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«Wir müssen diese Entzündungsherde wieder hinaustreiben»
Interview mit dem Rheumatologen Dr. med. Adrian Forster, Diessenhofen
Werden Komorbiditäten bei rheumatischen Erkrankungen, Arthrose oder Gicht konsequent angegangen, können nicht nur die klinischen Symptome, sondern auch die Entzündungsprozesse verringert werden. Ein Blick auf einige Highlights am EULAR-Kongress mit dem Rheumatologen Dr. med. Adrian Forster aus Diessenhofen.
H err Dr. Forster, die Komorbiditäten wecken immer stärker das Interesse der Fachleute. Warum? Dr. Adrian Forster: Man weiss heute, dass Begleit-
erkrankungen einen ganz erheblichen Einfluss haben, auch
auf die jeweiligen Therapien, und zwar sowohl bei ent-
zündlichen rheumatischen Erkrankungen als auch bei der
Arthrose. Entsprechend ändern die Komorbiditäten den
Krankheitsverlauf, wenn sie moduliert
werden. Es gab eine schöne Arbeit aus
Rom, in der gezeigt wurde, dass Patien-
ten mit rheumatischer Arthritis (RA) mehr
und länger TNF-Hemmer brauchen, wenn
sie gleichzeitig unter Übergewicht oder
Adipositas leiden. Ebenfalls neu: Bei
Übergewicht tritt die Psoriasis-Arthritis
(PsA) nicht nur häufiger auf, sondern
auch der Krankheitsverlauf ist schwerer.
Adrian Forster
Derzeit werden die einzelnen Faktoren
des metabolischen Syndroms näher un-
tersucht. So wurde bei der PsA in einer spannenden Arbeit
herausgefunden, dass eine Hyperlipidämie mit höherer
Krankheitsaktivität verbunden ist. Interessanterweise ist
das bei der rheumatoiden Arthritis genau umgekehrt. Dort
ist eine höhere Krankheitsaktivität eher mit tieferen Lipid-
werten assoziiert. Wenn man RA-Patienten dann behan-
delt, steigen die Lipidwerte nicht selten wieder an. Das
zeigt, dass RA und PsA unterschiedliche Krankheiten sind.
Auch bei der Gicht scheinen die Begleiterkrankungen wichtiger zu werden. Forster: Bei der Gicht ist es sehr wichtig, nicht nur die Harnsäure zu reduzieren und damit die Anfallshäufigkeit zu senken, sondern auch ganz gezielt nach Komorbiditäten zu fahnden und diese entsprechend zu behandeln. Hyperurikämie und Gicht sind Marker für ein hohes kardiovaskuläres Risiko. In der Praxis wird dem noch zu wenig Beachtung geschenkt. Man sollte also nicht nur die Gicht, sondern das ganze kardiovaskuläre Risikoprofil behandeln. Bei der Gicht ist die Gewichtsreduktion, neben dem Vermeiden gewisser Alkoholika, wahrscheinlich das Wichtigste, was wir überhaupt tun können. In mehreren Arbeiten wurde üb-
rigens gezeigt, dass auch Arthrose und vor allem die Gonarthrose sehr, sehr eng mit Übergewicht assoziiert ist.
Das ist ja durchaus nachvollziehbar. Forster: Schon, aber mit der Vorstellung einer neuen interessanten Studie weiss man, dass nicht alles vom Körpergewicht abhängt, sondern – davon isoliert – auch von den verschiedenen Komponenten des metabolischen Syndroms. Faktoren wie arterielle Hypertonie, verminderte Glukosetoleranz oder Hyperlipidämie sind direkt mit der Arthrose assoziiert. Schon in der Framingham-Kohorte wurde festgestellt, dass Patienten mit Fingerpolyarthrose (!) ein doppelt so hohes kardiovaskuläres Risiko besitzen. Und diese Erkenntnisse sind wirklich faszinierend, weil sie die Möglichkeit eröffnen, diese Faktoren zu modifizieren und dadurch auch die Arthrose zu bekämpfen. Hier wird zwar sehr viel zur medikamentösen Modifikation untersucht, aber viel zu wenig zu solchen Dingen. Dabei ist das ein extrem wichtiger Angriffspunkt. Schon heute gibt es Studien, nach denen die Symptome der Gonarthrose ganz massiv durch Interventionen in der Ernährung oder dem Bewegungsverhalten reduziert werden können. Diese Arbeit war für mich ein Highlight und ein Anstoss, mich mehr mit dieser Verbindung auseinanderzusetzen.
Ein Diabetes ist beim metabolischen Syndrom nicht mehr weit … Forster: Zum Thema Diabetes gab es ebenfalls eine sehr spannende Arbeit. Danach können die Glukosetoleranz erhöht und die diabetischen Stoffwechselstörungen unter TNF-Therapie gesenkt werden. Das ist völlig neu. Wir waren ja bis vor fünf Jahren unsicher, inwieweit eine solche antiinflammatorische Therapie überhaupt Vorteile hinsichtlich des vaskulären Risikos bringt – vor allem bei den Steroiden, die ja mit dem metabolischen Syndrom im Nebenwirkungsprofil assoziiert sind. In Zürich haben wir dann gesehen, dass sich die endotheliale Dysfunktion unter einer Anti-TNF-Therapie bessert. Der nächste Schritt waren die Registerdaten. Da wurde deutlich, dass das kardiovaskuläre Risiko durch eine antinflammatorische RABehandlung ganz erheblich gesenkt wird.
4 Rheumatologie EULAR 2013
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Liegt das am direkten Einfluss der Biologika oder einfach am Herunterfahren der Steroide? Forster: Die Biologika vermögen die systemische Entzündungsaktivität direkt zu senken. Und das ist zentral. Eine wichtige Botschaft lautet: Es geht nicht nur darum, dass die Hypertonie behandelt wird oder dass Lipide gesenkt werden, sondern dass die systemische Inflammation zurückgedrängt wird.
Gibt es bei den Biologika viel Neues? Forster: Im Fall der rheumatoiden Arthritis haben wir im Wesentlichen Bestätigungen des schon Bekannten gesehen. Allerdings ist eine neue Studie vorgestellt worden, nach der Ustekinumab – ein gegen Interleukin 23 gerichteter Antikörper – gegen Psoriasis-Arthritis wirksam ist. Bisher gab es im Gegensatz zur RA bei der Psoriasis-Arthritis keine wirklich guten Alternativen im Biologikabereich. Das ist jetzt schon eine Bereicherung. Auch bei der juvenilen idiopathischen Arthritis ist in einigen Arbeiten gezeigt worden, dass sich gegen Interleukin 6 gerichtete Strategien mit Tocilizumab lohnen können und dadurch rasch die systemischen Steroide reduziert werden. Das ist bei Kindern ein Durchbruch, zumal man bei ihnen wegen des juvenilen Wachstums systemische Steroide sehr viel weniger gerne einsetzt als bei Erwachsenen. Auch zu den «small molecules», den Kinaseinhibitoren, wurden neue Daten sowohl zur RA als auch zur PsoriasisArthritis vorgestellt. Allerdings muss man abwarten, welche Nebenwirkungen potenziell auftreten können.
Aber auch Biologika haben Nebenwirkungen … Forster: Das vor einigen Jahren noch diskutierte Tumorrisiko ist weitgehend vom Tisch, ausser bei Lymphomen. Für diese ist ein Nachweis sehr schwer zu führen, da sie bei der sehr schweren RA generell häufiger auftreten. Eines der wichtigsten Probleme der Biologika bleiben jedoch die Infekte. Dabei scheinen manche Wirkstoffe ein höheres Infektionsrisiko zu besitzen als andere. In diesem Zusammenhang können Head-to-Head-Studien, wie zum Beispiel «Abatacept versus Adalimumab», recht aufschlussreich sein.
Es wurde immer wieder auf die Notwendigkeit einer frühen Behandlung hingewiesen. Forster: Das ist wirklich eine ganz wichtige Strategie, die man eigentlich mit der Onkologie vergleichen kann. Gerade bei der rheumatoiden Arthritis hat man es mit einem Prozess im Gelenk zu tun, der durchaus Verwandtschaft mit einem neoplastischen Geschehen hat. Und was macht das entzündliche Gewebe im Gelenk? Es zerstört alles. Es räumt die Bänder, den Knorpel und den Knochen ab. Je länger dieses Gewebe vorhanden ist, desto stärker organisiert es sich im Gelenk. Dann wird es immer schwieriger, den Entzündungsherd wieder hinauszutreiben. Je früher man kommt, desto weniger Gelenkschäden entstehen und desto besser ist die Prognose.
Also, wann mit konventionellen DMARD und Steroiden behandeln und wann mit Biologika? Forster: Es gibt eine grosse Diskussion, ob es nicht sinnvoller wäre, sofort mit den Biologika zu beginnen. Bei jeder herkömmlichen Substanz geht es zwei bis drei Monate, bis sie greift. Das kann wertvolle Zeit sein, die da verstreicht. Sicher sollte man genügend hoch dosierte systemische Steroide geben. Wenn ein Patient das verträgt, ist das eine gute Strategie. Wenn er das aber nicht verträgt und zudem eine hohe Entzündungsaktivität vorliegt, sollte man in Zukunft früher daran denken, ein Biologikum einzusetzen. Nicht mit der Idee, es länger anzuwenden, sondern im Sinne einer Induktionstherapie.
Der Ultraschall scheint immer wichtiger zu werden ... Forster: Obwohl das Röntgenbild mit Sicherheit seinen Platz behalten wird, erleben wir mit dem Ultraschall gerade einen Durchbruch. Heute ist es dem Rheumatologen möglich, schon beim ersten Assessment per Sonografie einen fantastischen Überblick von den strukturellen Veränderungen am Gelenk zu erhalten. Schulter, Hüfte, Ergüsse, Rupturen am Bandapparat – all das ist mit Ultraschall jetzt möglich. Bei mir ist er nicht mehr wegzudenken, er ist gewissermassen das Stethoskop des Rheumatologen. Ich sehe damit häufig schon rheumatische Erosionen, wenn das Röntgenbild noch völlig unauffällig ist. Giorgio Tamborrini hat einen schönen Vortrag über Ultraschall in der Rheumatologie und insbesondere zur Infiltration unter sonografischer Kontrolle gehalten. Früher hat man schon mal neben das Gelenk infiltriert, heute ist das mit der sonografischen Kontrolle vorbei.
Was tut sich bei der Fibromyalgie? Forster: Bei der Fibromyalgie wurde einmal mehr darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die Patienten im Umgang mit den Schmerzen zu schulen. Reine Schmerzmittel haben einen geringen Stellenwert, häufiger werden Antidepressiva und Antiepileptika eingesetzt. Gerade der Physiotherapeut hat die Möglichkeit neben seiner eigentlichen Aufgabe, den Patienten im Umgang mit seinen Problemen zu schulen. Das hat einen ganz nachhaltigen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung.
Zu den Schmerzen wurden in Madrid allerdings wenige Studien vorgestellt … Forster: Das ist schade. Am EULAR-Kongress stehen derzeit die entzündlichen Systemerkrankungen im Vordergrund. Aspekte der Rehabilitation – abgesehen von der Arthrose – haben leider einen geringeren Stellenwert. In der Praxis ist das gerade umgekehrt. Dort sind degenerative Erkrankungen und Schmerzerkrankungen viel häufiger und viel wichtiger.
Besten Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Klaus Duffner.
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