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Fortgeschrittenes Ovarialkarzinom
Radikalität der Erstoperation entscheidend für Prognose
Man ist sich allgemein einig, dass das fortgeschrittene Ovarialkarzinom möglichst radikal operiert und anschliessend eine Taxan-Platin-Chemotherapie durchgeführt werden sollte. Daneben gibt es aber noch viele offene Fragen, die zum Teil kontrovers diskutiert werden. Prof. Dr. Daniel Fink, Zürich, gab einen Überblick über die verschiedenen Kontroversen im Zusammenhang mit der Behandlung des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms.
Die wichtigste Behandlungsstrategie für das Ovarialkarzinom ist die Operation. Aber nur sehr kleine, auf ein Ovar beschränkte Tumoren mit intakter Kapsel (Stadium IA) können fertilitätserhaltend operiert werden, alle andern müssen möglichst radikal entfernt werden. Die andere effektive Behandlungsstrategie ist die Chemotherapie. Auch hier sind die IA-Karzinome die einzigen, bei denen auf eine Chemotherapie verzichtet werden kann.
Möglichst radikal operieren
Das Gesamtüberleben bei Ovarialkarzinom hängt in erster Linie vom Stadium des Karzinoms ab. Während das Überleben bei Stadium FIGO-I und dem seltenen Stadium II recht gut ist (10-Jahres-Überleben 65% resp. 40%), ist die Mortalität bei Stadium IV sehr hoch, und kaum eine Frau überlebt länger als 6 Jahre. Im Stadium III überleben aber je nach Statistik immerhin 10 bis 30 Prozent der Frauen (1). Betrachtet man alle FIGO-III-Stadien in Abhängigkeit der operativen Radikalität, fällt auf, dass von den Frauen, die radikal operiert werden konnten (makroskopisch kein Resttumor), 30 Prozent nach 15 Jahren noch lebten (1). Blieben weniger als 2 cm Resttumor zurück, lebten immerhin noch etwas mehr als 10 Prozent länger als 10 Jahre, war der Resttumor aber grösser als 2 cm, war die Mortalität fast gleich hoch wie nach einer reinen Probelaparatomie ohne Tumorresektion (1). Dies bestätigen auch die Zahlen von Bristow, der zeigen konnte, dass das mediane Überleben von der Radikalität der Operation abhängt (2). Bei radikaler Operation liegt es bei 40 Monaten, bei 50-prozentiger Radikalität nur noch bei 28 Monaten. Oder anders ausgedrückt: Jede Zunahme der Zytoreduktion um 10 Prozent bewirkt eine Verlängerung des medianen Überlebens um 5,5 Prozent. «Die Erstoperation entscheidet also über die Prognose», hielt Fink fest. Eine makroskopische Radikalität kann man in etwa 50 Prozent der FIGO-III- und -IV-Stadien erwarten. Von den Tumoren, die nicht radikal entfernt werden können, bleibt
bei rund der Hälfte ein Resttumor von weniger als 2 cm zurück. In insgesamt 25 (bis 50) Prozent muss eine Darmresektion vorgenommen werden und in 50 Prozent eine Lymphonodektomie. «Es ist unbestritten, dass wir immer möglichst radikal operieren sollten. Trotzdem sollte das in einem vernünftigen Rahmen bleiben. Wenn eine Patientin nach der Operation wochenlang auf der Intensivstation liegt, weil man auch noch den allerletzten Tumorrest entfernen wollte, hat man ihr damit nichts Gutes getan», gab Fink zu bedenken.
Kontroverse I: Lymphonodektomie
Die Lymphknoten (LK) sind beim Ovarialkarzinom in Abhängigkeit vom Stadium sehr oft befallen. «Allerdings hat das Ovar offenbar keine Sentinel-Lymphknoten», so Fink. Bei Stadium III findet man in über 50 Prozent der Fälle positive Lymphknoten. Es ist allerdings umstritten, ob eine systematische Lymphonodektomie gemacht werden soll oder nicht. Die Resultate einer aktuellen deutschen Studie, die diese Frage untersucht, sind noch nicht komplett verfügbar. Benedetti Panici und Kollegen fanden in ihrer 2005 publizierten Studie (3) einen Vorteil bezüglich des progressionsfreien Überlebens für die Patientinnen mit systematischer Lymphonodektomie (≥ 25 pelvine und ≥ 15 paraaortale LK) gegenüber denjenigen, bei welchen nur die palpatorisch vergrösserten Lymphknoten entfernt wurden. Für das Gesamtüberleben fand sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Frauen mit einem Tumorrest unter 1 cm scheinen von einer systematischen Lymphonodektomie zu profitieren, wobei es wesentlich ist, dass immer auch die paraaortalen Lymphknoten entfernt werden.
Kontroverse II: Intervall-Debulking
Aufgrund zweier grosser Studien, einer europäischen (4) und einer amerikanischen (5), die bezüglich des IntervallDebulkings zu widersprüchlichen Resultaten kamen, kann nach näherer Betrachtung gesagt werden, dass nur dieje-
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nigen Frauen von einer Intervalloperation profitieren, die in der Erstoperation nicht von einem erfahrenen gynäkologischen Onkologen operiert wurden oder bei welchen aus medizinischen Gründen (schlechter AZ, Aszites, Pleuraerguss) keine Reoperation möglich war.
Chemotherapie
Die Standardchemotherapie beim fortgeschrittenen Ovarialkarzinom besteht aus einem Taxan plus Platin. Ausser bei älteren Patientinnen und solchen mit einer Neuropathie, die nur Carboplatin erhalten sollten, hat sich die Kombination aus Paclitaxel (Taxol®) und Carboplatin gut bewährt. «Derzeit gibt es keine Daten, die eine Verlängerung der Chemotherapie (> 6 Zyklen), eine Dosiseskalation oder eine Addition eines weiteren Zytostatikums ausserhalb von Studien rechtfertigen würden», hielt Fink fest.
Kontroverse III: Neoadjuvante Chemotherapie
Die neoadjuvante Chemotherapie kann helfen, Patientinnen operabel zu machen, deren Operabilität aufgrund des Allgemeinzustandes, des Alters oder von Komorbiditäten eingeschränkt ist. Die deutschen Leitlinien kommen zum Schluss, dass die neoadjuvante Chemotherapie nur in der Untergruppe von Patientinnen mit einem Tumorrest über 1 cm gleichwertig ist wie die primäre Operation. Da präoperativ nicht vorhersehbar ist, welche Patientinnen nicht mit einem Tumorrest unter 1 cm operiert werden können, empfehlen die Leitlinien die neoadjuvante Chemotherapie nur im Rahmen von Studien.
17), von welcher man sich diesbezüglich Antworten erhofft. Für die intraperitoneale Chemotherapie liegen positive Daten vor (12), allerdings ist diese Behandlung derart toxisch, dass sie vorläufig nicht empfohlen werden kann. Für die hypertherme intraperitoneale Chemotherapie (HIPEC) gibt es beim Ovarialkarzinom keine Phase-IIIStudien, und sie sollte deshalb ausserhalb von Studien nicht eingesetzt werden.
Kontroverse V: Rezidivoperation
Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass es sich beim Ovarialkarzinom beim Auftreten eines Rezidivs immer um eine palliative Situation handelt. Tritt das Rezidiv innerhalb von 6 Monaten auf, handelt es sich um ein platinresistentes Karzinom, und es wird kein Debulking empfohlen – ausser der Palliativoperation zum Beispiel bei Ileus. «Tritt das Rezidiv nach mehr als 12 Monaten auf, kann man sich ein Debulking vor einer erneuten Chemotherapie überlegen», so Fink. Die deutschen DESKTOPStudien (13, 14) zeigten, dass das Überleben deutlich verlängert werden kann, wenn bei der Zweitoperation kein Tumorrest zurückgelassen werden muss. Ist aber keine radikale Operation möglich, ist das Überleben nicht länger, als wenn nicht operiert würde. Die besten Aussichten auf eine radikale Zweitoperation haben Patientinnen mit einem platinsensitiven Erstrezidiv, wenn die Primäroperation radikal war, nicht mehr als 500 ml Aszites vorhanden sind und der Allgemeinzustand gut ist.
Sabina M. Ludin
Kontroverse IV: Erweiterung der Chemotherapie
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass das Hinzufügen von Epirubicin, Gemcitabin, Topotecan oder lysosomalem Doxorubicin zur Taxan-Platin-Standardtherapie keinen Überlebensvorteil bringt. Auch die Verlängerung der Taxanbehandlung auf 12 Zyklen brachte keinen Überlebensvorteil (6), ebensowenig eine Erhaltungstherapie mit Topotecan (7). Einzig für die Erhaltungstherapie mit Bevacizumab (Avastin®), das die Angiogenese hemmt, wurde eine zwar kleine, aber signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens (2,4 Monate bei 8 Monate Erhaltungstherapie [8], 3,8 Monate bei 11-monatiger Erhaltungstherapie [9]) und in der Hochrisikogruppe eine Verlängerung des medianen Überlebens von 7,8 Monaten gegenüber Plazebo gefunden. «Allerdings hatten die Patientinnen mit Bevacizumab eine schlechtere Lebensqualität als diejenigen ohne, weshalb man sich gut überlegen muss, ob man es einsetzen will oder nicht», so Fink (11). Unklar ist noch, wie lange Bevacizumab gegeben werden soll, da man gesehen hat, dass sich die Überlebenskurven nach Absetzen des Medikamentes sehr rasch wieder angleichen. Momentan läuft eine europäische Studie (AGO-OVAR
Referenzen: 1. www.tumorregister-muenchen.de 2. Bristow RE et al. Survival effect of maximal cytoreductive surgery for advanced ovarian carcinoma during the platinum era: a meta-analysis. J Clin Oncol 2002; 20: 1248–1259. 3. Benedett Panici P et al. Systematic aortic and pelvic lymphadenectomy versus resection of bulky nodes only in optimally debulked advanced ovarian cancer: a randomized clinical trial. J Natl Cancer Inst 2005; 97: 560–566. 4. van der Burg ME et al. The effect of debulking surgery after induction chemotherapy on the prognosis in advanced epithelial ovarian cancer. Gynecological Cancer Cooperative Group of the European Organization for Research and Treatment of Cancer. N Engl J Med 1995; 332: 629–634. 5. Rose PG et al. Secondary surgical cytoreduction for advanced ovarian carcinoma. N Engl J Med 2004; 351: 2489–2497. 6. Markman M et al. Phase III randomized trial of 12 versus 3 months of maintenance paclitaxel in patients with advanced ovarian cancer after complete response to platinum and paclitaxel-based chemotherapy: a Southwest Oncology Group and Gynecologic Oncology Group trial. J Clin Oncol 2003; 21: 2460–2465. 7. De Placido S et al. Topotecan compared with no therapy after response to surgery and carboplatin/paclitaxel in patients with ovarian cancer: Multicenter Italian Trials in Ovarian Cancer (MITO-1) randomized study. J Clin Oncol 2004; 22: 2635–2642. 8. Burger RA et al. Phase III trial of bevacizumab (BEV) in the primary treatment of advanced epithelial ovarian cancer (EOC), primary peritoneal cancer (PPC), or fallopian tube cancer (FTC): A Gynecologic Oncology Group study. J Clin Oncol 2010; 28: 18s (suppl; abstr LBA1). 9. Journal of Clinical Oncology, 2011 ASCO Annual Meeting Proceedings
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(Post-Meeting Edition). 10. Kristensen G et al. Result of interim analysis of overall survival in the GCIG ICON7 phase III randomized trial of bevacizumab in women with newly diagnosed ovarian cancer. J Clin Oncol 2011; 29: 18s (suppl; abstr LBA5006). 11. Stark D et al. Standard chemotherapy with or without bevacizumab in advanced ovarian cancer: quality-of-life outcomes from the International Collaboration on Ovarian Neoplasms (ICON7) phase 3 randomised trial. Lancet Oncol 2013; 14: 236–243. 12. Armstrong DK et al. Intraperitoneal cisplatin and paclitaxel in ovarian cancer. N Engl J Med 2006; 354: 34–43. 13. Harter P et al. Surgery in recurrent ovarian cancer: the Arbeitsgemeinschaft Gynaekologische Onkologie (AGO) DESKTOP OVAR trial. Ann Surg Oncol 2006; 13: 1702–1710. 14. Harter P et al. Prospective validation study of a predictive score for operability of recurrent ovarian cancer: the Multicenter Intergroup Study DESKTOP II. Int J Gynecol Cancer 2011; 21: 289–295.
Quelle: Workshop «Kontroversen beim Ovarialkarzinom» der AGO am
Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe SGGG, 27. bis 29. Juni 2013 in Lugano.
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