Transkript
CongressSelection
SGLT2-Hemmer: Geringere Rückresorption, tiefere Nierenschwelle
... und raus mit der Glukose
Die neuen Vertreter der Substanzgruppe der SGLT2-Inhibitoren senken die Nierenschwelle und fördern damit die Glukoseausscheidung mit dem Harn. Im Rahmen des 49. EASD-Jahreskongresses 2013 wurden aktuelle Studien zu zugelassenen und (noch) nicht zugelassenen Substanzen präsentiert.
Eine neue Option in der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 ist die Hemmung des Natrium/Glukose-Kotransporters 2 in der Niere. Dieser ist zu einem wesentlichen Teil für die Rückresorption von Glukose aus dem Primärharn verantwortlich. Durch die Inhibition wird die Rückresorption reduziert, damit die Nierenschwelle für Glukose gesenkt und letztlich mehr Glukose über die Niere ausgeschieden. In Studien zeigten verschiedene Vertreter dieser Substanzgruppe positive Auswirkungen auf die Blutzuckerkontrolle sowie eine günstige (= reduzierende) Wirkung auf das Körpergewicht. Auch ein günstiger Effekt auf den Blutdruck (durch die diuretische Wirkung sowie die Gewichtsreduktion) wird angenommen. Die Wirkung der SGLT2-Hemmer ist zur Gänze insulinunabhängig, das Risiko von Hypoglykämien ist gering, da eine Absenkung des Glukosespiegels auf gefährliches Niveau auch bei eingeschränkter Rückresorption nicht erfolgt. Allenfalls können SGLT2-Inhibitoren in Kombination mit Insulin oder Sulfonylharnstoffen das Auftreten von Hypoglykämien begünstigen. Mehrere SGLT2Inhibitoren befinden sich zur Prüfung in klinischen Studien, Dapaglifozin ist seit Ende 2012 von der EMEA und Canaglifozin seit März 2013 in den USA zugelassen; sie sind in der Schweiz noch nicht registriert.
Einfluss der Gewichtsabnahme Eine der präsentierten Studien ging der Frage nach, ob und in welchem Mass die mit den SGLT2-Hemmern erreichte Gewichtsreduktion zur Senkung des HbA1c-Werts beiträgt (1). Dass die vermehrte Ausscheidung von Glukose und damit von Kalorien zu einer anhaltenden Reduktion von Körpergewicht führt, wurde in Studien gezeigt. Die schwedische Grupppe versuchte nun, den Effekt dieser Gewichtsreduktion hinsichtlich der glykämischen Kontrolle in einem statistischen Modell von der direkten Wirkung der Glukoseausscheidung zu trennen. Zu diesem Zweck wurden 7 Phase-III-Studien zu Dapaglifozin analysiert. Die Patienten nahmen über 24 Wochen im Schnitt 2 kg ab, wobei es ausgeprägte Unterschiede zwischen den
Studien gab. Mithilfe eines adjustierten, linearen Regressionsmodells konnte eine signifikante Assoziation von Gewichtsreduktion und verbesserter glykämischer Kontrolle (gemessen als Senkung des HbA1c-Werts) gefunden werden. Die Berechnungen ergaben – so Erstautor Dr. David Sjöström –, dass eine Gewichtsreduktion um 5 kg eine Reduktion des HbA1c-Werts von 13 Prozent zur Folge hat. Deutlicher waren die beobachteten Auswirkungen auf den Blutdruck. Sjöstrom: «3 kg Gewichtsverlust erklären 37 Prozent der Blutdrucksenkung, die unter Dapaglifozin beobachtet wurde. 5 kg Gewichtsreduktion tragen bereits 49 Prozent zur Senkung des Blutdrucks bei. Dazu ist zu sagen, dass eine Gewichtsabnahme um 5 kg unter Dapaglifozin kein unrealistisches Ziel ist.»
Langzeitdaten zu Canaglifozin Für den SGLT2-Inhibitor Canaglifozin liegen nun Langzeitdaten über 104 Wochen im Vergleich zu Glimepirid vor (2). Canaglifozin hatte sich in einer randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studie als Add-on zu Metformin im Vergleich zu Glimepirid hinsichtlich der Senkung des HbA1cWerts in der Dosierung von 100 mg als nicht unterlegen und in der Dosierung von 300 mg/Tag als überlegen erwiesen (3). Dr. Gisle Langslet von der Lipid-Klinik des Universitätsspitals der Universität Oslo präsentierte im Rahmen des EASD-Jahreskongresses 2013 die 2-Jahres-Daten. Über 104 Wochen reduzierten Canaglifozindosierungen im Vergleich zu Glimepirid den HbA1c-Wert, den Nüchternzucker, das Körpergewicht und den systolischen Blutdruck. Allerdings stiegen sowohl HDL- als auch LDL-Cholesterin in den ersten 26 Wochen unter Canaglifozin um 10 bis 15 Prozent an und blieben dann stabil. Langslet: «Der Mechanismus für diesen Anstieg der Plasmalipide ist nicht bekannt. Er wird bei allen SGLT-Inhibitoren beobachtet, variiert jedoch zwischen den Studien und den Populationen. Wir müssen die laufenden Studien mit kardiovaskulären Endpunkten abwarten, um zu verstehen, was das für die Klinik bedeutet.» Erwartungsgemäss traten bei rund 10 Prozent der Patienten in den Canaglifozingruppen
EASD 2013 Diabetes
3
CongressSelection
SGLT2-Hemmung beim Typ-1-Diabetes
Aufgrund ihres insulinunabhängigen Wirkmechanismus könnten
die SGLT2-Inhibitoren auch eine Rolle in der Therapie des Diabe-
tes mellitus Typ 1 bekommen. Diesbezüglich bestehen noch keine
Zulassungen, es gibt jedoch Überlegungen, SGLT2-Inhibitoren als
adjunktive Therapie zu einem Basal-Bolus-Insulin-Regime einzu-
setzen, um die glykämische Kontrolle zu verbessern.
Diese Strategie wurde nun in einer 8-wöchigen, einarmigen Stu-
die mit 42 Typ-1-Diabetikern und einer Plazebo-run-in-Phase un-
tersucht (6). Dazu Erstautor Dr. Bruce Perkins von der University
of Toronto: «Ungeachtet der Möglichkeiten, die wir heute haben,
kann es schwierig sein, bei Typ-1-Diabetikern eine glykämische
Kontrolle zu erreichen. Wesentliche Hindernisse sind Hypoglyk-
ämien und Gewichtszunahme. Eine adjunktive Therapie mit einem
insulinunabhängigen Mechanismus wäre daher sehr reizvoll.»
SGLT2-Hemmer hätten zudem den Vorteil, dass sie zumindest
potenziell einen renoprotektiven Effekt zeigen. Als Kandidat
wurde ein neuer SGLT2-Hemmer namens Empagliflozin gewählt.
Die Studienpatienten zeigten eine suboptimale glykämische Kon-
trolle trotz konsequenter Einstellung, 28 von ihnen hatten eine
Insulinpumpe. 40 Patienten schlossen die Plazebo- und die The-
rapiephase ab. In dieser Zeit ging der HbA1c-Wert um 0,4 Prozent
auf 7,6 ± 0,9 Prozent (p < 0,0001) zurück. Die Einnahme des SGLT2-Inhibitors erleichterte die Insulintherapie. Symptomati- sche Hypoglykämien gingen von 0,12 auf 0,04 Ereignisse pro Tag (p = 0,005) zurück, die mittlere tägliche Insulindosis konnte von 55 ± 20 auf 46 ± 19 U/Tag gesenkt werden. Die täglich mit dem Harn ausgeschiedene Glukosemenge stieg von 19 ± 19 auf 134 ± 61 g/Tag nach 8 Wochen. Die Patienten nahmen im Schnitt 2,7 kg ab und reduzierten ihren Bauchumfang um 3,8 cm. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Polyurie (79%) und Durst (74%). Auf Basis dieser Daten empfehlen die Autoren, eine ran- domisierte, klinische Studie durchzuführen. reb Infektionen des Urogenitaltraktes auf. Von dokumentierten Hypoglykämien waren 40,9 Prozent der Patienten unter Glimepirid im Vergleich zu 6,8 beziehungsweise 8,2 Prozent der Patienten in den beiden Canaglifozingruppen betroffen. Auch hinsichtlich der Entwicklung der Nierenfunktion schnitt der SGLT2-Inhibitor besser ab. In den beiden Canaglifozingruppen nahm die eGFR über 104 Wochen um 2,0 beziehungsweise 3,8 mL/min/1,73m2 ab, unter Glimepirid betrug die Abnahme der eGFR 6,2 mL/min/1,73m2. Neue Substanzen in Zulassungsstudien Während die Kombination eines SGLT2-Inhibitors mit Metformin eine mittlerweile in Studien gut abgesicherte Praxis ist, untersuchte eine japanische Gruppe die Wirksamkeit von Luseogliflozin, eines noch nicht zugelassenen SGLT2-Hemmers, in Kombination mit dem Sulfonylharnstoff Glimepirid (4). In die Studie wurden insgesamt 221 japanische Patienten eingeschlossen, die unter einer Sulfonylharnstoffmonotherapie keine ausreichende glykämische Kontrolle erreichten (HbA1c: 6,9–10,4%). Die Studie bestand aus einer plazebokontrollierten und einer offenen Phase von jeweils 26 Wochen, wobei die Patienten aus der Plazebogruppe in der offenen Phase alle Luseogliflozin erhielten. In der Verumgruppe wurde am Ende der plazebokontrollierten Phase eine signifikant ausgeprägtere Reduktion von HbA1c (-0,88%) und Nüchternblutzucker sowie eine günstige Wirkung auf Körpergewicht und Blutdruck gesehen. Diese Effekte blieben auch durch die offene Phase weitgehend erhalten. Es kam ebenfalls zu einer Verbesserung von HDL-Cholesterin und Triglyzeriden, zu LDL-Cholesterin machten die Autoren keine Angaben. Hypoglykämien waren unter Luseogliflozin häufiger als unter Plazebo (8,7 vs. 4,2%), allerdings traten keine schweren Hypoglykämien auf. Von Infektionen des Urogenitaltraktes und Pollakisurie waren 2,7 versus 2,8 Prozent der Patienten betroffen. In einer weiteren japanischen Studie wurde der SGLT2-Inhibitor Tofogliflozin als Monotherapie oder in Kombination mit anderen oralen Antidiabetika über 52 Wochen in einer Population von Typ-2-Diabetikern untersucht (5). Dabei brachte der SGLT2-Hemmer in der Monotherapie eine Senkung des HbA1c-Werts um 0,7 Prozent (sowohl mit 20 mg als auch mit 40 mg), die Patienten nahmen im Schnitt 3,1 kg (20 mg) beziehungsweise 3,4 kg (40 mg) ab. Als Kombinationspartner führte Tofogliflozin ebenfalls zu signifikanten Reduktionen des HbA1c-Werts (0,8 bzw. 0,9%) und zur Gewichtsabnahme. Darüber hinaus kam es zu Verbesserungen zahlreicher metabolischer Parameter wie Blutdruck, HOMAIR (ein Mass für die Insulinsensitivität) und Matsuda-Index (gibt ebenfalls die Insulinsensitivität an), Bauchumfang, HDL-Cholesterin, Harnsäurespiegel und so weiter. Das Körpergewicht ging in den ersten 24 Wochen zurück und blieb dann auf diesem Niveau. Die Nebenwirkungen entsprachen den Erwartungen und waren durchweg leicht. Zur Inzidenz von Infektionen des Urogenitaltraktes und zu Veränderungen des LDL-Cholesterins machten die Autoren keine Angaben. Reno Barth Literatur: 1. Sjöström CD et al. Dapagliflozin-induced weight loss impacts 24 week HbA1c and blood pressure levels. Abstract 181, EASD 2013. 2. Langslet G et al. Canagliflozin demonstrates durable glycaemic improvements over 104 weeks compared with glimepiride in subjects with type 2 diabetes mellitus on metformin. Abstract 182, EASD 2013. 3. Cefalu WT et al. Efficacy and safety of canagliflozin versus glimepiride in patients with type 2 diabetes inadequately controlled with metformin (CANTATA-SU): 52 week results from a randomised, doubleblind, phase 3 non-inferiority trial. Lancet 2013; 382 (9896): 941–950. 4. Inagaki I. Luseogliflozin, a selective SGLT2 inhibitor, added on to glimepiride for 52 weeks improves glycaemic control with no major hypoglycaemia in Japanese type 2 diabetes patients. Abstract 184, EASD 2013. 5. Tanizawa Y. Efficacy and safety of tofogliflozin administered for 52 weeks as monotherapy or combined with other oral hypoglycaemic agents in Japanese patients with type 2 diabetes. Abstract 185, EASD 2013. 6. Perkins BA. The sodium glucose co-transporter-2 (SGLT2) inhibitor empagliflozin improves glycaemic control in patients with type 1 diabetes: a single-arm clinical trial. Abstract 183, EASD 2013. Quelle: Glucose down the drain. 49. EASD-Jahreskongress, 23. bis 27. September 2013 in Barcelona. 4 Diabetes EASD 2013