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Hereditäres Angioödem: Optimales Management in Eigenregie
Trotz des damit assoziierten hohen Risikos erlauben die heute verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten den Patienten mit hereditärem Angioödem eine so gut wie normale Lebensqualität. Als ein entscheidender Faktor für das optimale Management hat sich in letzter Zeit die Selbstmedikation beziehungsweise Selbstprophylaxe zu Hause manifestiert; Untersuchungen berichten hier von einer starken Senkung von sowohl Anfallshäufigkeit als auch Dauer der Attacken. Wichtig ist diesbezüglich die entsprechende Ausbildung von Patienten und Angehörigen.
Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine gravierende Erkrankung: Fast 50 Prozent der Patienten erleben im Laufe ihres Lebens eine Larynxattacke, und «in fast jeder betroffenen Familie ist ein Patient aufgrund einer Larynxattacke gestorben», macht PD Dr. med. Petra Staubach vom Universitätskrankenhaus Mainz auf die potenziell dramatischen Folgen der Krankheit aufmerksam. Die gute Nachricht: Die häufigsten Lokalisationen sind nicht der Kehlkopf, sondern Gesicht, Abdomen, Urogenitaltrakt und Extremitäten. Die noch bessere Nachricht: «Mittlerweile haben wir die therapeutischen Optionen, um das hereditäre Angioödem wirklich gut behandeln zu können.»
Fokus auf Familienmitglieder An HAE ist zu denken bei: • rezidivierendem Angioödem, das länger als 24 Stunden an-
hält und nicht auf Antihistaminika anspricht • unerklärlichen, rezidivierenden, kolikähnlichen Bauch-
schmerzen • ersten Attacken in der Kindheit, typischerweise Verschlech-
terung in der Pubertät (s. auch Kasten). Eine fehlende Familienanamnese schliesst eine HAE allerdings nicht aus, da 25 Prozent der Fälle aufgrund spontaner Mutationen erfolgen. Aufgrund des mit Larynxattacken assoziierten Risikos sei nach der Diagnoseabklärung immer auch die Testung naher und auch entfernterer Angehöriger entscheidend, vor allem Kinder eines neu diagnostizierten Patienten, betont die Expertin. Zu erfragen sind neben der Dauer der Attacken übrigens auch Scores der Aktivität und der Lebensqualität. «Diese HAE-Aktivitäts- und Lebensqualitäts-Scores stehen uns erst seit kurzem zur Verfügung. Sie sind enorm wichtig, denn nur so haben wir ausreichend patientenberichtete Outcomes und können feststellen, ob der Patient optimal behandelt wird oder wir noch etwas verändern müssen», berichtet Staubach aus der Praxis.
Krankheitsbelastung und Krankheitskosten HAE hat nicht nur gravierende medizinische Folgen, sondern auch signifikante Auswirkungen auf Berufsfähigkeit oder Ausbildung, erklärt die Internistin. So geben laut Studien aus den USA 40,5 Prozent der Patienten an, HAE habe sie daran gehindert, ihre Ausbildung so weit fortzuführen, wie sie das ei-
gentlich gewollt hätten; 69,1 Prozent schlossen bestimmte berufliche Tätigkeiten aufgrund des HAE von vornherein aus, und 16,4 Prozent arbeiten als direkte Folge ihrer Erkrankung weniger als vollzeitbeschäftigt. «Andere Studien aus Deutschland beziehungsweise Europa bestätigen diese hohe Last der Krankheit.» Und: 50 Prozent aller Patienten weltweit suchten in den letzten 6 Monaten eine Notfallaufnahme auf. «Dies ist ein wichtiger Teil der mit HAE assoziierten indirekten Kosten. 60 Prozent der Kosten entfallen nämlich nicht auf die medikamentöse Therapie, sondern auf die Aufenthalte im Krankenhaus, auf verminderte Produktivität oder Ausfallzeiten vom Beruf. Eine nicht gut behandelte Krankheit hat daher auch signifikante wirtschaftliche Folgen.»
Individueller Aktionsplan Ziele der HAE-Behandlung sind natürlich die Senkung von Morbidität und Mortalität, was mit einer frühen, akkuraten Diagnose beginnen sollte. Alle Patienten müssten darüber informiert werden, dass eine frühe Behandlung wichtig sei, da damit eine kürzere Dauer und ein geringerer Schweregrad der Schwellung assoziiert sind. HAE-Patienten sind von einem Spezialisten zu betreuen, der mit allen Behandlungsoptionen vertraut ist – «zumindest die ersten 2 bis 3 Jahre nach der Diagnose» –, und die Therapie sollte nach Möglichkeit den Bedürfnissen und Wünschen des Patienten individuell angepasst werden. «Wir möchten, dass unsere Patienten eine normale Lebensqualität haben, und wir haben derzeit genügend Optionen zur Verfügung, um dieses Ziel auch zu erreichen.»
Hereditäres Angioödem: die QUINCKE-Eselsbrücke
• Qualität des Angioödems (48–72 Stunden vs. 24–36 Stunden bei Histamin-induziertem Ödem)
• Ungewöhnlich lange Persistenz • Intestinale Symptome • Non-Responder auf Antihistaminika/Kortison • Komedikation: ACE-Hemmer, Hormone • Kindheit Beginn • Östrogene verschlimmern die Lage.
Allergologie • Mai 2014 13
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Die Behandlung des HAE umfasst die folgenden Ansätze: • Akutbehandlung der Attacken • kurzfristige Prophylaxe • langfristige Prophylaxe • Möglichkeit der Heimtherapie (akut/prophylaktisch) • Management von HAE bei Kindern • Management von HAE während Schwangerschaft und Still-
periode.
Akutbehandlung von Attacken Allgemein gilt: Attacken sind so früh wie möglich zu behandeln, das bedeutet vorzugsweise vor der Entwicklung sichtbarer Symptome. Die Akutbehandlung gilt nicht nur für den Larynxbereich, sondern auch alle anderen Lokalisationen wie Gesicht, Hals, Abdomen. Und: Laut Empfehlung der World Allergy Association (WAO) sollten alle Patienten ausreichend Akutmedikation verfügbar haben, um 2 Attacken behandeln zu können. Patienten sollten zudem umgehend ein Krankenhaus aufsuchen, falls die laryngealen Symptome nach der anfänglichen Behandlung persistieren. Die kurzfristige Prophylaxe von HAE-Attacken kommt beispielsweise bei operativen oder investigativen Verfahren zum Einsatz, da körperliches Trauma und emotionaler Stress hier unvermeidbar sind. Das höchste Risiko weisen die dentale/intraorale Chirurgie und die Endoskopie aufgrund ihrer Assoziation mit einem oberen Atemwegsödem auf. Cave: Die Schwellung kann 4 bis 30 Stunden nach dem Verfahren auftreten. Auch bei emotionalen Lebensereignissen wie einer Hochzeit oder einem Begräbnis kommt die kurzfristige Prophylaxe zum Einsatz. Eingenommen wird ein C1-INH 1 bis 6 Stunden vor dem Vorgang, wobei 2 Dosierungen für die Behandlung von Attacken verfügbar sein sollten. Die langfristige Prophylaxe «ist etwas anderes», erklärt die Expertin. Laut Leitlinien ist sie zwar grundsätzlich für alle Patienten zu erwägen, «es hängt jedoch sehr vom Patienten ab. Wie viele Attacken hat er, wie gravierend sind sie, wie ist die Lebensqualität, wie fühlt er sich generell – das alles ist zu diskutieren, und dann erst ist zusammen mit dem Patienten zu entscheiden.» Cinryze® i.v. ist der einzige dafür zugelassene Wirkstoff, anfangs in einer 2-mal wöchentlichen Dosierung, bei einer Break-through-Attacke kommen zusätzlich ein C1INH oder ein Bradykinin-B2-Antagonist zum Einsatz. Antifibrinolytika werden auch in der langfristigen Prophylaxe nicht empfohlen, da lediglich Einzelberichte der Evidenz sowie ein erhöhtes Risiko thrombotischer Ereignisse vorliegen. Zum Thema Danazol: «Attenuierte Androgene sind grundsätzlich für Menschen über 16 Jahre und für nicht schwangere und nicht stillende Frauen geeignet. In Deutschland sind sie nicht für die Prophylaxe der HAE zugelassen, aufgrund des sehr variablen Ansprechens und vor allem der langen Liste der
Die Wirkstoffe für die Akutbehandlung im Überblick: • Plasmaderivate C1-INH-Konzentrate:
– Cinryze® (C1 Inhibitor) – Berinert® (C1 Esteraseinhibitor) • Rekombinantes C1-INH: Ruconest® • Bradykinin B2 Rezeptorantagonist: Firazyr® (Icatibant) • Einsatz adjuvanter Therapie bei Indikation: Flüssigkeit i.v., Schmerzmanagement und Supportive Care
Orale Antifibrinolytika sollten für die Akutbehandlung von Attacken nicht eingesetzt werden.
Nebenwirkungen», erklärt Staubach – wie etwa Gewichtszunahme, Akne, Virilisation, veränderte Libido, Kopfschmerzen, Depression oder Hepatotoxizität. Ein chronischer Androgeneinsatz ist mit verminderter Lebensqualität assoziiert. «In Ländern, in denen C1-INH nicht verfügbar sind, stellen sie dennoch eine Option dar.» Bei Kindern sind C1-INH die einzige Option für die Akutbehandlung. Die kurzfristige Prophylaxe ist nur selten erforderlich, ausser es werden Interventionen am Kopf und/oder Halsbereich durchgeführt; hier gelten ebenfalls C1-INH als Erstlinienbehandlung, Androgene sind als Zweitlinientherapie möglich.
Heimbehandlung: Überzeugende Daten Die Behandlung zu Hause (home treatment) gilt für die akute und die prophylaktische Behandlung. Alle Patienten sollten ihren individuellen Aktionsplan und den Wirkstoff greifbar haben, und sie sind für die Selbstverabreichung auszubilden. «Ich bin zunächst davon ausgegangen, dass das Training der Patienten schwierig sein würde, habe aber ganz andere Erfahrungen gemacht», kommentiert die Expertin. Nicht nur der Patient selbst, sondern auch ein «home therapy partner» – also ein Familienmitglied oder ein Freund – ist in der Selbstverabreichung auszubilden. Grundsätzlich können alle Attacken an allen körperlichen Lokalisationen eigenbehandelt werden, jedoch wird bei Larynxattacken die zusätzliche medizinische Notfallbetreuung empfohlen. Die entsprechenden Studienergebnisse dieser Therapieform sind jedenfalls «sehr überzeugend», berichtet Staubach. Eine Beobachtungsstudie an 39 Patienten verglich on demand C1INH-Ersatztherapie in einer medizinischen Einrichtung versus Selbsttherapie zu Hause unter Anleitung eines Arztes (home care service) (1). Die Dauer der Attacken lag bei 13,0 Stunden bei Behandlung im Krankenhaus im Gegensatz zu 2 Stunden bei der Heimbehandlung. Bei Kindern war der Effekt noch dramatischer: Die Anzahl der im Krankenhaus verbrachten Tage im Jahr lag bei 3,8 bei ärztlicher Behandlung, im Vergleich zu 0,11 Tagen bei Heimbehandlung mit einem C1-INH (2). Eine weitere Studie mit 146 Patienten beobachtete unter einer Krankenhaus-Therapie 3 Attacken im Monat, im Vergleich zu 0,19 bei Heimbehandlung (Prävention mit CINRYZE®) (3). «Das entspricht einer Reduktion der Anfallsrate um 93,7 Prozent, p < 0,001. Es ist eindeutig, dass mit diesem Vorgehen eine verbesserte medizinische Situation und damit eine verbesserte Lebensqualität möglich sind. Ob damit auch verminderte Kosten für das Gesundheitswesen assoziiert sind, ist noch weiter zu erforschen», so Staubach abschliessend.
Lydia Unger-Hunt
Referenzen: 1. Tourangeau LM et al. Safety and efficacy of physician-supervised self-managed C1 inhibitor replacement therapy. Int Arch Allergy Immunol 2012; 157: 417–424. 2. Kreuz W et al. Home therapy with intravenous human C1-inhibitor in children and adolescents with hereditary angioedema. Transfusion 2012; 52: 100–107. 3. Zuraw BI, Kalfus I. Safety and efficacy of prophylactic nanofiltered C1-inhibitor in hereditary angioedema. Am J Med 2012; 125: 938.e1–7.
Quelle: «News in HAE-Management» Symposium VII im Rahmen des Jahreskongresses der Schweizerischen Gesellschaft fur Allergologie und Immunologie (SGAI), 21. März 2014, Davos.
14 Allergologie • Mai 2014