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Neue ESC-Guidelines mit mehr Raum für individualisierte Therapie
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CongressSelection
Neue ESC-Guidelines mit mehr Raum für individualisierte Therapie

Im Rahmen des ESC-Kongresses präsentierten prominente Experten der jeweiligen Komitees neue Guidelines der Gesellschaft zu den Themenkomplexen Bluthochdruck, Diabetes, stabile koronare Herzkrankheit sowie Schrittmacher und Resynchronisation.

Die mit der europäischen Diabetesgesellschaft erstellte Leitlinie zu Diabetes sowie die Leitlinie zum Bluthochdruck, die mit der europäischen Hypertoniegesellschaft ESH erarbeitet wurde, haben einen gemeinsamen Nenner: flexiblere Therapieziele, die eine Individualisierung der Therapie ermöglichen.

1. Flexible Therapieziele bei Diabetes mellitus

Hinsichtlich des Diabetes mellitus unterstreicht die neue

Leitlinie die enge Verbindung mit der koronaren Herz-

krankheit, indem KHK-Patienten auf Dia-

betes und Diabetiker auf KHK gescreent

werden sollen. Der Algorithmus dazu

wurde nur geringfügig verändert. Das be-

Diabetes

trifft vor allem die Diagnostik, wo nun zwischen Gesunden und KHK-Patienten insofern unterschieden wird, als bei Herzgesunden ein HbA1c unter 6,5 Prozent zum Ausschluss eines Diabetes genügt, wäh-

rend bei KHK-Patienten auch bei normalem HbA1c und normaler Nüchternglukose ein oraler Glukosetoleranztest ge-

fordert wird. Eine Risikostratifizierung wird empfohlen,

um das weitere Vorgehen festzulegen – wobei Diabetiker

in aller Regel ein hohes oder sehr hohes Risiko haben

werden.

In der Therapie des Typ-2-Diabetes wird die Bedeutung von Lebensstilmodifikation unterstrichen. Allerdings legt die ESC nun mehr Wert auf die Stabilisierung des Körperge-

wichts als auf dessen Reduktion. Die Ernährungsempfeh-

lungen sehen weniger als 35 Prozent

Kalorienaufnahme in Form von Fett und ei-

nen hohen Ballaststoffanteil vor. Bei Über-

gewicht wird eine Kalorienreduktion ohne

weitere Spezifikation empfohlen. Die ESC

rät Diabetikern zu mindestens 150 Minuten

körperlichem Training pro Woche, das mo-

Bluthochdruck

derat bis intensiv ausfallen sollte. Hinsichtlich der glykämischen Kontrolle soll gene-

rell ein HbA1c < 7,0 Prozent angestrebt werden. Dazu Prof. Dr. Peter Grant von der University of Leeds: «Es gibt gute Evidenz, dass man dieses Ausmass an Krankheitskontrolle erreichen sollte, um mikrovaskuläre Komplikationen zu vermeiden oder deren Progression aufzuhalten. Bei den makrovaskulären Komplikationen wissen wir, dass Hyperglykämie das Risiko erhöht, wir können dieses Wissen aber nicht so leicht in einen konkreten Zielwert umsetzen. Vor allem haben Studien auch gezeigt, dass eine sehr strikte glykämische Kontrolle das Risiko ebenfalls erhöhen kann.» Eine Einstellung auf einen Zielwert zwischen 6,0 und 6,5 Prozent soll daher nur bei jüngeren Patienten mit hoher Lebenserwartung, die keine KHK aufweisen, versucht und nicht mit Hypoglykämien erkauft werden. Am anderen Ende des Spektrums ist bei betagten Patienten ein HbA1c von bis zu 8,0 Prozent akzeptabel. Eine generelle Empfehlung für den Einsatz von niedrig dosiertem ASS bei Diabetikern wird nicht gegeben. Täglich soll ASS nur bei bestehender KHK eingenommen werden. Statine werden für Typ-2-Diabetiker mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulärem Risiko empfohlen. Für Diabetespatienten mit KHK erwies sich eine konsequente konservative Therapie einer frühen Revaskularisierung hinsichtlich der weiteren Prognose als gleichwertig (1). Bei komplexerer KHK wird Stenting oder Bypass-Chirurgie empfohlen, wobei dem Bypass ein hoher Stellenwert eingeräumt wird. Aufgehoben wurde die Empfehlung, Metformin vor einer invasiven Koronarangiografie oder perkutaner koronarer Intervention abzusetzen. Allerdings ist dabei die Nierenfunktion genau zu überwachen. 2. Blutdruckgrenzwerte nach oben verschoben Die neue Blutdruckleitlinie betont den Wert von Messungen ausserhalb der Arztpraxis. Dies betrifft einerseits die Selbstmessung durch den Patienten, andererseits die 24Stunden-Blutdruckmessung, da sich diese, so Prof. Dr. Robert Fagard von der Universität Leuven, als bessere Prädiktoren für kardiovaskuläre Ereignisse erwiesen haben. 6 Kardiologie ESC 2013 CongressSelection Die Definition der Hypertonie ist gleichzeitig grosszügiger und flexibler geworden. Die neue Leitlinie sieht einen ein- heitlichen Grenz- und Zielwert von 140/90 mmHg – ent- sprechend 135/85 mmHg in der Selbstmessung – vor. Der Durchschnittswert über 24 Stunden sollte 130/80 mmHg nicht überschreiten. Weitgehend obsolet sind die bisher für Hochrisikopatienten geforderten 130/80 mmHg, die nur mehr bei sehr sorgfältig ausgewählten Populationen wie Diabetikern mit Proteinurie angestrebt werden. Dazu Fagard: «Für den rigorosen Zielwert von 130/80 mmHg gab es nie gute Evidenz, gleichzeitig mehrten sich die Hin- weise, dass man den Patienten durch zu deutliche Blut- drucksenkung sogar schaden kann. Dass es vorteilhaft ist, wenn gesunde Menschen von alleine einen so niedrigen Blutdruck haben, bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich dieser Wert auch als Zielwert für die oftmals multimor- biden Hochdruckpatienten eignet. Deshalb wurde dieser strenge Zielwert jetzt fallen- gelassen.» Bei älteren Patienten werden Stabile KHK sogar höhere Werte – bis zu 150 mmHg systolisch – toleriert. Die Individualisierung bezieht sich dabei nicht nur auf die zu er- reichenden Werte. Auch die Verträglichkeit und Nebenwirkungen von Medikamenten sollen verstärkt in die Therapieentschei- dungen einbezogen werden. Seitens der ESC und ESH werden alle Klassen von An- tihypertensiva als gleichwertig und für die Schrittmacher Monotherapie geeignet betrachtet. Unzureichende Werte: Lieber Kombination als Dosiserhöhung Wird das Therapieziel nicht erreicht, ist die Umstellung auf eine Kombinationstherapie einer Dosiserhöhung oder dem Umstieg auf ein Antihypertensivum einer anderen Klasse vorzuziehen. Auch hinsichtlich der Kombination von Medikamenten ist fast alles möglich. Als suboptimal hat sich allerdings die duale RAAS-Blockade mit ACE-Inhibitoren und Angiotensinrezeptorblockern erwiesen. Wann eine medikamentöse Therapie der Hypertonie eingeleitet werden soll, hängt von zusätzlichen Risikofaktoren ab. Sind solche vorhanden, soll eine Lebensstilintervention Aktuelle Guidelines online Die aktuellen Guidelines der ESC können von der Website der Gesellschaft (http://www.escardio.org) heruntergeladen werden. Überdies bietet die ESC angemeldeten Nutzern eine für iPhone/iPad sowie Smartphone aufgearbeitete interaktive Version der Pocketguidelines, Algorithmen, Scores und Rechner. Hier geht es direkt zu diesem Link: allenfalls kurz versucht und bei Misserfolg zügig die medikamentöse Behandlung begonnen werden. Ab einem systolischen Blutdruck von 160 mmHg soll sofort mit Antihypertensiva behandelt werden. Die ESC empfiehlt bei neu diagnostizierten Hypertonikern auch eine Reihe weiterführender Untersuchungen und Abklärungen. So sollen unter anderem die Nierenfunktion (mittels Kreatininbestimmung und Abschätzung der GFR) evaluiert und eine kardiologische Untersuchung mit EKG und womöglich auch Ultraschall durchgeführt werden. Im Labor sind unter anderem Nüchternglukose und Plasmalipide zu bestimmen. 3. Neue Guidelines zu KHK und Schrittmachern Die neuen Empfehlungen zur stabilen koronaren Herzerkrankung sehen einen dreistufigen Zugang zur Diagnostik vor. Die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung soll zunächst anhand klinischer Parameter abgeschätzt werden. Kommt man damit auf eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 15 Prozent, sind keine weiteren Schritte erforderlich. Liegt die Krankheitswahrscheinlichkeit zwischen 15 und 85 Prozent, wird eine nicht invasive Diagnostik empfohlen. Dabei verliert das Belastungs-EKG zugunsten der Bildgebung an Bedeutung und wird bei Patienten mit einer KHK-Wahrscheinlichkeit von mehr als 65 Prozent überhaupt nicht mehr empfohlen. Koronare CT-Angiografie wird empfohlen für Patienten mit einem Risiko von mehr als 50 Prozent, während die invasive Angiografie nur bei Patienten mit schwerer Angina, unter Therapie persistierender Angina oder ungünstigen Ergebnissen bei nicht invasiven Untersuchungen zum Einsatz kommen soll. Wenn kein Ischämietest verfügbar ist, wird zur Bewertung der fraktionellen Flussreserve (FFR) geraten. Auch zur Indikation für Schrittmacher und Resynchronisation gibt es eine neue ESC-Leitlinie. Eine wesentliche Neuerung stellt dabei eine Neuklassifikation der Bradyarrhythmien dar, die sich nun nicht mehr an der Ätiologie oder der Grundkrankheit orientieren soll, sondern an der EKG-Dokumentation. Stattdessen soll eine Klassifikation nach dem Pathomechanismus erfolgen, die sich an drei Gruppen orientiert: persistente Bradykardie, intermittierende Bradykardie mit EKG-Dokumentation und Verdacht auf intermittierende Bradykardie. Diese Klassifizierung mache, so Prof. Dr. Michele Brignole vom Ospedale del Tigullio in Lavagna, Italien, die Indikationsstellung für den Schrittmacher einfach, zumal dieser «die beste Waffe gegen Bradykardie» sei. Reno Barth 1. BARI 2D Study Group, A Randomized Trial of Therapies for Type 2 Diabetes and Coronary Artery Disease, New Engl J Med 2009; 360: 2503–2515. Quelle: Symposium «ESC Guidelines 2013 Overview», ESC-Jahrestreffen, 1. September 2013 in Amsterdam. 8 Kardiologie ESC 2013