Transkript
CongressSelection
Achtung: Gefährliche Infektionen nach Prostatabiopsien
«Der wichtigste Risikofaktor sind fluorchinolonresistente Keime im Darm»
Sterben in Europa wirklich jedes
fährlicher wird als die Therapie. Denn die
Jahr mindestens 1000 Männer an den Folgen von Prostatabiopsien?
radikale Prostatektomie ist eine bestens etablierte Standardprozedur, deren Mortalität ebenfalls bei rund 1 Promille liegt.
Wie kann man diese unerfreuliche
Situation verbessern? Wir sprachen mit Prof. Dr. Florian Wagenlehner von der urologischen Abteilung am
Kennen wir Risikofaktoren? Können wir vorhersagen, wer besonders gefährdet für infektiöse Komplikationen ist? Mittlerweile ist es gelungen, eine Reihe von
Universitätsklinikum Giessen.
Risikofaktoren zu identifizieren. Das Bild ist nicht durch alle Studien ganz konstant, aber
wir können schon Aussagen
C ongressSelection: Herr Professor Wagenlehner, die Prostatabiopsie gilt
treffen. So wissen wir zum Beispiel, dass Diabetes mellitus ein Risikofaktor für Komplika-
als sicheres Verfahren. Sind
tionen nach einer Prostatabiop-
Zwischenfälle häufiger, als das
sie ist. Das überrascht nicht be-
den meisten Urologen – und
sonders, da Diabetiker generell
wohl auch den meisten Patien-
gefährdeter sind, infektiöse
ten – bewusst ist?
Komplikationen beziehungswei-
Prof. Dr. Florian Wagenlehner:
se eine Sepsis zu entwickeln.
Wir wissen, dass das Risiko,
Ein höheres Risiko hat man
nach einer transrektalen Pro-
aber auch bei Männern mit
Florian Wagenlehner
statabiopsie eine Sepsis zu
grosser Prostata oder mit Harn-
entwickeln, ansteigt. Das zei-
wegsinfektionen oder Blasen-
gen Daten aus vorwiegend retrospektiven, steinen in der Anamnese gefunden. Auch
mittlerweile aber auch bereits einigen pro- eine asymptomatische Bakteriurie stellt ei-
spektiven Studien. Gegenwärtig entwickeln nen Risikofaktor dar. Das bedeutet, dass
3 bis 4 Prozent der Patienten trotz Antibioti- man vor einer Stanzbiopsie den Urin immer
kaprophylaxe eine fieberhafte Infektion. auf Bakterien untersuchen sollte. Leider ge-
Diese Patienten müssen in der Regel in ein schieht das nach den verfügbaren Daten viel
Krankenhaus aufgenommen werden. In we- zu selten – nur etwa bei 30 Prozent der Pa-
nigen Fällen entwickelt sich eine schwere tienten.
Sepsis, die im schlimmsten Fall letal verläuft.
Die Patienten müssen ja eine Antibiotikapro-
Weiss man, wie häufig solche letalen Ver- phylaxe bekommen. Bietet die keinen aus-
läufe sind?
reichend sicheren Schutz, oder wird sie nicht
Aus den grossen Studien kann man Mortali- immer gegeben?
tätsraten errechnen, die bei 1 Promille, nach Darauf wollte ich gerade kommen. Die Pro-
neuesten Arbeiten sogar bei 2 Promille lie- phylaxe mit Fluorchinolonen steht in den
gen. Das heisst, wenn man 1000 Patienten Leitlinien und wird heute flächendeckend
stanzt, muss man zumindest mit 1 Todesfall eingehalten. Der mit Abstand wichtigste Ri-
rechnen.
sikofaktor für infektiöse Komplikationen im
Gefolge einer transrektalen Prostatastanz-
Das ergibt dann europaweit eine erschre- biopsie sind aber fluorchinolonresistente
ckend hohe Zahl …
Keime im Rektum des Patienten. Diese kön-
Angesichts der extrem häufigen Prostata- nen vor allem die schweren Komplikationen
biopsien – in Europa reden wir da mittler- verursachen.
weile von 1 Million pro Jahr – kommt man da
schon auf beeindruckende Zahlen. Wir schät- 1000 iatrogene Todesfälle pro Jahr sind eine
zen, dass es in Europa jedes Jahr rund erschreckende Zahl. Was kann man denn
30 000 bis 40 000 solcher fieberhaften In- tun, um die Situation zu verbessern?
fektionen gibt und dementsprechend rund Man sollte versuchen, die Männer mit den
1000 Todesfälle in Folge von Prostatastanz- fluorchinolonresistenten Keimen im Darm zu
biopsien. Damit geraten wir in die paradoxe identifizieren. Das kann man zunächst auf
Situation, dass die Diagnostik langsam ge- dem Weg der Anamnese beginnen. Eine The-
rapie mit Fluorchinolonen im Jahr vor der geplanten Biopsie ist ein deutlicher Hinweis. Man sollte die Männer auch fragen, ob sie sich in Ländern aufgehalten haben, wo solche Resistenzen häufiger vorkommen. Das sind zum Beispiel Indien und Pakistan, wo diese Erreger extrem häufig sind und auch den Darm von Reisenden besiedeln können. Sicherer ist die Resistenztestung. Das heisst, man macht einen rektalen Abstrich und spatelt diesen auf einem Selektionsagar aus, der Fluorchinolone enthält. Wenn die Bakterien auf diesem Nährboden wachsen, liegen Resistenzen vor. Man kann dann weitere Untersuchungen vornehmen und zu einer sehr genauen Resistenztestung kommen, auf deren Basis sich eine individuelle Antibiotikaprophylaxe ermitteln lässt. Diese Strategie wurde in ersten Studien untersucht und hat sich als wirksam erwiesen.
Der Aufwand ist doch sehr hoch. Ist das im klinischen Alltag überhaupt realisierbar? Es ist tatsächlich fraglich, ob sich dieses Verfahren bei einem so häufigen Eingriff in die klinische Routine implementieren lässt. Daher arbeiten wir auch an anderen Strategien, wie zum Beispiel dem empirischen Einsatz anderer Antibiotika, die noch Aktivität bei fluorchinolonresistenten Erregern haben.
Was wären denn die Kandidaten? Leider ist die Datenlage da sehr dünn. In Frage kommen Zephalosporine, unter Umständen Breitspektrumpenizilline oder eventuell auch ein Antibiotikum mit ganz anderem Wirkmechanismus, nämlich Fosfomycin. Allerdings ist noch nicht ausreichend Evidenz vorhanden, um hier eine Empfehlung zu geben.
Wäre es nicht sinnvoll, die Rate der Biopsien insgesamt zu senken? Und wie könnte man das machen? Hier setzen wir grosse Hoffnungen in die Bildgebung. Vor allem die MRT hat als multiparametrische MRT hier hohes Potenzial. Es geht zum einen darum, Patienten zu identifizieren, die eine Stanzbiopsie benötigen, in einem weiteren Schritt aber auch darum, jene Karzinome zu finden, bei denen die Diagnose therapeutische Konsequenzen haben sollte. Es gibt ja viele Prostatakarzinome, die den Patienten nicht umbringen. Diese muss man von den Hochrisikokarzinomen unterscheiden.
Das Gespräch führte Reno Barth.
Urologie • Juni 2014 13