Transkript
CongressSelection
Am Jahreskongress der SGGG nutzten wir die Gelegenheit für ein Kurzinterview mit PD Dr. Annette Kuhn, Bern, der Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft Urogynäkologie und Beckenbodenpathologie (AUG). Das Gespräch drehte sich um den Stellenwert der Netzeinlage in der Deszensuschirurgie und fand im Anschluss an die Vorträge zum ersten Hauptthema der AUG, «Deszensuschirurgie – Netz oder kein Netz», statt. Dr. Kuhn hatte zusammen mit PD Dr. Antoine Weil, Neuenburg, den Vorsitz dieser Session übernommen.
F rau Dr. Kuhn, gibt es klare Kontraindikationen für die Verwendung von Netzmaterial in der Deszensuschirurgie? Annette Kuhn: Eine eindeutige Kontraindikation stellt ein akuter Infekt im Urogenitalbereich dar. Nur wenn ein Infekt ausgeschlossen werden konnte, darf ein Netz implantiert werden. Darüber hinaus gibt es einige relative Kontraindikationen: So wäre ich bei einer bereits verkürzten, engen, vernarbten Scheide sehr zurückhaltend mit einer vaginalen Netzeinlage.
Gibt es auch Situationen, in denen der Verzicht auf ein Netz als Kunstfehler angesehen werden muss? Für mich gibt es hier zwei Indikationen, in denen der Einsatz eines Netzes unverzichtbar ist. Die eine ist die laparoskopische Sakrokolpopexie; wir können die Scheide nicht physiologisch am Sakrum fixieren ohne Netzeinlage. Bei diesem Eingriff ist das Netz unabdingbar. Die andere sehr gute Indikation für eine vaginale Netzeinlage ist aus meiner Sicht der laterale Defekt (Zystozele), den wir ohne Netz nicht so suffizient von vaginal korrigieren können wie mit einer Netzeinlage.
Interview mit PD Dr. Annette Kuhn, Präsidentin der AUG
State of the Art der Deszensuschirurgie – Rolle der Netzeinlage
Netzen mit einem gewissen Anteil an resorbierbarem Material entwickeln werden. Ich denke jedoch, dass hinsichtlich der Stützfunktion des Netzes – das ist schliesslich der Hauptgrund, weshalb wir überhaupt Netze verwenden – das Polypropylen, das makroporös sein sollte, momentan nicht zu ersetzen ist.
Abschliessend möchte ich Sie um einen Kommentar bitten zum Poster «Machen urogynäkologische Eingriffe dement?», das von Ihrer Berner Gruppe präsentiert wurde*. Das ist eine ausserordentlich interessante Studie, die von Dr. Brandner und einer unserer Dissertantinnen, Frau Aeberhard, durchgeführt wurde. Der Hintergrund: Die Bevölkerung in Europa wird zunehmend älter, und mit einem steigenden Anteil älterer Frauen sehen wir uns immer häufiger mit betagten Patientinnen konfrontiert, die sich einem urogynäkologischen Eingriff unterziehen müssen. Aus der klinischen Praxis wissen wir, dass betagte Frauen nach Spitalaufenthalten wegen einer Operation oft eine schlechtere Gedächtnisleistung aufweisen, bis hin zur
Verwirrtheit. Ziel der Studie war es zu evaluieren, ob nach urogynäkologischen Eingriffen eine Zunahme der kognitiven Leistungsminderung zu beobachten ist. Wir haben das mit einem sehr einfachen MiniCog-Test überprüft, der präoperativ und sechs Wochen nach der Operation durchgeführt wurde. Noch können wir keine definitive Aussage machen, denn es handelt sich um eine Pilotstudie. Wir haben jedoch gesehen, dass es bei einem Drittel der Patientinnen postoperativ zu verminderter Gedächtnisleistung kommt. Das heisst nun nicht, dass die Frauen durch diese Eingriffe dement werden, aber wir müssen genau hinschauen und Einflussfaktoren wie Anästhesie, Blutverlust und so weiter im Auge behalten. In dieser Altersgruppe sollten Eingriffe mit minimaler Invasivität und Belastung im Vordergrund stehen.
Besten Dank für das interessante Gespräch!
Das Interview führte Renate Weber.
*Aeberhard. C et al. Freie Mitteilung FM VI/63; SGGG-Jahreskongress 2013 in Lugano.
Welche Rolle spielen die verschiedenen Netzmaterialien, gab es hier Fortschritte? Hinsichtlich der Evidenz verfügt immer noch das monofilamentäre Polypropylennetz über den besten Datenhintergrund. Ich bin gespannt, wie sich die Langzeitresultate mit den neuen «Light-Weight»-
Für ihre Demenzstudie wurde Celine Aeberhard mit einem Preis der AUG ausgezeichnet, rechts: PD Dr. Annette Kuhn.
SGGG 2013 Gynäkologie 17