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Diabetes-Devices: Der leichte Weg auf den europäischen Markt
Im Gegensatz zu den USA, wo die mächtige FDA über Zulassung oder Nichtzulassung von Medizingeräten entscheidet, gibt es in der EU keine zentrale Behörde, die diese Aufgabe übernehmen würde. Das CE-Zeichen entscheidet, ob ein Produkt verkauft werden darf oder nicht. Die Schweiz hat sich in diesem Punkt uneingeschränkt der EU angeschlossen. Doch gerade Diabetologen äussern immer lauter ihre Sicherheitsbedenken.
Einer der Gründe ist die enorm wichtige Rolle, die diese Devices in der Diabetestherapie spielen. Das betrifft besonders die Blutzuckermessgeräte, die als «in vitro diagnostics» einem etwas anderen Regelwerk unterliegen als die eigentlichen «medical devices». In letztere Gruppe fallen beispielsweise die gegenwärtig immer häufiger eingesetzten Insulinpumpen. Innerhalb beider Gruppen gibt es noch eine Klassifizierung nach Risiko. Sowohl Glukosemessgeräte als auch Insulinpumpen wird ein mittleres bis hohes Risiko zugesprochen. Und das zu Recht, denn Fehlfunktionen können katastrophale, schlimmstenfalls lebensbedrohliche Folgen haben. Das trifft besonders auf die Insulinpumpen zu, deren Versagen schnell zum Tod des Patienten führen kann.
Vergabe des CE-Zeichens birgt Interessenkonflikte Um solch ein Gerät in Europa verkaufen zu dürfen, muss der Hersteller beziehungsweise der Importeur ein CEKennzeichen anbringen. Dieses wird nicht etwa von einer Zulassungsstelle vergeben, sondern vom Hersteller selbst – nach dem Prinzip der Selbstdeklaration. Die Basis dafür bildet eine «Konformitätsbewertung» durch eine «benannte Stelle». Genau hier mache es die EU den Herstellern und Importeuren zu leicht, meinen Kritiker. Laut Theorie soll es sich bei diesen «benannten Stellen» um «neutrale und unabhängige Organisationen» handeln, tat-
Experiment zeigt Schwachstellen
Wie der Worst Case aussehen kann, hat Cohen in einem ungewöhnlichen Experiment gezeigt: Ein Team des «British Medical Journal» versuchte, für eine fiktive und völlig untaugliche Hüftprothese ein CE-Zeichen zu bekommen. Mit frei erfundenen Daten brachte man die Fake-Prothese erstaunlich weit auf dem Weg zum CE-Zeichen. Die anschliessend im BMJ publizierte Story sorgte zwar für einiges Aufsehen, führte jedoch nicht zu Änderungen im System (1).
sächlich sind es jedoch in der Regel private Unternehmen, die zwar von der EU-Kommission oder den Mitgliedsländern ihre Befugnis erhalten, in der Realität des Lebens jedoch in einen systembedingten Interessenkonflikt geraten. «Diese Firmen haben kein Interesse, jemandem das CE-Zeichen zu verwehren», sagt Dr. Deborah Cohen vom «British Medical Journal». Der Hersteller (nach EU-Recht gelten auch Importeure als Hersteller) ist Kunde der «benannten Stelle», die natürlich daran interessiert ist, ihre Dienstleistungen zu verkaufen und den Kunden länger zu betreuen. Hinzu kommt das finanzielle Interesse der Hersteller. Denn die Preise der «benannten Stellen» sind extrem unterschiedlich. Renommierte Institutionen wie der deutsche TÜV sind teuer, kleinere Firmen in Osteuropa oder Asien (auch Institute ausserhalb Europas können benannt werden) geben es billiger – manchmal gar um 90 Prozent.
Qualitätssicherung nach Marktrücknahme Hier kommt eine weitere Besonderheit des europäischen Systems ins Spiel: die Qualitätssicherung nach der Markteinführung. «Es gibt keine systematische Evaluation durch eine unabhängige Institution», sagt dazu Prof. Dr. Lutz Heinemann von der Consulting Firma Science & Co. in Düsseldorf. Die Qualitätssicherung ist also Sache der Hersteller/Importeure, die dabei wieder auf die «benannten Stellen» angewiesen sind. Vergibt so ein Institut also ein CE-Zeichen, kann es in der Zukunft mit regelmässigen Einnahmen rechnen. Wer streng prüft, schadet dem eigenen Geschäft. Und wer sich an eine teure Prüfinstitution bindet, hat hohe Folgekosten. Während grosse Hersteller eigene Abteilungen zur Qualitätssicherheit betreiben, gibt es bei vielen kleineren Herstellern durchaus Defizite. Heinemann: «Es ist völlig klar, dass es mit modernen Hightechgeräten auch Probleme gibt, die nicht während der Entwicklung oder Überprüfung auffallen. Firmen mögen
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aber keine Marktrücknahmen, denn diese sind aufwendig, teuer und schlecht fürs Image. Hier sollten wir unsere Einstellung ändern und Firmen bei Rücknahmen unterstützen.»
Auch Neugestaltung der Zulassung ohne einheitliches Verfahren Änderungen im System sind in naher Zukunft nicht zu erwarten. Eine Neugestaltung der Zulassung medizinischer Devices durch die EU-Kommission steht zwar unmittelbar bevor, wird jedoch eine von der EASD gewünschte Änderung nicht enthalten: ein einheitliches Bewilligungsverfahren durch die EMA, nach dem Vorbild der amerikanischen FDA. Wichtige und durchaus begrüssenswerte Änderungen sind, so EASD-Präsident Prof. Dr. Andrew Boulton, zwar für implantierbare Devices und Endoprothesen geplant, diese werden die Insulinpumpen jedoch nicht betreffen. Die einfachen Blutzuckermessgeräte werden weiterhin überhaupt nur in Klasse I geführt. Immerhin will die EU-Kommission in Zukunft bei der Auswahl der «benannten Stellen» sorgfältiger vorgehen.
Reno Barth
Literatur: 1. Cohen D. How a fake hip showed up failings in European device regulation. BMJ 2012; 345:e7090. doi: 10.1136/bmj.e7090.
Quelle: Pressekonferenz und Symposium «Diabetes technology: the search for quality» im Rahmen des 49. EASD-Jahreskongresses, 23. bis 27. September 2013 in Barcelona.
Blutzuckermessgeräte spielen bei der Betreuung der Patienten mit Diabetes mellitus eine wichtige Rolle. Für ihren Verkauf bedarf es eines CE-Zeichens, dessen Vergabe war Gegenstand der Diskussion am EASDKongress.
Blutzuckerzielwert individuell definieren und erreichen
Die antidiabetische Therapie wird bei älteren Typ-2-Diabetikern vielfach durch Komorbiditäten erschwert. Ausschlaggebend für einen langfristigen Behandlungserfolg sind Definition und Erreichen des individuellen HbA1c-Zielwerts sowie die Wahl des «richtigen» oralen Antidiabetikums.
Komorbiditäten grosse Herausforderung bei Älteren Die Prävalenz des Typ-2-Diabetes steigt ab dem 50. Lebensjahr stetig an und erreicht in der Altersgruppe der 70- bis 79Jährigen über 20 Prozent. «Die zahlreichen Komorbiditäten dieser schwer zu behandelnden Patientengruppe bedeuten eine grosse Herausforderung im praktischen Alltag», erklärte Dr. Stefan Gölz, Esslingen. Die Ergebnisse der INTERVAL-Studie zeigten, dass bei älteren Patienten individuell
festgelegte HbA1c-Werte sinnvoll sind und mit dem DPP-4-Hemmer Vildagliptin auch erreicht werden können. An der randomisierten, plazebokontrollierten Doppelblindstudie nahmen 278 mindestens 70 Jahre alte Patienten mit einem durchschnittlichen HbA1c-Wert von 7,9 Prozent teil. Unter Berücksichtigung von Leitlinienempfehlungen, Alter, HbA1c-Ausgangswert, Komorbiditäten und allgemeiner körperlicher Verfassung wurden individuelle Zielwerte festgelegt.
Geringes Hypoglykämierisiko Die Patienten erhielten Vildagliptin 50 mg (1- oder 2-mal täglich) beziehungsweise Plazebo. Mit dem Gliptin erreichten doppelt so viele Patienten ihren individuellen Zielwert wie mit Plazebo (52,6 vs. 27,0%; p < 0,0001). Dabei lag die Nebenwirkungsrate – insbesondere Hypoglykämien – mit Vildagliptin auf Plazeboniveau.
Ein geringes Hypoglykämierisiko des Antidiabetikums ist bei Älteren ein besonders wichtiges Entscheidungskriterium bei der Medikamentenwahl, da in diesem Alter oft eine kardiovaskuläre Vorschädigung besteht und Hypoglykämien kardiovaskuläre Ereignisse wie Schlaganfall und Myokardinfarkt triggern. «Liegt bei Typ-2Diabetikern zusätzlich eine Herzerkrankung vor, müssen wir sie als Hochrisikopatienten einstufen. Daher gilt es, durch moderne Antidiabetika das Hypoglykämierisiko zu verringern und damit kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern», so Prof. Dr. Oliver Schnell, München.
Kirsten Westphal
Quelle: Novartis-Pressekonferenz im Rahmen des 49. Jahreskongresses der European Association for the Study of Diabetes (EASD) am 25. September 2013 in Barcelona.
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