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Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Wo Neurologie und Rheumatologie zusammentreffen
Der diesjährige Kongress der European Neurological Society (ENS) fand kürzlich in Barcelona, Spanien, statt. Unter den zahlreichen präsentierten Arbeiten fanden sich auch mehrere zu rheumatologischen Themen, beziehungsweise zu jenen Symptomen und Indikationen, die eine enge Zusammenarbeit zwischen Neurologen und Rheumatologen erforderlich machen. Aktuelle Erkenntnisse gibt es zum Fibromyalgie-Syndrom und dem systemischen Lupus erythematodes.
S o etwas wie ein Streitthema zwischen den Disziplinen ist das Fibromyalgie-Syndrom (FMS), dem immer wieder eine spezifische, morphologisch oder funktionell fassbare Pathologie abgesprochen wird. Da bei den Betroffenen neben der subjektiv angegebenen Symptomatik meist keine objektivierbaren Befunde erhoben werden können, wird die Krankheit nicht selten in eine rein psychiatrische Ecke abgeschoben. Für die Patienten ergeben sich daraus freilich wenig Nachteile, da sämtliche Behandlungsversuche sehr begrenzte Wirkung zeigen.
Neue Erkenntnisse zur Fibromyalgie
Im Rahmen des ENS-Kongresses 2013 präsentierte nun eine deutsche Gruppe überraschende Befunde zum Fibromyalgie-Syndrom (1). Dieses weist, so die Erstautorin der Studie, PD Dr. Nurcan Üçeyler von der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg, bestimmte Charakteristika des neuropathischen Schmerzes auf. Das Team fand bei FMS-Patienten Anomalien im Bereich der peripheren Nerven, was insofern überrascht, als die Klinik der Fibromyalgie keine Hinweise in Richtung einer neuropathischen Schmerzentstehung liefert. Allerdings hätten sich, so Üçeyler, in den letzten Jahren Befunde gehäuft, die in Richtung einer Dysfunktion des Nervensystems bei FMS-Patienten deuten: «Es wurden bereits zahlreiche Hypothesen geprüft, wobei man allerdings nicht zu konklusiven Resultaten kam. Hinsichtlich der grossen Nervenfasern wurden keine Auffälligkeiten gefunden. Bei den dünnen Fasern waren die Ergebnisse widersprüchlich, wobei wir bislang nur Daten aus kleinen Studien hatten, die sich der Fragestellung mit jeweils nur einer Methode näherten.»
Dünne Nervenfasern geschädigt
Üçeyler und ihre Gruppe untersuchten nun, ob das Fibromyalgie-Syndrom mit pathologischen Veränderungen der
C- und A-Fasern assoziiert ist. Dazu wurden Funktion und Morphologie peripherer, unmyelinisierter, dünner Nervenfasern (small fibres) von FMS-Patienten einerseits mit einer Gruppe gesunder Kontrollen sowie andererseits mit einer zweiten Kontrollgruppe aus depressiven Patienten verglichen. In die Studie eingeschlossen wurden 25 Patienten mit FMS, zehn Patienten mit Depression ohne Schmerzen sowie nach Alter und Geschlecht gematchte Kontrollen. Die Kontrollgruppe mit Major Depression wurde, so Üçeyler, eingeschlossen, um mögliche Störfaktoren aufzudecken. Dies sei angesichts der hohen Häufigkeit depressiver Symptome bei FMS-Patienten erforderlich. Nach gründlicher neurologischer und elektrophysiologischer Untersuchung wurden die Patienten mittels etablierter Questionnaires auf neuropathischen Schmerz und Depression gescreent. Der Zustand der peripheren Nervenfasern wurde anhand quantitativer sensorischer Testung (QST) und schmerzevozierter Potenziale (pain-related evoked potentials – PREP) evaluiert. Des Weiteren wurden die intraepidermale Nervenfaserdichte bestimmt sowie mittels Stanz-Biopsien aus Fuss und Oberschenkel regenerierende intraepidermale Nervenfasern quantifiziert.
Ähnlichkeiten mit neuropathischen Schmerzen
Das Bild, das sich aus diesen Untersuchungen ergab, war den typischen Befunden von Patienten mit neuropathischem Schmerz erstaunlich ähnlich. Insbesondere fiel eine signifikant reduzierte Funktion der small fibres auf. Darüber hinaus waren auch die schmerzevozierten Potenziale im Vergleich zu Depressiven und Kontrollen auffällig. Und zwar sowohl im Sinne einer vergrösserten N1-Latenz bei Stimulation an den Füssen als auch einer reduzierten PREP-Amplitude bei Stimulation an Händen, Gesicht und Füssen. Die intraepidermale Nervenfaserdichte war bei
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den FMS-Patienten ebenso reduziert wie die nicht myelinisierten Faserbündel. Bei den myelinisierten Fasern wurden keine Unterschiede zu den Kontrollen gefunden. Alles in allem konnte also eine funktionelle, elektrische und morphologische Beeinträchtigung der small fibres bei FMS nachgewiesen werden – alles Befunde, die ausgezeichnet zu einer neuropathischen Schmerzsymptomatik passen würden. In den entsprechenden Questionnaires zeigten Fibromyalgie-Patienten auch signifikant höhere Werte für neuropathischen Schmerz. Darüber hinaus – und weniger überraschend – wiesen die FMS-Patienten im Vergleich zu den Gesunden auch einen deutlich erhöhten Depressionsscore auf, der jedoch nicht hoch genug war, um die Diagnose einer Major depression zu rechtfertigen. Damit können aus dieser Arbeit zumindest derzeit keine therapeutischen Konsequenzen abgeleitet werden, zumal die für FMS typischen tiefen Muskelschmerzen nicht mit den erhobenen Befunden in Einklang gebracht werden können. «FMS ist kein neuropathischer Schmerz, ebenso wenig wie FMS gleich Depression ist. Zu den Unterschieden in der klinischen Präsentation kommen Hinweise auf elektrophysiologische Unterschiede zwischen den Erkrankungen. Warum die small fibres bei FMS betroffen sind, ist unklar. Damit bleibt die Pathophysiologie des FMSSchmerzes unbekannt. Unsere Erkenntnisse liefern leider weder neue Verfahren zur sicheren Diagnose eines FMS noch haben sie therapeutische Konsequenzen», zieht Üçeyler Bilanz.
Neurologische Komplikationen beim Lupus
Von besonderer Bedeutung ist die Zusammenarbeit zwischen Neurologie und Rheumatologie in der Behandlung neurologischer Komplikationen entzündlich rheumatischer Erkrankungen. Diese sind besonders beim systemischen Lupus erythematodes (SLE) klinisch problematisch und keineswegs selten. Im Rahmen des ENS-Kongresses 2013 wurde eine Kohortenstudie präsentiert, die die Häufigkeit neurologischer Komplikationen bei SLE und die Zusammenhänge mit dem Anti-Phospholipid-Syndrom untersuchte (2). Die Autoren betonen, dass ungeachtet der klinischen Relevanz verlässliche Daten zu dieser Fragestellung rar sind. Folglich wird die Prävalenz neurologischer Symptome beim SLE, je nach Studie, zwischen «12 und 95 Prozent» angegeben. Ein Grund dafür ist die Vielfalt der möglichen Symptome, die von harmlosen Kopfschmerzen bis zu schwersten neurologischen Ausfällen reichen können. Die Gruppe der Universität Porto identifizierte aus der Datenbank eines Krankenhauses 668 Patientinnen und Patienten mit SLE sowie 76 mit einem primären Anti-Phospholipid-Syndrom (APS). Von den 75 Patienten aus dieser Kohorte, die neuropsychiatrische Symptome zeigten, litten 33 unter einem SLE, 22 unter SLE und APS, sowie 20 unter einem primären APS. Das Anti-Phospholipid-
Syndrom ist charakterisiert durch die Bildung im Blut zirkulierender Antikörper gegen Phospholipid-ProteinKomplexe. Die Folge ist Hyperkoagulabilität, die zu Thrombenbildung und Ischämie führt und damit unter anderem neurologische Schäden verursachen kann. Darüber hinaus wird auch ein direkter Angriff der Autoantikörper auf Nervengewebe vermutet. APS kann sowohl primär als auch sekundär im Rahmen eines systemischen Lupus erythematodes auftreten. Die portugiesische Studie zeigte nun, dass das Vorhandensein eines APS der entscheidende Faktor für das Auftreten neurologischer und neuropsychiatrischer Komplikationen sein dürfte. Unter den Lupus-Patientinnen ohne APS litten lediglich 5,7 Prozent unter neurologischen Symptomen. Kam ein sekundäres APS hinzu, lag die Prävalenz bei 25 Prozent. Bei den Patienten mit primärem APS waren neurologische Symptome am häufigsten (26,3%). In dieser Gruppe war die neuropsychiatrische Symptomatik auch zu 80 Prozent die erste Manifestation der Erkrankung. Lupus und Lupus/APS-Patienten unterschieden sich auch im Hinblick auf die Symptomatik. Bei APS traten in erster Linie zerebrovaskuläre Komplikationen auf, während bei Lupus ohne APS-Anfälle und aseptische Meningitis am häufigsten waren. Die zerebrovaskulären Probleme beim APS erwiesen sich in dieser Kohorte als deutlich problematischer und führten häufiger zu Residualsymptomen mit moderater bis schwerer Behinderung.
Reno Barth
Referenzen: 1. Üçeyler N et al. Small fibre pathology in patients with fibromyalgia syndrome. Präsentiert am ENS 2013, Oral Session 4 «Pain and Headache». 2. Fonseca Samões R et al. Neuropsychiatric manifestations in systemic lupus erythematodus and primary antiphospholipid syndrome. Präsentiert am ENS 2013, Oral Session 5 «Infection and Inflammation».
Quelle: 23rd Meeting of the European Neurological Society (ENS), 8. bis 11. Juni 2013 in Barcelona.
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