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Blutdruckkontrolle im Mittelpunkt der Bemühungen
Bild: swissheart.ch
Nach wie vor erreicht ein viel zu geringer Prozentsatz der Hypertoniepatienten anhaltend eine gute Blutdruckkontrolle. Ein Schlüsselfaktor ist laut Experten des ESC die mangelnde Compliance; als Gegenstrategien gelten eine bessere Aufklärung der Patienten und entsprechende Einnahmehinweise auf den Verpackungen. Der Einsatz medikamentöser Doppel- oder Dreifachtherapien wird mittlerweile ebenfalls als essenziell für den therapeutischen Erfolg angesehen.
W eniger als 50 Prozent der behandelten Patienten in Europa erreichen einen kontrollierten Blutdruck, leitet Prof. Dr. Stéphane Laurent vom Europäischen Krankenhaus Georges Pompidou in Paris die Sitzung ein (1). Dabei gilt der zu hohe Blutdruck als stärkster Prädiktor für Schlaganfälle, die Senkung des Blutdrucks als beste Methode, dieses Ereignis zu verhindern. Laut ESH/ESC-Guidelines von 2013 gibt es 3 wesentliche Ursachen für die niedrigen Raten der Blutdruckkontrolle: Untätigkeit der Ärzte, Mängel der Gesundheitssysteme hinsichtlich des Managements chronischer Krankheiten sowie die niedrige Compliance der Patienten.
Compliance ist der Schlüsselfaktor Und diese niedrige Compliance ist der «Schlüsselfaktor», betont Prof. Dr. Josep Redòn von der Universität Valencia. «Nach 6 Monaten bricht mindestens ein Drittel der Patienten die ursprüngliche Behandlung ab, und auf täglicher Basis vergessen etwa 10 Prozent der Patienten die Einnahme ihrer Medikamente.» Die ESH/ESC-Guidelines verweisen in diesem Zusammenhang vor allem auf den Bedarf für einen stärkeren Einsatz von Kombinationstherapie, «da dies die Wahrscheinlichkeit einer schlechten Compliance verringert und damit zu einer besseren Blutdruckkontrolle führt», erklärt Redòn (siehe auch Kasten Patientenfall).
Höchste Kontrolle mit Kombinationstherapie Die Blutdruckkontrolle ist bei der Mehrheit der Patienten mit der medikamentösen Kombinationstherapie möglich, bestätigt nachfolgend Dr. Jean-Jacques Mourad vom Avicenne-Universitätskrankenhaus in Bobigny. «Zwei Analysen zeigten, dass in grossen Trials wie VALUE, INVEST, ASCOT oder ACCOMPLISH die überwiegende Mehrheit der Patienten eine Blutdruckkontrolle von < 140/90 mmHg er-
Ein Fall aus der Praxis
Prof. Dr. Roland Schmieder, Universitätsklinikum Erlangen und Dr. Massimo Volpe, Universität Rom, stellten einen typischen Patienten vor: 2001: 52-jähriger Mann, Diagnose Hypertonie II (165/101 mmHg) im Rahmen eines Check-ups. Nach einer Lebensstiländerung BD immer noch 162/99 mmHg. • Einleitung Therapie Atenolol 12,5 mg, nach 6 Monaten BD im-
mer noch 155/94 mmHg. • Zusätzlich HCTZ 12,5 mg. • Die nächsten 11 Jahre: Lost to Follow-up.
2012: Besuch beim Hausarzt, Therapie modifiziert auf Enalapril 20 mg + HCTZ 25 mg. • BD immer noch auf 163/104 mmHg. • Überweisung an Hypertonie-Abteilung:
Enalapril 20 mg + Amlodipin 5 mg + Simvastatin 10 mg. • BD unkontrolliert, Switch auf Olmesartan 40 mg/
Amlodipin 10 mg/HCTZ 25 mg, endlich befriedigende Blutdruckkontrolle: 136/85 mmHg.
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reichte, wobei wiederum die Mehrheit dieser Patienten eine Kombinationstherapie erhielt» (2, 3). Auch praktische Erfahrungen anderer Länder bestätigen die Bedeutung der medikamentösen Therapie: So hat Kanada bereits 1999 das «Canadian Hypertension Education Program (CHEP)» ins Leben gerufen, das jährlich überarbeitete Empfehlungen für das Management von Hypertonie-Patienten herausgibt. Analysen zeigten hier die starke Korrelation zwischen verbessertem Management und erhöhtem Einsatz von Antihypertensiva: Während die Verschreibungen aller Antihypertensiva zwischen 1996 und 2006 um 106,8 Prozent sowie die Verschreibungen von Fixdosiskombinationen im selben Zeitraum um 112,8 Prozent anstiegen, verbesserte sich die Blutdruckkontrolle von 13,2 auf 64,6 Prozent aller Hypertoniepatienten (4,5). «Damit hat Kanada eine der höchsten Kontrollraten weltweit.» Die Folgen sind eine um 16 Prozent niedrigere Mortalitätsrate aufgrund eines akuten Myokardinfarkts sowie 6 Prozent weniger Todesfälle nach Schlaganfall (6).
«Lebensverlängernd» statt «lebenslang» Dieser Zielwert von 70 Prozent soll nun bis 2015 auch in Frankreich erreicht werden, berichtet Mourad von einem entsprechenden Programm der Französischen Liga gegen Hypertonie. «Von Seiten der Ärzte wünschen wir uns eine Änderung der Einstellung: Statt ‹Der Patient hat einen zu hohen Blutdruck› besser ‹Dieser Patient hat ein hohes Risiko für Insult oder Demenz›.» Im Dialog mit dem Patienten ist wiederum weniger von einer «lebenslangen Behandlung» als vielmehr von einer «lebensverlängernden Behandlung» zu sprechen, so die Tipps für die Praxis.
Die weiteren Strategien des französischen Programms kurz zusammengefasst: • Ambulante Messung zur Bestätigung des unkontrollier-
ten Blutdrucks • Aktives Screening für schlechte Compliance • Umstieg von Monotherapie auf eine Fixdosis-Dualthera-
pie bei fehlender Kontrolle • Bei fehlender Kontrolle unter Dualtherapie Umstieg auf
Dreifachtherapie • Regelmässige Evaluierung des Managements.
Lydia Unger-Hunt
Referenzen: 1. EUROASPIRE II Study Group. Lifestyle and risk factor management and use of drug therapies in coronary patients from 15 countries; principal results from EUROASPIRE II Euro Heart Survey Programme. Eur Heart J. 2001; 22(7): 554–572. 2. Struijker-Boudier HA et al. The need for combination antihypertensive therapy to reach target blood pressures: what has been learned from clinical practice and morbidity-mortality trials? Int J Clin Pract. 2007; 61: 1592–1602. 3. Jamerson K et al. Benazepril plus amlodipine or hydrochlorothiazide for hypertension in high-risk patients. N Engl J Med. 2008; 359 (23): 2417–2428. 4. Hemmelgarn BR et al. The 2006 Canadian Hypertension Education Program recommendations for the management of hypertension: Part I – Blood pressure measurement, diagnosis and assessment of risk. Can J Cardiol. 2006; 22: 573–581. 5. McAlister FA et al. Changes in the rates of awareness, treatment and control of hypertension in Canada over the past two decades. CMAJ. 2011; 183 (9): 1007–1013. 6. Campbell NR et al. Increases in antihypertensive prescriptions and reductions in cardiovascular events in Canada. Hypertension. 2009; 53: 128–134.
Quelle: «Why do goal rates in hypertension urgently need to improve?» Daiichi Sankyo Satellitensymposium, ESC-Kongress, 31. August 2013 in Amsterdam.
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