinen in Urinproben reduzieren. In einer klinischen Studie brachte eine Behandlung mit Phyllanthus niruri bei Patienten nach Stosswellentherapie (EWSL) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe sowohl einen besseren Abbau der Steinfragmente als auch eine Reduktion der Steingrösse (5).
Daten zu LUTS und BPH Phytotherapie wird auch erfolgreich bei Prostatabeschwerden und überaktiver Blase (LUTS) eingesetzt. So konnte für den Gräserpollenextrakt Cernilton® in einer plazebokontrollierten Phase-III-Studie eine signifikante Reduktion von Symptomen und Schmerz sowie eine Verbesserung der Lebensqualität nachgewiesen werden (6). Auch die Grosse Brennnessel (Urtica dioica) wurde bereits in dieser Indikation untersucht. In einer randomisierten, kontrollierten Studie mit mehr als 500 Patienten wurde eine signifikante Verbesserung der Symptomatik und Urodynamik erreicht (7). Eine Vielzahl von Studien liegt zur Sägepalme (Serenoa repens) vor. Ein Cochrane-Review von 32 randomisierten, kontrollierten Studien fand zwar keine Überlegenheit im Vergleich zu Plazebo, doch gibt Bartoletti auch hier zu bedenken, dass eine ausgeprägte Schwankung in der Qualität der eingesetzten Präparate möglich ist. So sei es gelungen, für die Sägepalme in Kombination mit verschiedenen anderen Präparaten gute Wirksamkeit zu zeigen. So senkte die Einnahme von ProstaMEV® (Serenoa repens, Urtica dioica) und FlogMEV® (Quercitin und Curcumin) bei Patienten mit bakterieller Prostatitis nach Antibiotikatherapie mit Prulifloxacin signifikant die Rezidivrate (8). Ergebnisse von In-vitro-Studien sprechen jedenfalls für eine antiinflammatorische Wirkung der Stechpalme. So konnte eine Senkung der Spiegel von TNF-alpha und Interleukin 1 durch den Lipidsteroidextrakt aus Früchten der Stechpalme (Permixon®) nachgewiesen werden (9).
Eine Indikation in der Prävention des Prostatakarzinoms? Diskutiert wird nicht zuletzt auch der Einsatz von Phythotherapeutika in der Prävention des Prostatakarzinoms. Die Datenlage ist kontrovers. Dr. Zafer Tandogdu von der Universität Newcastle weist auf eine Studie hin, die bei Patienten mit High-Grade-PIN (hochgradige prostatische intraepitheliale Neoplasie) eine markante Reduktion der Karzinominzidenz durch regelmässigen Konsum von grünem Tee (in Kapselform) zeigte (10). Dem stehen allerdings die Daten grosser epidemiologischer Studien gegenüber, in denen grüner Tee keinen Einfluss auf das Prostatakarzinomrisiko zeigte (11). Ebenfalls unklar ist die Datenlage bei Sojaprodukten. Mit Sojaextrakt kann eine signifikante Reduktion des PsA-Spiegels erreicht werden, die jedoch nicht über längere Zeit aufrechterhalten bleibt (12). Allerdings weisen im Fall von Soja die epidemiologischen Daten sehr wohl auf eine Reduktion der Inzidenz
von Prostatakarzinomen hin, wobei nicht fermentierte Sojaprodukte den fermentierten überlegen sind (13).
Reno Barth
Literatur: 1. Jepson RG, Williams G, Craig JC. Cranberries for preventing urinary tract infections. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Oct 17. 2. Kranj ec B, Pape D, Altarac S. D-mannose powder for prophylaxis of recurrent urinary tract infections in women: a randomized clinical trial. World J Urol. 2014; 32 (1): 79–84. 3. Stapleton AE. Randomized, placebo-controlled phase 2 trial of a Lactobacillus crispatus probiotic given intravaginally for prevention of recurrent urinary tract infection. Clin Infect Dis. 2011; 52 (10): 1212–1217. 4. Naber et al. Immunoactive prophylaxis of recurrent urinary tract infections: a meta-analysis 2009 IJAA 33: 111–119. 5. Micali S et al. Can Phyllanthus niruri affect the efficacy of extracorporeal shock wave lithotripsy for renal stones? A randomized, prospective, long-term study. J Urol. 2006; 176 (3): 1020–1022. 6. Wagenlehner FM et al. A pollen extract (Cernilton) in patients with inflammatory chronic prostatitis-chronic pelvic pain syndrome: a multicentre, randomised, prospective, double-blind, placebo-controlled phase 3 study. Eur Urol. 2009; 56 (3): 544–551. 7. Safarinejad MR. Urtica dioica for treatment of benign prostatic hyperplasia: a prospective, randomized, double-blind, placebo-controlled, crossover study. J Herb Pharmacother. 2005; 5 (4): 1–11. 8. Cai T et al. Serenoa repens associated with Urtica dioica (ProstaMEV) and curcumin and quercitin (FlogMEV) extracts are able to improve the efficacy of prulifloxacin in bacterial prostatitis patients: results from a prospective randomised study. Int J Antimicrob Agents. 2009; 33 (6): 549–553. 9. Vela Navarrete R et al. BPH and inflammation: pharmacological effects of Permixon on histological and molecular inflammatory markers. Results of a double blind pilot clinical assay. Eur Urol. 2003; 44 (5): 549–555. 10. Bettuzzi S et al. Chemoprevention of human prostate cancer by oral administration of green tea catechins in volunteers with high-grade prostate intraepithelial neoplasia: a preliminary report from a oneyear proof-of-principle study. Cancer Res. 2006; 66 (2): 1234–1240. 11. Lin YW et al. Tea consumption and prostate cancer: an updated meta-analysis. World J Surg Oncol. 2014; 12: 38. 12. deVere White RW et al. Effects of a high dose, aglycone-rich soy extract on prostate-specific antigen and serum isoflavone concentrations in men with localized prostate cancer. Nutr Cancer. 2010; 62 (8): 1036–1043. 13. Yan L, Spitznagel EL. Soy consumption and prostate cancer risk in men: a revisit of a meta-analysis. Am J Clin Nutr. 2009; 89 (4): 1155–1163.
Quelle: «ESIU brings the future to urology», Meeting of the EAU Section of Infections in Urology (ESIU), 29. Jahreskongress der European Association of Urology, 11. bis 15. April 2014 in Stockholm.
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